Schon vor den Weihnachtsferien beginnt die Zeit der Suche nach brauchbaren Texten für die schriftliche Abiturprüfung. Nicht nur junge Kolleginnen und Kollegen, die dem Fehler erlegen sind, gute Texte bereits bei normalen Klausuren ‘verheizt’ zu haben, stehen dann wieder vor der Frage, welche Texte geeignet sind. Sie müssen sich thematisch auf mehrere Semester beziehen, dürfen nicht zu schwierig, nicht zu leicht sein und sollen auch noch das Schülerinteresse wecken ...
Der Abiturvorschlag von Carolin Schaper, ehemals Unterrichtende am Kranich-Gymnasium in Salzgitter, kann hier gewiss als Orientierungshilfe dienen.
Zeichen der Transzendenz, Peter L. Berger Zeichen der Transzendenz nenne ich Phänomene der ‘natürlichen’ Wirklichkeit, die über diese hinauszuweisen scheinen. Man denke nur an die wohl fundamentalste aller Ordnung stiftenden Gesten - die der ihr ängstliches Kind beruhigende Mutter.
Aufgaben:
|
Bezug zum vorausgegangenen Unterricht:
Kursthema 12.1:
Fragen nach Gott (A/C)
Kursinhalte u. a.:
- Gottesbilder
- Gotteserfahrungen; Urvertrauen; krankmachende Gottesvorstellungen am Beispiel T. Mosers (Elementarer Aspekt 1.1; 4.5)
- Stufen religiöser Entwicklung nach A. Bucher - kindliche Gottesvorstellungen (EA 1.1)
- "Glauben"; Glaubensbekenntnisse (EA 1.2)
Lernziele: A2; A4; B1; c1-4
Kursthema 12.2:
Religion und Wissenschaft (B/C)
Kursinhalte u. a.: Sprache der Religion (EA 1.2; 1.4; 3.4; 3.5)
- "Wahrheitsfrage" (EA 1.3; 1.4)
- Wirklichkeitsverständnis von Religion und Naturwissenschaft (EA 3.4)
Lernziele: A2; A4; B1-4; C3
Kursthema 13.1:
Jesus Christus (A/D)
Kursinhalte u. a.: Verkündigung Jesu vom Reich Gottes (EA 2.1; 2.2)
Lernziele: A1; A2; A4; B2; C1-4; D1
Erwartete Prüfungsleistung:
zu Aufgabe 1:
P. L. Berger versteht unter "Zeichen der Transzendenz" empirisch feststellbare Phänomene alltäglicher menschlicher Vorstellungen oder Verhaltensweisen, die auf eine übergeordnete religiöse Dimension verweisen.
Am Beispiel des verängstigten Kindes, das von seiner Mutter getröstet wird, wird der menschliche Wunsch nach sicheren, "geordneten" Verhältnissen aufgezeigt. Dieser Wunsch hat seine transzendente Entsprechung in der Hoffnung auf ein von Gott grundsätzlich geordnetes und gehaltenes Weltganzes, in dem eine sinnhafte menschliche Existenz möglich ist.
zu Aufgabe 2 a:
Folgende Bezüge können aufgezeigt werden:
- das religionspsychologisch beschriebene Urvertrauen kann in seiner strukturellen Entsprechung zum religiösen Gottvertrauen als ein weiteres Beispiel für die von Berger dargestellte Verschränkung von anthropologischem und theologischem Bezugsrahmen angesehen werden - vergleichbar der im Text angeführten Erfahrung der "Ordnung"
- inhaltlich besteht ein enger Bezug zwischen beiden Beispielen: Eltern, die ihre Kinder eine grundsätzlich vertrauenswürdige und sinnhafte Welt-Ordnung erfahren lassen, verstärken kindliches Urvertrauen und schaffen damit Voraussetzungen für ein späteres Gottvertrauen; die Nähe der beiden Erfahrungen zeigt sich auch darin, dass Berger die Aussage "Vertraue dem Sein" als "kosmische" Variante der elterlichen Grundformel "Alles ist in Ordnung" deklarieren kann.
zu Aufgabe 2 b:
Mögliche Aspekte einer Erläuterung:
- Urvertrauen als Voraussetzung für die Entwicklungen religiöser Rezeptionsfähigkeit; Frustrationstoleranz; realistisches Gottvertrauen
- die Bedeutung biographischer Einflüsse für die religiöse Sozialisation; Abgrenzung gegen krankmachende Erfahrungen von Religion
- Stufen religiöser Entwicklung
- Umgang mit der Theodizeefrage
Grundsätzlich besteht auch die Möglichkeit, die Bedeutsamkeit der zugrundegelegten Erfahrungen für die menschliche Einstellung zu Religion kritisch zu relativieren.
Erwartet wird die Aufnahme von zwei möglichen Aspekten.
zu Aufgabe 3:
Ansatzpunkte einer Beurteilung:
Textbezüge:
- Differenzierung zwischen einem religiösen und einem ausschließlich auf die menschliche Existenz bezogenem Wirklichkeitsverständnis und des sich diesbezüglich verändernden Wahrheitsgehaltes der Aussage der Mutter.
- Ethische Unterscheidung: Eine Lüge aus Liebe sei nicht als solche anzusehen.
Weiterführende Aspekte:
Abgrenzung des naturwissenschaftlichen oder historisch-faktischen Wahrheitsbegriffes gegenüber dem religiösen
- evtl.: kritische Bezugnahme auf die Methodik empirischer Wissenschaften; Relativierung der Annahme einer objektiven Wirklichkeitserfassung
- Bezugnahme auf die "Wahrheitsfrage" hinsichtlich der Existenz Gottes: "Glaube" als Möglichkeit der Entscheidung des Menschen für eine bestimmte Wirklichkeitsrezeption
- Berücksichtigung einer perspektivischen Wahrnehmung der Aussage der Mutter: Das Kind erfährt die Aussage innerhalb seines Bezugsrahmens als wahr.
- "Zeichen der Transzendenz" als wirksame und erfahrbare Spuren eines übernatürlichen Bezugsrahmens, deren Wahrheit jedoch nicht abzuleiten oder zu begründen ist.
Die Bearbeitung der Aufgabe kann sich an der Argumentation des Textes orientieren, sollte jedoch zwei darüber hinausgehende Aspekte aufgreifen bzw. aus dem Text herangezogene Argumente vertiefen.
Anforderungsbereiche und vorgesehene Gewichtung der Aufgaben:
1. AFB I/II 20%
2.a AFB II 25%
3. AFB II/III 30%