Civil Powker – Ein Lernspiel zu zivilem Engagement in internationalen Konflikten

Von Karl-Heinz Bittl

 

Täglich berichtet die Tagesschau von Krisen, Kriegen und Konflikten in der Welt. So landet das Leid aus der Ferne im eigenen Wohnzimmer und hinterlässt vielfach ratlose, manchmal abgestumpfte Gesichter. Eine scheinbare Ohnmacht, dass man selbst nichts dagegen machen könne, führt nicht selten in unserer Bevölkerung zum verstärkten Ruf nach der so genannten internationalen Gemeinschaft, die mittels eines Militärschlags den „Frieden sichern“ soll. So tauchen bspw. Ideen zu einem Militärschlag bei einem möglichen Giftgaseinsatzes in Idlib (Syrien) auf. Ein Militäreinsatz zur Gewalteinhegung scheint also hierzulande ein recht bekanntes Interventionsmittel zu sein. Weitaus weniger bekannt sind hingegen die zivilen Mittel, die wir in Deutschland haben, um uns vor der eigenen Haustür gegen globale Gewalteskalationen zu engagieren. Bei vielen jungen Menschen spielen lokale Probleme eine größere Rolle, weil sie näher dran sind. Um so wichtiger ist es deshalb, auch für globale Themen zu sensibilisieren. Was näher ist, sind die Konflikte, die durch diese Weltthemen in den Stadtteil oder das Klassenzimmer geraten. So bspw. die Mitschülerin, die aus einem Kriegsgebiet kommt oder der Mitschüler, dessen Eltern aus Griechenland nach Deutschland gezogen sind, da sie keine Zukunft mehr in ihrem Land sahen.

Ein Plan-Lernspiel namens Civil Powker unterstützt Lerngruppen der Oberstufe dabei, für Weltthemen sensibel zu werden. Manchmal scheint es wie eine Alphabetisierung demokratischen Handelns.

Bei Civil Powker durchspielen Schülerinnen und Schüler ihre Handlungsmöglichkeiten in Deutschland anlässlich eines konkreten, irgendwo in der Welt ausbrechenden Konfliktes. Dafür schlüpfen die jungen Menschen ab 14 Jahren in individuelle Rollen aus Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Politik, gestalten diese aus, beschäftigen sich mit ihren verschieden Interessen und Werten, lernen Verflechtungen kennen und erleben Einflussmöglichkeiten. Ziel des eintägig konzipierten Planspiels ist es, die existierenden Handlungsspielräume in Deutschland, vor allem im zivilgesellschaftlichen, aber auch im wirtschaftlichen und parteipolitischen Bereich, aufzuzeigen und erfahrbar zu machen. Das Spektrum und die Anzahl möglicher Handlungsoptionen, mit denen „gepokert“ wird, ist so breit wie hoch: Die Zivilgesellschaft kann bspw. Großdemonstrationen organisieren, mit der Bevölkerung im Konfliktland über das Internet Kontakt aufnehmen oder Friedensfachkräfte entsenden. Allerdings können sie auch ihren Alltag fortsetzen oder sich für eine Verschärfung des Asylrechts einsetzen. Politikerinnen und Politiker können z.B. nicht nur in Friedensvermittlungen diplomatisch aktiv werden oder Waffenexporte verbieten, sondern auch einen militärischen NATO-Eingriff unterstützen. Die Gruppe der Unternehmerinnen und Unternehmer hat die Möglichkeit, sowohl Kapitalanlagen einfrieren zu lassen, als auch Waffenlieferungen an oppositionelle Kräfte zu starten. Vieles kann nur mit Hilfe der Zustimmung bzw. Unterstützung der anderen Gruppen umgesetzt werden – deshalb diskutieren die Jugendlichen im Spiel und feilschen wahlweise um die Civil-, Policy- oder Economy-Power Punkte der anderen.

