"Der ist wie ein Baum" - Psalmtexte mit Kindern erarbeiten

von Gabriele Eickmeyer

 

Ein Praxisbericht aus der Tageseinrichtung für Kinder der Ev.-luth. St. Johannis Kirchengemeinde Lüchow

 »Der ist wie ein Baum, gepflanzt an den Wasserbächen, der seine Frucht bringt zu seiner Zeit, und seine Blätter verwelken nicht. Und was er macht, das gerät wohl.« 

Psalm 1,3

Der Anlass

Ein Projekt für praxisorientierten Religionsunterricht an Fachschulen für Sozialpädagogik führte Unterrichtende, Schülerinnen und Erzieherinnen der Praxiseinrichtungen von sechs Fachschulen des Reg.-Bez. Lüneburg im Sommer 1994 im RPI unter dem Thema "Psalmtexte mit Kindern erarbeiten" zusammen. (Vgl. Bericht im Pelikan 4/1994, S. 5) Im Februar 1995 wurden die Ergebnisse aus der Praxis der Kindergärten und des Religionsunterrichts an den Fachschulen zu diesem Thema zusammengetragen.

In der Tageseinrichtung für Kinder (= Kindergarten) der Ev.-luth. St. Johannis Kirchengemeinde Lüchow wurde in diesem Zusammenhang eine rel.-päd. Einheit zu Psalm 1,4 erarbeitet und durchgeführt. Im Folgenden sollen diese Einheit und Grundüberlegungen zu möglichen Voraussetzungen und Gegebenheiten, zu Schwierigkeiten und Schwerpunkten für die Umsetzung vorgestellt werden.

 

Der Kindergarten von St. Johannis

In dem Kindergarten leben Kinder und Mitarbeiterinnen von zwei Vormittags- und einer Integrationsgruppe behinderter und nichtbehinderter Kinder, einer Ganztags- sowie zweier Nachmittagsgruppen. Die Orientierung der päd. Praxis an dem Konzept der "offenen Arbeit" ermöglicht es Eltern, Trägervertreter/innen, Schulen und Öffentlichkeit, die pädagogischen Inhalten mitzugestalten. In Gruppengesprächen, Dienstbesprechungen mit Eltern und teamzentrierten Fortbildungen werden die Inhalte erarbeitet. Dabei wird von Situationen ausgegangen, die die Kinder im und außerhalb des Kindergartens erleben, und die sie ansprechen. Hinzu kommen solche, die von Mitarbeiterinnen und anderen Erwachsenen (Schülerinnen, Eltern) eingebracht bzw. hergestellt werden.

Für die Erzieherinnen des Kindergartens war und ist Ausgangspunkt der Arbeit, sich zusammen mit Kolleginnen sowie einigen Elternvertreter/innen den Kindern mit eigenen Erfahrungen selbst zur Verfügung zu stellen und ihnen Situationen anzubieten, die ähnliche Erfahrungen ermöglichen.

 

Der Anfang

Zunächst berichtete die Leiterin im Team von der eingangs erwähnten Fortbildung, wobei die Übermittlung der inhaltlichen Arbeit mit praktischen Übungen den Schwerpunkt bildete.

In den Psalmen sind Lebens- und Glaubenserfahrungen zu Bildern verdichtet, die über Jahrtausende hinweg Menschen ansprechen. Sie geben Hoffnung, Enttäuschung, Angst, Trauer, Freude, dem eigenen Vertrauen Ausdruck.

Die Kolleginnen der sechs Gruppen waren bereit, punktuell mitzuarbeiten, d.h. Kinder anzusprechen, Aktionen zu begleiten, Zeit und Raum zur Verfügung zu stellen; sich selbst, mit dem was die Kinder einbringen, zu beschäftigen.

 

Die Beobachtungs- und Spielphase zur Vorbereitung

An die Auseinandersetzung im Team schloss sich eine Beobachtungsphase an. Die Fragestellungen dafür lauteten:

Welche Kinder wenden sich Bäumen besonders zu? - sei es konstruktiv (häufiges Spielen um Bäume herum, klettern, pflegen, anfassen), sei es destruktiv (Blätter und Äste abreißen, schlagen, zertreten usw.). Welche Kinder zeigen wenig oder kein Interesse an Bäumen?

Die Erzieherinnen waren aktiv an den Baumspielen der Kinder beteiligt. Sie nahmen Kontakt zu denjenigen auf, die sich in der Beobachtungsphase nicht mit Bäumen beschäftigt hatten, und versuchten, sie in Spielen dazu zu motivieren.

Für die Einheit selbst sollte eine alters- und zahlenmäßig begrenzte Gruppe gebildet werden, d. h. ca. drei fünf- bis sechsjährige Kinder aus jeder Gruppe des Kindergartens. Diese Beschränkung war aber nicht durchzuhalten, da viele jüngere Kinder, bzw. je nach Aktivität viele Kinder einer Gruppe, Interesse an den Spielen zeigten:

unter dem Baum (Schatten, Schutz, Sammeln, Spiele); 
auf dem Baum (Klettern, Höhe, Tiefe, Mut, Geschick); 
um den Baum (den Baum anfassen, den Baum umtanzen).

