Als man über das Bild hinaus die bewegten Bilder erfand, ergab sich für den Betrachter ein Fascinosum, daß sich aus eben dieser auf die Filmleinwand gebannten Bewegung ergab. Die Wirklichkeit, so wie man sie erlebte, gern erlebte, bzw. deren Erlebnis man evtl. auch gern vermeiden würde, trat, scheinbar spiegelbildlich auf den Plan. Und diese Begegnung wurde um ein Vielfaches potenziert durch die Erfindung zunächst des Tonfilms und später des Farbfilms. Jenseits aller Reflexion zählte, und das nicht nur in der klingenden Münze der Kinobetreiber, das unmittelbare Erlebnis in bewegtem Bild und Ton und Farbe, konzentriert in möglichst feierlicher, also gut bürgerlicher, theatermäßiger Dunkelheit des Großkinos. Die Illusion von totaler Gegenwart der "ganz anderen" Geschichte, nämlich der des Filmes, schien damit vollkommen. Vergangenheit konnte mittels des Films in die Gegenwart geholt werden, der Zuschauer wurde in einer ungeheuren Intensität aus dem Alltag gerissen und betrachtend und mitfühlend ins Geschehen auf der Leinwand eingebunden. Unmerklich begann die Filmerfahrung eigene Erfahrung zu ersetzen. Man hatte nun nicht nur von etwas gehört, sondern es selbst gesehen. Mit dem Film war man Zeuge geworden. Die Propagandafilme vom 3. Reich bis zur heutigen Reklame zogen und ziehen aus diesem Element, der scheinbar unmittelbaren Erfahrung, ihren Nutzen.
Von daher nimmt es nicht Wunder, daß die Pädagogik der Vorkriegszeit und die ebenso spätere wieder mit ihrem Postulat von der unmittelbaren Erfahrung in den Situationen des Fehlens eben dieser Erfahrung im Film ein ungeheures wenn auch gefährliches Ergänzungspotential sah. Wer erinnert sich nicht der Sachkundefilme im Unterricht, der Expeditions- und Abenteuerfilme von Forschern, von "Amudsen" bis hin zur "Die Wüste lebt" und anderer. Hier wurde die ferne sonst so nicht erfahrbare Welt sowohl den Erwachsenen wie auch den interessierten Schülern aufwendig und intensiv nahegebracht. Filmgeschichtlich schlug dieser Mechanismus zugleich ins Historische und damit dann auch ins Biblisches um: Filme wie "Die Zehn Gebote", "Das Gewand", "Die letzten Tage von Pompeji" und "Ben Hur" folgten dann auch logisch und setzten die älteren Versuche der Verfilmung biblischen Geschehens im Stile Hollywoods fort. Und da die jüngste Vergangenheit nach und nach in den sechziger Jahren wichtig und dramaturgisch interessant wurde, folgten die ethisch orientierten Filme zur Geschichte des 3. Reiches. Das galt für den historischen Überblick in der Art von Leiser "Mein Kampf" ebenso wie für die Darstellung relevanter Einzelschicksale bzw. der Kombination all dieser Elemente in einem Film wie "Exodus" oder später in den Holocaustverfilmungen. Die Komplexität der Sache und der scheinbar notwendige Aufwand führten allerdings in der Regel immer zur Gestaltung in Form des langen, wenn nicht gar überlangen, Spielfilms. Damit war zugleich die religionspädagogische Verwendung im Unterricht, der nach wie vor auf in der Regel 45 Minuten beschränkt war, ausgeschlossen. Es sei denn, man ging klassen- oder schulweise ins Kino, was auch nicht selten vorkam. Darüber hinaus hatten solche Filme, wenn sie denn als pädagogisch wertvoll eingestuft wurden, bisweilen ihren Platz in den Abendveranstaltungen auch von Kirchengemeinden.
