Religiöse Bildung – ein Leben lang? Aspekte einer Theorie der religiösen Bildung

von Friedrich Schweitzer

 

Dass auch die religiöse Bildung ein Leben lang anhalten müsse, dafür steht schon die Forderung nach Lifelong Learning, wie sie heute beispielsweise in der Weiterbildung international vertreten wird. Häufig wird diese Forderung freilich nur funktional damit begründet, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zur Aufrechterhaltung ihrer Employability mit dem technologischen Wandel und den daraus resultierenden Anforderungen Schritt halten müssten. Aus lebenslang wird da leicht ein lebenslänglich!

Dass die Perspektive lebenslangen Lernens auch weit über ein bloß funktionales Denken hinausgehen kann und hinausgehen muss, zeigt jedoch bereits die ebenfalls seit längerem verfolgte Perspektive des Lifespan Development, durch welche die ursprünglich auf Kindheit und Jugendalter begrenzte Entwicklungspsychologie auf den gesamten Lebenslauf ausgeweitet wird. Damit verbunden ist die Einsicht, dass auch Erwachsene sich noch entwickeln (können). Religiöse Bildung ist hier freilich kaum einmal im Blick. Dabei kann gerade auf Anstöße aus der evangelischen Tradition verwiesen werden, die schon seit der Reformation auf eine lebenslange religiöse Bildung zielen.

So bezieht sich die EKD-Bildungsdenkschrift “Maße des Menschlichen” in diesem Zusammenhang zu Recht auf Martin Luther, für den gelte, “dass Christen ihr Leben lang hindurch ,Schüler des Katechismus’ bleiben sollten” (Maße des Menschlichen, 2003, 23). Verwiesen wird damit auf die Vorrede zum Großen Katechismus, in der sich Luther gegenüber einer Geringschätzung des Katechismus verteidigt: “Ich bin auch ein Doktor und Prediger, ja so gelehrt und erfahren, als die alle sein mögen, die solche Vermessenheit und Sicherheit haben… und muss ein Kind und Schüler des Katechismus bleiben und bleib’s auch gerne” (BSLK, 547f.).

Manche werden hier kritisch fragen, ob der Hinweis auf den Katechismus denn tatsächlich das Anliegen von Bildung einzulösen vermag. Die EKD-Denkschrift selbst erläutert nicht weiter, in welchem Sinne ein solches Lernen theologisch und pädagogisch verstanden werden kann. Im Folgenden möchte ich fragen, auf welche Aspekte oder Gründe man hier verweisen könnte. Dabei zeigt sich, dass es tatsächlich um ein allgemeines Problem religiöser Bildung geht, das zwar auch etwa die Erwachsenenbildung mit einschließt, aber zugleich weit über alle institutionellen Bildungsangebote hinausreichen muss.

An den Anfang stelle ich ein eindrückliches Beispiel aus der Geschichte evangelischen Bildungsdenkens. Danach sollen unterschiedliche Begründungs- und Deutungsmöglichkeiten für lebenslange religiöse Bildung aufgenommen werden.

 

Zum Beispiel Comenius: Das “gesamte irdische Leben ist eine niedere Schule”

Comenius, der große evangelische Reformpädagoge des 17. Jahrhunderts, hat seinem Bildungsdenken nicht nur die Vorsilbe “All-” (= Pan/Pampedia, Allerziehung) vorangestellt, sondern sein Bildungsverständnis auch konsequent auf den gesamten Lebenslauf bezogen. Die acht “Schulen” oder Lebensalter, die ihm zur Strukturierung des Lebenslaufs dienen – vom “vorgeburtlichen Werden” bis hin zur “Schule des Todes” – enthalten auf jedes Lebensalter bezogene spezielle religiöse Bildungsaufgaben. Leitend ist dabei die Perspektive, dass das “gesamte irdische Leben … eine niedere Schule” sei, “in der wir auf die ewige Academia vorbereitet werden” (Comenius, 21965, 419.421). Gelernt werden soll also für die Ewigkeit, im ganz wörtlichen Sinne. Das schließt ausdrücklich auch das “Nachdenken über den Tod” ein. Denn: “Gut zu sterben, das ist die Kunst der Künste” (ebenda, 427).

In jedem Lebensalter erwachsen religiöse Bildungsaufgaben sowohl aus den sich neu erschließenden Fähigkeiten, was Comenius bemerkenswerter Weise selbst für das Greisenalter noch bejaht, als auch aus den spezifischen Herausforderungen und Verantwortungsverhältnissen, in die sich der Mensch zu verschiedenen Lebenszeiten gestellt sieht. Die übergreifende Perspektive bleibt bei all dem aber die Menschwerdung des Menschen, die Comenius von Anfang an von dessen zu restituierender Gottebenbildlichkeit her versteht.

