Kloster, Papst und Heilige

Von Markus Tomberg und Oliver Friedrich

 

Warum gehen Menschen ins Kloster? Welche Rolle spielt der Papst? Wozu sind Heilige gut? – Drei klassische Fragen, die sich nicht nur an katholische Christen und Christinnen richten. Markus Tomberg, Theologieprofessor in Fulda, beantwortet die Fragen aus katholischer Sicht. Oliver Friedrich, Dozent am Religionspädagogischen Institut in Loccum, antwortet aus evangelischen Perspektive. Die Texte sind mit Fragen versehen, die ermuntern sollen, mit Schülerinnen und Schüler den Gedanken der Autoren nachzugehen und dabei die eine oder andere ungewöhnliche Perspektive zu entdecken.

 

 

Warum gehen Menschen ins Kloster ?
Eine Antwort aus katholischer Sicht

Von Markus Tomberg

Ehrlich gesagt: Ich weiß es nicht. Und von den Menschen im Kloster, die ich kenne und gefragt habe, habe ich keine Antwort bekommen. Ich habe allerdings auch mitten in der Ferienzeit nachgefragt. Jetzt überlege ich, ob ein Leben im Kloster vielleicht auch nicht mehr das ist, was es einmal war.

2014 lebten in Deutschland 21.557 Menschen als Schwester, Bruder oder Pater in einem Kloster. Viele von ihnen sind alt, ihr Kloster ist eher ein Pflegeheim. Nur ganz wenige junge Menschen gehen heute ins Kloster. Einer der Gründe: Es gibt nur noch sehr wenige lebendige Klöster mit einer guten Altersstruktur. Kaum jemand möchte als junger Mensch mit vielen alten Menschen zusammenleben – und sich dabei ausrechnen können, dass man selbst in vielleicht einem oder zwei Jahrzehnten wohl ganz allein leben wird. In Zeiten, in denen viele Menschen in Klöstern lebten, waren sie dort dagegen auch gut versorgt. Das war für manche sicher auch ein wichtiges Motiv, diese besondere Lebensform zu wählen.

Orden verstehen sich als Orte, an denen Jesu Vision vom Reich Gottes auf besondere Weise erfahrbar wird. Noch einmal ehrlich gesagt: Auch das verstehe ich nicht. Mönche und Nonnen sind keine Besser-Christinnen oder Besser-Christen. Andere Lebensformen sind auf ihre Weise auch radikal und fordern den ganzen Menschen heraus. Menschen, die im Kloster auf eine besondere Weise ihr Leben und ihren Glauben gestalten, haben sich für eine bestimmte Lebensform entschieden: In Armut, Ehelosigkeit, Gehorsam und Gemeinschaft wollen sie ausprobieren, Jesus nachzufolgen. Und das tun sie, indem sie darauf vertrauen, dass die Ordensregel – in vielen Orden ist das ein Text, der über 1.500 Jahre alt ist! – so viel Lebens- und Glaubensweisheit enthält, dass das auch gelingen kann.

In der katholischen Kirche sind Menschen im Kloster – auch wenn Papst Franziskus das Jahr 2015 zum Jahr der Orden erklärt hat – eine Randerscheinung. Oft gingen von ihnen allerdings wichtige Impulse zur Veränderung in der Kirche und der Gesellschaft aus. Diese Impulse fehlen uns heute manchmal. Denn Religion und Kirche haben viel an Überzeugungskraft verloren. Manchmal braucht es da Menschen, die aus einer anderen Lebensperspektive daran erinnern, was wirklich wichtig ist. Für uns heute kann das der Verzicht auf Besitz ebenso sein wie der Verzicht auf Sex. Schwierig ist die Sache mit dem Gehorsam. Das Wort ist missverständlich. In ihm steckt ein anderes Wort. Gehorsam kommt von Hören. Gemeint ist: Wer Gehorsam verspricht, will genau hinhören – auf das Wort Gottes und das der Menschen. Aber auch das gilt eigentlich für alle, die zu Jesus gehören.

Warum gehen Menschen ins Kloster? Vielleicht muss man eher fragen: Warum geht kaum noch jemand ins Kloster? Was bedeutet das fürs Christsein und die Kirche? Für die Antwort muss man wohl auch ganz genau hinhören.


