Gesprächsführung konkret – Kinder zum Philosophieren und Theologisieren anregen

von Gerlinde Krehn

 

Kinder stehen – mehr als wir Erwachsenen – vor der Aufgabe, eine eigene „Weltanschauung“ zu entwickeln. Auf diesem Weg sind sie Suchende und vor allem Fragende. In entsprechenden Prozessen finden sie ihre eigenen Antwortmöglichkeiten und Gedankengänge. Dabei unterscheiden sie nicht zwischen theologischen und philosophischen Fragen. Sie wollen die Welt verstehen und auch dem für sie unverstehbaren Gott auf die Spur kommen und ihn sprachlich in Worten und Bildern „begreifen“. Kinder wünschen sich zu all dem ein DU, dem sie sich anvertrauen und dem sie vertrauen können. Sie brauchen die WIR-Erfahrung im gemeinsamen Fragen und Suchen. Im Dialog können sie Antworten finden und Sich SELBST und GOTT näher kommen (vgl. Oberthür 2000). Kinder brauchen Ermutigung und Unterstützung für ihre Fragehaltung. Sie können darin positiv verstärkt werden, dass gerade sie ihre eigene, durchaus andere Art des Fragens und Denkens haben. Dazu brauchen sie Erwachsene, die die Tiefe von Kinderäußerungen wahrnehmen und im Gespräch aufgreifen, verstärkend akzentuieren und wach halten können. Die Aufgabe von Pädagoginnen und Pädagogen ist es, diese Fragehaltung zu fordern, zu fördern und geeignete Räume – zeitlich und organisatorisch – zu schaffen, in denen die Fragen (im Gespräch) aufgegriffen oder anregende Gespräche initiiert werden. 

„Wenn jemand eine Frage hat, die er beantworten kann, hat er einen Vorteil gegenüber anderen, und das ist ungerecht – wenn aber jemand eine Frage hat, die man nicht beantworten kann, dann wird er schlauer.“ (Nico, 9 Jahre)

Kinder spüren, ob Pädagoginnen und Pädagogen ein authentisches Interesse an ihren Fragen haben. Darum ist deren Haltung von großer Wichtigkeit. Interesse an den verschiedensten Kinderäußerungen, aktives Zuhören und weiterführendes, öffnendes Nachfragen sind grundlegend für gelingende Gespräche in vertrauensvoller Atmosphäre.

Wie aber kommt man an die Fragen der Kinder?

 

Mit den Fragen der Kinder arbeiten

Als unmittelbarste Möglichkeit zeigt sich immer wieder, sie selbst zu Wort kommen zu lassen, d. h. zu befragen, und mit diesen Fragen weiter zu arbeiten:

  • Jedes Kind darf seine wichtigsten Fragen aufschreiben – nicht bezogen auf ein Thema oder ausdrücklich bezogen auf ein Thema. Dabei empfiehlt es sich die Anzahl der Fragen zu begrenzen.
  • Die gesammelten Fragen werden mit den Kindern z. B. in die folgenden Fragekategorien eingeordnet:

Fragekategorien

Fragen, für die es wahrscheinlich mehr als eine richtige Antwort gibt.

Fragen, die ich beantworten kann, wenn ich z. B. im Lexikon nachschaue.

Fragen, die ich nur im Gespräch mit anderen klären kann.

Fragen, die ich sofort beantworten kann.

Fragen, für die es keine Antwort gibt.

?

Fragen, über die ich länger nachdenken muss.

 

 

  • Auch Fragen, die sofort zu beantworten sind, sind Fragen. Kinder wissen um den Wert der Fragen und finden Fragen an sich wichtig, auch wenn sie schon eine Antwort kennen.
  • Die letzte Entscheidung, welcher Kategorie die Frage zugeordnet wird, treffen die Kinder jeweils am Ende selbst. Dazu kann eine Beratung im Plenum möglich sein.
  • Die Gruppe überlegt dann gemeinsam, welche Fragen die interessantesten sind und welche Fragen vielleicht eher hinten angestellt werden können.
  • Die Bearbeitung der Fragen kann in der jeweiligen Unterrichtssequenz an ganz verschiedenen Stellen erfolgen, je nach Planung. Und diese Auseinandersetzung muss nicht immer nur im Gespräch allein erfolgen.
  • Auch ein Zugang über eine Gestaltung ist möglich und manchmal ist eine kreative Auseinandersetzung hilfreich, um Gedanken anschließend verbalisieren zu können. Theologisieren und Philosophieren lebt von der Auseinandersetzung mit den Gedankengängen anderer. Dazu gehört auch das Versprachlichen kreativer Prozesse.

