Weihnachten entdecken mit Hilfe bekannten und unbekannten Brauchtums

von Martin Küsell

 

Alle Jahre wieder...
Gibt es an Weihnachten überhaupt noch etwas Neues zu entdecken?

Die Antwort auf diese Frage kann einerseits "Nein" lauten. Denn auch die Weihnachtsbräuche sind in ihrer Vielzahl erforscht. Die Ergebnisse sind denjenigen, die sich dafür interessieren, zugänglich. Aber es lohnt sich dennoch, das Thema aufzugreifen. Vielleicht wird Bekanntes in Erinnerung gerufen, und nicht jede/jeder ist Expertin/Experte. Im Unterricht ist die Methode, die im folgenden vorgestellt wird, ein möglicher Weg, die Schülerinnen und Schüler mit Weihnachtsbrauchtum und seinen Wurzeln bekannt zu machen. Und diese Aufgabe stellt sich für jede Generation neu. Denn mit keinem Fest unseres Kulturkreises verbindet sich so viel Brauchtum wie mit Weihnachten. Es hat längst die Begrenzung, ein christliches Fest zu sein, überschritten, so wie es auch in seiner Geschichte nichtchristliche Elemente aufgenommen hat. Das mit diesem Fest verbundene Brauchtum ist historisch gewachsen. Es war in der Vergangenheit von starken regionalen Eigenheiten geprägt und führte so zu einer großen Vielfalt. Davon ist nicht viel geblieben. Auch lokale Eigenheiten haben sich bis auf Ausnahmen an große Trends angeglichen. Weihnachtssymbole beschränken sich auf wenige, die dafür aber inflationär verbreitet sind. Mit Lichtern geschmückte Tannenbäume stehen inzwischen nicht allein in den Wohnzimmern oder auf Plätzen, sondern in den Geschäften und Privatgärten.

Der Lichterbaum am Heiligabend hat damit einen Teil seines Reizes verloren. Engel, Stern u. a. werden in der Werbung vermarktet, und Weihnachtsgebäck liegt bereits Ende September zum Kauf aus. Die Gründe für diese Entwicklung sind vielfältig. Es seien drei genannt: Bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges bestand Deutschland - von den industriellen Ballungszentren abgesehen - aus konfessionell und landsmannschaftlicht homogenen Gebieten. Die Flüchtlingsströme haben hier zu einer starken Mischung geführt. Was die Eltern noch pflegten, wurde vielleicht von den Kindern übernommen, aber nicht mehr von den Enkeln. Die heutige Mobilität setzt diese Prozesse fort. Die Industrialisierung hat zu einer fast beliebigen Vermehrung von Waren, auch von Ess-Waren geführt. Weihnachten ist ein Fest, das mit allen Sinnen gefeiert wurde, bei dem Gottes Liebe im wahrsten Sinne des Wortes auch durch den Magen ging. Die Esswaren sind aber nicht nur in beliebiger Menge sondern auch zu fast jeder Zeit verfügbar und verlieren so den Reiz des Besonderen oder die ihnen zugeschriebene Bedeutung. Und wo der Herstellungsprozess nicht mehr wahrgenommen werden kann, geht auch die Bedeutung mancher Speisen verloren. Das lässt sich exemplarisch am Christstollen zeigen. In seiner Form soll er an ein Wickelkind erinnern. Wenn aber nicht bekannt ist, dass der Teig eigentlich wie eine Lure gewickelt werden muss, verschwindet auch die Bedeutung "Wickelkind". Außerdem haben Pampers u. a. die klassische Windel verdrängt. So kommt es zur "Stollensaison" im "Stollen-Fachgeschäft". Der Stollen ist ein Gebäck ohne Bedeutung geworden. Zudem hatten viele Speisen und Getränke in der Advents- und Weihnachtszeit ihren festen Tag. So gehörte der Spekulatius zum 6. Dezember, die Moppen zum 26. Dezember und der Christstollen zum 28. Dezember.

Schließlich verblassen infolge der Säkularisierung immer mehr religiöse Inhalte und damit auch Deutungsmuster.

Traditionen sind, wenn sie lebendig sein sollen, einem stetigen Wandel unterworfen. Das war und ist mit dem Weihnachtsbrauchtum nicht anders. Darum wird Altes sich nicht einfach wieder beleben lassen. Neues muss wachsen, damit es lebendig ist. Das schließt allerdings nicht aus, dass Altes aufgenommen und integriert wird. Kinder sollten daher erfahren, woher die Gegenstände und das Brauchtum kommen, die heute unser und ihr Weihnachtsfest prägen, und die Kenntnis der Ursprünge kann zu einem kritischen Umgang mit dem Brauchtum verhelfen.

Warum stellen wir Weihnachtsbäume in die Zimmer und schmücken sie mit Kerzen, Kugeln u. a.? Warum sehen Spekulatius so aus, und warum schmecken sie so? (Oder sollten doch jedenfalls so schmecken.)

