Kinder einer vierten Klasse suchen nach Ursachen für Leid und Krieg in der Welt. Sie unterhalten sich darüber, ob Gott die Menschen steuert oder ob Menschen in Freiheit und Verantwortung selbst entscheiden können, wie sie ihr Leben gestalten. Einige Kinder berichten davon, dass sie sich in manchen Situationen hin und hergerissen fühlen. "Die eine Stimme sagt: Tu das Gute! Die andere Stimme sagt: Tu das Schlechte!", so ein Mädchen. "Dann kämpfe ich mit mir, und das ist anstrengend." Sofort wird bei Mitschülern die Frage nach dem Teufel wach. Ist das der Teufel, der uns Böses einreden möchte? Hat er Macht über uns? Wer ist er? Gibt es ihn wirklich?
Solche Szenen kennen die meisten sicher aus eigener Erfahrung. Die Frage nach dem Bösen, nach dem Teufel und der Hölle kann sich in verschiedenen Unterrichtskontexten äußern. Es ist eine Frage, die die Schülerinnen und Schüler angeht und die sie emotional bewegt. Sie löst eine innere Unruhe aus, und sie wollen Lösungsmöglichkeiten für das erkannte Problem entwickeln. Lehrkräfte sind oftmals ebenfalls beunruhigt, wenn solche Fragen im Unterricht auftreten. Doch im Gegensatz zu den Kindern drängt es diese vielfach gar nicht dazu, das Thema mit den Kindern durchzuarbeiten. Anton A. Bucher berichtet von einer Unterrichtsszene, in der die Äußerungen von Kindern über die Hölle sofort von der Lehrerin abgeblockt wurden mit den Worten: "Aber ... das haben wir doch schon oft besprochen, dass es nicht so ist."1
Was ist also in einer Situation zu tun, in der die Fragen nach dem Bösen, nach dem Teufel oder der Hölle geäußert werden?
Wahrnehmen und Ernstnehmen der Schüleräußerungen
Aus meiner Sicht steht an erster Stelle das Wahrnehmen und Achten der Äußerungen von Kindern. Alle Äußerungen und Auffassungen der Kinder sollten beachtet und ernst genommen werden. Hier können Lehrkräfte von Veröffentlichungen zum Philosophieren und Theologisieren mit Kindern viel lernen2.
Die Lehrkraft muss sich in ein offenes Gespräch mit den Kindern begeben, in dem sie erfährt, welche Fragen die Kinder umtreiben und welche Denkmodelle sie bislang zu diesen Fragen entwickelt haben. Gerade beim Thema "Teufel" und "Hölle" schwingen vielfach Ängste mit, die dringend aufgearbeitet werden müssen. Lehrkräfte benötigen in solchen Situationen die Kompetenz, an die Äußerungen der Kinder anzuknüpfen, diese gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern produktiv weiterzuführen und Lösungsmöglichkeiten für erkannte Fragestellungen sowie Bilder der Hoffnung zu entwickeln.
Der fruchtbare Moment im Bildungsprozess
Ein Unterricht, der an solche "packenden" Schülerfragen ansetzt, kann idealtypisch in vier Phasen gegliedert werden. Bei der Beschreibung dieser Phasen lehne ich mich an Friedrich Copeis Schrift "Der fruchtbare Moment im Bildungsprozess"3 an. Diese Schrift, die in ihrer ersten Auflage 1930 erschienen ist, ist aus meiner Sicht gerade für unseren Fragenkomplex hoch aktuell.
- Der Anstoß: Eine ganz bestimmte Frage treibt die Schülerinnen und Schüler und löst Staunen, innere Unruhe, Verblüffung etc. aus4.