Mit der Änderung religionspädagogischer Konzeptionen, fort von der evangelischen Weisung hin zum problemorientierten Religionsunterricht, änderte sich unabhängig von der allgemein pädagogischen Diskussion auch das Verhältnis des RU zum Film und zu den Medien. Konnte bislang überwiegend, wenn überhaupt, jenes Material eingesetzt werden, das den Glauben im Sinn einer Zielkonvergenz von Lehrerintention, Rahmenrichtlinien und erwartetem Schülerwissen oder Schülerverhalten zu garantieren schien, so wurde jetzt all das interessant, was sowohl die Welt und ihre Probleme zeigte, wie Möglichkeiten ihrer Konfliktbewältigung deutlich machte. Sofern es um letzteres ging, konnte man immer noch vom klassischen Sach- oder Informationsfilm sprechen, der die Geographie eines Landes, oder den Glauben, die Geschichte und die Vita einer relevanten Person zeigte. Dazu kam allerdings ein Neues. Aus den kurzfristig freiheitlich erblühenden Ostblockstaaten kamen, vor allem aus Polen, Ungarn und der Tschechoslowakei, relativ kurze Filme, oft Animations- und Zeichentrickfilme auf den Markt, die geeignet schienen, komplexe Grundsituationen des Lebens so verdichtet darzustellen, daß sie als unterrichtlicher Einstieg eines problemorientierten Religionsunterrichts willkommen waren. Ich denke an Filme wie "Das Leben in der Schachtel", "Weekend", "Espolio" und andere. Für den ethisch weltweiten Kontext kamen kirchliche Produktionen über die Probleme der 3. Welt dazu, die allerdings thematisch in der Regel streng kirchlich diakonisch orientiert waren. Doch die Erfahrungen mit diesen Produktionen waren so positiv, daß kirchliche Medienstellen ausgebaut und die allgemeine Sicht des Films in den Augen der Kirchen positiver wurden. Entgegen der früher vorherrschenden Tendenz, daß Film etwas sei, vor dem Heranwachsende eigentlich zu behüten und zu beschützen seien, gab es nun Empfehlungen pädagogisch besonders wertvoller Filme. Der entscheidende Punkt aber der endsechziger Jahre war die Ausbreitung des Fernsehens in fast alle Haushalte und die damit verbundene Veränderung der Sehweisen, der Rezeptionsmodalitäten und des Produktionsdrucks auf Seiten der Macher. Features über Gott und die Welt, über historische Hintergründe, gesellschaftliche Ursachen und mögliche Lösungspotentiale nahmen in beachtlicher Weise zu. Damit erhöhte sich der Pool auch jener Produktionen, aus denen die inzwischen aufgebauten kirchlichen Medienstellen und die kirchlichen Filmverlage Materialien auf dem Markt kaufen konnten. Das Schulfernsehen bot einen weiteren nutzbaren Informationsblock. Sowohl der Featurebereich wie das Schulfernsehen unterlagen zudem von vornherein einer längenmäßigen Beschneidung, so daß die Filme dann auch eher in den Zeitraster des schulischen Ablaufs paßten. Jetzt kamen in verstärktem Maß neben den schon erwähnten Kurzfilmen von 1 bis 10 Minuten Dauer auch Filmlängen von 25 bis 45 Minuten Spieldauer in den Verleih. Dadurch verlagerte sich der Filmeinsatz im kirchlichen Bereich heraus aus den Gemeindehäusern, wo er seine Funktion in einer Abendveranstaltung hatte, hin in den schulischen Religionsunterricht und in den Konfirmandenunterricht.
Erst im Laufe der sechziger und siebziger Jahre begannen sich prägnantere Traditionen spezifisch schulischer Medienerziehung auszubilden. Aus der verwirrenden Vielgestaltigkeit kontroverser Auseinandersetzungen über Theorien der Wissenschaft, der Erziehung, der Gesellschaft und der (Massen-)Kommunikation lassen sich grob typisierend wenigstens drei Ansätze hervorheben (vgl. die Typisierungen z. B. bei Meyer 1978 und bei Fröhlich 1982; vgl. auch den Beitrag von Baacke in diesem Band):
- der kritisch-emanzipatorische Ansatz: die Medien sind Ausdruck eines insgesamt kritikwürdigen spätkapitalistischen Systems, dessen wahres Gesicht in ideologiekritischer Analyse aufgedeckt werden kann. Medienerziehung strebt den mündigen Bürger an und versteht sich zugleich als ein Beitrag, die Schule und die Gesellschaft zu verändern;
- der medienkundliche Ansatz: die Medien sind Teil einer komplexen Industriegesellschaft und haben ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten. Wer angemessen mit den Medien umgehen will, muß ihre Bedingungen und diese Zusammenhänge kennen;
- der produktive Ansatz: die Medien sind Mittel der Kommunikation und des Ausdrucks. Als solche haben sie Eigengesetzlichkeiten, die man in produktivem Handeln selbst erfahren und zur Artikulation eigener Interessen und Bedürfnissen nutzen lernen kann.