In anderen biblischen Zusammenhängen wird das folgendermaßen ausgedrückt: "Wenn dich heute oder morgen dein Sohn fragen wird: Was bedeutet das?, sollst du ihm sagen: Der Herr hat uns mit mächtiger Hand aus Ägypten geführt." (2. Mose, 13, 14f) Erinnert sei auch an das Frage- und Antwortspiel zwischen Hausvater und Kindern, mit dem bei der jüdischen Passah-Mahl-Feier das Fest, sein Sinn und die Bedeutung der verschiedenen Speisen erklärt werden.

Die Grundidee der hier vorgestellten Methode ist es, über Brauchtum die Bedeutung des Weihnachtsfestes zu erschließen. Dazu werden den Schülerinnen und Schülern Darstellungen verschiedener Bräuche bzw. Traditionen an die Hand gegeben. Die dazugehörigen Gegenstände werden in einem Korb angeboten. Wo die Gegenstände selbst zu groß sind, genügen vielfach auch Teile von ihnen: so kann ein Tannenzweig für den Tannenbaum stehen, eine Scheibe Stollen für den ganzen usw. Einfacher - wenn auch weniger eindrucksvoll - ist es, mit Abbildungen zu arbeiten. Diese werden auf Kärtchen in der Größe DIN A 6 geklebt, die in den "Weihnachtsfarben" rot und grün gehalten sein können.

Es ist nun sowohl möglich, alle Gegenstände innerhalb einer Unterrichtseinheit zu behandeln, als auch an jedem Tag einen Gegenstand auszuwählen. Letzteres erinnert an die Tradition der Adventskalender und dürfte am leichtesten in Grundschulklassen zu verwirklichen sein. Dabei ist die Anzahl der Gegenstände, bzw. der Abbildungen beliebig. Das vorliegende Modell orientiert sich am traditionellen Adventskalender und kommt so zur Zahl 24. Genauso könnte man sich an der Zahl der Schultage zwischen dem 1. Advent und dem Beginn der Weihnachtsferien oder an der Anzahl der Schülerinnen und Schüler orientieren.

Die Vorgehensweise ist in beiden Fällen dieselbe: Die Schülerinnen und Schüler (evtl. auch die Erwachsenen) wählen einen Gegenstand oder eine Karte aus und überlegen, was sie persönlich mit diesem Gegenstand, bzw. der Abbildung verbinden. In einem zweiten Schritt wird überlegt, was dieser Gegenstand ihrer Meinung nach im Zusammenhang mit dem Weihnachtsfest bedeuten könnte. Das Gesagte wird durch Gedanken und Ideen der anderen Schülerinnen und Schüler ergänzt und in Richtung auf eine Aussage gebündelt. Dabei ist es wichtig darauf zu achten, dass alle Assoziationen und Gedanken zunächst ihr Recht haben. Es geht also nicht um ein "richtig" oder "falsch" im Verhältnis zur Tradition sondern ggf. um das Aufdecken ursprünglicher Bedeutungen und Deutungszusammenhänge. Die Ergebnisse können auf Kärtchen festgehalten oder in Listen eingetragen werden.

Da Traditionen ein Eigenleben entwickeln, ist gerade im Fall von Weihnachten das Wesentliche manchmal aus dem Blick geraten. Von daher ist es interessant, die behandelten Gegenstände in den Weihnachtsgeschichten nach Lukas (2, 1-20) und Matthäus (2, 1-12) aufzusuchen: Was finden wir wieder? Was finden wir nicht wieder? Aus diesem Grund habe ich z. B. die Windeln mit aufgenommen, obwohl sie anders als die Strohsterne im Brauchtum als Schmuck nicht vorkommen.

Traditionen sind zudem Wandlungen unterworfen. In höheren Klassen ließe sich dies am Beispiel der Kerze herausarbeiten. Die Bedeutung, die sie für Kinder/Jugendliche haben kann, können mit der christlichen Deutung ins Gespräch gebracht werden.

 

Weihnachtsbräuche

Rot - Grün - Weiß

Weihnachtsfarben: rot - Liebe, Freude, (Königs)Würde, Blut Christi;
grün: Treue/Hoffnung; weiß: Unschuld, Christusfarbe

Adventskranz

Vor 150 Jahren - Wichern, Rauhes Haus in Hamburg, ursprünglich 24 Kerzen - Aufnahme des Kreis-/Sonnenmotivs

Barbarazweige

Obstbaumzweige am 4. Dez. geschnitten und in beheizten Raum gestellt, blühen Weihnachten

Biblischer Bezug: "Und es wird ein Reis hervorgehen aus dem Stamme Isais, und ein Zweig aus seiner Wurzel Frucht bringen." (Jes. 11,1)

Nikolaus /
Knecht Ruprecht

Bischof von Myra 4. Jh.; Heiliger (6. Dez.); verschiedene Legenden

Knecht Ruprecht: Strafende Seite; Rute: vorchristl. Symbol für Leben

Stiefel

Nikolaustag (Legende: Arme Kinder bekommen Kleidung und sogar Schuhe; in den Schuhen steckt Spielzeug/Süßigkeiten)

Krippe

pars pro toto, erstmals erwähnt 1223; Tradition: wahre Krippenlandschaften; Weihnachtsweg; nach der Reformation: Krippe = kath./ Tannenbaum = ev.

