Kirchenpädagogische Erkundungen, Projekte und Kirchenführungen eröffnen Schülerinnen und Schülern sowie Erwachsenen unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit die Möglichkeit, Kirchenräume in ihrer Vielseitigkeit kennen zu lernen. Dabei werden die Inhalte des christlichen Glaubens bekannt gemacht. Gleichzeitig ergibt sich bei Dialogen die Gelegenheit, Vorurteile auszuräumen und neue Wege zwischen Kirche und Gesellschaft, Religion und Kultur sowie Kirche und Schule aufzuzeigen. Die Beispiele dieses Beitrags bieten Anregungen für eine subjektorientierte kirchenpädagogische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in der Gemeinde und im Religionsunterricht.
Kirchen als Räume der Begegnung zwischen Gott und den Menschen überdauern die Zeiten. Seit jeher werden sie für die Ewigkeit geplant, gebaut, kunstvoll im Stil ihrer Zeit gestaltet und später den Erfordernissen der Gegenwart entsprechend verändert. Auch heute schaffen herausragende Künstler Werke in Kirchen, die nachfolgenden Generationen Zugänge zu Fragen der heutigen Zeit eröffnen können.
Ein Beispiel dafür sind die Glasfenster der Elisabethkapelle im Naumburger Dom. Der Leipziger Maler Neo Rauch erhielt für diese Arbeit den diesjährigen Preis der Stiftung Bibel und Kultur. In seinem vielbeachteten Kunstwerk stellt der renommierte Künstler Szenen aus dem Leben der heiligen Elisabeth dar, die bei Betrachterinnen und Betrachtern Assoziationen zur Parallelwelt beider deutscher Staaten im 20. Jahrhundert hervorrufen. Beim Anschauen der roten Glasfenster erkennen Kunstkenner ein Handeln aus Barmherzigkeit aus der westdeutschen und der sozialistischen Alltagskultur. Hier wird die heilige Elisabeth erkennbar zur Repräsentantin jüngster deutscher Geschichte, und doch bleibt sie wirkungsvoll überzeitlich in ihrer tätigen Nächstenliebe.
Noch deutlicher ist der Anspruch an die Überzeitlichkeit im John-Cage-Orgel-Kunst-Projekt in Halberstadt. Seit dem Jahr 2000 erklingt in der 1000-jährigen Burchardikirche das längste Orgelstück der Welt, das der New Yorker Künstler und Philosoph John Cage komponierte. Absichtsvoll wird hier mittels der Musik das Bewusstsein der Zuhörenden geschärft für ein Dasein weit über den eigenen Zeithorizont hinaus. Dem Willen des Komponisten entsprechend soll dieses Musikstück bis zum Jahr 2639 aufgeführt werden, was nur gelingen kann, “so lange es Frieden und Kreativität in künftigen Generationen gibt” (John Cage).
Beide Kunstprojekte repräsentieren auf ihre Art das religiöse Leben unserer Zeit und verdeutlichen die Anstrengungen von Christinnen und Christen für Frieden in unmittelbarer Vergangenheit und in der Zukunft. Die Bilder im Naumburger Dom erinnern an die Überwindung einer gewaltsamen Trennung, das längste Orgelstück der Welt wächst schon zehn Jahre als "musikalisches Apfelbäumchen”, einem Symbol für das Vertrauen in die Zukunft.