Aufgaben
:

  1. Beschreibe, wie der katholische Autor über das heutige Klosterleben denkt.
  2. Recherchiere ausgehend vom Text, aus welchen Motiven Menschen ursprünglich in ein Kloster gegangen sind und welche Motive Menschen heute zu dieser Entscheidung bewegen können.
  3. „Andere Lebensformen sind auf ihre Weise auch radikal und fordern den ganzen Menschen heraus.“ Nehmt Stellung zu dieser Aussage des Autors.

 

Warum gehen Menschen ins Kloster?
Eine Antwort aus evangelischer Sicht

Von Oliver Friedrich

Manchmal fahre ich ganz allein in ein Hotel in den Bergen. Es liegt weit ab von großen Straßen, hat dicke Teppiche, die jeden Schall schlucken und viele freundliche Angestellte, die sich um das Wohl der Gäste kümmern. Die Abgeschiedenheit in den Bergen führt nicht nur bei mir dazu, dass ich langsamer und leiser werde: Fast alle Gäste sprechen gedämpft, schlendern durch das Haus und nehmen sich viel Zeit, um Bücher in der kleinen Buchhandlung auszusuchen, die zum Haus gehört. Für eine Woche genieße ich die Ruhe und den Rhythmus des Hotellebens: Das Einnehmen der Mahlzeiten unterbricht, was ich tue. Und was ich tue, ist nicht viel: lesen, spazieren gehen, dösen. Manchmal brauchen mein Körper und meine Seele diese Auszeit vom Alltag.

Wenn ich katholisch getauft worden wäre, wäre ich vielleicht ins Kloster gegangen. Mich fasziniert, dass dort Menschen zusammen leben, die ihren Glauben zum Mittelpunkt ihres Lebens machen. Sie unterbrechen ihre Arbeit mehrmals täglich, um gemeinsam zu beten; sie feiern Gottesdienste zusammen und machen auch durch ihre Kleidung deutlich, dass sie anders leben. Damit der Glaube zum Zentrum des Lebens wird, verzichten Mönche auf Ehe, Familie und eigenen Besitz und leben stattdessen in einer klösterlichen Gemeinschaft, die von einem Abt geleitet wird. Mit dem, was die Mönche gelernt haben, tragen sie zum Unterhalt des Klosters bei: Der Gärtner kümmert sich um den Garten, der Koch kocht für die Gemeinschaft, der Altenpfleger versorgt die älteren Brüder und wenn ein Mönch z. B. Lehrer ist, unterrichtet er in einer Schule. Das, was er dabei verdient, geht in die gemeinsame Klosterkasse. Natürlich gibt es auch unter Mönchen manchmal Streit. Das ist wie bei allen anderen Menschen. Dann muss geredet werden und man sucht nach einer Lösung. Das ist im Kloster nicht anders als in einer Familie oder einer Klasse.

Das Leben im Kloster hat eine feste Struktur. Der Tagesablauf ist immer gleich: Wenn gearbeitet wird, arbeiten alle; wenn gebetet wird, beten alle; wenn gegessen wird, essen alle. Und nach dem letzten gemeinsamen Gebet am Abend ist Ruhe im Kloster. Dann ist jeder Mönch in seiner Zelle und hat Zeit für sich. Und noch etwas fasziniert mich am klösterlichen Leben: Es steht quer zu allem, was für viele Menschen das Leben sonst bestimmt: Geld, Konsum, Sex, Besitz und Karriere.
Ins Kloster bin ich nicht gegangen. Aber manchmal fahre ich in ein Hotel in den Bergen. Das ist natürlich etwas ganz anderes. Aber ein paar Ähnlichkeiten gibt es schon, finde ich.


Aufgaben:

  1. Beschreibe, wie der evangelische Autor über heutiges Klosterleben denkt.
  2. Erläutere, welche Ähnlichkeiten der Autor zwischen einem Kloster und einem Hotel in den Bergen sieht.
  3. Nimm Stellung, ob du selbst dir vorstellen könntest, für eine Zeit in einem Kloster zu leben.

 

Welche Rolle spielt der Papst?
Eine Antwort aus katholischer Sicht

Von Markus Tomberg

Den Papst brauchen die Katholiken, damit sie jemanden haben, über den sie sich ärgern können, hat einmal jemand gesagt. Weil sie das gemeinsam tun, sichert er die Einheit der katholischen Kirche.