In Comenius finden wir, deutlich über Luther hinaus, den klassischen evangelischen Vertreter lebenslanger religiöser Bildung. Zu Recht wird aber immer wieder daran erinnert, dass Comenius trotz aller – scheinbaren – Modernität seiner Sichtweisen nicht einfach der Moderne zugerechnet werden kann. Denn sein Verständnis des menschlichen Lebenslaufs ist ebenso sehr kosmologisch begründet wie psychologisch. Dennoch lässt sich auch eine Kontinuität zu modernen Vorstellungen des menschlichen Lebenszyklus etwa in der Psychologie des 20. Jahrhunderts nicht übersehen.

 

Religiöse Bildung im Lebenszyklus

Vor allem in der Psychologie des 20. Jahrhunderts und hier insbesondere durch die weltweit beachteten Arbeiten Erik H. Eriksons seit den 1950er Jahren ist die herkömmliche Unterscheidung zwischen den Lebensaltern, die seit der Antike gleichsam ontologisch oder kosmologisch in der Gestalt fester Siebenjahresabschnitte vorgegeben schien, durch das modern-psychologische Bild des menschlichen Lebenszyklus abgelöst worden. Die Verwandtschaft zwischen dem auf die Antike zurückgehenden Modell und dem bei Erikson gebotenen Bild des Lebenszyklus mit seinen acht “Ages of Man” ist trotzdem noch deutlich erkennbar (vgl. Erikson, 21974, sowie Schweitzer, 62007). Neu ist hingegen der Versuch, die Lebensalter auch empirisch zu untersuchen.

Daneben bot aber auch weiterhin die geisteswissenschaftliche Tradition, wie sie ebenfalls in den 1950er Jahren etwa bei Magdalene von Tiling in der evangelischen Pädagogik (vgl. Tiling, 21956) oder bei Romano Guardini (Die Lebensalter, o.J.) in der katholischen Pädagogik vertreten wird, viel beachtete Perspektiven für die religiöse Bildung im Lebenslauf. Gemeinsam ist allen diesen Modellen die Einsicht, dass es mit den Lebensaltern verbundene, jeweils spezifische Fragen, Orientierungsbedürfnisse und Herausforderungen gibt, die immer wieder neu nach religiöser Bildung verlangen. Vor allem das Jugendalter trat nun zunehmend ins Zentrum des Interesses. Die in der Ablösung vom Kinderglauben neu zu findende, etwa bei Erikson stets religiös oder weltanschaulich mitbestimmte Lebensperspektive bezeichnet seither das auf die Identitätsbildung bezogene, für die Religionspädagogik vielfach als entscheidend angesehene Bildungsproblem. In der Gegenwart treten demgegenüber, auch aufgrund der demografischen Entwicklung, verstärkt die auf das höhere Alter bezogenen Bildungsaufgaben ins Bewusstsein.

Schon Friedrich Schleiermacher hatte in seiner Rede über die “Bildung zur Religion” (1799) die religionsproduktive Bedeutung des Lebenszyklus und der mit diesem verbundenen Erfahrungen hervorgehoben: “Es gibt in dem Verhältnis des Menschen zu dieser Welt gewisse Übergänge ins Unendliche, durchgehauene Aussichten, vor denen jeder vorübergeführt wird, damit sein Sinn den Weg finde zum Universum, und bei deren Anblick Gefühle erregt werden, die zwar nicht unmittelbar Religion sind, aber doch, dass ich so sage, ein Schematismus derselben … Geboren werden und Sterben sind solche Punkte, bei deren Wahrnehmung es uns nicht entgehen kann, wie unser eigenes Ich überall vom Unendlichen umgeben ist, und die allemal eine stille Sehnsucht und eine heilige Ehrfurcht erregen” (Schleiermacher, 61967, 111f.).

Demnach ist religiöse Bildung deshalb ein lebenslanger Prozess, weil das Leben immer wieder neue Erfahrungen und Herausforderungen mit sich bringt, mit denen das religiöse Verständnis und die religiösen Orientierungsmöglichkeiten des Menschen Schritt halten müssen. Wo eine solche religiöse Bildung als lebensbezogene Um- oder Neuorientierung fehlt, bleibt Religion gleichsam zurück mit früheren Lebensstufen, beispielsweise mit der Kindheit, und folglich ohne aktuelle Bedeutung für die Lebensgegenwart. Zugleich enthält der Lebenszyklus mit seinen Herausforderungen aber auch besondere Chancen und Möglichkeiten für eine Bildung im Verhältnis zur Transzendenz – zum “Universum”, wie der junge Schleiermacher sagt – und damit zu einem vertieften und bewussteren Leben und Erleben.