Kirchen ziehen mit ihren herausragenden Kunstwerken Besucherinnen und Besucher aus aller Welt an. Sie zeigen, dass sie mit ihrer exponierten Gestalt und der friedenstiftenden Kernaussage des Christentums “Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst” (Mt 19,19) weit über Naumburg und Halberstadt hinaus Ausgangspunkte für ein Nachdenken über Gewaltfreiheit und Frieden sein können. Als prägende Wahrzeichen einer Stadt mit ihren Türmen und ihrer gesamten Außenwirkung haben Kirchengebäude eine herausragende, zentrale Position. Mit der inneren Erwartungshaltung, dass Kirchen besondere Orte sind und mit einer “höheren Wahrheit” in Verbindung stehen, kommen auch viele Schülerinnen und Schüler zu Projekttagen. Die Erfahrung zeigt: Junge Menschen erwarten an diesem Ort von anderen Menschen eine aufrichtige, wahrhaftige Lebenshaltung. Ein Zehnjähriger stellte bei einer Erkundung voll Überzeugung fest: “In Kirchen lügt man nicht!” Außerdem kennen Lehrerinnen und Lehrer die Erfahrung, dass junge Menschen sich an diesen außerschulischen Lernorten gegenseitig mit mehr Wertschätzung als sonst im Schulalltag begegnen. Vielleicht nehmen sie unbewusst den Kirchenraum als Schutzraum wahr? Zudem begegnen sich junge Menschen hier mit besonderem Respekt und hören einander aufmerksam zu, teilen sich das eigene religiöse Erleben gegenseitig mit, unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit. So kann es geschehen, dass sich eine bisherige Angst vor fremden Religionen verliert. Projekttage, in denen Schülerinnen und Schüler unterschiedlicher Religionen und Konfessionen in Kirchen kommen, bieten eine besondere Gelegenheit zum Dialog zwischen den Religionen. Für viele Schülerinnen und Schüler mit anderen religiösen Hintergründen kann sich eine kirchenpädagogische Erkundung auf spätere interreligiöse Begegnungen sehr positiv auswirken. Aus diesem Grund sollte Projekttagen mit ihrer nachhaltigen Wirkkraft weiterhin besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden.
Gewaltfrei werben für die Schönheit eines Lebenskonzepts
Wir leben in einer Zeit großer Veränderungen. Menschen fragen wieder nach dem Glauben. Auf der Suche nach Sinn kommen viele Suchende an tradierte Orte wie Kirchenräume, um sich umzuschauen, still zu werden oder um sich mit anderen Menschen an diesen besonderen Plätzen auszutauschen. Kirchenpädagoginnen und Kirchenführern kommt hier eine wichtige Vermittlerfunktion zu. Mit Sachkompetenz geben sie gern etwas von der spirituellen Quelle weiter, aus der sie selbst Kraft schöpfen. So kann es bei einem intensiven Meinungsaustausch geschehen, dass sich distanzierte Menschen wieder für das Christentum interessieren. Die Greifswalder Studie (epd-Dokumentation 2009) weist hin auf die Bedeutung von persönlichen Kontakten mit engagierten Christinnen und Christen bei der Hinwendung zum christlichen Glauben.
Fulbert Steffensky rechnet Kirchenpädagogik zu den missionarischen Aufgaben der Kirche der Gegenwart: “Es ist ein Stück Mission – Christen erklären anderen, welche Schätze sie haben und was sie lieben und woran sie glauben. Mission heißt nicht, darauf aus sein, dass alle anderen unseren Glaubensweg gehen. Es gibt andere Wege des Geistes und andere Dialekte der Hoffnung als unsere eigenen. Die alte Gefahr des Christentums war die Arroganz der Einzigartigkeit: Ohne uns gibt es kein Heil und keine Rettung. Die neue Gefahr der Kirche könnte die Undeutlichkeit sein … Mission ist die gewaltlose Werbung für die Schönheit eines Lebenskonzepts.” (2006, 74)./ Was bedeutet das für den kirchenpädagogischen Alltag? Die Erfahrung zeigt, dass Touristen und Schülerinnen und Schüler beim Besuch von Kirchenräumen meist zu wenig von der Vielfalt gelebten Christentums in der Gegenwart kennen lernen. Diakonische Initiativen in der Region und weltweite Partnerschaftsprojekte verdienen noch mehr Aufmerksamkeit und Wertschätzung als bisher. Über Grenzen und Kontinente hinweg ist das traditionelle Netzwerk von Christen lebendig, Hilfsprojekte bezeugen das Teilen von Christen untereinander. Übergriffe von Missionaren in Kolonialzeiten wurden längst offen gelegt, an vielen Orten ist der Weg frei geräumt für ein herzliches, beide Seiten bereicherndes Verhältnis, wie z. B. zwischen den Herero aus Namibia und der Kirchenleitung auf der Synode der EKD 2004. Partnerkirchen leben heute eine geschwisterliche Beziehung auf Augenhöhe und setzen bewusst Zeichen gegen einen Trend, die Menschenwürde wirtschaftlichen und machtpolitischen Interessen zu opfern.