Da ist was dran: Die katholische Kirche versteht sich als weltumspannende, als Weltkirche. Weltweit gibt es (Stand 2014) etwa 1,2 Milliarden katholische Christinnen und Christen. Der Papst repräsentiert, dass diese vielen Menschen zusammengehören. Er steht dem Kollegium der Bischöfe vor und führt seinen Auftrag mit ihnen gemeinsam auf die Apostel Jesu zurück. In ihrer Nachfolge leiten Papst und Bischöfe die katholische Kirche. Für viele Menschen heute ist der Papst vor allem so etwas wie das Markenzeichen der Katholiken – oder sogar aller Christgläubigen. Das hängt mit der langen Tradition zusammen, die das Papstamt bis heute prägt. In ihr hat sich ein prachtvoller Stil, ein kompliziertes Zeremoniell und ein System geheimnisvoller Rituale entwickelt – in unserer von vielen markanten Bildern geprägten Zeit ist das nicht zu unterschätzen! Weil manches davon den Blick auf Jesus Christus heute eher verstellt, hat Papst Franziskus viele dieser Rituale verändert oder sogar abgeschafft. Für die Rolle des Papstes sind sie nicht unbedingt wichtig.

Für katholische Christinnen und Christen ist der Dienst an der Einheit, den der Papst ausübt, wesentlich. In jeder Eucharistiefeier weltweit wird deshalb der amtierende Papst im Gebet erwähnt. Der Dienst an der Einheit zeigt sich auch daran, dass der Papst oberster Gesetzgeber in der Kirche ist: Das kirchliche Gesetzbuch, der Codex Iuris Canonici, wird vom Papst erlassen. In Streitfällen ist er zudem der oberste Richter. In Streitigkeiten des Glaubens kommt ihm die Letztentscheidung zu: Das meint das missverständliche Wort von der „Unfehlbarkeit“ des Papstes. Besonders viele solcher Entscheidungen gibt es in der Geschichte der katholischen Kirche übrigens nicht.

Andere Aufgaben, die der Papst heute ausübt, gehören nicht unbedingt zu seiner herausgehobenen Rolle. So ernennt er derzeit alle katholischen Bischöfe und nimmt ihren Rücktritt entgegen. Doch das war nicht immer so und muss auch nicht so bleiben. Auch die päpstliche Verwaltung, die römische Kurie, muss nicht in der Form und auf die Weise, in der es sie heute gibt, bestehen. Andere Arten der Verwaltung und Beratung sind möglich und wohl auch notwendig: Auch hier hat Papst Franziskus neue Wege eingeschlagen.
Welche Rolle hat der Papst? Eigentlich nur eine: Er soll der Einheit der Christinnen und Christen dienen. Und hat deshalb noch viel zu tun!


Aufgaben:

  1. Stelle – ausgehend von den Aussagen des Textes – die Rolle des Papstes für die katholische Kirche in einem Schaubild dar.
  2. Erläutere die abschließende Antwort: „Welche Rolle hat der Papst? Eigentlich nur eine: Er soll der Einheit der Christinnen und Christen dienen. Und hat deshalb noch viel zu tun!“

 

Welche Rolle spielt der Papst?
Eine Antwort aus evangelischer Sicht

Von Oliver Friedrich

Der Papst regiert wie ein König. Er ist Regierungschef eines kleinen Staates, des Vatikans, der ein Teil der Stadt Rom ist und eigene Briefmarken herausgibt.

Im Vatikan leben nur Männer, die fast alle Theologen sind, und die mit dem Papst zusammen die Kurie bilden. Die Kurie ist das zentrale Leitungs- und Verwaltungsorgan für die katholische Kirche auf der ganzen Welt. Sie ist eine Art „päpstliche Behörde“. Alle Katholiken und Katholikinnen betreffende theologische Fragen werden hier beraten und alle Personalentscheidungen werden in der Kurie getroffen: Wer also in einem Bistum Bischof wird, wird hier bestimmt. Wer zum Kardinal erhoben wird, entscheidet man im Vatikan. In der Kurie wird auch entschieden, was ordentliche katholische Lehre ist und was nicht. Und wenn einer gegen die katholische Lehre verstößt, wie neulich, als ein Mitglied der Kurie sich zu seiner Homosexualität bekannte, wird er entlassen. Die Päpste kommen meist aus dem Kreis der Kardinäle, die in einem sehr geheimen Verfahren einen neuen Papst wählen, wenn der alte Papst gestorben oder zurückgetreten ist.

