Die KirchenEntdeckerTour Lutherkirche Holzminden – Schülerinnen und Schüler als Kirchenpädagoginnen und Kirchenpädagogen

von Jochen Kallenberger

 

“Hallo erst mal, ich bin Franz, der Engel. Ich wohne hier schon seit 1968 mit meinen fünf Freunden im vorderen rechten Teil der Kirche. Hast du mich schon entdeckt? Dort, wo ich wohne, ist fast alles aus Sandstein und sechseckig …”

Mit diesen Worten lockt der Engel Franz zu seiner bedeutungsvollen Behausung: dem kleinen Sandstein-Taufbecken mit den fünf fein gearbeiteten Engelköpfen. Der Besucher, ausgerüstet mit einem Audioguide, kann dort hautnah die Taufzeremonie verfolgen: Wasser fließt plätschernd in das Taufbecken, die Pastorin und die Patin sprechen würdevolle Worte. Zwischendrin kommentiert Franz, der Engel, hilfsbereit das Geschehen. Im Begleitheft sind anschließend einige Aufgaben zu lösen.

Die Schülerinnen und Schüler, deren Stimmen auf dem Audioguide zu hören sind, kommen aus einer 6. Klasse des Campe Gymnasiums in Holzminden. Sie haben in einem Zeitraum von vier Monaten im Religionsunterricht Texte und Aufgaben für die insgesamt acht Stationen der Kirchen-EntdeckerTour durch die Lutherkirche Holzminden entwickelt und für den Audioguide aufgenommen. Begleitet wurden sie dabei von ihrem Religionslehrer sowie von ihrem Pastor, der das Projekt vonseiten der Kirchengemeinde maßgeblich mitgestaltete.

Am Anfang stand ein Brief des Pastors an die Klasse, offiziell versehen mit Briefkopf und Siegel: “Die Lutherkirche Holzminden braucht Eure Hilfe!”. Ein Kirchenführer, der das aufnimmt, was für Kinder interessant ist, fehlt der Luthergemeinde. Nach einem ersten Sammeln von Ideen in Kleingruppen (Placemat-Methode) entschied sich die Klasse: Wir nehmen den Auftrag an. Ausgerüstet mit Klemmbrettern erkundeten die Schülerinnen und Schüler in der nächsten Religions-Doppelstunde die Kirche. Ihre Aufgabe war bewusst offen formuliert:

“Gehe langsam mit offenen Forscheraugen durch die Kirche. Wenn du einen Gegenstand entdeckt hast, der interessant sein könnte, beschreibe ihn ganz genau! Was ist das Besondere daran? Du kannst auch eine kleine Skizze anfertigen. Anschließend markiere den Gegenstand in deinem Grundriss.” In der Folgestunde wurden die einzelnen “interessanten Gegenstände” gesammelt und mithilfe von Fotos anschaulich präsentiert, erste Kleingruppen bildeten sich nach eigener Interessenlage. Nachdem sich zu Beginn der zweiten Exkursion die übrigen Schülerinnen und Schüler für einen Gegenstand entschieden hatten, stand der konzeptionelle Rahmen der Entdeckertour fest: Zu den Themen Altar, Kirchenfenster, Fürbittenkreuz, Kanzel, Grabmal, Taufbecken, Orgel und Kerzenkugel hatten sich Gruppen von je zwei bis vier Schülerinnen und Schülern gefunden, die ab sofort für die Entwicklung ihrer Station verantwortlich waren.

Die weitere Projektarbeit geschah primär in den einzelnen Gruppen, die zunächst an Mindmaps, dann an den Texten für den Audioguide und den Aufgaben für das Begleitheft arbeiteten. In regelmäßigen Abständen präsentierten die Gruppen ihren Arbeitsstand vor der Klasse und stellten ihre Ideen für die im Begleitheft zu lösenden Aufgaben zur Diskussion. Sobald eine Gruppe einen Text verfasst hatte, durfte sie ihn auf dem Flur mit einem Smartphone probeweise aufnehmen. Dies war für die Schülerinnen und Schüler zum einen hoch motivierend, zum anderen bot ihnen das Hören der Aufnahme einen neuen Blickwinkel auf ihren eigenen Text: Längen, unnötige Doppelungen oder Gedankensprünge wurden so leichter erkennbar.