Kennzeichnend für den Aspekt lebenszyklischer Bildungsbedürfnisse ist eine gewisse Vorhersehbarkeit der Lebensalter – gelegentlich hat man dies als die Normativität bestimmter Lebenskrisen angesprochen –, so dass sich die religiöse Bildung ebenso situativ und aktuell wie vorbereitend darauf beziehen kann. Für das höhere Alter beispielsweise stellt sich die Frage der menschlichen Endlichkeit in erwartbarer Weise, eben weil das Ende des Lebens nun mehr und mehr sowie ganz unvermeidlich in den Blick kommt.

Eine solche Erwartbarkeit ist aber im menschlichen Leben angesichts vielfacher Kontingenzerfahrungen nicht in jeder Hinsicht gegeben.

 

Kontingente Lebensereignisse als Motor der religiösen Bildung

Die religionsproduktive Bedeutung kontingenter, also nicht vorhersehbarer und unerwartet eintretender Lebensereignisse ist bekannt. Insbesondere gilt dies für negative Erfahrungen von Verlust, Krankheit, Sterben und Tod, aber es gilt auch für positive Erlebnisse wie Heirat oder die Geburt eines Kindes. Religiöse Fragen und Zweifel bis hin zur Theodizee-Problematik werden von Negativerfahrungen bekanntlich schon für Kinder und Jugendliche aufgeworfen. Umgekehrt sind freudige Ereignisse wie Geburt, Liebe oder auch die Errettung aus der Not, beispielsweise in der Gestalt einer Gesundung nach schwerer Krankheit, Anlass für Freude und Dank auch in religiöser Hinsicht.

Die Literatur ist von solchen Erfahrungen und Fragen durchzogen. Eines der bekanntesten Beispiele aus neuerer Zeit ist etwa Eric-Emmanuel Schmitts “Oskar und die Dame in Rosa” (Zürich 122003). Interessant ist dieses Buch sowohl im Blick auf das religiös fragende, suchende und hier tatsächlich findende Kind als auch hinsichtlich der erwachsenen Leser, die sich diesem Autor zufolge wohl an der “Dame in Rosa”, die Oskar einen Weg zur religiösen Lebensdeutung auch angesichts von Leiden und Sterben zeigt, ein Beispiel nehmen könnten.

Bildungsaufgaben kommen auch in diesem Falle in verschiedenen Hinsichten in den Blick. Zu denken ist in erster Linie etwa an Selbsthilfegruppen Betroffener, die auch Bildungsaufgaben wahrnehmen können. Daneben gibt es präventive Aspekte, etwa wenn solche Krisen zum Thema religiöser Bildungsarbeit gemacht werden – angefangen beim Religionsunterricht der Schule bis hin zur Erwachsenenbildung. Noch zu wenig im Blick sind hingegen die mit positiven Kontingenzerfahrungen verbundenen Bildungsmöglichkeiten. Böten nicht auch die Erfahrungen junger Eltern die Chance für ein religiös bewussteres Leben und Erleben?

Biographiebezogene Bildungsangebote für Erwachsene schließen häufig die Auseinandersetzung mit kontingenten Lebensereignissen ebenso ein wie die allgemeinere Frage nach Sinn in der Lebensgeschichte. Schon Erikson hat solche Fragen, vor allem mit der letzten, bei ihm mit dem hohen Alter verbundenen Lebenskrise der “Integrität” als Suche nach Ganzheit und Weisheit, ins Zentrum gestellt. Diese Fragen können jedoch nicht auf nur eine Lebensphase begrenzt werden.

Bei allen solchen Fragen spielen immer auch Fähigkeiten der religiösen Deutung und Selbstdeutung eine wichtige Rolle. Sie bezeichnen deshalb eine weitere religiöse Bildungsaufgabe im Lebenslauf.

 

Religiöse Entwicklung: Ausbildung von Reflexions- und Deutungsfähigkeit

Der Verweis auf religiöse Entwicklung kann unterschiedlich gemeint sein, zum einen im Sinne der Entwicklungspsychologie, zum anderen in einem religiösen oder theologischen Sinne. Beide Verwendungsweisen finden sich beispielsweise im Werk von James W. Fowler.

