Spuren von Alter Kirche und Reformation im Kloster Loccum

Von Gerald Kruhöffer mit einer Einführung von Beate Peters

 

Kirchenbauten aus dem Mittelalter, die inzwischen evangelische Gemeinden beherbergen, erzählen durch die Architektur von ihren Anfängen in der Zeit vor der Reformation. Kultgegenstände, Teile der Innenausstattung und Kunstwerke, die von der katholischen Tradition zeugten, wurden häufig im Zuge der Reformation konsequent entfernt. Doch es finden sich auch evangelische Kirchen aus dem 13. bis 16. Jahrhundert, die Spuren ihrer eigenen Geschichte als Alte Kirche bewusst pflegten und langfristig bewahrten. Das Loccumer Kloster und seine Klosterkirche aus dem 13. Jahrhundert sind dafür ein besonderes Beispiel: Mit Einführung der Reformation um 1600 wurde nicht sogleich das Kloster aufgelöst, sondern weiterhin amtierte ein Abt und öffnete die Klosterkirche für die Dorfbevölkerung. Der Übergang zum evangelischen Bekenntnis wurde behutsam gestaltet und kam ohne radikale sofortige Einschnitte, auch ohne die sofortige grundlegende Veränderung des Kirchen-Innenraumes aus. So finden sich heute noch viele Hinweise auf die Zeit vor der Reformation im kürzlich restaurierten Kirchenraum. Sie laden dazu ein, auf Spurensuche zu gehen, um – vielleicht neu – zu entdecken und zu bedenken, was von der Alten Kirche und der Zeit der Veränderungen durch die Reformation zu lernen ist.


Lernen am Kloster Loccum und an der Klosterkirche

Das Kloster Loccum mit seiner langen zisterziensischen Tradition und der bis heute aufrechterhaltenen lockeren Verbindung zum katholischen Zisterzienserorden zeigt exemplarisch und anschaulich Aspekte von Alter Kirche und Reformation. Nach Möglichkeit lohnt ein Besuch – und auch für Kindergruppen und Schulklassen gibt es viel zu sehen, zu bestaunen und zu erfahren. Aber selbst wenn keine originale Begegnung ermöglicht werden kann, bietet sich ein virtueller Ausflug an: Beispielhaft für einen mittelalterlichen Kirchenbau können auch die Fotos aus der Loccumer Klosterkirche Eindrücke vermitteln und im Unterricht betrachtet und besprochen werden. Wir danken Barbara Kruhöffer dafür, dass sie eine Sammlung ihrer Fotos aus dem Kloster Loccum für unsere Internetseite zur Verfügung stellt: www.rpi-loccum.de/pelikan.


Zur Entstehung der unten aufgeführten Überlegungen für eine Klosterführung

Die folgenden Gedanken und Informationen zu den Spuren von Alter Kirche und Reformation im Loccumer Kloster wurden von Gerald Kruhöffer kurz vor seinem Tod im Herbst 2015 formuliert. Als ehemaliger Dozent und stellvertretender Rektor unterstützte er die Arbeit des RPI nach seiner Pensionierung engagiert und zuverlässig unter anderem durch Beiträge in Kursen weiter. Die schriftlichen Ausführungen entstanden im intensiven Gespräch mit seiner Frau, Barbara Kruhöffer, als Konzept für die thematische Klosterführung im Rahmen einer Tagung zur Konfessionellen Kooperation. Gerald Kruhöffer starb überraschend zwei Tage vor der geplanten Durchführung.

