Jeder Mensch erfährt in seinem Leben verschiedene Formen des Verlustes. Jedes Kind ist hin und wieder traurig. Es schmerzt und macht auch traurig, wenn die Mutter verreist, der Hamster gestorben oder die Klassenarbeit schlecht gelaufen ist. Traurigkeit kann wehtun und in manchen Fällen sicherlich sogar verzweifeln lassen. Sie äußert sich oft durch Weinen und ist für einen Außenstehenden klar erkennbar. Dieses ernstzunehmende, schmerzhafte Gefühl verläuft in der Regel linear – und unterscheidet sich schon darin ganz grundsätzlich von Trauer. Traurigkeit indes gehört zum Leben. Allmählich wird der Schmerz weniger und irgendwann hört er auf. Man kann und sollte traurige Erfahrungen keinem Kind ersparen, denn der Umgang mit schmerzlichen Gefühlen ist ein wichtiger Lernprozess.
In einer renommierten Bildungsstätte konnte man in einem Programmheft Folgendes lesen:
„Sterben, Tod und Trauer in der Schule – kann man Trauer lernen?
Fachleute zeigen mögliche Wege zu einer Trauerkultur in der Schule.
Trauer ist immer im Leben dabei: Der Hamster ist gestorben, die Klassenarbeit ging schlecht aus, Mutti ist verreist, der Mitschüler hat Krebs, die Sitznachbarin wurde überfahren, der Vater eines Klassenkameraden ist gestorben …“
Ohne weitere Erklärung oder Differenzierung wird damit impliziert, dass all diese „Verlusterlebnisse“ gleichwertig nebeneinander stehen und damit dieselbe Auswirkung auf das Leben eines Kindes haben. Die „Trauer“ um ein verstorbenes Haustier ist aber nicht vergleichbar mit der Trauer nach dem Tod eines engen Familienmitgliedes. Die sehr unterschiedlichen Gefühle des Traurig-Seins und der Trauer sollten klar getrennt werden, damit Begleitung möglich wird.
Traurigkeit ist nicht gleich Trauer. Trauer ist ein Zustand, man ist in Trauer. Traurigkeit ist dabei nur eins von vielen Gefühlen in der Trauer (Shah/Weber 2013, S.21). Trauer ist weit mehr und weit komplizierter. Sehr oft kann man dem Kind seine Trauer nicht ansehen, weil sie sich beispielsweise in Wut oder in Erstarrung äußert. Während ein trauriges Kind weint und ganz offensichtlich „traurig ist“, verhalten sich viele Kinder, die einen schweren Verlust erlitten haben, nach außen hin völlig unauffällig. Dass auch sie traurig, verzweifelt und paralysiert sind, ist nur abschnittsweise zu spüren. Sie sind darüber hinaus völlig abgeschnitten von ihrem Leben vor dem Verlust – und können deshalb auch oft nicht weinen und ihre Traurigkeit und Verzweiflung zeigen. Und genau darin liegt die Schwierigkeit: Man sieht ihnen die Trauer nicht an. Diese Kinder verhalten sich für Außenstehende meist erschreckend „normal“. Der Schmerz ist so schlimm, dass er anfangs oft noch gar nicht wahrgenommen werden kann. Er friert ein und die Emotionen erstarren. Wenn nach einiger Zeit diese Gefühle auftauen, dann erlebt das Kind nicht nur seinen eigenen Schmerz, sondern muss auch den der Familie mit aushalten.
Trauer verläuft im Gegensatz zur Traurigkeit nicht linear, sondern in Wellenbewegungen oder Zyklen. Trauer ist dennoch keine Krankheit, sondern eine völlig normale Reaktion auf einen schweren Verlust – auch das ist etwas, was Trauernde selbst erst lernen und wo Unterstützung vonnöten ist. Erlebt nun ein Kind oder Jugendlicher, dass Vater, Mutter, Bruder oder Schwester sterben, so ist das eine Zäsur im Leben, die alles für immer und unwiderruflich verändert. Der Tod in der Kernfamilie ist eine existenzielle Gefährdung. Diese wirkt wie ein psychischer Tsunami. Denn hier geht es meist nicht allein um die intensiven und überwältigenden Gefühle der Traurigkeit, Wut, Hass, Verzweiflung und Ohnmacht, sondern um die grundsätzliche Frage, wie das Leben weiter gehen soll.