Wenn eine Orientierung gebende Lebenshaltung von Christinnen und Christen in Kirchenräumen nicht überzeugend sichtbar ist, bleibt kirchenpädagogischen Fachkräften nur der Verweis auf baugeschichtliche und kunsthistorische Fakten, die sich meist auf die Vergangenheit beziehen. Deshalb legen Ausbildungen und Fortbildungen für kirchenpädagogische Fachkräfte großen Wert darauf, ehrenamtlich Tätige zu befähigen, ihre Gemeinden mit einem wachen Blick auf die Aussagekraft ihrer Kirchenräume zu unterstützen. Das trifft auch auf die Schwerpunktwahl bei Führungen und Projekten zu. Biblische Geschichten gehören mit dazu, aber auch Erzählungen und ein Nachdenken über mutige Persönlichkeiten unserer Zeit, wenn es dafür konkrete Bezüge im Kirchenraum gibt.
Orte des Erinnerns und Gedenkens
Kirchenräume erinnern in ihrer Ausstattung und mit den Farben des Kirchenjahres an das Leben, Sterben und Auferstehen Jesu. Wir erinnern uns an ihn und erinnern uns auch an jene Menschen, die sich vor uns an ihm orientierten. So sind Kirchen immer Orte des Erinnerns und Gedenkens. Jahrhundertelang haben Menschen ihre Spuren hinterlassen. Manchmal sind Kirchen mit Dingen vergangener Generationen ausgestattet, die gegenwärtigen Bedürfnissen im Wege stehen. Ursache dafür kann das besondere Interesse für Ereignisse und Gegenstände sein, die kunsthistorisch wertvoll, in ihrer Bedeutung für ein christliches Leben nach gegenwärtigen Maßstäben aber eher zweitrangig sind. Eine Bereicherung für die ganze Gemeinde kann die bewusste Auseinandersetzung mit umstrittenen Personen unter dem Aspekt der Zustimmung oder der nötigen Distanz aus heutiger Sicht sein.
Kindern Raum geben
Auf ungewöhnliche Weise können sich Kinder in der Göttinger Fußgängerzone beschäftigen: Auf der Südseite der Jakobikirche lädt ein Spielplatz ein zum Klettern und Toben. Im Schutz alter Bäume und mittelalterlicher Kirchenmauern können Kinder in der City sehr entspannt miteinander spielen. Eine gelungene Kooperation von Stadt und Kirche hat diesen Spielplatz ermöglicht. Andere Kirchengemeinden stellen Körbe mit Kinderbüchern bereit zum Ausleihen während des Gottesdienstes oder Erkundungsbögen für Interessierte zum Anschauen oder Mitnehmen, wie in der Marktkirche Hannover. In größeren Kirchen, z. B. in der St. Martinskirche in Nienburg oder in der St. Blasiuskirche in Münden, laden Kinderecken mit passenden Materialien zum Spielen ein. In diesen Kirchenräumen fühlen sich Kinder schnell angesprochen und eingeladen. Dazu sind Angehörige von Willkommensgruppen gern bereit, auf Kinderfragen einzugehen. In diesen Ecken präsentieren sich mancherorts der Kinderchor, die Krabbelgruppe oder das Kindergottesdienstteam mit Fotos. So kann jede Gemeinde auf ihre Weise mit zur Beheimatung von Kindern in Kirchenräumen beitragen.