- Aus dem Anstoß ergibt sich eine bestimmte Fragehaltung, die Copei als "gespannte intellektuelle Haltung"5 und "besondere Form von Aufmerksamkeit"6 bezeichnet. Diese Fragehaltung muss im Gespräch aufgegriffen und die erkannte Problemstellung gemeinsam durchgearbeitet werden. Copei spricht davon, dass sich die Lehrkraft in die "Gemeinschaft von Suchenden"7 selbst als Suchende einbringen muss. Sie hat die Aufgabe, die Fragestellung zu verschärfen, auf nicht beachtete Punkte das Augenmerk zu lenken, insgesamt den Prozess zu begleiten, aber sich mit eigenen Lösungen zurückzuhalten. Solch ein Gespräch ist dann "der eigentliche Nährboden des fruchtbaren Moments"8.
- Plötzlich kann es gelingen, dass den Schülerinnen und Schülern Lösungen auf die erkannte Problemstellung deutlich werden. Eine "ungeheure Freude und Begeisterung packt"9 sie. Dieses Ereignis bezeichnet Copei als fruchtbaren Moment. Man kann ihn als Lehrkraft vorbereiten, aber nicht erzwingen. Er entsteht aus einer "glücklichen Unterrichtssituation"10 heraus. Wichtig ist es, diesen Moment zu erkennen und zu nutzen. In der Regel zeigt er sich nicht nur am Inhalt des Gesprächsbeitrags, der eine neue Erkenntnis einleitet, sondern auch an der Emotionalität, mit der der Beitrag vorgetragen wird (heftiges Schnipsen, Ausrufe wie "Ah" oder "Jetzt habe ich es!").
- Die im fruchtbaren Moment aufleuchtende Erkenntnis muss sodann nochmals "durchgebildet"11 werden, damit sie nicht "in der Luft" hängt, sondern sich mit dem alten Wissensbestand verbindet. So entsteht nach Copei "echtes Bildungswissen"12.
Ein Unterrichtsbeispiel
Im Folgenden referiere ich eine Unterrichtsstunde, die nach diesem Modell verlief. Sie knüpft an die eingangs geschilderte Unterrichtsszene an. Die Frage nach dem Teufel und der Macht des Teufels war also gestellt. Sie gab den Anstoß zu einer spezifischen Fragehaltung, die die Kinder umtrieb. Nun begaben sie sich mit ihrer Lehrerin in ein Gespräch, in dem zunächst verschiedene Vorstellungen vom Teufel geäußert werden konnten. Einige Kinder beschrieben den Ort Gottes als "oben im Himmel" und den Ort des Teufels als "unten in der Hölle". Im Blick auf den Teufel, um den es zunächst im Besonderen ging, brachten sie sehr konkrete Vorstellungen ein ("Hörner, Schwanz, Spitze, gruselig"). Die Lehrerin fragte, ob Himmel und Hölle weit weg oder nahe seien. Ein Mädchen meinte, man würde doch sagen, der Himmel sei überall. Also sei er auch hier. Beides gelte, sagten manche Kinder. Ein Junge betonte daraufhin, er stelle sich den Teufel gar nicht mit solchen "Hörnchen" vor, man könne ihn nicht sehen, aber er habe dennoch Macht. Himmel und Hölle seien nicht weit weg, sondern hier, sogar hier bei uns im Raum. Wir seien auf "dieser Seite" des Raums und könnten nicht auf die "andere Seite" gelangen. Ein anderes Kind sprach nun vom Streit zwischen Teufel und Gott und bezeichnete Teufel und Gott als "ungleiche Brüder". Der eine sei "böse" und wolle die Menschen zum Bösen drängen, der andere sei "lieb" und wolle das Gute. Menschen seien mal auf der einen, mal auf der anderen Seite. An dieser Stelle stutzten einige Kinder. Sie wollten Gott und Teufel nicht als gleich stark anerkennen und sprachen ihren Glauben aus, dass Gott den Menschen erschaffen habe und Gott auch letztlich die größere Macht habe. "Aber warum setzt sich Gott nicht durch?", rief ein Mädchen. "Warum greift er im Krieg nicht ein?"