„Wir von der Zivilgesellschaft bieten euch von der Wirtschaft zwei Civil-Power Punkte, wenn ihr unser Projekt zur Informationsbeschaffung aus dem Krisenland mit zwei Economy-Power Punkten unterstützt.“

„Wozu sollten wir euch unterstützen? Wir möchten eigentlich den Menschen in den Flüchtlingslagern helfen. Dafür brauchen wir eure Civil-Power Punkte. Doch für uns ist es gefährlich, wenn herauskommt, in was die deutsche Industrie und Regierung verflochten sind, deswegen keine Economy-Power Punkte!“
„Das könnt ihr doch nicht machen! Dann werden wir euch boykottieren. Dafür haben wir die Power.“ (Beispieldialog aus einer Oberstufe, 11. Klasse.)

Insgesamt werden durch das Planspiel jede Menge Themen und Kontroversen angerissen, die je nach Bedarf in der Auswertung und Nachbereitung aufgegriffen werden. Selbstverständlich kann ein Sechs-Stunden-Workshop nur Impulse setzen. Die Hoffnung ist jedoch, dass bei dem einen oder der anderen die ein oder andere Möglichkeit im Gedächtnis haften bleibt, wie man auch hierzulande gewaltfrei für Menschenrechte in anderen Ländern aktiv werden kann.

 


Wie kam es zu dem Spiel?

Die Idee und der Elan, ein derartiges Planspiel zu konzipieren, stammt von mir, einem der Entwickler des ATCC-Ansatzes. Für mich war es wichtig, junge Menschen für die demokratischen und zivilen Möglichkeiten einer Konfliktbearbeitung zu gewinnen. Die Idee wurde dann schnell ein Projekt, das in der Trägerschaft des Fränkischen Bildungswerks für Friedensarbeit e. V. und des Friedenskreis Halle e. V. liegt. Die Förderung kam vor allem von der Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden e.V. (AGDF) im Rahmen des Projekts Friedensbildung, Bundeswehr und Schule. Das dreiköpfige Entwicklungsteam bestand aus Elli Mack, Sandra Bauske und mir selbst. Wir wurden Ende 2011 mit einer Ideensammlung tätig. Es folgte ein Jahr, in dem die Spielidee erarbeitet, geprüft, verworfen, abgewandelt, wieder aufgenommen, verfeinert und (re-)formuliert wurde. Im Mai 2012 fand in Halle/Saale ein erster Testlauf mit erwachsenen Friedenspädagoginnen und -pädagogen sowie Friedensaktivistinnen und -aktivisten statt. Eine zweite Überarbeitungsphase folgte und es gab erste Durchführungen mit Schulklassen in Nürnberg und Halle/Saale. In einer nochmals überarbeiteten Variante wurde das Spiel 2014 fertiggestellt. Mitgeholfen haben auch professionelle Spieleentwicklerinnen und -entwickler, denn die mathematische Herausforderung, ein richtiges und spieletaugliches Verhältnis bei den Punkten zu erreichen, war nicht einfach. Damals war das Bildmaterial durch den Arabischen Frühling und die Widerstände in anderen Ländern geprägt. Dieses wird heute noch verwendet, doch muss in den Klassen oftmals erklärt werden, was diese Bilder bedeuteten. Doch einige sind geblieben: der Krieg in Syrien und Kurdistan. An manchen Stellen musste das Spiel noch einmal weiterentwickelt werden. Wir, die Entwicklerinnen und Entwickler, hatten die kurzzeitige Grenzöffnung und neue menschliche Einwanderungsgesetze vorgedacht, doch hat die Realität uns einen Strich durch die Rechnung gemacht.

