Während meiner Unterrichtstätigkeit nahmen häufig auch Kinder konfessionsloser Eltern und muslimische Kinder am evangelischen Religionsunterricht teil. Als Unterrichtende sah ich eine große Chance darin, mit Klassen, die auch in religiöser Hinsicht vielfältig waren, durch das gemeinsame Kennenlernen, In-Szene-Setzen und Bedenken biblischer Geschichten den Fragen nach Menschen, Gott und Jesus Christus nachzugehen. Die religionspädagogische Frage war für mich in der Regel dabei nicht: Wie gehe ich mit muslimischen Kindern um, sondern: Wie gehe ich damit um, dass die Voraussetzungen der Kinder insgesamt so unterschiedlich sind? Auch die muslimischen Kinder, die ich im Unterricht kennen gelernt habe, hatten keine vergleichbare religiöse Sozialisation: Einige Kinder hatten Kontakt zur örtlichen Moschee, andere besuchten eine entfernte Koranschule und einige schienen weder Inhalte ihrer Religion noch religiöse Praxis überhaupt zu kennen. Deshalb ist meine Antwort erst einmal: Mit muslimischen Schülerinnen und Schülern gehe ich im Religionsunterricht um wie mit jeder und jedem anderen auch: Ich biete Inhalte zur Auseinandersetzung an, die sich auf Kompetenzbereiche des Kerncurriculums beziehen, und ermögliche das Einbringen jeweils eigener Erfahrungen, Hintergründe und Fragen. So wie ein katholisches Kind von seiner Kommunion erzählen wird, wird das muslimische vom Ramadan in der Familie und dem Zuckerfest erzählen.
Und doch – natürlich ist mir auch nicht fremd, dass es Erfahrungen gibt, die nicht nur von Harmonie in Vielfalt erzählen … So zeigte sich immer wieder die Schwierigkeit, dass den nicht teilnehmenden Kindern, die es in geringer Anzahl in einigen Klassen gab, während der Religionsstunden keine Betreuung zustand. Mit Aufgaben ausgestattet, sollten diese in einer Nachbarklasse beaufsichtigt werden. Gelegentlich erschienen sie jedoch nach kurzer Zeit wieder und baten, bei der Klasse bleiben zu können, weil die Nachbarklasse gerade zu einem Unterrichtsgang aufgebrochen war. Dadurch wurden einige zu aufmerksamen, interessierten Beobachtenden, die regelmäßig darum baten, auch während des Religionsunterrichts im Klassenraum bleiben zu dürfen. Einer dieser Interessierten bat so eindringlich, dass ich ein Gespräch mit der Mutter suchte, um die Teilnahme am Religionsunterricht offiziell genehmigen zu lassen. Die Mutter betonte, dass sie dies ausdrücklich begrüßte, ihr Mann jedoch die Teilnahme verbiete. Der Junge wurde deshalb kein offizieller Teilnehmer am Religionsunterricht. Allerdings gestehe ich, dass ich es ihm nicht selten ermöglicht habe, seine eher nicht sehr umfangreichen Aufgaben im Klassenraum zu erledigen. Seine gelegentlichen Kommentare zeugten vom interessierten Mitdenken an Themen des Religionsunterrichts …
Als größere Herausforderung empfand ich zum Beispiel die eher widerwillige, doch von den Eltern unterstützte Teilnahme eines anderen muslimischen Schülers. Er zeigte oft durch Gesten Missfallen am Fach und äußerte sich lautstark: „Christen sind scheiße und die Blöden sind alle tot!“ Vor der Klasse reglementierte ich seine Kommentare und versuchte, in Einzelgesprächen mit ihm im Kontakt zu bleiben. Leider war es aufgrund sprachlicher Schwierigkeiten kaum möglich, mit den Eltern Gespräche zu führen. Als wir einen im Unterricht geplanten Kirchenbesuch durchführten, fing der Junge unmittelbar vor der Eingangstür an, laut und vehement deutlich zu machen, dass er keine „Scheiß-Kirche“ betreten wolle. Da ich wusste, dass er die kostenlose Hausaufgabenhilfe im selben Gemeindezentrum täglich besuchte, ließ ich mich auf keine Diskussion ein und er kam schließlich widerwillig mit in den Kirchenraum. Auch in seinen weiteren Grundschulmonaten gelang es mir oft nicht zufrieden stellend, mit dem Jungen ins Gespräch zu kommen und ihn zu einer konstruktiven Mitarbeit im Unterricht zu motivieren.
Als große Bereicherung zeigte es sich immer wieder, wenn muslimische Kinder mit großem religiösen Wissen interessiert eigene Fragen oder Hintergründe einbrachten. Bei geeigneten Themen ermunterte ich sie, von ihrem religiösen Leben zu erzählen. Eine Chance sah ich auch darin, möglichst Eltern einzubeziehen. Manchmal gelang dies bei muslimischen Familien dadurch, dass wir Essgewohnheiten thematisierten und Mütter schließlich Kostproben in die Klasse brachten. Einmal war eine sehr offene und gut deutsch sprechende muslimische Mutter sogar bereit, im Rahmen eines Projekttages von ihrem Herkunftsland, der dortigen Kultur und ihrer Religion ausführlich und anschaulich zu berichten. Bei Hausbesuchen in anderen muslimischen Familien wurde mir dagegen deutlich, wie gering die sprachlichen Möglichkeiten einiger Mütter und wie festgelegt ihre Verhaltensmuster auf bestimmte Rollenerwartungen an sie als Frauen waren. Oft wurde durchaus das Interesse an der gegenseitigen Wahrnehmung deutlich, jedoch schien das Bedürfnis nach Information über schulische Inhalte und den Religionsunterricht eher gering. Um ehrlich zu sein: Gelegentlich fragte ich mich, ob die Eltern wirklich verstanden hatten, was sie mit der Einverständniserklärung zur Teilnahme am evangelischen Religionsunterricht unterschrieben hatten. Die motivierte und oft engagierte Teilnahme ihrer Kinder bereicherte den Unterricht, ließ mich aber gerade im Hinblick auf religiöse Praxis in der Schule vorsichtiger werden.