Überlegungen für eine Klosterführung zu Spuren von Alter Kirche und Reformation

 Von Gerald Kruhöffer


I. Die Kirche

1. Die Wahrnehmung der romanisch-gotischen Architektur

Das Kloster Loccum wurde im Jahr 1163 gestiftet und der Bau der Klosterkirche um 1250 vollendet. Nach den Vorschriften des Zisterzienserordens sollte sich der Kirchenbau durch Schlichtheit auszeichnen und einen angemessenen Raum für das Gebet der Mönche bieten („Oratorium“).
Nach dem Generalkapitel des Ordens (1150) gilt: „Wir untersagen die Anbringung von Skulpturen oder Malereien in unseren Kirchen und an anderen Orten des Klosters; denn bei ihrem Anblick vergisst man häufig die Nützlichkeit einer guten Meditation und die Disziplin des religiösen Ernstes“. Der bedeutende Zisterzienserabt Bernhard von Clairvaux (ca. 1090 bis 1153) betont die „Wendung nach innen“. Er preist die Menschen „glücklich …, die die unsichtbare Gotteswelt nicht im Durchsuchen der sichtbaren Welt erfassen, sondern in sich selbst …“

2. Der Taufstein

In den Jahren 1591 bis 1593 erfolgte der Übergang des Klosters zur Reformation. Der Westteil der Kirche wurde für die Gemeinde geöffnet. Der evangelische Abt Stracke ließ einen Taufstein anfertigen (1600). Das Bildprogramm des Taufsteins zeigt unten das (verlorene) Paradies (nur noch fragmentarisch erhalten) und darüber Jesus Christus und die Apostel, oben die Inschrift in deutscher Sprache mit dem Auftrag zu taufen (nach Mt 28,16-20).

3. Das Kreuz

Das Tafelkreuz (um 1250 entstanden) steht am Übergang vom romanischen zum gotischen Stil. Jesus am Kreuz ist (im Sinne der Gotik) als leidender Mensch dargestellt. Das Gold als Hintergrund ist jedoch Zeichen für die Gegenwart Gottes. Damit kommt zum Ausdruck: Das Kreuz steht bereits im Licht von Ostern. (Wie man unten erkennen kann), war ursprünglich das ganze Kreuz mit Blüten und Blättern umgeben – das Kreuz als „Lebensbaum“, als Zeichen des Todes und zugleich als Zeichen des Lebens.
Bernhard von Clairvaux hebt hervor: „Das ist meine erhabenste und innerste Philosophie, Jesus zu kennen, und zwar den Gekreuzigten.“ „Das Leben Christi ist für mich die Lebensregel, der Tod die Befreiung vom Tod. Jenes lehrt das (richtige) Leben, dieser vernichtet den Tod“. Diese Deutung steht der „Theologie des Kreuzes“ bei Martin Luther inhaltlich nahe. Für Luther ist wichtig, „ … dass er (Gott) ihn (Christus) in alle Leiden und Tode und Anfechtungen dahin gibt und doch zugleich rettet. Und eben dann, wenn er ihn am meisten verlässt, nimmt er sich seiner an.“ Darum gilt: „Christus ist nichts als lauter Leben. Je tiefer und fester du dies Bild in dich hinein bildest und ansiehst, desto mehr fällt das Todesbild ab.“

4. Der Chorraum

Das Chorgestühl
In seinem Grundbestand ist es aus dem 13. Jahrhundert, (es stand ursprünglich im Mittelschiff der Kirche), im Zisterzienserkloster Ort der täglichen Stundengebete, die wesentlich durch den Wechselgesang der Psalmen geprägt waren. Auch heute findet hier die abendliche Hora statt.

Der Altar
Aus der Schule des „Meisters von Osnabrück“ (um 1500). Der Altar stand ursprünglich im Westteil der Kirche, dem gottesdienstlichen Raum für die Laienmönche, und wird daher „Laienaltar“ genannt.
Dargestellt sind Personen aus den biblischen Schriften: Maria mit dem Jesuskind, der Erzengel Michael, die Apostel Johannes und Andreas; dazu aus der späteren Tradition die Heilige Anna („Selbdritt“), Georg, Bernhard von Clairvaux, Ursula, Erasmus, Lucia. Als mit der Reformation der Westteil der Kirche für die Gemeinde geöffnet wurde, kamen die Bilder auf den Seitenflügeln dazu, die Szenen aus der Passionsgeschichte Jesu darstellen; außerdem wurden unten die Einsetzungsworte zum Abendmahl hinzugefügt. So wurde aus dem mittelalterlichen Heiligenaltar der Abendmahlsaltar der evangelisch gewordenen Gemeinde.