Die Verbindung zwischen einer entwicklungspsychologisch ausgelegten Psychologie der Lebensspanne einerseits und der Religionspsychologie andererseits ist das kennzeichnende Merkmal und die entscheidende Leistung von Fowlers zum Klassiker avancierten Buch “Stufen des Glaubens” (1991). Hier wird, dem Vorbild Jean Piagets und Lawrence Kohlbergs folgend, die neuere Entwicklungspsychologie auf die religiöse Entwicklung übertragen. In diesem Sinne werden psychologische “Stufen” der religiösen Entwicklung oder des Glaubens herausgearbeitet, mit Hilfe eines kombinierten Verfahrens zwischen theoretischer Konstruktion und qualitativ-empirischer Forschung. Das Grundverständnis der sich – dieser Theoriekonstruktion zufolge – in qualitativ unterschiedenen Stufen vollziehenden Entwicklung basiert auf der mehrdimensional rekonstruierten Ausbildung von religionsbezogener Reflexions- und Deutungsfähigkeit. Häufig wird zu Recht auf die Missverständlichkeit der Rede von “Stufen” hingewiesen (Fowler, 1991), aber die religionspädagogische Grundfrage nach der Ausbildung von Reflexions- und Deutungsfähigkeit, um die es mir hier geht, ist natürlich nicht von diesem Begriff abhängig. Der Weg von einem kindlichen Glauben zu einem religionsbezogenen Denken in Komplementarität und Universalität bleibt eine Aufgabe religiöser Bildung im Lebenslauf.

Auch wenn Fowlers entwicklungspsychologisches Modell seit seiner ersten Publikation vor 30 Jahren eine in vieler Hinsicht auch kritische Diskussion ausgelöst hat, steht dessen grundlegende Bedeutung doch außer Zweifel (vgl. Streib, 2003). Die entwicklungspsychologische Rekonstruktion der religiösen Entwicklung folgt sozialwissenschaftlichen, möglichst inhaltsneutralen Konstruktionsprinzipien und Mustern. Insofern soll es die verschiedenen Religionen und Weltanschauungen übergreifen. Daneben findet sich aber bei Fowler auch eine ausgesprochen religiöse oder theologische Interpretationslinie, die er in anderen, in Deutschland weniger bekannt gewordenen Büchern dargestellt hat, etwa über “Erwachsenwerden – Christ werden” oder über “Faithful Change” (Fowler, 1984 und 1996). Dabei tritt als theologische Frage und Perspektive hervor, wie das Erwachsenwerden so gestaltet werden kann, dass es einem christlich gefassten Verständnis menschlicher Reifung entspricht. Fowler beruft sich dabei auf den u.a. von Martin Luther stammenden Begriff der “Berufung” als einer Lebensperspektive, der der Mensch gerecht werden soll, was bei Fowler dann zum Beispiel auch im Bezug auf die Herausforderungen von Postmoderne und Globalisierung diskutiert wird.

Im Blick auf religiöse Bildung enthalten entwicklungsbezogene Darstellungen demnach eine doppelte Aufgabenstellung: Zum einen geht es um die allgemeine Begleitung der psychologisch verstandenen religiösen Entwicklung, die ähnlich wie beim lebenszyklischen Wandel darauf zielen muss, Religion und die Entwicklung im Lebenslauf konstruktiv miteinander zu verbinden, beispielsweise die kritische Reflexionsfähigkeit im Sinne philosophischen oder naturwissenschaftlichen Denkens auf der einen und den Schöpfungsglauben auf der anderen Seite. Bei Fowler geht es zum anderen um eine Bildung im Glauben, verstanden als Christwerden oder, allgemeiner formuliert, als bildungsbezogene Unterstützung von Menschen, die nach Möglichkeiten suchen, ihr Leben in Entsprechung zu ihrem Glauben zu gestalten.

Dies führt zurück zu Martin Luther und damit zu weiteren theologischen Aspekten.

 

Im Leben Glauben lernen – als immer wieder neue Aufgabe

Es ist nicht zu übersehen, dass sich Luther bei seiner Forderung, “ein Kind und Schüler des Katechismus” zu bleiben, kritisch und geradezu spitz gegen die Verächter einfacher Glaubenseinsichten wendet. Es geht für ihn um weit mehr und anderes als Auswendiglernen oder Kompetenz im Katechismuswissen. Was das Lernen immer wieder neu herausfordert, sind die großen Fragen des Lebens und Glaubens, auf die sich der Katechismus bezieht. Wer meint, die elementaren Fragen des Lebens und Glaubens ein für allemal hinter sich gelassen und in dieser Hinsicht längst ausgelernt zu haben, unterliegt demnach einer tiefen Selbsttäuschung. Existenzielle Bildung kennt kein Ende, eben weil das Leben nicht aufhört, Fragen aufzuwerfen.