Ein Beispiel: Ein zehnjähriger Junge verunglückt tödlich bei einem Verkehrsunfall mit dem Fahrrad. Zurück bleiben die trauernden Eltern und eine achtjährige Schwester.
Die Eltern sind gefangen in ihrem Schmerz, unfähig irgendetwas um sich herum wahrzunehmen. Das Kind erlebt sie weinend, schwach und völlig verändert. Sie sprechen viel über den toten Bruder und den Unfall. Sie lachen wenig und wenn, dann nur gezwungen.
Vielleicht sprechen sie vom Tod – und davon, dass auch sie sterben möchten. Vielleicht sind sie unfähig, ihre Tochter in den Arm zu nehmen, weil sie selbst keine Berührung ertragen. Das Kind verliert die Eltern – zumindest die, die sie einmal waren. Die Eltern, die früher Schutz boten, sind jetzt selber hilflos. Das zu erfahren ist für das Mädchen zutiefst verunsichernd. Und der Bruder, der nun nicht mehr lebt, fehlt. Er ist nicht mehr zum Spielen, Streiten, Lachen da. Im Kinderzimmer ist es plötzlich still. Das Mädchen nimmt die Gesamtatmosphäre auf: eine Atmosphäre von Schwere, tiefer Trauer. Diese wirkt auf das Kind beängstigend.
Es will helfen und die Eltern wieder aufmuntern, sie zum Lachen bringen. Und so lacht und albert es, spielt den Clown. Die Eltern fragen schließlich, ob sie denn gar nicht um den Bruder trauere? Das beschämt das Mädchen, denn natürlich trauert es – aber wie soll es diese Gefühle zeigen? Wie verhält man sich als Trauernde „richtig“?
Ein trauerndes Kind ist meist abhängig von ebenfalls trauernden Erwachsenen. Die Traueratmosphäre in der Familie bleibt für viele Monate und Jahre und prägt das Leben der Hinterbliebenen. Auch die Trauer verändert sich – so wie die Trauer ja auch den Trauernden oder die Trauernde selbst verändert. Trauer kann in das Leben integriert werden, aber das braucht Zeit, Geduld und in der Regel auch Unterstützung.
Zwei sehr unterschiedliche Trauersituationen sollten auf jeden Fall in allen Schulen genügend Beachtung finden: der Tod in der Kernfamilie und der Tod einer Mitschülerin oder eines Mitschülers.
Tod in der Kernfamilie
Wenn ein Todesfall in der Kernfamilie eintritt, müssen Lehrkräfte wissen, wie einschneidend ein solches Ereignis ist. Die Auswirkungen sind langfristig zu beachten. Kinder/Jugendliche, die den Tod in der Kernfamilie erlebt haben, sind beispielsweise wesentlich suchtgefährdeter. Das Suizidrisiko ist erhöht. Depressionen können auftreten, psychosomatische Erkrankungen und Zwangserkrankungen sind sehr häufig, darunter auch die verschiedenen Formen von Essstörungen. Dies wirkt sich einschneidend auf die Schule aus (vgl. Hillmert 2002, S. 44-69.). Zusätzlich zu der Trauer um den Verlust müssen die Kinder zudem damit zurechtkommen, dass sie im Laufe ihrer Ausbildung weniger Unterstützung für ihre Bildungslaufbahn erwarten können – und zwar sowohl in emotionaler und kognitiver als auch in sozialer und finanzieller Hinsicht. Der frühe Tod eines Elternteils lässt die Chance eines Kindes, das Abitur zu machen, um fast zwei Drittel schrumpfen.
Die Trauerreaktionen von Kindern, die ein enges Familienmitglied verloren haben, sind sehr unterschiedlich – so unterschiedlich wie die Kinder selbst. Aggressionen, Depressionen, Rückzug, Hyperaktivität: Das alles kann sein – und alles darf auch sein. Ausgesprochen typisch ist, dass viele Kinder oder Jugendlichen gerade am Anfang keine Verhaltensveränderung zeigen. Dieses „Normal-Sein“ verwirrt viele Erwachsene. Kinder sind selten über einen langen Zeitraum hinweg traurig, verzweifelt und wütend. Die Gefühle wechseln schnell – sie springen in die Trauer hinein und wieder heraus, weinen und können in der nächsten Minute herumtollen und Witze reißen. Dieses „normale“ Kinderverhalten ist ein wichtiger Schutzmechanismus. Der Schmerz ist so groß, dass er sonst gar nicht auszuhalten wäre.