Nun gab die Lehrerin den Kindern das Bild "Gott als Marionettenspieler" in die Hand. Nein, so könne man das Wirken Gottes nicht darstellen, darüber waren sich die Kinder einig. Tim sagte: "Wir hätten keinen Kopf gehabt, wenn Gott uns immer steuern würde." Und er insistierte auf die Freiheit des Menschen, die Gott ihm gewähren wolle, die aber auch die Gefahr des Fehlverhaltens in sich berge. Nachdem die Kinder einige Augenblicke ratlos in die Runde schauten, äußerte Milena einen fruchtbaren Gedanken. Sie schnipste aufgeregt mit ihrem Finger und rief: "Ich hab eine Idee für ein anderes Bild, ich hab eine Idee für ein anders Bild!" Und sie sagte: "Gott will, dass wir selber denken. Und dabei hilft er uns. Gott gibt uns einen Schups und Mut, dann schaffen wir den guten Weg!"
Dieser fruchtbare Gedanke musste nun hinterfragt und erarbeitet werden. Die Lehrerin fragte, wie man sich das genauer vorstellen könne. Wie kann man Mut bekommen und den guten Weg finden? Die Kinder nannten das Gebet und das Lesen von Geschichten aus der Bibel. Ein Junge erinnerte sich an den Mut, den Mose und Aaron hatten, als sie vor den Pharao getreten sind. Ein Mädchen sagte, auch die Eltern können Mut geben. Ein anders Kind brachte den Begriff "Vertrauen" ein. Geschichten aus der Bibel würden uns Vertrauen schenken, dass wir dann den richtigen Weg finden, wenn wir auf diese Geschichten hören.
Abschließend wurde festgehalten: Wir alle kennen Situationen, in denen "die Macht des Bösen" spürbar wird. Wir haben verschiedene Vorstellungen von diesem Bösen. Wir hoffen darauf und glauben daran, dass letztlich Gott siegt. Wenn wir auf Gottes Wort hören, bekommen wir Mut, einen guten Weg für unser Leben zu finden. Lehrerin und Schülerinnen und Schüler einigten sich darauf, in den nächsten Unterrichtsstunden in der Bibel zu forschen: Wie wird hier vom Bösen und vom Guten, vom Teufel und von Gott gesprochen? Welche Geschichten können den "guten" Weg zeigen und Mut machen?
Betrachtet man dieses Unterrichtsgespräch, so sind die Phasen, die Copei beschreibt, deutlich erkennbar. In der Tat wurde ein Nährboden für verschiedene fruchtbare Gedanken geschaffen, von denen der abschließende Gedanke, ein neues Bild zu gestalten, in den Mittelpunkt gerückt wurde. Keine der Phasen hätte fehlen oder verkürzt werden dürfen. Das anstrengende Suchen war ebenso wichtig wie das nun folgende Durchbilden des fruchtbaren Gedankens, das sich in den weiteren Unterrichtsstunden mit sicher neuen Schwerpunktsetzungen fortsetzen wird.
Die Lehrkraft hielt sich zunächst mit eigenen Deutungen zurück und brachte die Kinder untereinander ins Gespräch. Sie würdigte ihre Aussagen und begleitete den Gesprächfortgang. An geeigneten Stellen gab sie Impulse, die das Gespräch weiter voranbrachten. Nicht Angst vor schwierigen Fragen, sondern Neugier und Gesprächsbereitschaft waren die Kennzeichen des Gespräches.
Wie können Lehrkräfte Gesprächskompetenzen für theologische Gespräche mit Kindern aufbauen?
Gerade an solch schwierigen Themen wird deutlich, dass Lehrkräfte ein solides theologisches Wissen benötigen, und zwar insbesondere im Bereich der systematischen Theologie (theologische Grundfragen) und der biblischen Theologie (Deutung wichtiger biblischer Geschichten)13. Gleichzeitig wird sich eine Lehrkraft um so offener überraschenden Fragen von Kindern zuwenden, wenn sie sich ein Bild davon machen kann, welche Fragen Kinder im Grundschulalter umtreiben und wie sie zu diesen Fragen denken. Zu einigen Fragekreisen hat die empirische Forschung schon etliche Hilfestellungen erarbeitet, die die Unterrichtsvorbereitung unterstützen können14. In der konkreten Unterrichtssituation benötigt die Lehrkraft die Fähigkeit zu interaktiver und situativer Gesprächsführung: Sie muss in der Situation mögliche Handlungsalternativen abwägen und sich für einen Weg der Fortführung des Gespräches entscheiden. Diese Fähigkeit zur Gesprächsführung muss sich Schritt für Schritt durch Erfahrungen in Gesprächssituationen und eine bewusste Reflexion über diese Erfahrungen aufbauen15.