Hörbare und sichtbare Wahrzeichen
Türme sind Wahrzeichen und immer Anziehungspunkte, ob Leuchttürme an den Küsten oder Aussichtstürme auf Bergen und in freier Landschaft. Hinzu kommen Kirchtürme, die Glocken als großartige Musikinstrumente tragen. Seit Jahrhunderten breitet sich der Zauber dieser besonderen Musik von Kirchtürmen aus – über Dächer und Landschaften. Zum Schutz gegen das Böse sollten Glocken einst ihren Klangteppich über heilige Räume legen und Himmel und Erde miteinander verbinden. Später hieß es:"Was Worte nicht sagen können, tut die Musik, und was Musik nicht ausdrücken kann, bringen Glocken dem Herzen nahe." (Kramer 2006, 30). Auch heute hören lärmgewohnte Kinder aufmerksam auf den Klang der Glocken, wenn sie bei kirchenpädagogischen Erkundungen dazu angeleitet werden. Angerührt von diesem besonderen Ereignis öffnen sie sich für einen Klang, der ihren Alltag übersteigt. Deshalb integrieren kirchenpädagogische Fachkräfte dieses besondere Hörerlebnis bewusst in den Ablauf der Veranstaltung und lassen genügend Zeit auch für den Augenblick der Stille danach. Übungen mit Klängen, Zimbeln, Klangschalen, Glocken aus unterschiedlichen Kulturen gehören erfahrungsgemäß mit zu den eindrücklichsten Erlebnissen eines kirchenpädagogischen Projekttages. Glockenklängen wird heute mehr Beachtung geschenkt als noch vor einigen Jahren. Beispielhaft dafür steht die Begebenheit mit Prof. Dr. Christian Pfeiffer, der in der gefüllten Marktkirche von Hannover unerwartet seinen Vortrag für fünf Minuten unterbrach, um gemeinsam dem Klang des Abendläutens zuzuhören.
Eine andere Attraktion für Besucherinnen und Besucher in der Höhe ist ein Abstecher über das Kirchengewölbe. Historische Dachwerke sind oft unvergessliche Zeugnisse alter Zimmermannskunst und bleiben schon mit ihrem besonderen Geruch in Erinnerung.
Historische Primärquellen unter der Erde
Im Mittelalter war es üblich, Geistliche und wohlhabende Bürger in Grüften unter dem Kirchenboden zu bestatten. Ursprünglich bestattete man Verstorbene mit dem Gesicht nach Osten, dem Sonnenaufgang zugewandt in Erwartung der Auferstehung. Später verlor sich dieser Grundsatz aus Platzmangel in gemauerten Familiengrüften. In einigen Kirchen gibt es noch Grüfte unter dem Kirchenboden, in denen ein natürliches Belüftungssystem die Verwesung der Verstorbenen verhinderte. Eine Attraktion ganz ungewöhnlicher Art ist an solchen Orten das respektvolle Öffnen eines Sarges. Verstorbene aus dem 17. Jh. in voller Kleidung und mit ihrem verstorbenen Hund zu Füßen sind ein unvergesslicher Anblick bei einer Extra-Führung. Solche Befunde unter dem Kirchenboden sind historische Primärquellen. Diese einzigartigen Zeugnisse werden heute immer öfter als besonderer Schatz von der Gemeinde für die interessierte Öffentlichkeit angeboten. Wer hat heute noch Originale dieser Größenordnung an Originalplätzen? Und Gemeindeleitungen setzen mit der würdevollen Präsentation ihrer originalen Fundorte auch Maßstäbe für den Umgang mit dem Leben, den Tod eingeschlossen.