Darüber hinaus besteht hier eine innere Verbindung zwischen der Notwendigkeit, religiöse Bildung als eine auf das ganze Leben immer wieder neu zu beziehende Aufgabe zu verstehen, und der Eigenart des christlichen Glaubens selbst – als Beziehung zu dem Gott, der dem Menschen “wunderbar” bleibt und “wunderbar” bleiben muss, weil er alles menschliche Begreifen übersteigt: “Diese Erkenntnis ist mir zu wunderbar und zu hoch, ich kann sie nicht begreifen”, heißt es schon in den Psalmen (Ps 139,6).

Anders formuliert geht es darum, dass religiöse Bildung es mit einem Gegenstand und mit Fragen zu tun hat, die eben deshalb Grundfragen des Lebens und Glaubens zu heißen verdienen, weil sie sich niemals abschließend beantworten lassen, zumindest nicht vor dem Ende aller Zeiten. Solche Fragen geben immer wieder neu zu denken, zu zweifeln und zu suchen. Exemplarisch wird dies sichtbar bei der Theodizee-Frage, auf die es bekanntlich keine letzte Antwort gibt. Es gilt aber ebenso für die mit jedem Leben zu jeder Zeit verbundenen Frage nach dem Woher und Wohin unseres Lebens und unserer Existenz.

In Luthers Verständnis zeichnet sich der Katechismus genau dadurch aus, dass er durchweg auf solche Grundfragen bezogen ist. Für heutige Menschen ist dies nicht mehr ohne weiteres nachvollziehbar, weil sie ihre eigenen Fragen in den Katechismusformulierungen des 16. Jahrhunderts nicht wiedererkennen. Insofern kann es nicht darum gehen, nun eine das ganze Leben lang anhaltende religiöse Bildung einfach auf den herkömmlichen Katechismus zu beziehen oder Bildung auf Katechese zu verkürzen. Von bleibender Bedeutung ist jedoch die Einsicht, dass eine solche religiöse Bildung sich als Aufgabe aus dem Glauben selbst ergibt. Der Glaube hat es notwendig mit Fragen und Herausforderungen zu tun, die sich das ganze Leben hindurch immer wieder neu stellen, und die Antworten des Glaubens bleiben “wunderbar” – lösen wiederum Fragen aus, nicht zuletzt angesichts der anhaltenden Veränderungen im Leben.

So greifen die verschiedenen Aspekte, die in diesem Beitrag aufgenommen wurden – die unterschiedlichen human- und sozialwissenschaftlichen Perspektiven auf Lebenslauf und Lebenszyklus sowie die theologische Deutung – am Ende ineinander. Sie ergeben ein mehrdimensionales Bild und ein ebenso mehrdimensionales Verständnis von religiöser Bildung – ein Leben lang.

 

Literatur

  • Comenius, J.A. (21967), Pampedia. Lateinischer Text und deutsche Übersetzung, hg. Von D. Tschižewskij, Heidelberg.
  • Guardini, R. (o.J.), Die Lebensalter. Ihre ethische und pädagogische Bedeutung, Würzburg.
  • Erikson, E.H. (21974), Identität und Lebenszyklus. Drei Aufsätze, Frankfurt a. M.
  • Fowler, J.W. (1984), Becoming Adult, Becoming Christian. Adult Development and Christian Faith, San Fancisco.
  • Fowler, J.W. (1991), Stufen des Glaubens. Die Psychologie der menschlichen Entwicklung und die Suche nach Sinn. Gütersloh.
  • Fowler, J.W. (1996), Faithful Chance. The Personal and Public Challenges of Postmodern Life, Nashville.
  • Rat der EKD (2003), Maße des Menschlichen. Evangelische Perspektiven zur Bildung in der Wissens- und Lerngesellschaft, Gütersloh.
  • Schleiermacher, F. (61967), Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern, hg. v. R. Otto, Göttingen.
  • Schmitts, E.-E. (122003), Oskar und die Dame in Rosa, Zürich.
  • Schweitzer, F. (62007), Lebensgeschichte und Religion. Religiöse Entwicklung und Erziehung im Kindes- und Jugendalter, Gütersloh.
  • Streib, H. (2003), Faith Development Research at Twenty Years, in: R.R. Osmer / F. Schweitzer (hg.), Developing a Public Faith: New Directions in Practical Theology. Essays in Honour of James W. Fowler, St. Louis.
  • Tiling, M.v. (21956), Wir und unsere Kinder. Eine Pädagogik der Altersstufen für Eltern und Erzieher in Heim und Schule (1955), Stuttgart.

Text erschienen im Loccumer Pelikan 4/2010

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