Handelskriege

Von Jasper Finke

 

„Echte” Handelskriege gibt es nicht mehr – genauso wenig wie „echte“ Kriege. Diese Aussagen erscheinen angesichts der weltweiten Gewalt und der rabiaten Handelspraktiken der USA unter Donald Trump fast unwirklich. Trotzdem stimmen sie – zumindest, wenn man eine juristische Sichtweise auf das Phänomen zwischenstaatlicher Gewalt einnimmt. Krieg ist für Juristinnen und Juristen ein Rechtszustand, d.h. er ist an bestimmte Voraussetzungen geknüpft wie z. B. eine Kriegserklärung und einen Kriegsgrund. Liegen die Voraussetzungen nicht vor, gibt es auch keinen Krieg, sondern man spricht von zwischenstaatlicher Gewalt. Deren Einsatz hat die UN-Charta mit ihrem Inkrafttreten 1945 in jeglicher Ausprägung verboten. Ausnahmen hierzu bilden das Selbstverteidigungsrecht und die Befugnis des Sicherheitsrates, als letztes Mittel den Einsatz von Gewalt zur Aufrechterhaltung bzw. Wiederherstellung des internationalen Friedens zu autorisieren.

 


Klassische Handelskriege und Gewaltverbot

Dieser Zusammenhang zwischen einem formalen Verständnis von Krieg, zwischenstaatlicher Gewalt und deren Verbot ist für die Aussage, dass es echte Handelskriege nicht mehr gibt, von entscheidender Bedeutung. Denn ursprünglich waren Handelskriege nichts anderes als die Anwendung von zwischenstaatlicher Gewalt mit einer handelspolitischen Zielrichtung, in aller Regel der Unterbindung von Handelsbeziehungen. In dieser Form waren sie häufig Bestandteil größerer Kriege. So lässt sich z. B. der Einsatz deutscher U-Boote im Ersten Weltkrieg ab 1915 in Reaktion auf die britische Blockade Deutschlands als Handelskrieg qualifizieren.

Das zwischenstaatliche Gewaltverbot der UN-Charta erfasst auch diese Form der Gewalt. Zwar mögen Staaten entgegen des eindeutigen Verbots Gewalt einsetzen, und dabei spielen neben geopolitischen und ideologischen Gründen häufig auch Wirtschaftsinteressen eine Rolle. Regelmäßig geht es jedoch nicht um die Unterbindung von Handelsbeziehungen zur Erreichung eines militärischen Ziels. Ein letztes Überbleibsel dieser Form des Handelskrieges findet sich in der UN-Charta als Bestandteil der Maßnahmen, die der Sicherheitsrat zur Wiederherstellung des internationalen Friedens anordnen kann. Hierzu gehört auch die Möglichkeit, gegen einen Staat, der durch sein Verhalten den Weltfrieden bedroht, ein umfassendes Wirtschaftsembargo zu verhängen, zu dessen Durchsetzung zusätzlich der Einsatz von Gewalt autorisiert werden kann. Auch wenn in diesem Fall Handelsbeziehungen ggf. mit Gewalt unterbunden werden, handelt es sich im Gegensatz zu „echten Handelskriegen“ dabei um ein Mittel, um das eigentliche Ziel – die Wiederherstellung des internationalen Friedens – zu erreichen. Es ist mithin ein Sanktions- und Durchsetzungsmechanismus. Allerdings trifft ein allgemeines Wirtschaftsembargo vor allem die Zivilbevölkerung, die z. B. in Diktaturen keinen Einfluss auf die Politik des Landes hat, aber unmittelbar von der wirtschaftlichen Blockade betroffen ist. Es ist deshalb zu Recht aus menschenrechtlicher Perspektive als unverhältnismäßig kritisiert worden.