Ergänzt wurden die Gruppenarbeitsphasen durch stärker angeleitete Vertiefungsphasen mit der ganzen Klasse. Dies soll exemplarisch an der Arbeit der Gruppe Fürbittenkreuz dargestellt werden. Jan-Phillip und Richard hatten zunächst folgenden Text verfasst:

“Das Fürbittenkreuz steht vor dem Altarraum. Dieses Kreuz besteht aus Eichenholz und steht auf einer schwarzen Eisenplatte. In diesem Kreuz befinden sich 34 Nägel und vier Schrauben. Außerdem steht neben diesem Kreuz eine Holzkiste, auf dem ein Block und ein Kugelschreiber liegen. Man schreibt dort seine Dank- und Fürbitten auf. In jedem dieser Zettel befindet sich ein Loch, damit man seine Für- oder Dankesbitten aufschreiben kann. Man schreibt nicht am Kreuz seine Fürbitten auf, da es beschädigt werden könnte, sondern auf der Holzkiste. Z.B. hat ein Kind einen MP3-Player bekommen und ist nun überglücklich und möchte Gott danken. Es geht nun in die Kirche hinein, geht zum Kreuz und schreibt seinen Dank auf. Es hofft nun, dass sein Dank in Erfüllung geht. Viel Spaß!”

Nach einer detailreichen Beschreibung findet sich hier der Ansatz, die Funktion des Kreuzes mit einer Beispielgeschichte zu erklären. Die Verwendung von Dank und Bitte erscheint jedoch unklar (“Dank- und Fürbitten”, “[Das Kind] hofft nun, dass sein Dank in Erfüllung geht”). Es erschien daher fruchtbar, das Thema Gebet mit der ganzen Klasse zu vertiefen, um die beiden Schüler bei der Weiterentwicklung ihres Textes zu unterstützen. In der Vertiefungsstunde lasen die SuS folgende, optisch voneinander abgesetzt projizierte Satzanfänge: Ich bin traurig, dass … Ich habe Angst vor … Ich bin froh, weil … Mich ärgert, dass … Hilf, dass … Danke dafür, dass … Die SuS erhielten die Aufgabe, in Einzelarbeit zwei Satzanfänge auszuwählen und zu vervollständigen. Anschließend notierten sie einen der Sätze anonym auf kleine Karteikarten, diese wurden eingesammelt, gemischt und erneut ausgeteilt. Im folgenden Unterrichtsgespräch lasen die SuS jeweils von einem Kärtchen vor, äußerten sich dazu und moderierten ein kurzes Gespräch zu ihrem Gebetssatz. Auf den Impuls hin, was es für einen Unterschied mache, wenn man so etwas aufschreibe und in einer Kirche an ein Kreuz hänge, wurden zusammenfassend folgende Stichpunkte notiert: “– Damit ist es öffentlich. – Gott liest es. – Normalerweise will man nicht darüber reden. – Man fühlt sich erleichtert, besser als vorher.” Anschließend wurden alle Kärtchen der Holzkreuz-Gruppe übergeben. Die beiden Schüler erhielten den Impuls, sich ein bis zwei Kärtchen auszuwählen und zu diesem Satz eine lebensnahe Situation zu entwerfen. Im Anschluss daran erarbeiteten Jan-Phillip und Richard die Endfassung des Textes. Sie beginnt mit einer einführenden Beschreibung und Erläuterung, stellt dann je eine Beispielsituation für ein Fürbittengebet sowie ein Dankgebet vor und schließt mit einer Einladung, sich die Zettel am Kreuz genauer anzuschauen bzw. selbst etwas aufzuschreiben:

Jan-Phillip: Dieses Kreuz besteht aus Eichenholz und steht auf einer schwarzen Eisenplatte. In diesem Kreuz befinden sich 34 Nägel und vier Schrauben. Außerdem steht neben dem Kreuz eine Holzkiste, auf dem ein Block und ein Kugelschreiber liegen. Man schreibt dort eine Fürbitte oder einen Dank auf. In jedem dieser Zettel befindet sich ein Loch, damit man seinen Zettel an einen Nagel am Kreuz hängen kann. Jetzt möchten wir dir gerne zwei Beispiele erzählen:

Richard: Joey geht in die Kirche und betet dort für seinen Opa. Nachdem Joey für seinen Opa gebetet hat, will er noch eine Bitte am Kreuz aufhängen. Sein Opa ist krank, muss operiert werden und er möchte Gott bitten, ihn wieder gesund zu machen. Er nimmt einen Zettel und schreibt auf: Bitte hilf mir, dass mein Opa gesund wird. Joey.

Jan-Phillip: Heute ist Jasmin glücklich. Sie hatte vor kurzer Zeit einen großen Streit mit ihren Eltern. Heute haben sie sich wieder vertragen. Sie schreibt auf einen Zettel: Danke dafür, dass ich sicher und geborgen bin.

Richard: Guck vielleicht am Kreuz, ob du noch weitere Beispiele findest. Vielleicht möchtest du auch etwas aufschreiben! Vielen Dank fürs Zuhören und viel Spaß beim Lösen der Aufgaben in deinem Heft.

Die Vertiefungsstunden zu den anderen Stationen unterschieden sich verständlicherweise erheblich vom skizzierten Beispiel, folgten dabei aber demselben Prinzip: Die Klasse erarbeitete gemeinsam etwas, das die SuS wieder in ihre Gruppen mitnehmen konnten. Dadurch wurde der Bedarf an Einzelberatung durch die Lehrperson entscheidend reduziert und das selbsttätige Arbeiten der SuS gefördert.

Abschließend wurden die Texte mit einem handlichen Digital Recorder aufgenommen und mit dem Freeware-Programm Audacity geschnitten und nachbearbeitet 1. Durch die Förderung innovativer Projekte von schulnaher Jugendarbeit der hannoverschen Landeskirche konnte die Anschaffung von 40 mp3-Playern und der Druck der Begleithefte finanziert werden. ;2

Die Identifikation der SuS mit ihrem Projekt war über die lange Erarbeitungsphase sehr hoch, ebenso bei der Präsentation auf dem Gemeindefest der Stolz über das Geleistete. Auf die Frage “Würdest du das gerne öfter machen, etwas für andere Schülerinnen und Schüler herstellen?” notierte eine Schülerin im Reflexionsbogen: “Ja, denn wenn man fertig ist, kann man mit Stolz auf das Projekt zurückschauen und froh sein, etwas für andere Kinder ermöglicht zu haben.” Dem kann man nur zustimmen.

Audioguide und Begleitheft können von der Homepage der Lutherkirchengemeinde kostenlos heruntergeladen werden: www.luther-holzminden.de

Einzelpersonen erhalten den Audioguide und das Begleitheft beim Stadtmarketing Holzminden oder in der Jugendherberge. Größere Gruppen melden sich bitte zur Terminvereinbarung im Kirchenbüro der Lutherkirchengemeinde telefonisch unter 05531-4023.

 

Anmerkungen

  1. Ein Digital Recorder von angemessener Qualität hat etwa die Größe eines Rasierapparats und ist zum Preis von ca. 150 bis 200 Euro erhältlich. Häufig besitzen Musik-Fachgruppen an der Schule ein solches Gerät.
  2. Vgl. zum Förderprogramm http://www.kirche-und-schule.de/.

Text erschienen im Loccumer Pelikan 4/2012

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