Kirchenpädagogische Werkstätten
Der Reiz des Lernens an authentischen Orten und am Original kann nicht hoch genug bewertet werden. In Museen baut man Inszenierungen um ein Original, damit der Zauber des kostbaren Stückes und seine historische Bedeutung auf diese Weise noch deutlicher hervorgehoben werden. Auch Kirchen sind “authentische Orte”. Sie werden heute noch genutzt, wofür man sie einst baute. Als Orte des Erinnerns, Gedenkens und Versöhnens bieten sie eine Fülle von Anregungen zur Auseinandersetzung mit der Geschichte und dem eigenen Handeln in der Gegenwart. Besonders attraktiv ist dieses Lernen in Kirchenräumen für Projekte zwischen Kirche und Schule:
Die “Geschichte der Spender” veranschaulicht z. B. Hannelore Saatzen, ehrenamtlich Beauftragte für Kirchenpädagogik im Sprengel Stade, in einem eindrucksvollen Projekt für die Grundschule in der evangelischen Kirchengemeinde in Achim-Baden.
Leistungskurse von Gymnasien und Konfirmandengruppen können in Kirchenräumen und Kirchenbüchern nach Vorbildern oder Menschen in der Gemeinde forschen, denen eine angemessene Wertschätzung bisher vorenthalten wurde. Gab es z. B. Christinnen und Christen jüdischer Herkunft in der Gemeinde, die den Holocaust nicht überlebten? Wie verhielt sich die Gemeinde? Was geschah mit ihrem Eigentum? Wie kann Versöhnung mit Nachkommen gestaltet werden, wenn diese sich überhaupt zu erkennen geben? Gespräche mit Zeitzeugen bringen ans Licht, welche Verfolgung deutsche Spätaussiedler aus Russland erlitten und wie es ihnen heute in Deutschland geht. Gab es Menschen, die durch die Willkür der DDR-Staatsmacht zu Schaden kamen? Wie kann auch da Versöhnung gestaltet werden? Die Projektergebnisse können Zeitzeugen und Fragende angemessen zusammen im Kirchenraum vorstellen.
- Bei kirchenpädagogischen Projekten kann der differenzierte Umgang mit originalen Zeugnissen der Geschichte den Blick auch für die Gegenwart schärfen. Ein Beispiel dafür gibt es im Böderkersaal unter der Marktkirche in Hannover auf Geschichtstafeln aus der Zeit des 30-jährigen Krieges: Kinder lieben die Beschäftigung mit diesen alten Aufschriften. Sie buchstabieren dann: “Heizo Meelbaum 38 – Statz Hemminck 56 – Tonnies Grambart 27 – Michael Abelman 27,” Männernamen hannoverscher Bürger mit Altersangaben, die “Anno Christi 1632: D 23 Iulij” ums Leben kamen bei der Verteidigung Hannovers. Viele Menschen in Hannover kennen diese Namen von Straßennamen her. Die Altersangaben auf den Tafeln ermöglichen einen lebendigen Vergleich mit dem Leben der Väter, Brüder oder Großväter und geben Anlass zum Nachdenken über Tod, Leben, Krieg und Frieden.
- Das Projekt “Versöhnungsweg” aus Kehl am Rhein ist ein ökumenisches Projekt einer grenzüberschreitenden Arbeitsgruppe der Straßburger und Kehler Kirchen mit einem biblischen Garten als Ort des Friedens am Rheinufer und gibt umfangreiche Anregungen für Jugendliche (s. Literaturverzeichnis).
- Die jährliche Gedenkveranstaltung im hannoverschen Mahnmal Ägidienkirche am 6. August setzt ein Zeichen für die Verbundenheit zwischen Hiroshima und Hannover. Als Ausdruck des Mitgefühls bekam Hannover 1961, im Jahr des Mauerbaus, eine japanische Glocke aus Hiroshima geschenkt. Die Kupferplatten für die Gedenkstätte in der Kirchenruine fertigte der Ost-Berliner Künstler Fritz Kühn an als Zeichen der Zusammengehörigkeit trotz Stacheldraht und Mauer.
