In Westerode (bei Duderstadt) hat sich der Kirchenvorstand dazu entschieden, eine Kapelle, die seit längerer Zeit nicht mehr genutzt wurde, zu verkaufen. Keine leichte Entscheidung, denn mit dem Kirchengebäude verbinden sich für die Gemeindeglieder wie auch für den Ort insgesamt viele Erinnerungen. In Bielefeld ist schon vor längerer Zeit aus einer Kirche ein Restaurant geworden, in Hannover eine Synagoge. Wir haben uns auf Spurensuche begeben in beiden neu genutzten Kirchen: Eindrücke aus Bielefeld, ein Gespräch aus Hannover.
Ein Besuch im Restaurant „Glückundseligkeit“ – einst Martini-Kirche in Bielefeld
Beim Eintritt in das Restaurant „Glückundseligkeit“ öffnet sich eine gläserne Schiebetür. „Chic, chic“, murmeln wir, während wir den ehemaligen Kirchraum betreten. Über uns die Orgelempore, vor uns ein rezeptionsartiger Empfang – wir fragen uns, ob das, worauf das Gästebuch liegt, mal das Lesepult war.
„Möchten Sie im Mittelschiff oder im Seitenschiff sitzen?“, werden wir freundlich gefragt und entscheiden uns für einen Platz in der Mitte des Mittelschiffs, direkt an einer Säule, die die Grenze zum niedrigeren Seitenschiff markiert. Auf der gegenüberliegenden Seite blicken wir auf einen langen, aus dicken braunen Holzbohlen gefertigten Tisch, an dem man nur auf Barhockern sitzen kann. Der Tisch ist beinahe so lang wie das Mittelschiff. Heute dient er als Bar und als Warteplatz für Gäste, die keinen Tisch reserviert haben. Er kann aber auch als lange Tafel genutzt werden, an der etwa 30 Leute Platz finden. Beleuchtet wird diese Tafel von sieben imposant großen zylinderförmigen Lampen, die von der Decke herabhängen und so die Höhe des Raumes sichtbar werden lassen.
Zwischen Tafel und nördlicher Kirchenwand ist die Theke, stilvoll dezent mit Blumen und Kerzen geschmückt. Von unserem Platz aus fällt sie kaum auf. „Ist das jetzt schlimm, dass ich das hier gar nicht schlimm finde?“, fragt Kirsten und lässt den Blick durch den Raum wandern. Tatsächlich hat der eine sehr besondere Ästhetik: Noch immer als Sakralraum identifizierbar, sind zugleich seine sakralarchitektonischen Elemente neu interpretiert und den Bedürfnissen eines Restaurantbetriebes angepasst. Am deutlichsten wird diese Neuinterpretation im Altarraum. Wo einst Kreuz, Altar und Kerzen den Mittelpunkt des Gottesdienstes bildeten, stehen jetzt kleine Cocktailtische mit Sesseln, die zum gemütlichen Sitzen und Chillen einladen. Der Altarraum ist zur Lounge geworden, in die man sich zurückziehen kann und in der man den wuseligen Restaurantbetrieb kaum wahrnimmt. „Da sollten wir uns nachher auch noch mal hinsetzen“, stellt Oliver fest, als die Kellnerin die hausgemachte Waldmeister-Rosmarin-Limonade in einem (ebenfalls neu interpretierten) Einweckglas serviert.