Maria auf der Mondsichel
Skulptur aus dem Ende des 15. Jahrhunderts. Die Vision Offenbarung 12,1 wurde sehr früh auf Maria und Jesus gedeutet und wurde in der Kunst des Mittelalters in vielfältiger Weise dargestellt.
Gegenüber der Auffassung von „Maria als Himmelskönigin“ deuteten die Reformatoren Maria als „Zeugin des Glaubens“; in den lutherischen Kirchen blieben die Marienbilder aber weitgehend erhalten – wie die Skulptur und der Marienschrein im Querschiff.

Das Sakramentshaus
Es entstand gegen Ende des 15. Jahrhunderts. Es diente der Aufbewahrung der Oblaten nach der Messfeier und hat diese Funktion mit dem Übergang zum evangelischen Gottesdienst verloren. Interessant: der Pelikan als Christussymbol.

Der Reliquienschrein (jetzt im Querschiff)
Er stammt aus der Erbauungszeit der Kirche (Mitte des 13. Jahrhunderts) und war ursprünglich der Hauptaltar. Auch der Reliquienschrein hat mit dem Übergang zur Reformation und ihrer Kritik am Reliquienkult seine gottesdienstliche Bedeutung verloren.

5. Die Bronzeskulptur

Der Künstler Werner Franzen hat die Figurengruppe vor einigen Jahrzehnten für den Altenberger Dom geschaffen; für das Jubiläum 2013 wurde ein weiterer Abguss erstellt. Das im Zisterzienserorden verbreitete Motiv („Amplexus“): „Christus umarmt Bernhard von Clairvaux“ hat der Künstler ergänzt: „ … und Martin Luther“ – ein schönes Zeichen ökumenischer Gemeinschaft, außerdem ein Hinweis, dass Loccums Verbindung mit dem Zisterzienserorden nicht abgerissen und seit einiger Zeit neu belebt ist.
Bernhard von Clairvaux: „Die Rückkehr der Seele aber vollzieht sich durch ihre Hinwendung zum Wort. Durch das Wort muss sie umgestaltet und gleichgestaltet werden. Worin? In der Liebe.“ „Es ist eine Umarmung …, wo gleiches Wollen und Nichtwollen aus zweien einen Geist macht.“
Martin Luther: „Darum … wer ihm (dem Wort) mit einem rechten Glauben anhängt, dessen Seele wird mit ihm vereinigt …“. „Wie das Wort ist, so wird auch die Seele von ihm, gleich dem Eisen, das glutrot wird wie das Feuer aus der Vereinigung mit dem Feuer.“ „Der Glaube … vereinigt die Seele mit Christus als eine Braut mit ihrem Bräutigam … das, was Christus hat, wird der Seele zu eigen; was die Seele hat, wird Christus zu eigen.“


II. Das Kloster („Klausur“)

1. Der Kreuzgang

Um einen quadratischen Innenhof sind die Kreuzgangflügel angelegt; von da aus sind alle wichtigen Räume des Klosters zu erreichen. Der im Stil der Gotik errichtete Kreuzgang stammt aus dem 13. Jahrhundert; der westliche Kreuzgangflügel ist allerdings im 18. Jahrhundert verändert worden. Entsprechend den Vorschriften des Zisterzienserordens sind die Kapitelle mit vielfältiger Blattornamentik verziert. Eine Ausnahme bildet die Darstellung des Adlers, offenbar ein Gottes-Symbol, vgl. 5.Mose/Deuteronomium 32,11.