Über einen Zeitraum von zwei Monaten trafen sich die Interessengruppen zweimal wöchentlich für je eine Stunde, danach wöchentlich bzw. vierzehntägig.

Bei diesen Spielen wurden die Wahrnehmungsmöglichkeiten bewusst.

Kinder erzählten, was sie sahen, hörten, rochen, tasteten, schmeckten. Die Erzieherinnen berichteten über ihre Wahrnehmungen. Dabei gab es auf beiden Seiten gleiche (sehen, tasten) und unterschiedliche Wahrnehmungen (hören, riechen, schmecken).

Die Bäume wurden benannt. 
Ältere Kinder kannten die Namen bzw. lernten und behielten sie; jüngere unterschieden zwischen Laub- und Nadelbäumen. So wurde Sachwissen vermittelt. Außerdem wurden lustige Phantasiegeschichten einbezogen.

 

Die religionspädagogische Einheit

Im Anschluss an die Beobachtungsphase wurden die Grundzüge der rel.-päd. Einheit veröffentlicht. Sie bestand aus folgenden Elementen:

  • Miteinander erlebbare Situationen
    Bäume in unserem Garten, auf dem Weg zum Deich, im Park. Die Bäume wurden unterschieden, benannt und wiedererkannt.
  • Bewusstmachen der Wahrnehmung: mit allen Sinnen sehen: 
  • Wuchsform, Größe, Wurzel, Stamm, Krone, Form der Blätter, Farbe; hören: in den Ästen und Zweigen der Krone sind Windhauch, Wind, Sturm, Regen zu hören; Blätter rascheln, klatschen, knistern; Äste knacken, krachen. Vögel und andere Lebewesen sind in den Bäumen zu hören; riechen: Duft der Blüte, Früchte, Blätter, des Harzes, des Holzes, der Rinde; tasten/fühlen: befühlen, begreifen der Oberflächen (rau, rissig, weich, kitzelig)
  • Empfindungen im Zusammenhang mit Bäumen,

die individuell und miteinander nachvollziehbar sind.

Festigkeit und Beweglichkeit:
Der Baum steht auf einem Platz hat einen Standpunkt/Standort. Der Baum ist fast immer in Bewegung, der Wind bewegt ihn. Der Baum verändert, wandelt sich ständig: er wird geboren, wächst, bringt Frucht, wird neu, wird alt, stirbt und lebt dennoch weiter. Der Laubbaum erlebt den jahreszeitlichen Wandel, der Nadelbaum ist immer grün. 

Schwäche und Stärke: 
Heranwachsende Bäume brauchen Schutz, Rücksichtnahme, Pflege. Große Bäume bieten Schutz vor Regen, Sturm. Sie bieten Halt und geben Menschen, Tieren und Pflanzen Nahrung und ggf. Wohnung. Sie liefern Energie und sind Baumaterial. 

Geborgenheit:
Der Baum ist Lebensraum für unterschiedlichste Lebewesen.

Freude und Trauer:
Freude beim Keimen des Sämlings, beim Wachsen und Gedeihen, bei der Baumblüte, an den Früchten, in den Jahreszeiten, bei der Betrachtung. Sorge um das Wohlergehen, bei Anzeichen von Erkrankung. Trauer bei Verstümmelung oder Tod des Baumes.

Solche Wahrnehmungen und Erlebnisse können sich niederschlagen in: 
Bewegung (Baumtanz),
Sprache (Wort- u. Sprachspiele),
Gestaltung (formen, malen, darstellen von Bäumen),
Musik.

Diese Formen können sich zu Symbolen verdichten, in denen sich Lebens- und Glaubenserfahrungen ausdrücken können. Wenn diese Bilder auf Gott bezogen werden, können sie helfen, religiöse Erfahrungen zu deuten und ebenfalls in Bewegung, Sprache, Gestaltung und Musik auszudrücken.

Nach unserer Erfahrung ist es Kindern möglich, beide Schritte nachzuvollziehen. Als Hilfestellung auf diesem Weg wurde ihnen erzählt, dass die Menschen, die vor langer Zeit lebten, mit dem Bild und den Eigenschaften des Baumes den Menschen beschrieben, der an Gott glaubt.

 

Die Fortführung im Kindergartengottesdienst

Einmal monatlich bieten die Mitarbeiterinnen für Kindergartenkinder und deren Geschwister einen Gottesdienst an, der im Kindergarten gefeiert wird. Dafür wurden mit den Kindern Äste, Zweige verschiedener Bäume besorgt und damit die Mehrzweckhalle des Kindergartens als Gottesdienstraum gestaltet, ergänzt durch Kerzen, Kalenderbilder und Photos von Bäumen. Außerdem waren Baumfrüchte, Farben, Papiere, Stoffe gesammelt worden, und es lagen Musikinstrument wie Xylophon und Klanghölzer bereit. Der Kindergartengottesdienst hatte folgenden Ablauf:


Einleitung

Lied:
Du hast uns Herr gerufen

Gebet:
In Gottes Namen steh ich auf

Lied:
Du legst uns deine Worte

Spruch: 
Es kommt die Zeit, in der die Träume sich erfüllen

Lied: 
Herr sammle die Gedanken

Hauptteil: 
In der vorangegangenen Phase von ca. vier Wochen, in der sich Kinder und Mitarbeiterinnen mit diesem Thema im Kindergartenalltag auseinandergesetzt hatten, war u. a. ein großer Pappbaum entstanden, der nun in der Mitte des Sitzkreises beim Gottesdienst Platz fand. Kinder und anwesende Erwachsene gestalteten das im Psalm beschriebene Umfeld des Baumes mit Papieren, Tüchern, gesammelten Baumfrüchten und anderen Naturmaterialien. Wasser und Erde wurden durch große farbige Tücher dargestellt, Sand und gesammelte Steine sowie Äste, Zweige, farbige geknüllte, gerissene, geschnittene Papiere bildeten die Landschaft, Früchte wurden gefertigt und an den Baum gehängt. Während der Tätigkeiten wurde über das Erleben mit den Bäumen gesprochen und es wurden bestimmte Eigenschaften der Bäume wie stark, groß, schön, fest, bewegt, hoch, biegsam, alt benannt.
Das Lied einer Popgruppe aus der ehemaligen DDR, ein "Ohrwurm" der damaligen Zeit, war von einer Kollegin aus den "Neuen Ländern" eingebracht worden. Dieses Lied wurde mit Kindern und Mitarbeiterinnen umgearbeitet und gesungen, getanzt sowie mit Instrumenten begleitet:
"Stark wie ein Baum möchte ich werden, / ja so wie der Dichter es beschreibt. / Stark wie ein Baum mit einer Krone, / die weit, weit, weit, weit über alle Grenzen scheint."
Während der Liedeinführung und während des Tanzes wurde berichtet, dass die Menschen vor langer Zeit den Menschen, der an Gott glaubt, mit einem Baum verglichen. In Liedern und Reimen wurde das immer weiter gesagt, lange Zeit bevor Jesus, von dem wir Christen glauben, dass er Gottes Sohn ist, geboren wurde. Die Menschen, die heute leben, führen das weiter.

Gebet:
Vater unser

Lied:
Wenn wir jetzt weitergehen, evtl. Tanz: Stark wie ein Baum...

 

Zusammenfassung

  • Bei dieser Einheit waren Kinder und Mitarbeiterinnen viel unterwegs und in Bewegung. Sie waren körperlich aktiv durch laufen, springen, klettern, sammeln, tragen, graben. Es war anstrengend!
  • Von Kindern und Mitarbeiterinnen wurden Empfindungen, die sie hatten, als sie sich mit Bäumen beschäftigten, zum Ausdruck gebracht. Kinder brachten je zwei Kastanien- und Haselnussbäumchen, die sie bereits ein Jahr aufgezogen hatten, mit. Für die Bäumchen wurde gemeinsam ein geeigneter Standort gesucht. Sie wurden gesetzt und gepflegt. Die Kinder freuten sich beim Gedeihen. Sie waren traurig, als ein Bäumchen umgebrochen worden war. Sie waren entsetzt, als nach einem Wochenende von dem voll behangenen Apfelbaum alle Äpfel heruntergeschlagen waren. Sie waren entrüstet über den Spaß, den andere dabei hatten, auf Äste einzuschlagen, Blätter abzureißen, Bäume zu treten. Sie staunten über sehr große Bäume, die ehemalige Kindergartenkinder vor Jahren gepflanzt hatten. Zusammen mit den Mitarbeiterinnen, den Eltern, den Kirchenvorstehern und dem Pastor halfen Kinder, den Garten zu gestalten.
  • Kinder gestalteten Bäume an der großen Malwand, auf einzelnen großen und kleinen Papieren, mit Wasserfarben, Wachsmalkreiden, Buntstiften, gepressten Blättern und Klebstoff, Papprollen und Papieren, Stoffen und Tüchern
  • Kinder bereiteten ihren Gottesdienst vor, sie bauten einen Baum, sammelten Früchte, bereiteten Papiere und Stoffe vor, übten das Lied und probierten dazu klangliche Begleitung und Tanzformen aus.
     

Kinder lieben Bäume
Bäume gehören zu ihrer Lebenswelt.
Kinder können sich mit den Eigenschaften von Bäumen identifizieren; sie können sagen:
Der ist wie ein Baum!

Gabriele Eickmeyer


Folgende Kinderliteratur unterstützte bzw. vertiefte die Erfahrungen:
"Meine allerliebsten Bäume" , v. Bartos-Höppner, Gerstenberg; "Der verwandelte Wald" v. R.Sacher; "Der singende Baum" v. B.Clavel, Urachhaus; "Die Hecke" v. Thomas u.While, Gerstenberg; "Der Frühling kommt" v. Nöstlinger/Parmentier, Schroedel; "Der Geisterbaum" v. Waldbrecker, Annette Betz; "Pony, Bär und Apfelbaum" v. Heuck, Thienemanns

Text erschienen im Loccumer Pelikan 4/1995

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