Theologische Gespräche mit Kindern gehören zu den schwierigsten, aber gleichzeitig ohne Zweifel zu den spannendsten Elementen eines Religionsunterrichts, der die Schülerinnen und Schüler ernst nimmt und grundlegend einbezieht. Sollen die Chancen genutzt werden, die sich in solchen Gesprächen für die religiöse Bildung von Kindern eröffnen, so ist der bewusste Einbezug eines spezifischen Professionalisierungsprozesses in die I., II. und III. Phase der Lehrerbildung unerlässlich16.
Anmerkungen
- Bucher, Anton A.: "Wenn wir immer tiefer graben ... kommt vielleicht die Hölle." Plädoyer für die Erste Naivität. In: KatBl 114 (1989), S. 654.
- Zum Theologisieren mit Kindern siehe die Literaturhinweise im Kasten (Reihe JaBuKi). Die Literatur zum "Philosophieren mit Kindern" ist kaum mehr überschaubar; eine praxisbezogene Einführung gibt Brüning, Barbara: Philosphieren in der Grundschule, Berlin 2001.
- Copei, Friedrich: Der fruchtbare Moment im Bildungsprozess. 5., unveränderte Auflage eingeleitet und hg. von Hans Sprenger. Heidelberg 1960.
- Vgl. ebd., S. 22, S. 60.
- Ebd., S. 63.
- Ebd., S. 44.
- Ebd., S. 26.
- Ebd., S. 131.
- Ebd., S. 33.
- Ebd., S. 107.
- Ebd., S. 38.
- Ebd., S. 71.
- Siehe Reihe TLL in den Literaturhinweisen.
- Siehe Reihe JaBuKi in den Literaturhinweisen
- Vgl. Schön, Donald A., The Reflective Practioner: How Professionals Think in Action, New York 1983.
- Derzeit arbeite ich mit Studierenden der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe in der "Forschungswerkstatt theologische Gespräche mit Kindern". Hier werden die Studierenden zunächst in das Anliegen theologischer Gespräche mit Kindern eingeführt; sodann erhalten sie vielfältige Möglichkeiten, Gespräche mit Kindern zu führen, diese zu reflektieren und die gewonnenen Erkenntnisse in erneute Gespräche einzubeziehen.
Literatur:
- Bucher, Anton A./Büttner, Gerhard/Freudenberger-Lötz, Petra/Schreiner, Martin (Hg.): "Mittendrin ist Gott." Kinder denken nach über Gott, Leben und Tod. Jahrbuch für Kindertheologie, Band 1. Stuttgart 2002.
- Dies. (Hg.): "Im Himmelreich ist keiner sauer." Kinder als Exegeten. Jahrbuch für Kindertheologie, Band 2. Stuttgart 2003
- Dies. (Hg.): "Zeit ist immer da." Wie Kinder Hoch-Zeiten und Festtage erleben. Jahrbuch für Kindertheologie, Band 3. Stuttgart 2004.
- Lachmann, Rainer/Adam, Gottfried/Ritter, Werner H.: Theologische Schlüsselbegriffe. Biblisch – systematisch – didaktisch. Theologie für Lehrerinnen und Lehrer, Band 1. Göttingen 1999. (Hierin findet sich beispielsweise auch ein Beitrag zum Thema "Teufel")
- Lachmann, Rainer/Adam, Gottfried/Reents, Christine (Hg.): Elementare
- Bibeltexte. Exegetisch – systematisch – didaktisch. Theologie für Lehrerinnen und Lehrer, Band 2. Göttingen 2001.