Stroh

Krippe; Jahrtausende: Normalität; Strohsterne

Windel

Menschen-Kind durch und durch

Hirten

Die ersten, die von der Geburt des Kindes erfahren

Engel

Bote Gottes; Verkündigung an Maria und die Hirten; himml. Heerscharen

Ochs - Esel - (Schaf)

Tugenden: Stolz - Dummheit - Unschuld

christl.: Beharrlichkeit - geduldiges Tragen - Opfer
Biblischer Bezug: "Ein Ochse kennt seinen Herrn und ein Esel die Krippe seines Herrn; aber Israel kennt’s nicht, und mein Volk versteht’s nicht." (Jes 1,3)

3 Weise/Könige

Sternkundige; Geschenke sind "königlich": Gold - Reichtum, Macht; Weihrauch - Opfer; Myrrhe - Arznei (späteres Leiden Jesu?)

Stern

Jahreszeiten, Kalender, Astrologie; führt die Weisen (Sterndeuter)

Geschenke

zuerst nur für Kinder (Nikolaus); seit ca. 250 Jahren auch für Erwachsene;
Geschenke der 3 Weisen

Weihnachtsmann

säkularisierter Nikolaus, 19. Jh., Geschenkebringer, auch Christkind oder St. Claus - mit Rentier erstmals Kinderbuch von Lewis Carol 1821

Kerze

lebendiges Licht, Wärme; Christus, das Licht der Welt; Christus verzehrt sich wie die Kerze für uns; Transparente;

Biblischer Bezug: "Christus, das Licht der Welt"

Tannenbaum

vorchristl.: Baum = Leben; Paradiesbaum; stachelige Tannen an der Tür sollten böse Geister abwehren / 1559 erster Weihnachtsbaum in Straßburg belegt; seit 200 Jahren zum Symbol dt. Weihnacht; Immer-grün = ewige Treue;

Biblischer Bezug: "Ich will sein wie eine grünende Tanne." (Hosea 14,9)

Misteln

vorchristl.: geheimnisvolles Gewächs; wächst nicht in der Erde sondern auf Baum; immergrün - Arznei und Magie (Asterix, Obelix, Miraculix!)

Weihnachtspyramide

Krippe u. Lichterbaum in einem (Erzgebirge)

Apfel

Fruchtbarkeit, Leben; Paradies ( Sündenfall); Farben: rot, weiß

Kugeln

Kreisform in 3. Dimension: Vollkommenheit; wie glitzernde Edelsteine; Verbindung zu Apfel

Ketten

Gefesselter Jesus; Christus befreit

Nüsse

harte Schale (Krippe) - süßer Kern (Christus); verborgener Ratschluß Gottes

Glocke

Friedensruf; Warnsignal; ruft zum Gottesdienst

Lametta

erinnert an Eiszapfen = Winter; kostbarer Schmuck (Könige); vgl. auch Engelshaar

Lebkuchen/
Pfefferkuchen

Leb = Leib = Heil; gebacken mit Zutaten aus der Kräuterapotheke; Pfeffer = alle fremden und darum kostbaren Gewürze; Nelken = Nägel der Kreuzigung

Spekulatius

speculator (lat.) = Aufseher, Bischof; Darstellungen aus den Nikolauslegenden (6. Dez.)

Moppen/Pflastersteine

Stephanus, Steinigung(26.Dez.)

Christstollen

gewickelt und weiß gepudert = Windel; das Kind in der Krippe
(28. Dez. Tag der unschuldigen Kinder)

Stutenkerle

Lebkuchenmännchen; Erinnerung an heidnische Opfer

Wunderkerze

Funkelnde Sterne, Weihrauch (?)

25. Dezember

nach unkorrigiertem julianischen Kalender Tag der Wintersonnenwende, vorchristl. Feste (Julfest); seit 4.Jh. Geburt Christi; Anfangs Konkurrenz zu 6. Januar

6. Januar/Epiphanias

"Tag der Erscheinung", Gott offenbart sich in dem Menschen Jesus; in der Ostkirche bis heute "Weihnachten"; in der Westkirche Bedeutungswandel zu: "Hlg. drei Könige"

 

Literatur

  • Mehling, Marianne: Die schönsten Weihnachtsbräuche. Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München/Zürich 1980
  • Schlißke, Otto: "Apfel, Nuß und Mandelkern". Schriftenmissions-Verlag, Gladbeck 1975