 


Hintergrund

Es wurde eine 100-seitige Handreichung erstellt, in welcher der A.T.C.C.-Ansatz (eine wichtige Grundlage des Lernspiels) und die einzelnen Elemente des Spiels erklärt werden. Der A.T.C.C.-Ansatz geht von einem systemischen und konstruktiven Verständnis einer Konfliktbearbeitung aus. Es werden dabei sechs Elemente eines Konfliktes besonders berücksichtigt:

  1. Der personale Anteil, der in dem Spiel in den offenen Rollenbeschreibungen sichtbar wird.
  2. Die Regeln oder das Recht, das in den Aushandlungen mit der Legislative zu erfahren ist.
  3. Die strukturellen Elemente, die durch die Rahmenbedingen, die Güter, d.h. die Punkte erkennbar sind.
  4. Das Spiel ist hoch ritualisiert und vermittelt auch die Bedeutung von Ritualen, z.B. Versöhnung, in einem Konflikt.
  5. Die kulturellen Elemente werden einerseits über die Rollen und deren Prägung und andererseits über die kulturellen Sichtweisen zu den einzelnen Akteursgruppen erfahrbar.
  6. Die Werte als wichtigste Orientierung für ein zivilgesellschaftliches Handeln tauchen in der Akteursgruppenbildung auf und werden in die Bewertung des Handelns einbezogen.
     

Am Ende stellt sich immer die Frage, was die Grundlage für den Einsatz der Handlungsoptionen war: die Interessen oder die Werte der Akteursgruppen? Dabei entstehen spannende Diskussionen, die oft nachwirken, so die Klassenlehrkräfte, die wir befragen.

Weiterhin gibt es regelmäßige Ausbildungen zur Spielleiterin bzw. zum Spielleiter, die innerhalb von zwei Tagen das Spiel einführen und den Hintergrund vermitteln. Dann müssen die Spielleiterinnen und -leiter vor die Klassen und es selbst ausprobieren. Mittlerweile ist das Spiel in vielen Regionen Deutschlands angekommen. Selbst in Südtirol hat es Eingang in die Schulen gefunden. Es gibt über 100 Spielleiterinnen und -leiter und im Durchschnitt wird es mehr als 200 mal im Jahr gespielt. Neben den Schulen sind die Freiwilligendienste dazu gekommen. In vielen Entsendeorganisationen ist das Spiel Teil der Ausreiseseminare geworden.

Civil Powker ist im übertragenen Sinne sicher nur ein Tropfen auf den heißen Stein gegenwärtiger Resignation. Gerade bei den jungen Menschen jedoch, die in einer Welt aufwachsen, in der Waffengewalt medial allgegenwärtig ist und Egoismus als erfolgversprechendes Karriererezept gilt, kann Civil Powker Impulse setzen.

Heute müsste das Spiel wahrscheinlich noch eine neue Variante erhalten. Die innergesellschaftlichen Auseinandersetzungen und die Möglichkeiten, die zivilgesellschaftlich vorhanden sind, um mit Rassismus und Rechtsextremismus konstruktiv umgehen zu können. Das wäre dann ein CP-Germany.

 


Civil Word – Die kleine Schwester von Civil Powker

Neben Civil Powker ist mittlerweile ein Brettspiel namens Civil World entstanden. Das Brettspiel ist für jüngere und kleinere Gruppen, z.B. in der Konfirmandenarbeit, Arbeitskreise usw. ab der Mittelstufe gedacht. Es dauert mindestens zwei Schulstunden und kann dann noch mit Material vertieft werden. Civil World stellt eine Situation in einer Kleinstadt nach und die max. neun Spiel-Akteure werden mit einer gesellschaftlichen Herausforderung konfrontiert, die sie mit Glück und Geschick auf lokaler Ebene angehen können. In Klassen werden drei Spielsätze eingesetzt und die Gruppe, die als erste das Ziel einer lebendigen, demokratischen Gesellschaft erreicht hat, erhält eine kleine Broschüre zum alltäglichen zivilen Handeln.

Kontakt:
Bundesweiter Ansprechpartner für das Planspiel:
Fränkisches Bildungswerk für Friedensarbeit e.V.
Karl-Heinz Bittl
Hessestr. 4
90443 Nürnberg
info@civilpowker.de
www.civilpowker.de