Dieses „Normal-Sein“ birgt jedoch die große Gefahr, dass ein Kind in seiner Trauer in einem Schulbetrieb völlig übersehen wird. Weil es sich „wie immer“ verhält, wird es auch „wie immer“ behandelt. Das Kind droht dann, innerlich einsam zu werden und seine Gefühle immer mehr abzukapseln. So stagniert der „Trauerprozess“.
Es folgen Möglichkeiten zum Umgang mit Kindern, die vom Tod in der Kernfamilie betroffen sind (vgl. Shah 2008, S. 30):
Wenn ein Elternteil oder ein Geschwisterkind einer Schülerin oder eines Schülers gestorben ist, empfiehlt es sich, diese Information schnell und sachlich weiterzugeben. Meist fehlt die Schülerin oder der Schüler für einige Tage. In dieser Zeit kann mit der Klasse gesprochen werden, so dass Spekulationen vorgebeugt wird. Auch der Suizid eines Elternteils oder Geschwisterkindes sollte nicht verschwiegen werden. Gerüchte und Getuschel hinter dem Rücken eines Hinterbliebenen sind weit belastender als eine klare Aussprache. Hier ist Sensibilität gefragt. Es ist gemeinsam mit der Klasse zu überlegen, wie die Mitschülerin oder der Mitschüler in nächster Zeit unterstützt werden kann. Der erste Tag zurück in der Schule ist für die meisten Kinder und Jugendlichen sehr schwer. An diesem Tag könnte ein kurzer Hinweis helfen: „Wenn es dir die nächsten Tage nicht so gut geht, kannst du dich dazwischen einfach (auch mit einer Freundin oder einem Freund) ins Sekretariat setzen“, indem auch deutlich wird, dass die Lehrkraft sich Gedanken macht.
Wenn das Kind/der Jugendliche wieder in die Schule kommt, nehmen Sie die Trauer ernst und erkennen Sie an, dass Sie den Verlust nicht nachempfinden können – selbst wenn Sie ihn selbst erlebt haben sollten. Jede Trauersituation ist einzig. Sätze wie: „Ich weiß, wie Du Dich fühlst …“, sind immer unangebracht. Denn: Sie wissen es nicht! Besser ist: „Ich weiß nicht, wie Du Dich fühlst, aber ich kann mir denken, dass es Dir sehr schlecht geht …“
Trauernde verhalten sich oft merkwürdig. Es kann sein, dass das Verhalten von trauernden Schülerinnen und Schülern irritiert oder gar abstößt. Es ist zu akzeptieren, dass jedes trauernde Kind schwerstverletzt ist und jeder Mensch eine andere Art hat, mit diesem Schmerz umzugehen. Urteile über Verhaltensweisen, sind nicht angebracht, vielmehr Toleranz – aber keine Gleichgültigkeit!
Gute Erfahrungen habe ich damit gemacht, Kinder und Jugendliche direkt anzusprechen. Wenn ein Geschwisterkind gestorben ist, ist es gut, sich nicht nur nach den Eltern zu erkundigen, sondern die betroffene Schülerin, den betroffenen Schüler selbst zu fragen, wie es geht. Dies sollte besser nicht vor der Klasse geschehen, denn das ist Trauernden oft unangenehm oder peinlich.
Trauernde Kinder und Jugendliche wollen und brauchen keine Sonderbehandlung, aber sie brauchen eine behutsame Behandlung. Trauernde Kinder und Jugendliche leisten Außergewöhnliches! Denn sie müssen nicht nur mit ihrer eigenen Trauer fertig werden. Zu Hause unterstützen sie meist noch den überlebenden Elternteil oder beide Eltern, wenn ein Geschwisterkind gestorben ist. Gleichzeitig müssen sie in der Schule unverändert Leistungen erbringen wie die anderen Kinder. Gelingt dies nicht, so droht ein weiterer Verlust: der der Klassenkameraden, falls das Schuljahr wiederholt werden muss. Gerade in dieser schwierigen Lage brauchen Trauernde die Stabilität der Umgebung.
Ich fasse zusammen:
- Erkennen Sie an, wie viel Kraft das alles kostet.
- Hören Sie genau hin und beobachten Sie.
- Wenn ein Kind oder Jugendlicher sprechen möchte, dann lassen Sie es zu, drängen Sie ihm aber kein Gespräch auf. Viele wollen gerade am Anfang nichts sagen.