- Jugendliche können der Frage nachgehen, warum Menschen in unserer Zeit in Kirchenräumen Asyl suchen
Kirche als Ort der Versöhnung
Aktuelle Ereignisse zeigen, dass bei erschütternden Anlässen Menschen ungeachtet ihrer Religionszugehörigkeit in Kirchenräume kommen, weil sie einen Ort für ihre Trauer brauchen. So dienen Kirchen nach leidvollen Ereignissen einem inneren, persönlichen und einem gesellschaftlichen Versöhnungsprozess, aus dem sich neue Perspektiven für das Leben ergeben. Dazu gehört auch die Kapelle der Versöhnung in Berlin. In dieser einst zerrissenen Stadt steht heute zeichenhaft die kleine Kapelle der Versöhnung an der Bernauer Straße. Der ovale Lehmbau wurde am 9. November 2000 geweiht, gebaut auf dem Fundament der Versöhnungskirche von 1894, die DDR-Grenztruppen wegen ihrer Grenznähe sprengten. Der kleine moderne Kirchbau, bescheiden und zukunftsorientiert in Materialwahl und Gestaltung, bildet gemeinsam mit der Gedenkstätte Berliner Mauer ein eindrückliches Ensemble. Im Begleitheft der Versöhnungskapelle heißt es: “Der christliche Glaube bezeugt, ‚Versöhnung’ ist mehr, ist anders als Toleranz. Da lässt man nicht ‚fünfe gerade sein’, und schon gar nicht nach dem Blick auf Menschenverachtung und Brutalität. Versöhnung will vielmehr an jedem Ort des bewohnten Erdkreises, und das heißt ‚ökumenisch’! – zur Geltung und Anschauung bringen, was Gottes Handeln im ermordeten und lebenden Jesus Christus zugunsten von Mensch und Welt endgültig bewirkt hat. Jede Errichtung von Mauern der Unfreiheit, jede Verachtung der Menschenwürde fällt hinter das zurück, was nach Gottes Willen das Leben der Menschen bestimmen soll.” (Bloth 2003, 23). In diesem Sinne bietet Kirche einen “intermediären Raum” an für gewaltfreie Konfliktlösungen, sei es in Seelsorgegesprächen im zwischenmenschlichen Bereich oder in weltpolitischen Konfliktsituationen.
Literatur
- Bizer, Christoph / Rupp, Hartmut: Kleiner Kirchenführer. Mit der Bibel durch Gottes Haus, Calw 2009
- Bloth, Peter C.: zum Begriff Versöhnung, in: Ulrike Braun: Versöhnungskirche – Kapelle der Versöhnung in Berlin, Berlin 2003, S. 23
- Ev. Kirchengemeinde St. Petri-St. Marien (Hg.): Eine Reise durch die Zeit. Kinderkirchenführer durch die St. Marienkirche Berlin, Berlin 2007, buero@marienkirche-berlin.de
- Kramer, Kurt: Klänge zwischen Zeit und Ewigkeit. Faszination Glocken, Kevelaer 2006
- Rupp, Hartmut (Hg.): Handbuch der Kirchenpädagogik. Kirchenräume wahrnehmen, deuten und erschließen, Calwer Verlag Stuttgart 2006
- Steffensky, Fulbert: Mission ist die gewaltlose Werbung für die Schönheit eines Lebenskonzepts, in: Chrismon plus 05/2006, S. 74
- Versöhnungsweg – eine ökumenische grenzüberschreitende Initiative, Kostenlose Broschüre erhältlich unter 07851/74040 bei Kehler Kirchen, Führungen Pfarrer Alban Meier, Tel. 07851/484456
- Wie finden Erwachsene zum Glauben? Einführung und Ergebnisse einer Studie des Instituts zur Erforschung von Evangelisation und Gemeindeentwicklung in Greifswald, epd-Dokumentation 52/2009