Wertschätzung und Verbundenheit prägen das jüdisch-christliche Menschenbild. Unsere Trauerkultur spiegelt dies wider. Allerdings befindet sich diese jüdisch-christliche Gedenkkultur gerade in einem starken Veränderungsprozess. Der Tod gehört nicht mehr ins Leben, seit das Leben mehrerer Generationen unter einem Dach selten geworden ist. Eine gültige Gedenkkultur im familiären Umfeld gehört für viele nicht mehr zum Alltag. Auf der anderen Seite ist das starke Interesse Jugendlicher am Thema Tod und Sterben zu spüren. Eigene Zugänge nicht nur zum realen Ort Friedhof, sondern auch zu religiösen Bräuchen und Vorstellungen sind notwendig, um bewahrenswertes Erbe, aber auch persönliche Freiräume zu entdecken.
Die folgenden Unterrichtsbausteine nehmen die drei Leitfragen des 30. Evangelischen Kirchentags – Wie wollen wir leben? Wie können wir glauben? Wie können wir handeln? – auf und entfalten sie im Hinblick auf unsere Bestattungs- und Erinnerungskultur.
1. Wie wollen wir leben ?
Viele Jugendliche kennen Friedhöfe aus Gruselfilmen. Als Orte persönlicher Trauer oder gar religiöser Praxis sind sie selten im Blick. Die Vorstellung, auf einem Friedhof seine letzte Ruhestätte zu haben, finden Jugendliche langweilig .Viele wünschen sich, dass ihre Asche irgendwo verstreut oder mindestens in einem "Friedwald" untergebracht wird. Über die bisherige Praxis der Totenbestattung nachzudenken, wurde durch die aktuelle Diskussion zur Aufhebung des Friedhofszwanges in Deutschland ausgelöst. Das vorliegende Material wurde in der 11. Jahrgangsstufe Gymnasium verwendet.
Sowohl Sachinformationen als auch emotionale Beweggründe für Entscheidungen im Hinblick auf christliche Gedenkkultur sollten berücksichtigt werden. Ein erster Einstieg erfolgt durch "Leserbriefe" zum Thema Erinnerungskultur.
Die Schülerinnen und Schüler können
- die Leserbriefe im Hinblick auf Werte und Vorstellungen über Tod und Leben der jeweiligen Personen auswerten
- eine erste eigene Position in Anlehnung an die unterschiedlichen Statements formulieren.
Beispielhafte Leserbriefe zum Thema Bestattungszwang:
"Es wäre sehr schön, wenn die Bestattungen in Zukunft mehr liberalisiert werden. Ich selbst bin mir über meine eigene Beerdigung noch nicht im Klaren. Ich weiß nur, dass ich nicht auf einem Friedhof liegen möchte."
Michaela K., München
"Friedhöfe sind Gemeinschaftsanlagen. Es sind Orte, an denen wir in Europa seit Jahrhunderten unsere Toten beisetzen. Jetzt sind einige Individualisten aufgetaucht, die das ändern wollen. Der Tote gehört mir, so sagen sie, zumindest seine Asche, damit kann ich machen, was ich will. Dass wir alle aber den Weg zum Tod gehen und dann auf "einem Friedhof beigesetzt werden müssen", ist das so abwegig. Es zeigt sich aber auch hier, dass das Gemeinschaftsgefühl in unserer Zeit immer weiter verschwindet."
Gerdheinz O, G.
"Mein Mann und ich haben die Seebestattung gewählt, weil wir uns der See verbunden fühlen. Wir freuen uns, wenn unsere Asche sich einst in den Wellen löst. Apropos Erinnerung: man ist so lange nicht vergessen, solang liebe und geliebte Menschen einen noch im Gedächtnis behalten und das genügt uns."
Gabi B. aus W.
"Die meisten Menschen würden, auch wenn es keine festen Bestimmungen dafür gäbe, mit ihren Toten würdig umgehen. Klare Regelungen braucht es für die, die dazu nicht in der Lage sind. Aber die gelten dann eben für alle. Wo die Gesetze die Grenzen ziehen, bestimmt in einer Demokratie immer das Parlament . Gelegentlich kann es sein, dass Parlamente die Grenzen anders setzen als die Mehrheit der Bürger dies nach ,Umfragen’ will. So schützt uns die parlamentarische Form der Demokratie z.B. vor der Todesstrafe. Möge sie uns auch vor beliebigem Umgang mit den sterblichen Überresten des Menschen schützen."
Bernhard R. aus B.
Eine reiche Auswahl ständig aktualisierter Lesermeinungen findet sich im Internet unter: www.postmortal.de/Bestattung-Beisetzung/Alternativen//Umfrage-FZ/FzKommentare-2002-1.