- Jugendliche haben eventuell Angst, vor einer Lehrkraft oder vor der Klasse die Fassung zu verlieren.
- Signalisieren Sie auf behutsame Weise, dass Sie um den Schmerz wissen und dass Sie Anteil nehmen.
Möglichkeiten dazu sind ein kleiner Brief oder auch nur eine Anmerkung unter einer Klassenarbeit wie zum Beispiel: „Ich bin voll Bewunderung, dass du trotz deiner schweren Lage so gut geschrieben hast! Wenn ich etwas für dich tun kann oder du auch später einmal Hilfe brauchst, dann gib mir einfach Bescheid.“ Oder: „Leider hat es mit dieser Arbeit nicht so gut geklappt. Du bist mit deinen Gedanken oft abwesend, und ich ahne, warum. Deine Situation ist schwierig und ich kann sie nicht ändern, aber ich möchte dir gerne helfen. Vielleicht finden wir gemeinsam eine Lösung, damit es wenigstens in der Schule für dich ein wenig leichter wird.“
Kurz nach einem Todesfall ist die Umgebung meist sehr verständnisvoll. Nach einem Jahr allerdings erwartet die Gesellschaft von Trauernden oft, dass „alles wieder in Ordnung ist.“ Viele Schülerinnen und Schüler wie auch Eltern sprechen dann nicht mehr von dem Verstorbenen: aus Angst, man denkt, sie würden mit ihrem Leid „hausieren gehen.“
Bitte beachten Sie, dass ein so schwerer Verlust wie der von Mutter, Vater, Bruder oder Schwester eine andere Zeitrechnung braucht. Haben Sie Geduld. Versuchen Sie, praktische Hilfe zu organisieren, wenn Sie meinen, dass der Schüler diese braucht. Wenn die schulischen Leistungen nachlassen, sprechen Sie rechtzeitig mit den Eltern. Falls diese nicht in der Lage sind zu helfen, besteht vielleicht schulintern die Möglichkeit, Hilfe zu organisieren. Sprechen Sie mit der Beratungslehrerin, dem Beratungslehrer oder einer schulpsychologischen Beratungsstelle. Unter Umständen kann eine Schülerin oder ein Schüler einer höheren Klasse eine Zeit lang Nachhilfe geben. Vielleicht gibt es an Ihrer Schule eine Elternkasse oder einen Fond, aus dem man anfallende Kosten zahlen könnte. Informieren Sie Ihre Kolleginnen und Kollegen, insbesondere diejenigen, die mit dem oder der Betroffenen im direkten Kontakt sind.
Tod einer Mitschülerin oder eines Mitschülers
Die zweite, meist sehr schwierige „Trauersituation“ stellt sich dann ein, wenn ein Mitglied der Klasse oder Schulgemeinschaft stirbt. Auch dies ist nicht mit einer „normalen“ Verlusterfahrung zu vergleichen.
So verunglückte der zehnjährige Junge aus dem ersten Beispiel auf dem Nachhauseweg von der Schule und zwei Klassenkameraden beobachteten den Unfall. Am nächsten Tag war es die Aufgabe der Klassenlehrerin, die Klasse über den Tod des Mitschülers zu informieren. Viele wussten es schon, Gerüchte machten die Runde. In der Klasse war auch der beste Freund des Jungen, die beiden waren täglich zusammen, enger als die meisten Brüder. Der Freund trauert, ist fassungslos und sprachlos. Einige Mädchen weinen bitterlich, obwohl sie dem Verstorbenen nicht so nahestanden. Die beiden Jungen, die den Unfall beobachtet haben, sind traumatisiert.
Immer wieder sehen sie die Bilder vor ihrem geistigen Auge, hören den Aufprall und die Schreie des Verletzten. Als natürlichen Schutzmechanismus möchten sie sich ablenken und nichts von dem Unfall hören oder über ihn sprechen. Sie geben sich cool und blödeln herum. Einige Kinder zeigen Ängste, dass auch ihnen so etwas passieren könnte und wiederum andere sind wenig berührt, finden eher alles spannend und aufregend.
Ein Mädchen zeigt heftigste Trauerreaktionen, obwohl auch sie keine nähere Beziehung zu dem Verunglückten hat. Sie ist kaum ansprechbar, sehr bleich und verkrampft. Der Tod des Klassenkameraden hat ein altes Trauma wieder aufleben lassen: Ihr Vater ist vor vier Jahren ebenfalls bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen.