Warum stört es uns nicht, dass aus einer Kirche ein Restaurant geworden ist? „Es gibt eben keine durchbeteten Räume“, erklärt Oliver sich diese Empfindung. „Kein Mensch würde von einem normalen Haus sagen, dass es ‚durchbetet‘ sei, wenn darin eine Familie gelebt hat, für die ein Tisch- oder Abendgebet zum täglichen Ritual gehörte. Sakralräume unterstützen das Gebet, die Andacht und die Feier des Glaubens. Wenn sich aber niemand in ihnen zum Gebet versammelt, sind sie nur architektonisch besondere Räume. Mehr nicht.“ „Na, ganz so sehe ich das nicht“, erwidert Kirsten. „Ein Raum, der einmal eine Kirche war, bleibt ein anderer, speziellerer Raum als ein nicht mehr benutztes altes Schulgebäude. Wenn aus einer Schule Wohnungen gemacht werden, interessiert das keinen, obwohl auch dort sicher die eine oder andere Erinnerung in den Mauern hängt. Die Erinnerungen, die sich mit Kirchen verbinden, sind aber deutlich andere als die, die zu einem Schulgebäude gehören. Deshalb ist es irgendwie auch etwas anderes, wenn eine Kirche neu genutzt wird.“ Und während wir uns über ein ausgesprochen gutes Essen freuen, denken wir darüber nach, ob es nicht vielleicht auch gerade dieser mehrere Sinne ansprechende Genuss von Speisen, zumal in sehr netter Gesellschaft, ist, der diese Neunutzung einer Kirche als angemessen erscheinen lässt. Schließlich gehören Mahlgemeinschaften durchaus in christliche Zusammenhänge.
Und noch einen weiteren Grund erkennen wir, warum uns das „Glückundseligkeit“ in diesem ehemaligen Kirchenraum passend erscheint: Die Mauern der Restaurant-Kirche sind weiß gekalkt, geschickt wird mit buntem Licht gespielt: Mal taucht ein Bodenstrahler eine Säule in ein zartes Violett, mal werden die neugotischen Bögen von Fenstern und die Apsis durch Lichtleisten gerahmt. Strahler an den Wänden betonen außerdem die Unebenheiten des Mauerwerks. Die gesamte Gestaltung des Raumes wirkt sehr edel und inszeniert die architektonischen Sakralelemente neu, ohne dabei despektierlich mit ihnen umzugehen. „Alles sehr stilvoll“, sind wir uns beim abschließenden Espresso einig.
Auf dem Tisch liegt der Event-Kalender des Hauses. Als wir lesen, dass am selben Ort regelmäßig auch Disko- und Tanzveranstaltungen stattfinden, kommen wir noch einmal ins Grübeln. Ist das etwas anderes als ein Restaurant? Im Restaurant herrscht heute eine eher ruhige Atmosphäre mit Loungemusik im Hintergrund – das passt ganz gut. Wenn hier aber die Boxen vibrieren, die Technomusik röhrt und die Menge klatscht und tanzt, ist das für den Raum noch angemessen? Da sind wir uns nicht sicher.
Bevor wir das „Glückundseligkeit“ verlassen, gehen wir noch auf die ehemalige Orgelempore. Sie ist zur Bar geworden. Mit Sitzgelegenheiten aus weißem Leder und einem tollen Blick ins Mittelschiff. Insgesamt sind wir beeindruckt. Einzig die Szenen der Passionsgeschichte, die in den alten Glasfenstern im Altarraum dargestellt sind, irritieren unsere Begeisterung für die Neunutzung der Kirche.
Ein Gespräch in der Synagoge Etz Chaim (Baum des Lebens) der Liberalen Jüdischen Gemeinde Hannovers – einst ev.-luth. Gustav-Adolf Kirche
Wir treffen Ingrid Wettberg, 1. Vorsitzende der Liberalen Jüdischen Gemeinde Hannover, und werden herzlich mit Gebäck und Getränken begrüßt. Wir erzählen ein bisschen zur Idee unserer Pelikan-Ausgabe, plaudern über das „Glückundseligkeit“ und sind neugierig auf das Gespräch.
Frau Wettberg, was ist das für ein Gefühl, wenn die eigene Gemeinde sich in einem ehemaligen Kirchraum beheimatet?
