Ein Gespräch mit dem Glaskünstler Helge Warme
Oliver Friedrich: Herr Warme, Sie gestalten Glasarbeiten für Sakralbauten und öffentliche Räume. Können Sie beschreiben, in welcher Weise Sie sich den Räumen zunächst nähern, für die Sie Arbeiten entwerfen?
Helge Warme: Alles beginnt mit der Formulierung einer Aufgabenstellung. Dazu gehört zuvorderst, den betreffenden Raum als existierendes oder in Planung befindliches Gebäude kennen zu lernen und wahrzunehmen.
Also: Ortsbesichtigung mit Bestandsaufnahme der Gegebenheiten, Sondierung der in Planung befindlichen Veränderungen ob baulicher und/oder gestalterischer Art. Dabei können auch ganz pragmatische Dinge in die Aufgabenstellung einfließen, zum Beispiel wenn zu viel strahlendes Tageslicht den Raum flutet und blendendes Gegenlicht doch nicht gewünscht wird.
Auch werden schon erste Ideen projektbezogener Eingriffe entwickelt und im Raumgefüge geprüft.
So lerne ich den Raum kennen, trete in Zwiesprache und kläre für mich die mir von der Raumsituation gestellte Gestaltungsaufgabe.
Das klingt jetzt viel theoretischer als es in der Praxis tatsächlich ist. Ein Architektenkollege erklärte mir einmal: Wenn er Gebäude plant oder umgestaltet, verinnerlicht er alles soweit, dass er in Gedanken durch alle Räume spazieren kann. Heute gibt es dafür am Computer erstellte 3D-Modelle zur Veranschaulichung u.a. auch für die Auftraggeber. Notwendig bleibt aber weiterhin, die Raumkoordinaten im eigenen Kopf abrufen zu können.
Friedrich: Sowohl Sakralbauten als auch öffentliche Räume sind für Menschen bestimmt, die sich für eine bestimmte Zeit, einen bestimmten Anlass in den Räumen aufhalten. Welche Rolle spielen in Ihren Überlegungen die Personen, die einmal den Raum nutzen werden?
Warme: Die Nutzung wird von Menschen bestimmt, und das definiert die gestalterische Ausprägung von Räumen, ob diese vorherrschend funktional oder vergeistigt, spirituell zu erleben sind. Die Gestaltung spielt dabei immer eine Rolle. So kann ein Krankenhaus rein technisch, kalt-steril und antiseptisch geprägt sein, oder es wird im Sinne „gebauter Heilkunst“ das Funktionale mit gestalterischen Mitteln in einen Gesamtkontext der medizinischen und menschbezogenen Heilung eingebettet.
So habe ich in einer neu gebauten Notfallambulanz den Wartebereich gestalten können. Also einen Raum, dem jeder so schnell als möglich entfliehen möchte. Das meint die betroffenen Patienten mit Schmerzen und Verletzungen als auch die wartenden Begleitpersonen mit der Ungewissheit dessen, was werden wird. Die rein medizinische Behandlung steht im Vordergrund.Aber Angst, Ungewissheit, auch Schmerz können gelindert werden in einem räumlichen Umfeld mit menschlichem Bezug, wo Geborgenheit und Rückzug möglich sind und es den wartenden Personen hilft, dort auszuharren, sich gegebenenfalls sogar fort zu träumen. Die Gestaltung des Umfeldes muss nicht einmal bewusst, schon gar nicht als Kunst erlebt werden. Wir Menschen stiften unsere Befindlichkeiten zumeist aus unbewusster Wahrnehmung und ganz deutlich im Erleben von Raumsituationen – ob nun ein Kasernenflur oder die Beletage.
Für mich ist die Bestimmung der Raumnutzung eng verbunden mit den handelnden Personen, und meine raumbezogene Gestaltung unterstützt oder ermöglicht die vorgesehene Funktion.
Friedrich: Raum und Personen, die im Raum agieren werden, stehen also in einer Beziehung, wenn Sie sich der Raumgestaltung nähern. Gibt es auch eine theologische Perspektive, die Sie in Ihre Überlegungen einbeziehen, wenn Sie einen Sakralbau gestalten? Berücksichtigen Sie also bei der Gestaltung eines evangelischen Kirchraums andere theologische Perspektiven als bei der Gestaltung eines katholischen Kirchraums?
Warme: Zum ersten Teil der Frage: ja natürlich, so gut ich kann. Soll heißen, ich ringe mit meinen gestalterischen Impulsen, Einfügungen, Ergänzungen, im besten Fall Bereicherungen um die sinnlich wahrnehmbare Ausprägung eines spirituell zu erlebenden Raumes. Mit dem Streben, Gemeinde und Besucher mögen sich als Betrachter einlassen auf die gestaltete Gesamtatmosphäre von der bloßen Wahrnehmung als spiritueller Raum bis hin zu eigener Kontemplation.