All diese unterschiedlichen Reaktionen kann es geben, aber sie müssen nicht sein. Es hilft, sich im Vorfeld mit den Themen Trauer und Trauma zu beschäftigen. Dann kann man sich besser erklären, warum Kinder manchmal auf schlimme Erlebnisse so oder so reagieren. So hilft beispielsweise das Wissen, dass ein typischer Schutzmechanismus nach einem Trauma das Verdrängen ist. Dann wird man traumatisierte Kinder auch nicht verurteilen, dass sie sich „kalt und gefühllos“ verhalten, weil sie jede Beschäftigung mit dem Thema Tod ablehnen, vielleicht nicht mit zu einer Trauerfeier wollen oder es verweigern, auf den Friedhof zu gehen.
Wie man im Krisenfall mit einer Klasse umgeht, kann man zwar nicht in allen Einzelheiten lernen, aber eine gute Vorbereitung im Vorfeld und klare Strukturen helfen hier, Sicherheit für Lehrkräfte sowie für Schülerinnen und Schüler zu vermitteln.
Die Begleitung einer „trauernden“ Klasse ist meist sehr intensiv, doch zeitlich begrenzt und relativ kurz. Der reguläre Unterricht kann in der Regel nach wenigen Tagen wieder aufgenommen werden. Auch wenn es noch eine Zeit lang immer wieder Gespräche um den Verstorbenen geben wird, wenn man seines Geburtstags und Todestags gedenkt, so leben doch die allermeisten Schülerinnen und Schüler und auch die Lehrkräfte bald wieder ihren Alltag. Ihr persönliches Leben hat sich durch diesen Tod nicht verändert. Das ist jedoch nicht für alle so: Für die Schwester des Verunglückten z. B. wird das Leben nie wieder so, wie es vor dem Unglück war.
Die Mitschülerinnen und Mitschüler haben meistens zudem in ihren Familien Erwachsene, die nicht trauern und somit ihre Kinder unterstützen können. Auch dies ist anders als bei der trauernden Schwester, die im familiären Umfeld nur von trauernden Bezugspersonen umgeben ist. Die Begleitung einer trauernden Klasse ist vergleichbar mit einem Sprint – die Begleitung eines trauernden Kindes aber ist eher vergleichbar mit einem Marathon.
Umgang mit Trauer
Ich glaube nicht, dass man Trauer lernen kann. Eine Psychologin, die jahrelang mit Trauernden und Traumatisierten gearbeitet hatte, schrieb nach dem Tod ihres Mannes:
„Es ist alles ganz anders, als ich es gelernt hatte. Nie hätte ich gedacht in solch einen Abgrund der Gefühle zu kommen, mich so hilflos und ohnmächtig zu fühlen.“
Es gibt auch keine Patentrezepte, wie man mit Trauernden umgeht, was man sagen soll und wie man sich verhalten soll. Was helfen kann, ist ein „Sich-Vorbereiten“ in guten Zeiten. Man kann sich informieren über Trauerreaktionen, kann sich vernetzen, damit man im Notfall weiß, wen man fragen kann.
Das Allerwichtigste aber ist eine authentische und wertschätzende Haltung gegenüber allen Menschen, die von Trauer und Trauma betroffen sind. Es geht nicht darum, alles zu verstehen, weil wir viele Trauerreaktionen einfach nicht verstehen können. Aber man kann sie stehen lassen, so annehmen und nicht bewerten. Wir können eine Trauerkultur vermitteln, indem wir in Krisensituationen offen und ehrlich mit Gefühlen und Trauer umgehen. Wir können zuhören und mit aushalten – und das ist sicher die beste Art zu lernen.
Literatur
- Hillmert, Sabine: Halbwaisen müssen schneller auf eigenen Füßen stehen, in: Zeitschrift für Familienforschung, 1/2002, S. 44-69.
- Ministerium für Kultus und Sport Baden-Württemberg (Hg.): Vom Umgang mit Trauer in der Schule. Handreichung für Lehrkräfte und Erzieher/innen von Hanne Shah und Uwe Becker, Stuttgart 2008.
- Shah, Hanne / Weber, Thomas: Trauer und Trauma – Die Hilflosigkeit der Betroffenen und der Helfer und warum es so schwer ist, die jeweils andere Seite zu verstehen, Kröning 2013.