Das war ein langer Entscheidungsprozess. Gerade wir Juden wissen sehr genau, was es bedeutet, irgendwo raus zu müssen. Mich hat es sehr beschäftigt, zu wissen: Da müssen Menschen ihr Zuhause verlassen, wenn wir kommen. Als ich den Anruf vom Landeskirchenamt bekam, dass die Gustav-Adolf-Kirche zur Verfügung stehe, weil das Gebäude nicht mehr zu halten sei und die dortige Gemeinde mit der Gemeinde in Hannover Herrenhausen fusioniert werden solle, klebte wochenlang ein gelber Klebezettel auf dem Telefon. Ich habe mich schwer getan, auf dieses Angebot näher einzugehen. Mir wäre ein Bauplatz viel lieber gewesen, möglichst in der Innenstadt, um mitten bei den Menschen zu sein. Schließlich hat mein Sohn mir den Anstoß gegeben, wenigstens über diese Option nachzudenken: „Nun guck`s dir doch mal an!“
Wie haben Sie die ersten Begegnungen mit der dortigen Gemeinde empfunden?
Als ich die damalige Pastorin dort in der Gustav-Adolf-Kirche zum ersten Mal traf, fragte sie mich: „Welche Räume wollen Sie denn mieten?“ – da wurde mir erneut sehr deutlich, dass diese ganze Situation sehr sensibel war. Es traf eben genau mein Gefühl vom Anfang: Die Menschen hier wollten ihre Kirche nicht aufgeben. Als ich mich dann dem Kirchenvorstand vorstellte, wurde das ein furchtbarer Abend, die Menschen dort begegneten mir sehr feindselig. Und ich konnte das alles so sehr verstehen. Die damalige Landessuperintendentin des Sprengels Hannover, Dr. Ingrid Spieckermann, hat uns in dieser Situation sehr unterstützt. Und im Laufe der Zeit wurden die Gespräche mit der Gemeinde besser und die Sitzungen konstruktiv.
Aus welchen Gründen sollte damals das Kirchengebäude überhaupt verkauft werden?
Die Kirche war hier im Stadtteil ursprünglich die „Eisenbahnerkirche“. Doch das Eisenbahnausbesserungszentrum gab es schon seit 1992 nicht mehr und auch die Menschen, die dort gearbeitet hatten, waren nicht mehr da. Die Gemeindegliederzahl hatte sich massiv verkleinert und der Unterhalt des Gebäudes wurde unwirtschaftlich. Die Landeskirche überlegte damals, das Gebäude abzureißen, wenn sich keine Nachnutzung gefunden hätte. Und so wurde damals von der Landeskirche die Entscheidung getroffen, die Gustav-Adolf-Gemeinde mit der Herrenhäuser Gemeinde zusammenzulegen. Es gab auch Gemeindemitglieder, die mir damals zugeraten haben: „Machen Sie, Sie nehmen niemandem etwas weg!“ Solche Aussagen haben mir dann Mut gemacht.
Zu dem tragischen Moment der Entwidmung der Kirche wurde ich damals eingeladen. Die sakralen Gegenstände wurden feierlich aus der Kirche herausgetragen und im Anschluss daran in die Herrenhäuser Kirche wieder hineingetragen, um dort ihren Platz zu finden. Die Orgel und die wertvollen Kirchenfenster sind in eine Kirche nach Ostdeutschland gekommen.
Wie gestaltete sich nach der Entscheidung für dieses Gebäude der weitere Weg?
Nachdem wir das Gebäude gekauft hatten, stellte sich die Frage: Wer soll das nun umbauen? Uns war klar: Wir wollten die Form der Kirche erhalten. Das war gut möglich, weil es keinen Turm gab. Die Kirche an sich war als Gebäude nicht als solche identifizierbar – das eigens angefertigte, von außen gut sichtbare Kreuz aus Kupfer hat die Kirche identifiziert. Übrigens sollte sich herausstellen, dass dieselbe Firma, die dieses Kreuz angefertigt hatte, später für uns die beiden siebenarmigen Leuchter (Menora) gestaltet hat.