Da bleiben uns die Bauleute gotischer Kathedralen unerreichtes Vorbild, die mit den großartigsten Ideen ihrer Zeit und Verwendung kostbarster Materialien versucht waren, mit dem Kirchenbau einen Dom/domus – ein Haus Gottes (ihres Gottes) auf Erden zu erschaffen.
Von dieser Idee beseelt und angestiftet bauten sie über mehrere Generationen hinweg an einer einzelnen Kathedrale. So einen langen Atem muss man sich heute erst einmal vor Augen führen.
Ganz nahe sind wir den Bauherren und Bauleuten jener Zeit dann, wenn wir neben dem vergeistigten Ansatz auch einen ganz menschlichen Antrieb erkennen: den der Konkurrenz, des Wettbewerbs, wobei Geldgeber und ganze Städte wetteiferten um das größte Gotteshaus, den am weitesten in den Himmel ragenden Kirchturm – aber bitte in messbaren Metern.
Der Einsatz der Mittel, die Verwegenheit der Ideen, aber auch die Beschaffung irregeleiteter Geldmittel wurden durch eine Revolte u.a. gegen den Ablasshandel neu definiert. Im kommenden Jahr erleben wir 500 Jahre Reformation, womit ein Wandel von der kirchlichen Prachtentfaltung mit sinnesfreudiger Opulenz im Kirchenbau mit Kunst, Musik, Theatralik, Gerüchen und der lateinischen Predigt hin zum pur und verständlich von der Kanzel verkündeten Gotteswort eingeleitet wurde.
Das beschreibt ungefähr die unterschiedlichen Ausgangspunkte beider Konfessionen. Und sie stimmen heute nicht mehr so ganz. Die Verschiedenheit hat sich nach meiner Erfahrung minimiert. Liturgische Unterschiede sind bekannt oder werden durch beteiligte Fachleuten dargelegt.
Was auch hier immer gilt: Einen Sakralraum zu gestalten, geschieht immer und zuvorderst im Einvernehmen mit allen räumlichen Aspekten.
Friedrich: Die von Ihnen gestalteten Fensterbilder haben teils gegenständliche Motive, andere sind eher abstrakt und betonen die Farbigkeit. Wie kommen Sie jeweils zu der Entscheidung, ob Sie sich einer Gestaltungsaufgabe gegenständlich oder abstrakt nähern?
Warme: Das ist eine sehr komplexe Fragestellung. Die Diskussion um gegenständlich und ungegenständlich führt unter Künstlern zu Teilen zum „Glaubenskampf“. Ist Figürlichkeit allein ein Abbild der Wirklichkeit – wo beginnt die Abstraktion? In den Bildern von Hieronymus Bosch tummeln sich Figuren, Traum- und Phantasiewesen. Alles gegenständlich. Und dennoch unwirklich.
Ein Philosoph untersucht dazu die Theorie in den Kategorien Form und Inhalt. Der Künstler ringt mit allem, was er in seinem gestalterischen Schaffensprozess her vorbringt, um eine gültige Lösung.
In diesem Jahre feierten wir 20 Jahre Bestehen meiner ersten umfänglichen Kapellengestaltung in der Diakonissenanstalt Emmaus Niesky in der Lausitz. Es ist eine Krankenhauskapelle mit 30 Quadratmetern Glasfront, die ich zum Thema Emmaus gestaltet habe. Die Geschichte ist bekannt. Bei Lukas wird das Kapitel in eineinhalb Absätzen abgehandelt. Zweie gehen von Jerusalem nach Emmaus, sind betrübt, es gesellt sich ein Dritter hinzu, und für die beiden ist es wie zuvor mit ihrem Freund Jesus, den sie verloren haben. Also laden sie ihn zum Abendbrot ein – „Herr, bleibe bei uns, es will Abend werden, der Tag hat sich geneigt“. Soweit die knappe Schilderung der Handlung, ganz gegenständlich. Was die beiden Jünger aber an Wandlung durchmachen von tiefer Depression bis zu der Erkenntnis und Erfahrung des Wunderbaren, das ist so zauberhaft, unwirklich, unfassbar – die reine Abstraktion.
Die große Glasfläche habe ich figürlich, gegenständlich und abstrakt gestaltet. Als Ausdrucksmittel sind diese untrennbar miteinander verwoben. Für mich ist es also keine Entscheidung zwischen gegenständlich oder abstrakt, sondern ein Klärungsversuch von Inhalt und Form.
Heute, nach 20 Jahren, würde ich die Gestaltung anders anlegen. Aber es tut gut, ein eigenes Werk aus früherer Schaffenszeit immer noch als gültig ansehen zu können und dabei so schön in lebendiger Nutzung als Kapellenraum zu erleben.