 


Moderne Handelskriege

Auch wenn es nach klassischem Verständnis keine Handelskriege mehr gibt, erfreut sich der Begriff erneut großer Beliebtheit, insbesondere vor dem Hintergrund der rabiaten Handelspolitik der USA unter Donald Trump. In diesem Zusammenhang bekommt der Begriff jedoch eine andere Bedeutung, da keine kriegerischen Mittel zum Einsatz kommen. Allerdings lassen sich Parallelen zu weitverbreiteten Assoziationen mit dem, was einen Krieg jenseits formaler Kategorien und Definitionen ausmacht, feststellen: der Krieg als ein rechtsloser Zustand, in dem den Parteien jedes Mittel recht ist, um ihn zu gewinnen. Es geht um Sieg oder Niederlage, Gewinnen oder Verlieren, wobei der Sieg des einen Staates die Niederlage des anderen bedeutet. Es sind nicht die Mittel, die diese Form der Auseinandersetzung zu einem Handelskrieg machen, sondern die Logik des Konflikts. Er ist geprägt von Maßnahmen und Gegenmaßnahmen, die schnell eine nicht mehr zu kontrollierende Eskalationsspirale in Gang setzen, an deren Ende ein Konflikt steht, den keine der Parteien ohne Gesichtsverlust beenden kann. Vor diesem Hintergrund stehen wir derzeit tatsächlich vor dem Ausbruch eines Handelskrieges.

 


Friedensordnung des internationalen Handels

Bevor man von einem Handelskrieg spricht, muss man sich fragen, was eigentlich den Handelsfrieden bzw. die Normalität der Handelsbeziehungen ausmacht. Schließlich stehen Krieg und Frieden in einem unmittelbaren Gegensatz zueinander. Symbol eines solchen Handelsfriedens ist die Welthandelsorganisation (WTO). Sie ist bei Globalisierungskritikern wenig beliebt. Dennoch steht sie für einen regelbasierten und multilateralen Welthandel. Das macht diesen nicht zwangsläufig gerecht, weil bei der Aushandlung der Regeln Wirtschaftsinteressen und Wirtschaftsmacht eine ganz zentrale Rolle spielen. Der bestehende Rahmen bietet jedoch allen Parteien die Möglichkeit, ihn zu nutzen. Er kann nicht einfach einseitig durch den stärkeren Handelspartner geändert werden, weil er entweder kurz- oder sogar langfristig nicht mehr seinen Interessen dient. Ein weiteres charakteristisches Merkmal der WTO ist, dass alle Mitglieder in der Aushandlung Kompromisse eingegangen sind. Deshalb wird das Bündel an Verträgen, die die WTO-Rechtsordnung bilden, auch als package deal bezeichnet, an die alle Mitglieder in ihrer Gesamtheit gebunden sind.

 


Drohende Demontage der Friedensordnung

Natürlich ist diese Friedensordnung des internationalen Handels nicht perfekt. Vieles ließe sich verbessern, insbesondere die Position der ärmsten Mitglieder. Der sich abzeichnende Handelskrieg wird jedoch nicht zu einer Reform des bestehenden Systems führen, sondern allenfalls zu dessen Abschaffung. Die USA sind dabei, diese Friedensordnung zu sabotieren und sich nicht mehr an ihre Regeln zu halten, um dadurch neue Bedingungen des Welthandels diktieren zu können. Ausgangspunkt sind die jüngst eingeführten Zölle der USA, die sich vor allem gegen chinesische, aber auch europäische Produkte richten. Dadurch werden in den USA ausländische Produkte teurer und heimischen Produkte relativ betrachtet billiger. Allerdings ist die Weltwirtschaft in einem solchen Umfang miteinander verflochten, dass es kaum mehr möglich ist, Produkte in diese Schwarzweißkategorien zu pressen. Auch U.S.-amerikanische Unternehmen und die Konsumenten in den USA werden mithin unter den neuen Zöllen leiden. Das Entscheidende ist jedoch, dass es für diese keine Grundlage im WTO-Recht gibt. Die USA behaupten zwar das Gegenteil. Allerdings sind die Begründungen vorgeschoben und fadenscheinig. Sie werden einer Überprüfung nicht standhalten. Eine solche Überprüfungsmöglichkeit sieht die WTO auch grundsätzlich vor. Die USA versuchen derzeit, deren Funktionsfähigkeit zu beeinträchtigen, indem sie die Berufung neuer Mitglieder der Berufungsinstanz (der sogenannte Appellate Body) verhindern. Sollten die USA mit dieser Strategie Erfolg haben, könnten in Zukunft entweder keine oder nur noch deutlich weniger Verfahren durchgeführt werden. Damit wird es auch unwahrscheinlicher, dass die USA wegen eines Verstoßes gegen das WTO-Recht verurteilt werden.