 

Mit der Fragenschatzkiste arbeiten

Eine weitere Möglichkeit ist die Arbeit mit einer Fragenschatzkiste, wenn Kinder diese Art der Fragensammlung und der anschließenden Auseinandersetzung mit den Fragen kennen. Dafür gibt es im Klassenzimmer ein Behältnis. Die Kinder dürfen ihre Fragen dort einstecken. Dabei muss aber sicher sein, dass diese Fragen ihren Raum finden und in entsprechender Weise wert geschätzt und aufgegriffen werden.

Wenn die Fragenschatzkiste offen eingesetzt wird, werden Fragen auftauchen, die mehr oder weniger gut zu den geplanten Themen im Unterricht passen. Dadurch können zwar Fragestellungen ins Gespräch gebracht werden, mit denen sich Kinder schon in irgendeiner Weise beschäftigt haben. Gleichzeitig muss aber damit gerechnet werden, dass sich nicht so leicht Zusammenhänge mit den Unterrichtsthemen finden lassen.

Eine andere Möglichkeit ist, die Fragen der Kinder in dieser Kiste themenbezogen zu sammeln. Dadurch können die Arbeitsplanthemen unmittelbar an den Fragen der Kinder anknüpfen.

 

Durch theologische Gespräche Kinder zum Denken anregen

Nachdem die Kinder Fragen selbst formuliert haben, sollten sie die Möglichkeit erhalten, intensiver weiterzudenken, neue Themen in den Blick zu nehmen und sich mit Fragestellungen auseinanderzusetzen, die zunächst (noch) nicht unmittelbar in ihrem Denkhorizont liegen. Dafür eignet sich ein angeleitetes theologisches oder auch philosophisches Gespräch, das eine intensive Vorbereitung erfordert.

Die Arbeit mit der im Folgenden näher beschriebenen Gedankenlandkarte hat sich dabei als hilfreich erwiesen. Es bietet auch während des Gesprächs eine gute Orientierungsmöglichkeit und ermöglicht bei Bedarf eine zügige, präzise und weiterführende Impulssetzung.

 

Sich mit Hilfe einer Gedankenlandkarte vorbereiten

Die Gedankenlandkarte (mind map) ist ein sehr flexibles Werkzeug, das in vielen Bereichen des beruflichen Alltags eingesetzt werden kann. Es unterstützt gleichzeitig die systematisch-analytische sowie die intuitive Ideenfindung. Es eignet sich sehr gut für die Ideenentwicklung. Gedanken lassen sich leicht strukturieren und visualisieren. Neben der konkreten Unterstützung von Problemlösungen ist dieses Werkzeug auch hilfreich für die Vorbereitung von Gesprächen. Zusätzlich schärft das Arbeiten mit einer Gedankenkarte das Gedächtnis und erhöht das Konzentrationsvermögen.

Erfahrungsgemäß ist eine Gedankenkarte besonders gut geeignet, um sich auf eine philosophisch-theologische Einheit vorzubereiten. Eigene Reflexionen zum Thema lassen sich so allmählich – wie in einem Gespräch mit sich selbst – entwickeln und darstellen. Man kann verschiedenste Aspekte eines Themas oder einer Fragestellung übersichtlich zum Ausdruck bringen und mit unterschiedlichen Assoziationen verknüpfen. Im Normalfall geht der Erstellung einer Gedankenkarte ein freies Brainstorming voraus, aus dem sich dann die Haupt-Äste der Karte ergeben.

 

Leitfragen zur eigenen Orientierung

Bei der Vorbereitung einer theologisch-philosophischen Einheit kann man sich auf jeder Ebene der Gedankenkarte mit Leitfragen behelfen:

  • Um die Haupt-Äste zum gewählten Thema zu finden, fragt man sich, in welcher Hinsicht das Thema theologisch-philosophisch relevant ist und welche Begriffe hier eine Rolle spielen.
  • Die nächste Ebene der Gedankenkarte ergibt sich jeweils, wenn man sich überlegt, was der Haupt-Ast genau mit dem Thema zu tun hat. Auf jeder Ebene der Gedankenkarte können passende Impulsfragen für das Gespräch stehen.