Wir haben für den Umbau schließlich die Architekten Ahrens und Grabenhorst gewinnen können, die auch das Museum in Celle gebaut haben. Mein inneres Gefühl, sie mit dieser Aufgabe zu betrauen, hat gestimmt: Es ist ein schlichter, heller, freundlicher Raum entstanden, eine warme Atmosphäre prägt unser Gemeindezentrum und den Synagogenraum. Die Liberale Jüdische Gemeinde hat für dieses Projekt 2010 sogar den Niedersächsischen Staatspreis für Architektur bekommen.
Um die Finanzierung unseres Baus auf die Beine zu stellen, waren zähe Verhandlungen mit dem Land Niedersachsen notwendig. 3,3 Millionen Euro wurden gebraucht. Eine Million kam dann tatsächlich nach langen Verhandlungen vom Land Niedersachen, 500.000 Euro stellte uns die Stadt Hannover zur Verfügung, 500.000 Euro die Region. Mit einer Million haben wir uns dann verschuldet.
Wie wird der entwidmete Raum wieder ein sakraler Raum?
Der Thoraschrank ist das Herzstück einer Synagoge. Um sie einzuweihen, wird die Thorarolle in einer Prozession eigentlich durch die ganze Stadt getragen; unter einem schützenden Baldachin. Hier wurde ein Stück der Straße abgesperrt und wir haben die Thorarolle etwa 50 Meter weit, mit Musik vorweg und unter Segenssprüchen in die Synagoge getragen. Und so wurde dieser Ort am 25. Januar 2009 wieder ein sakraler Raum.
Die Synagoge wird mit Kameras überwacht; als Besucher betritt man das Gemeindezentrum durch den Seiteneingang. Müssen Sie Angst haben, angegriffen zu werden?
Leider ist es noch immer nicht so, dass wir unseren Haupteingang einfach offen halten können. Wir müssen das Gebäude und uns noch immer schützen. Wenn wir ein Gemeindefest feiern, dann ist der Haupteingang geöffnet – allerdings haben wir dann Polizisten in zivil dabei, die für unsere Sicherheit sorgen. Das Gebäude steht frei. Es ist schwer zu sichern. Antisemitismus gibt es leider noch immer und in letzter Zeit wieder verstärkt. Insofern müssen wir uns schützen.
Als wir Sie im Sommer im Kontext einer Tagung des RPI hier besucht haben, kamen wir zufällig auf das „Glückundseligkeit“ in Bielefeld zu sprechen, und Sie haben da gesagt, Sie seien froh, dass dieses Haus ein Gotteshaus geblieben sei.
Ja, da bin ich sehr froh. Ich erinnere mich an den Polizisten, der damals einer derjenigen war, die uns hier betreut haben. Er stand hier in der Synagoge und sagte aus vollem Herzen: „Wow, das habt ihr schön gemacht!“ Und dann hat er ergänzt: „Ich bin hier konfirmiert worden.“ Er hätte ja auch beklagen können, was nun aus dem Kirchraum entstanden ist, in dem er konfirmiert worden ist. Nein, er war so positiv und voller Anerkennung. Das war ein gutes Gefühl. Und eben auch ein gutes Gefühl, dass es ein Gotteshaus geblieben ist.
Würden Sie selbst im „Glückundseligkeit“ essen gehen?
Auf keinen Fall. Ich spüre da eine Blockade, es widerstrebt mir. Es widerstrebt mir aber genauso, wenn Kirchen in Autohäuser oder Fitnesscenter umgewandelt werden. Da erkennt man den sakralen Raum nicht mehr; der ist umgebaut und verändert. Im Glückundseligkeit ist das anders. Selbst wenn es dort den einzigen Italiener Bielefelds gäbe, würde ich dann wohl eher zum Chinesen oder Griechen gehen.
Wir danken herzlich für das Gespräch!