Der Papst hat das letzte Wort bei allen Entscheidungen. Wie ein König eben. Er kann bestimmen und dann müssen alle Kardinäle, Bischöfe und Priester auf der ganzen Welt das tun oder sagen, was der Papst für richtig hält. Wenn der Papst nicht gerade seinen Kirchenstaat regiert und mit Personalangelegenheiten beschäftigt ist, betet er natürlich auch und feiert große, prachtvolle Gottesdienste, zu denen viele Menschen in den Petersdom und auf den Platz davor strömen. Manchmal herrscht dann eine Atmosphäre wie bei einem großen Festival.

Ich brauche den Papst nicht. Ich brauche keinen König in Glaubensfragen und bin sehr froh darüber, dass die evangelische Kirche nicht wie ein Königreich organisiert ist. Unsere evangelische Kirche in Deutschland besteht aus vielen kleinen Landeskirchen (ähnlich wie die Bundesländer), in denen viele Menschen an Entscheidungsprozessen in Angelegenheiten des Glaubens und der Kirche beteiligt sind. Auch wir haben in unseren Landeskirchen Bischöfe. Aber die sind von Kirchenparlamenten gewählt, in denen Frauen und Männer, alte und junge Christinnen und Christen gemeinsam über die Geschicke der Kirche entscheiden. Manchmal macht das die Entscheidungswege etwas kompliziert und langwierig, insgesamt ist die evangelische Kirche dadurch aber auch ziemlich bunt und vielstimmig. Dass in der evangelischen Kirche auch Frauen Pastorinnen werden können und dass niemand zur Ehelosigkeit verpflichtet ist, ist nach wie vor ein großer Unterschied zur katholischen Kirche.

Kurios allerdings ist, dass fast jeder Protestant, der einmal Rom und den Vatikan besucht hat, auch den Papst sehen wollte. Auch ich habe schon auf dem Petersplatz gestanden und habe gespannt auf den Balkon geblickt, auf dem der Papst zu seinen Audienzen erscheint.

Irgendwie ist er trotz aller konfessionellen Unterschiede dann doch so etwas wie das „Gesicht“ des christlichen Glaubens. Vielleicht können auch Protestanten ihn dafür brauchen.


Aufgaben:

  1. Vergleiche – ausgehend von den Informationen des Textes – die Strukturen von evangelischer und katholischer Kirche.
  2. Erkläre die Aussage des evangelischen Autors: „Ich brauche den Papst nicht.“
  3. Der evangelische und der katholische Autor stehen in Rom auf dem Petersplatz zufällig nebeneinander. Entwickelt ein Gespräch zwischen beiden.

 

Wozu sind Heilige gut?
Eine Antwort aus katholischer Sicht

Von Markus Tomberg

Mit dem Heilig-Sein ist das so eine Sache: für die einen das Langweiligste von der Welt, für die anderen etwas, das nur wenige schaffen – und für Paulus etwas, das jede Christin und jeden Christen auszeichnet. Wer getauft ist, den macht Gott heilig. Denn alle Heiligkeit stammt von ihm. Weil das mit dem Heilig-Sein und folglich auch das mit den Heiligen also so kompliziert sind, lohnt es, genauer hinzusehen.

Die These, das Heiligsein langweilig ist, hat vermutlich damit zu tun, dass Heilige als Spaßbremsen gelten: Viele Heilige der katholischen Kirche waren Mönche, Nonnen, Jungfrauen oder Priester. No sex, no drugs, no rock’n’roll – Heilige dürfen offenbar nichts tun, was Spaß macht. Das ist falsch. Denn heilig wird man nicht, weil man etwas tut (oder nicht tut), sondern weil Gott Menschen heilig macht. Deshalb schaffen es auch nicht nur wenige, Heilige zu werden. Alle Getauften sind schon heilig. So steht es (siehe Paulus) in der Bibel.