2. Der Kapitelsaal

Er ist ein besonders wichtiger Raum für das Gemeinschaftsleben der Mönche (tägliche Lesung aus der Benedikts-Regel) und ebenso für die weltlichen Belange des Klosters. Vier romanische Säulen tragen das Gewölbe, auch die Öffnungen zum Kreuzgang sind im romanischen Stil gestaltet; der Kapitelsaal wird wohl Anfang des 13. Jahrhunderts fertig gestellt worden sein.
Vor dem mittleren Fenster befindet sich die Grabplatte des Stifters Graf Wulbrand von Hallermund und zweier Familienangehöriger; die Urkunde der Stiftung aus dem Jahr 1163 ist erhalten. In den Jahren 1591 bis 1593 vollzog sich der Übergang des Klosters zur Reformation. Aus dieser Zeit sind mehrere Grabplatten erhalten – von den noch altgläubigen Äbten Heimann und Barnewoldt sowie von den lutherischen Äbten Fenger, Beese, Stracke und Kitzow.

3. Das Refektorium

Gegenüber der Eingangstür hängt das Bild von Abt Theodor Stracke (1600 bis 1629). Er ist nicht mehr im Zisterzienserhabit sondern im Talar des lutherischen Predigers dargestellt. Sein Wappen deutet darauf hin, dass er, der geistliche Leiter des Klosters, zugleich weltlicher Herrscher im Stiftsbezirk Loccum ist.
Das Refektorium war im Mittelalter der Speiseraum der Chormönche. Es wurde im letzten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts umgestaltet. Die Architektur nimmt den Stil der Spätgotik auf, schafft dabei einen Raumeindruck, der eher dem Empfinden der Renaissance entspricht. Die Umgestaltung erfolgt in dem Jahrzehnt, in dem sich das Kloster der evangelischen Lehre öffnet. Ein direkter Zusammenhang mit dem Übergang zur Reformation ist allerdings nicht zu belegen.
Die Bücher – ein Teil der umfangreichen Klosterbibliothek – deuten auf die Errichtung des Predigerseminars hin, das bis heute besteht.
Das Refektorium mit seiner besonderen Atmosphäre wird mit vielfältigen Veranstaltungen genutzt. Besonders eindrucksvoll ist die Abendmahlsfeier am Gründonnerstag verbunden mit einem gemeinsamen Abendessen.


III. Zusammenfassung

Der Gesamteindruck ist von der Baukunst der Zisterzienser bestimmt. Das gilt für die im romanisch-gotischen Stil errichtete Kirche wie für die Klosteranlage insgesamt, besonders für den Kreuzgang und den Kapitelsaal. Veränderungen, die mit der Reformation erfolgt sind, werden beim Taufstein und bei den Ergänzungen am Laienaltar deutlich. Das Kruzifix, als eindrucksvolles Kunstwerk zisterziensischer Christusfrömmigkeit, stimmt in seinen inhaltlichen Intentionen mit der „Theologie des Kreuzes“ von Martin Luther überein. Die modernen Kunstwerke – die Glasfenster und die im ökumenischen Geist geschaffene Bronzeskulptur – bringen neue Akzente in die Tradition der Zisterzienser ein.


Literatur

Kruhöffer, Gerald: Tradition und evangelische Freiheit – Der lange Weg zur Reformation, in: Horst Hirschler / Ludolf Ulrich (Hg): Kloster Loccum Geschichten, Hannover 2012, S. 158-166.
Kruhöffer, Gerald: Der Übergang zur Reformation – Kontinuität und Neubeginn, in: Horst Hirschler / Hans Otte / Christian Stäblein (Hg.): Wort halten – gestern, heute, morgen. Festschrift zum 850. Jubiläum des Klosters Loccum, Loccum 2012, 141-161.
Kruhöffer, Gerald: Aus Überzeugung lutherisch. Der Konfessionswechsel in Loccum, in: Ludolf Ulrich / Simon Sosnitza (Hg): Neue Forschungen zum Zisterzienserkloster Loccum, Kiel 2016/2, 192-210.