Wie gehe ich in meinem Religionsunterricht… - … mit sehr frommen, fundamentalen christlichen Schülerinnen und Schülern um?

von Rita Klindworth-Budny

 

Im Einzugsbereich meiner Schule gibt es ein Dorf, in dem es neben der landeskirchlichen eine sehr lebendige freikirchliche Gemeinde gibt. Schülerinnen und Schüler, die dieser Gemeinde angehören, besuchen in der Regel den evangelischen Religionsunterricht. Einige von ihnen habe ich als sehr ausgrenzend und abwertend anderen gegenüber erlebt mit großem missionarischen Eifer, andere halten sich eher bedeckt mit ihren Positionen und äußern sich eher vorsichtig. Letztere sind oft sehr bereichernd für Unterrichtsgespräche, in denen unterschiedliche Positionen nebeneinander betrachtet werden sollen. Den undifferenzierten Schülerinnen und Schülern begegnet in den freikirchlichen Schülerinnen und Schülern eine klare und eindeutige Haltung zur Religion. Sie können theologische Aussagen besser aufnehmen als andere und kennen sich meistens gut mit biblischen Geschichten aus. Dieses Wissen kann ich im Unterricht gut abrufen.

Auch ermöglicht es den kirchlich distanzierten Schülerinnen und Schülern in der Auseinandersetzung mit „extremen“ Positionen, ihren eigenen Standpunkt zwischen fundamentaler Sicht und einer glaubenskritischen Sicht zu suchen und auszuprobieren.

Vor einigen Jahren hatten sich einige Schüler aus einem Oberstufenkurs bereit gefunden, in einem Adventsgottesdienst mitzuwirken und einen Predigtteil zu übernehmen. Es stellte sich heraus, dass die Absprache der Religionslehrerin, die Texte rechtzeitig vorher zu schicken, nicht eingehalten wurde.

So kam es dazu, dass von einem der freikirchlichen Schüler in seiner Rede den anderen Kursteilnehmerinnen und -teilnehmern abgesprochen wurde, dass sie wirklich an Christus glauben (im Kurs war vorher über die jeweilige Haltung zu Jesus gesprochen worden).

In der Nachbesprechung konnte mit dem Kurs intensiv darüber gesprochen werden, welche Wirkung eine derart ausgrenzende Rede bei ihnen hatte. Unmittelbare Erfahrungen mit einer fundamentalistischen Haltung konnten auf diese Weise bearbeitet und von den Schülerinnen und Schülern eingeordnet und bewertet werden. Auch konnten sie ihre eigene Haltung zum Glauben in dieser Diskussion gut noch einmal formulieren und eine Würdigung dieser Haltung erfahren.

Der entsprechende Schüler, der in der Stunde leider fehlte, wurde später von mir angesprochen. Ich habe ihm die Wirkung seiner Rede auf die Mitschülerinnen und Mitschüler wiedergegeben und musste feststellen, dass der Schüler sehr erschrocken reagierte. Eine Kränkung der anderen hatte er nicht beabsichtigt. Er war sich dessen gar nicht bewusst gewesen, dass er eine Ausgrenzung und Abwertung der anderen betrieben hatte. Nach außen hin schien sich durch dieses Gespräch auch für ihn ein Lernfortschritt ergeben zu haben.

Grundsätzlich fordere ich von allen Schülerinnen und Schülern meiner Kurse und natürlich auch von mir selbst eine offene Haltung, aus der heraus die glaubenskritischen Positionen ebenso akzeptiert werden wie die fundamental-christlichen.

Schülerinnen und Schülern, die letztere vertreten, mache ich klar, dass sie selbstverständlich in der Lage sein müssen, hermeneutische Fähigkeiten auszubilden und unterschiedliche Zugänge zu biblischen Texten nachvollziehen können müssen. Sie müssen z. B. eine tiefenspsychologische Deutung eines Textes wiedergeben können, auch wenn sie selber den biblischen Text völlig anders verstehen.

Im Lauf der Jahre habe ich zunehmend schätzen gelernt, wenn die kirchlich distanzierten Schülerinnen und Schüler Lernchancen durch ihre „frommen“ Mitschülerinnen und Mitschüler bekommen. In der Begegnung mit deren Haltungen können sie ihre eigene (oft ebenso fundamentalistische) antireligiöse Haltung wahrnehmen und reflektieren und eine tolerantere Haltung gegenüber Christen einüben (dies vor allem in den zweistündigen Oberstufenkursen, die von eher naturwissenschaftlich orientierten Schülerinnen und Schülern belegt werden).

Insgesamt ist die Begegnung mit fundamentalen christlichen Schülerinnen und Schülern im Religionsunterricht für mich eher eine interessante, wenn auch bisweilen anstrengende Arbeit, die hoffentlich mit dazu beiträgt, Fundamentalismus zu überwinden.

Text erschienen im Loccumer Pelikan 4/2013

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