2. Wie können wir glauben ?
"Wir legen Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zum Staube..." – die Worte der Bestattungsformel bei Beerdigungen stellen einen theologischen Zusammenhang zwischen christlichen Schöpfungsvorstellungen und praktizierter Bestattungskultur her. Der Abschied von den Verstorbenen wird als eine Art "Rückgabeakt" an Gott, den Schöpfer formuliert. Der Verstorbene ist also nicht das Eigentum der Angehörigen.
Glaube endet nicht am Grab. Vielmehr zeigt sich jüdisch-christliche Identität gerade hier. Als kritischen Impuls zur Tradition bietet sich ein Abschnitt aus der EKD-Denkschrift "Gestaltung und Kritik" an (s.u.).
Die Schüler und Schülerinnen können
- konkrete Ausdrucksformen und inhaltliche Besonderheiten der christlichen Gedenkkultur kennen lernen,
- einen Vergleich zwischen jüdischen und christlichen Vorstellungen ziehen.
3. Wie können wir handeln ?
Der dritte Schritt besteht darin, real einen eigenen Zugang zum Ort "Friedhof", zu den Ritualen am Grab und zu "Erd- und Feuerbestattung" zu erschließen.
Bei einer Exkursion zum Stadtfriedhof und zum Krematorium kamen die Jugendlichen mit (überaus kooperativen) Mitarbeitern ins Gespräch. Sie erfuhren, was mit den Verstorbenen auf dem Friedhof geschieht (Lagerung, Kühlung, Vorbereitung der Trauerfeier). Auf dem Friedhof selbst suchten sie verschiedene Orte auf, die die unterschiedliche Art des Trauerns und Gedenkens zwischen traditionellen Grabreihen, Kindergräbern und anonymen Urnenfeldern augenfällig werden lassen.
Die Schülerinnen und Schüler können hier
- konkrete Vorstellungen und Informationen zu gängigen Bestattungsarten gewinnen
- eigene Eindrücke sammeln und nicht zuletzt: Friedhöfe als Orte sozialer Begegnung und religiöser Praxis erleben.
"... An vielen Stellen beschreibt das alte Testament rituelle Formen des Gedenkens; die Feste des Jahreslaufes erhalten durchweg neben ihren jahreszeitlichen Bezügen Begründungen aus der Geschichte Israels. Das neue Testament setzt diese Kultur des Gedenkens voraus. Im christlichen Gottesdienst wird sie an zentraler Stelle verankert; das Abendmahl wird als Erinnerungsmahl gefeiert: "Solches tut zu meinem Gedächtnis" (1.Kor.11,24ff. und Lk 22,19). Christi Tod wird als Erlösungstat Gottes den Menschen zugute verstanden; die Vergegenwärtigung dieses Todes wird deshalb zum Mittelpunkt des Gottesdienstes. Dadurch rücken aber auch menschliches Leiden und Sterben in den Deutungshorizont dieses einen Todes; und die zugesagte Erlösung wird zum Angelpunkt für das Verständnis gelingenden Leben – eines Lebens nämlich, das nicht mehr den Mächten der Sünde und des Todes unterworfen ist. So entfaltet sich eine ganze Kultur des Lebens aus der Weisung: "Solches tut zu meinem Gedächtnis." 2.2. Alle Kulturen kennen Formen, in denen Geschichte erinnert und insbesondere der Toten gedacht wird. Doch im Judentum wie im Christentum nehmen sie auf dem geschilderten Hintergrund eine besonders ausgeprägte Gestalt an. Von der jüdischen Kultur des Gedenkens legen die jüdischen Friedhöfe Zeugnis ab, sie sind deshalb so zahlreich erhalten, weile jede Grabstätte für unabsehbare Zeit belegt ist und deshalb nicht erneut belegt werden darf. Das ist ein unüberbietbares Zeichen für die Achtung der menschlichen Person in ihrer Individualität. Die christliche Bestattungskultur knüpft daran an, ohne jedoch in gleicher Unbeugsamkeit die Forderung aufrecht zu erhalten, dass eine Grabstätte für alle Zeiten unantastbar sei. ... Aus dem Gedenken erwächst eine Stärkung im Glauben und eine Ermutigung zum Leben. In der Entwicklung von Kirchenbauten, der Klosteranlagen, auch im Wachsen der Städte kommt dem Gedenken eine Schlüsselrolle zu." Auszug aus der EKD Denkschrift 64,1999 "Gestaltung und Kritik", Zum Verhältnis von Protestantismus und Kultur im neuen Jahrhundert in: www.ekd.de/EKD-Texte/kultur-kultur2 html, S.5f., 2.1. Gedenkkultur: |