Wir müssen mithin die bewusste Missachtung des Rechts in Verbindung mit der institutionellen Demontage der bestehenden „Friedensordnung“ des Welthandels beobachten, d.h. es droht in den internationalen Handelsbeziehungen ein zumindest faktisch rechtsloser Zustand. Auch die Eskalationslogik zeigt ihre Wirkung. So haben sowohl China als auch die EU unmittelbar Gegenmaßnahmen ergriffen, d.h. sie haben ebenfalls Zölle auf U.S.-amerikanische Produkte eingeführt, auf die die USA wiederum reagiert haben. Da das Potential, mit Hilfe von Zollerhöhungen die eigene Wirtschaft (vermeintlich) zu schützen und dem „Gegner“ zu schaden, begrenzt ist, steht zu befürchten, dass die beteiligten Staaten bald auf andere wirtschaftspolitische Maßnahmen zurückgreifen werden. Auch darin zeigt sich, dass der Konflikt ohne Gesichtsverlust in Form des Eingeständnisses der eigenen Niederlage und damit der Anerkennung des Siegs des „Gegners“ kaum noch beizulegen ist. Selbst wenn es sich mangels Gewaltanwendung nicht um klassische Handelskriege handelt, ist angesichts der Logik des Konflikts richtig, auch diese Formen der Eskalation eines Handelsstreits als Handelskrieg zu bezeichnen.

 


Moderne Handelskriege als ein Symptom für gesellschaftliche und politische Radikalisierungsprozesse

Wie bei echten Handelskriegen, die Bestandteil größerer kriegerischer Auseinandersetzungen waren, handelt sich es sich auch bei modernen Handelskriegen nicht um auf die Handelsbeziehungen isolierte Phänomene. Sie sind vielmehr Resultat und Katalysator gesellschaftlicher und politischer Radikalisierungsprozesse im Kontext tiefgreifender Wirtschaftskrisen. Paradebeispiel hierfür war bisher die Weltwirtschaftskrise. Sie zeigt nicht nur, dass das Arsenal eines Handelskrieges nicht auf Zollerhöhungen beschränkt ist. Auch die Abwertung der eigenen Währung, um dadurch die eigene Exportwirtschaft zu stärken, weil die Produkte in Relation zu anderen Währungen billiger werden, gehört dazu – eine Praxis, die auch als Währungskrieg bezeichnet wird. Die Weltwirtschaftskrise belegt außerdem eindrucksvoll, wie Wirtschaftskrisen gesellschaftliche und politische Radikalisierungen verstärken, die wiederum Auswirkungen auf die Handelspolitik haben.

Angesichts der historischen Ereignisse waren die überwiegenden Reaktionen der Staaten auf die Weltfinanzkrise von 2008 und die anschließende Eurozonenkrise bemerkenswert. Sie haben zunächst nicht auf das volle Arsenal eines Handelskrieges zurückgegriffen. Trotzdem lassen sich gesellschaftliche und politische Radikalisierungsprozesse beobachten. Die damit einhergehende Rückbesinnung auf das Nationale – ein neues altes Heilsversprechen – erhöht jedoch die Gefahr von Handelskriegen, da diese Rückbesinnung nur mit Mitteln der Ab- und Ausgrenzung erreicht werden kann. Sie ist in übersteigerter Form wesentliche Grundlage eines jeden Krieges – auch des Handelskrieges. Moderne Handelskriege können wiederum Wirtschaftskrisen auslösen oder bestehende Krisen verstärken. Die sozialen Folgen solcher Krisen – Arbeitslosigkeit, geringere Sozialleistungen und eine schlechtere Krankenversorgung – haben unmittelbare Auswirkungen auf das Leben von Millionen von Menschen. Moderne Handelskriege töten mithin nicht unmittelbar, aber sie können mittelbar tödliche Folgen haben, ebenso wie ein umfassendes Wirtschaftsembargo. In diesem Sinne sind auch moderne Handelskriege alles andere als friedlich.