Jeder, der zur Schule gegangen ist, weiß es aus eigener Erfahrung: Lehrerinnen und Lehrer können nicht nicht die Seele von Kindern berühren.
Beim Rückblick auf meine Schulbiografie erinnere ich mich, dass mancher Lehrer und manche Lehrerin zum Seelsorger/zur Seelsorgerin für mich geworden ist, vermutlich ohne es bewusst gewollt zu haben. Es hätte mich in meinem Vertrauen und meiner Liebe zu diesen Menschen sicherlich nicht verunsichert, wenn ich damals erfahren hätte, dass sie auch die Aufgabe eines Schulseelsorgers übernehmen – ich hätte es eher logisch gefunden. Von der anderen Seite des Kontaktes aus betrachtet: Wenn ich mich als Lehrerin dazu entscheide, zusätzlich die Funktion der Seelsorgerin in mein Arbeitsfeld einzubringen, kann ich das Geschehen in der Schule und die Person differenzierter wahrzunehmen und weite zugleich mein Handlungsspektrum.
Sicherlich: Es ist eine große persönliche Integrität und Rollenklarheit (jenseits von Anbiederung oder Übergriffigkeit) gefragt, wenn es zu Situationen kommt, in denen innerhalb von Stunden oder Minuten die Arbeit im Klassenraum samt Notengebung wechselt mit einem Beratungsgespräch, in dem es um ganz persönliche Fragen geht. Aber nehmen wir einmal einen „Extremfall“ an: Eine Schülerin hat eine Arbeit mit einer fünf zurückbekommen und anschließend mit der Lehrerin darüber gesprochen, welch belastende Situation da im Hindergrund schwelte, als die Arbeit geschrieben wurde. Ist es nicht eine besondere Chance zu erfahren: Mein Wert hängt nicht von der Leistung ab?
Es gibt Gründe und akzeptierbare Umstände, die dazu führen, dass im Leben auch mal etwas misslingt. Ich bin in meinem Kern und im Wert meiner Person immer dieselbe – egal ob ich eine eins oder eine fünf schreibe, ob ich der Lehrerin ein Angst machendes Ereignis oder etwas Erfreuliches erzähle. Lehrerinnen und Lehrer sind neben den Eltern sehr wichtige Erwachsene für Kinder und Jugendliche. Bei ihnen lernen sie nicht nur den „Stoff fürs Leben“, sondern mindestens ebenso sehr die Haltungen, wie man den Dingen des Lebens begegnen kann. In der Schule lernen Schülerinnen und Schüler von den Lehrerinnen und Lehrern, wie Lernstoff aufbereitet, vermittelt und Schülerleistungen bewertet werden. Und sie lernen durch ihre Lehrerinnen und Lehrer, wie auf Fragen, Nöte und Sorgen, aber auch auf Begeisterung, Freude, Ausgelassenheit und Enthusiasmus der Kinder reagiert werden kann.
Das Leben in der Schule ist aus Schülersicht nicht in Segmente gestückelt: Hier das Lernen, da das Fühlen. Deshalb macht es auch keinen Sinn, die erwachsenen Bezugspersonen zu „segmentieren“: Hier die Lehrerin, da die Seelsorgerin. Ich finde, es sollte in Schulen unbedingt Menschen geben, die diese Doppelfunktion bewusst übernehmen. Das ist nicht nur realistisch, sondern oft buchstäblich not-wendig. Denn häufig wissen Lehrerinnen und Lehrer nicht, in welcher Funktion sie gerade von den Kindern gesehen und gebraucht werden. Aber die Kinder und Jugendlichen wissen: Ich werde mich an Frau Müller wenden, Frau Müller, bei der ich auch Mathe und Reli habe …