Es empfiehlt sich, vor jeder, auch vor einer thematisch bereits durchgeführten theologisch-philosophischen Einheit eine neue Karte anzufertigen, denn auch die eigenen Gedanken verändern sich kontinuierlich und können in neuen Zusammenhängen erscheinen.

Hinweis: Ein Beispiel für eine Gedankenkarte kann im Internet unter der Adresse www.rpi-loccum.de/pelikan heruntergeladen werden.

 

Die Hebammenkunst erlernen

Die sogenannte „Hebammenkunst“ beginnt damit, dass Eltern oder Lehrpersonen auf die vielfältigen Fragen der Kinder nicht unmittelbar durch Antworten reagieren, sondern dem jeweiligen Kind durch einfaches Rückfragen die Gelegenheit geben, sich zuerst selbst etwas zu überlegen. „Wieso fragst Du mich das?“ oder „Ja, wie könnte es denn sein?“ oder „Was hast du dir denn schon dazu gedacht!“ wären z. B. oft die besseren Reaktionen als Kinder mit bequem konsumierbaren Antworten einzudecken. Mit solchen Rückfragen kann man erreichen, dass Kinder die eigene Denkfähigkeit entdecken, dass sie lustvoll ihre Phantasie einsetzen und selbst Antworten konstruieren. Dabei müssen diese Gedankenspielereien noch gar nicht der Weisheit letzter Schluss sein, es geht vielmehr darum, dass die Kinder sich überhaupt zutrauen, eigene Antworten auszudenken – gerade auch bei theologischen Fragestellungen.

Die große Kunst besteht sodann im Weiterfragen. Dies müssten – so meint Eva Zoller – Eltern, Erzieherinnen und Lehrpersonen tun. Mit dem Staunen fange die Philosophie nämlich nur an, wird schon in der griechischen Philosophie festgestellt. Sich anschließende „Hebammenfragen“, die gezielt von Erwachsenen formuliert werden, können bei Kindern Denkprozesse auslösen, die es ihnen ermöglichen, sich der Wahrheit dialektisch anzunähern (vgl. Zoller 2001).

 

Auf die Grundhaltung kommt es an …

Derartige Gespräche „ereignen“ sich oft unerwartet und situativ. Kinder brauchen deshalb Erwachsene, die ein Gespür für bedeutsame Fragen haben und überraschende Anlässe und Situationen zu nutzen wissen, um Kinder zum Denken, Fragen und Formulieren anzuregen. Dabei ist eine Grundhaltung unerlässlich, die durch Interesse und Offenheit gekennzeichnet ist. Es gilt zu vermitteln, dass nicht schnelle Antworten zählen, sondern dass der Prozess der Auseinandersetzung wesentlich ist.

Das Nachdenken von Kindern zu begleiten, heißt dabei nicht, Gespräche ziellos verlaufen zu lassen. Um Kindern gerade in Gruppen die Möglichkeit zu geben, durch das gemeinsame Gespräch eigenständige Gedanken entwickeln zu können, bedarf es der intensiven Vorbereitung und einer zielgerichteten Leitung.

Geplante philosophische und theologische Gespräche beginnen mit einem geeigneten Einstieg. Kinder brauchen Anregungen in Form von Situationen, Fragestellungen, Texten und Bildern, die ihre Vorstellungs- und Einbildungskraft herausfordern. Auch eine kreative Auseinandersetzung kann als Zugang dienen und Kinder zur weiteren Denkarbeit motivieren.

 

Im theologischen Gespräch Gott ins Spiel bringen

Philosophische Denkprozesse folgen gewissen Regeln und Grundmustern, die sich auf Logik und Klarheit stützen. Dazu kommt das spielerische Phantasieren und Konstruieren von Hypothesen und Vermutungen. Beides macht die Kreativität des Denkens aus. Grundsätzlich gilt das ebenso im theologischen Gespräch. Aber anders als im philosophischen Gespräch wird Gott ins Gespräch „gebracht“.