Die katholische Kirche kennt allerdings noch besondere Heilige. Ihr gemeinsames Kennzeichen: Sie sind tot. Tot-sein ist so ungefähr das Spaßbremsigste, was man sich denken kann – und für Menschen, die jetzt leben, nicht unbedingt erstrebenswert. Paulus sieht das – wieder einmal – anders. Wer getauft ist, der ist für ihn bereits gestorben. Und zwar mit Christus – und mit ihm auch auferstanden. Deshalb können alle Menschen heilig sein: Lebende und Tote, weil für Christen der Tod keine unüberwindliche Grenze mehr ist.
Und deshalb sind die besonderen Heiligen in der katholischen Kirche so wichtig: Es sind Menschen wie du und ich, die zu Christus gehören. Mit dem kleinen, aber nicht entscheidenden Unterschied, dass diese Heiligen uns nicht von Angesicht zu Angesicht begegnen können. Da sind sie gerade durch den irdischen Tod verhindert.

Um dieses Manko auszugleichen, haben Christinnen und Christen früher so viel Wert auf Reliquien gelegt, Überbleibsel oder Erinnerungsstücke an die Heiligen bei Gott. In jedem Altar einer katholischen Kirche gibt es bis heute eine solche Reliquie. So soll deutlich werden: Wenn die Kirche Jesu Christi sich am Altar versammelt, um das Geheimnis Jesu zu feiern, dann sind alle Heiligen mit dabei, die Lebenden und die Toten. Denn die Toten sind nicht tot, sondern nur nicht körperlich anwesend, wenn Christen gemeinsam beten. Die Todesgrenze existiert für die, die zu Jesus gehören und getauft sind, nicht mehr. Alle hat Gott heilig gemacht.


Aufgaben:

  1. Was bedeutet „heilig“? – Erkläre die Aussagen des Textes in Form einer Mindmap.
  2. Recherchiere ein Beispiel für „die besonderen Heiligen in der katholischen Kirche“ und stelle es den anderen vor.

 

Wozu sind Heilige gut?
Eine Antwort aus evangelischer Sicht

Von Oliver Friedrich


Als Protestant brauche ich keine Heiligen. Schon das Verfahren, wie ein ganz normaler Mensch „Heilig gesprochen“ wird, finde ich seltsam. Denn, erstens, muss der Mensch, der zu einem Heiligen erklärt werden soll, schon tot sein. Dann muss, zweitens, nachgewiesen werden, dass dieser Mensch als Christ vorbildlich gelebt hat und schließlich muss, drittens, sichergestellt werden, dass der potenzielle Heilige zu Lebzeiten ein Wunder vollbracht hat. Nur ein Mensch kann einen anderen heilig sprechen: der Papst. Und manchmal sind dabei auch Heilige herausgekommen, die der katholischen Kirche – mit etwas zeitlichem Abstand betrachtet – selbst peinlich sind. Schließlich kommt es mir so vor, als würde die katholische Kirche mit den Heiligsprechungen eine Hierarchie im Himmel installieren wollen: Ganz oben stehen die Heiligen, dann die Seligen (das ist die Vorstufe zur Heiligsprechung), dann die katholischen Amtsträger und dann irgendwann kommen Menschen wie du und ich. Ich hoffe, dass Gott einen anderen Blick auf die Menschen hat. Heiligsprechungen sind eine Erfindung der Kirche, die selbst allzu oft in Amtshierarchien denkt und darüber vergisst, dass vor Gott jeder Christ nur durch die Taufe ausgezeichnet ist – ganz gleich, ob er ein wichtiges kirchliches Amt bekleidet oder einfach nur ein stiller Beter ist. Martin Luther konnte den Heiligsprechungen nichts abgewinnen, weil vielerorts die Heiligen verehrt wurden als wären sie Gott oder Christus selbst. Das ging ihm zu weit. Schließlich stand für ihn Jesus Christus im Zentrum des christlichen Glaubens.

Wenn man den Lebensweg von einzelnen, besonderen Christen genauer anschaut, dann können sie allerdings zu Vorbildern werden, zu Vorbildern für den Glauben. Vorbilder, an denen ich selbst etwas über meinen christlichen Glauben lernen oder erkennen kann. So kann Martin von Tours („Heiliger Martin“) ein Vorbild für Nächstenliebe sein oder Dietrich Bonhoeffer ein Vorbild für tapferen Widerstand im Nationalsozialismus. Und mit Vorbildern kann ich auch als Protestant wieder etwas anfangen.


Aufgaben:

  1. Benenne die Schwierigkeiten, die der Verfasser mit der katholischen Vorstellung von „Heiligen“ hat.
  2. Vergleiche einen Heiligen mit einem Vorbild.