 

Gesprächsimpulse zur Entwicklung eines Gesprächs

Aufgabe der Pädagoginnen und Pädagogen ist es, die Denkprozesse der Kinder über Impulsfragen anzuregen und den Kreislauf des Denkens „Staunen – Fragen – Nachdenken – Zweifeln – Weiterdenken – Infragestellen“ in Gang zu halten. Das kann mit den folgenden „philosophischen Tätigkeiten“ gelingen, die auch für das theologische Gespräch gelten:

  • Hinterfragen
  • Begründungen einfordern
  • Beispiele erfragen
  • In Zweifel ziehen
  • Provozieren
  • Zusammenhänge herstellen

Gesprächsimpulse (Impulsfragen) müssen Kinder und Jugendliche zu diesen philosophischen Tätigkeiten herausfordern. Impulsfragen sind offen, fordern zu einer eigenen Stellungnahme heraus und helfen vorwiegend an dem Thema inhaltlich stringent weiterzudenken. Sie können sich thematisch-inhaltlich aus dem Gesprächsverlauf ergeben oder von der Gesprächsleitung eingebracht werden. Kinder brauchen Erwachsene, die ihre eigenen Antworten oder Antwortversuche ins Spiel bringen, sich von Kinderantworten zum Nachdenken anregen lassen und bereit sind, eigene Antworten zu überdenken. Gerade bei theologischen Gesprächen muss die Gesprächsleitung die eigene Haltung reflektieren und sicher sein, dass ein Gespräch in der nötigen Offenheit geführt werden kann.

Neben den inhaltlichen Impulsen gibt es die Möglichkeit, durch gezielte Frage-Kategorien die Entwicklung des Gesprächsverlaufs zu unterstützen. Im Folgenden werden hilfreiche Fragen aufgeführt. Eine umfangreiche Liste findet sich im Jahrbuch für Kindertheologie 5 (2006).

 

Weiterführende Fragen

  • Fragen, die zur Klärung führen
    - Was meinst du damit?
    - Verstehe ich dich richtig?
    - Kannst du ein Beispiel geben?
  • Fragen, die Voraussetzungen aufspüren
    - Ist das immer so?
    - Setzt du voraus, dass...?
  • Fragen, die Begründungen und Wahrheit aufspüren
    - Wie kommst du zu dieser Meinung?
    - Wie begründest du das, was du sagst?
  • Fragen über verschiedene Ansichten und Möglichkeiten
    - Sieht das jemand von einer anderen Seite?
    - Welche anderen Möglichkeiten gibt es?
  • Fragen, die Konsequenzen aufspüren
    - Wenn ... passieren würde, was würde dann daraus folgen?
  • Fragen über einzelne Fragen selbst
    - Kann man diese Frage auch noch anders formulieren?
    - Passt diese Frage noch zu unserem Thema?

 

Ein Beispiel:

„Warum haben Menschen Angst?“ –
Eine Gedankenkarte für die Arbeit in der Nachdenkwerkstatt

Eine der ersten Fragen in der Nachdenkwerkstatt von Grundschulkindern war die Frage „Warum haben Menschen Angst?“ Dazu hat sich über den Einstieg mit dem Bilderbuch „Die Kiste“ von Lorenz Pauli und Kathrin Schärer (Sauerländer Verlag) zunächst ein philosophisches Gespräch entwickelt.

Soll im Rahmen des Religionsunterrichtes die theologische Dimension ins Gespräch gebracht werden, kann in der Vorarbeit mit Psalmen und/oder einer biblischen Geschichte bereits ein theologischer Deuterahmen eingeführt werden. Es ist aber auch möglich, mit den Kindern zuerst über eine der beiden Zusagen nachzudenken und dann am Ende der Einheit zu Psalmen/biblischer Geschichte zu überlegen, was diese Zusage jeweils ganz konkret in der Situation bedeuten kann.

Die folgende Gedankenkarte kann eine Orientierung geben, welche Aspekte in der Vorbereitung zu bedenken sind. Je nach eigener Schwerpunktsetzung auf ein theologisches oder philosophisches Gespräch kann der konkrete Verlauf mit Hilfe der Karte begleitet und strukturiert werden. Bei einem theologischen Gespräch sollte die ausgewählte Zusage Gottes im Blick behalten werden.

 

Literatur

  • Bucher, Anton / Büttner, Gerhard (Hg.): Vielleicht hat Gott uns Kindern den Verstand gegeben. Ergebnisse und Perspektiven der Kindertheologie, in: Jahrbuch für Kindertheologie 5, Stuttgart 2006
  • Oberthür, Rainer: Die Seele ist eine Sonne. Was Kinder über Gott und die Welt wissen, Köln 42000
  • Zoller, Eva: Vom Philosophieren über das Mitdenken zum verantwortlichen Handeln; Referat für die Partizipationstagung der FH Basel, Nov. 2001

Text erschienen im Loccumer Pelikan 4/2012

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