Damit traten aber auch neue Bedürfnisse auf Seiten der Religionslehrerschaft auf. Eine Didaktik der Medien war in ganz neuer Weise angefragt. Und dies vor dem Hintergrund eines allgemeinen Medienaufbruchs, so daß diese Frage in der unterschiedlichsten Fächern verhandelt wurde. Die Antwort auf einen Teil dieser Fragen fanden sich für den Religionsunterricht Anfang der siebziger Jahre in Brockmanns zwei kleinen Handbüchern: "Mit Kurzfilmen arbeiten", zugespitzt auf die besonderen Probleme des Religionsunterrichts. Die Fernsehfilmschwemme setzte darüber hinaus ein allgemeines Fragen nach medienpolitischer und mediendidaktischer Arbeit in Gang und führte zu einer Fülle von entsprechender Literatur, die ihre Aktualität durch das aufkommende Filmen im Super-8-Bereich bezog, zumindest zu einem großen Teil. Aktives Mediengestalten als Zielvorstellung des Unterrichtens fiel jetzt zusammen mit der allgemein pädagogischen Zielsetzung des autonomen, mündigen, auch und vor allem des medienmündigen Schülers und späteren Bürgers. Medienmündigkeit setzte allerdings voraus, daß man die Regeln des Filmens und der Gestaltung, der Beeinflussung durch Kameraführung, Filmmaterial, Licht und durch die Story etc. kennenlernte. Ein Weg dazu, der sich zur eigenen Produktion steigern konnte, war die exakte Filmbeobachtung, für die man eine Reihe von Filmbeobachtungsbögen zu unterschiedlichsten Bearbeitungszwecken entwarf. Allerdings waren diese so zahlreich, daß der Lehrer schwer auswählen konnte, und eigentlich seinen eigenen Bogen entsprechend seinen Zielen hätte formulieren müssen. Da dies aber sehr aufwendig war, wurde es in der Regel unterlassen.
So führten wachsendes weltweites politisches Bewußtsein, mit ausgelöst durch die 68er Bewegung, die Fülle der Medien, ihre didaktisch reflektierte Nutzung und eine bestimmte religionspädagogische Konzeption zu einer ganz neuen Stellung der Medien und des Films im Religionsunterricht, zu einer Stellung, wie sie es bisher nicht gegeben hatte. Daß dies nicht ohne Konsequenzen für die kirchliche Infrastruktur der Institute, der Filmverlage und Medienstellen blieb, das versteht sich von selbst. Verstärkt wurde diese Position im Lauf weniger Jahre durch die Einführung der Videotechnik und des Videorecorders, die nun das Super-8-Filmen ablöste und durch die zunehmende Zahl der Fernsehsender im privaten Bereich und der entsprechenden Sehgewohnheiten des Publikums. Obwohl und das muß einschränkend bemerkt werden, bis in den Anfang der 90er Jahre der 16-mm-Film im unterrichtlichen und gemeindlichen Bereich dominant blieb. Andererseits waren inzwischen eine Fülle von Möglichkeiten herangereift, die die Eigenproduktion durch Schülerinnen und Schüler ermöglichten. So sehr es theoretisch gefordert an der Spitze der Mediendidaktik steht, blieb doch dieses Verhalten aber ehe maginal. Dazu gilt wohl insgesamt, daß der Film im Religionsunterricht im Kontext anderer Medien, abgesehen vom Dia, neben dem Foto, der Fotokopie, der Folie und diverser Tonträger eher an letzter Stelle rangiert. Das ist allerdings weniger aus inhaltlichen oder formalen Gründen so, sondern aufgrund der materiellen Ausstattung der Schulen und Gemeindehäuser. Noch ist die Standardausstattung auf die relativ schweren und technisch empfindlichen Geräte des 16-mm-Bereichs beschränkt; die durchgehende Umrüstung auf Video um von der Videogroßprojektion gar nicht zu reden, steht noch aus. Die Produzenten stellen sich allerdings bereits auf den Videomarkt ein. So liegt die Dominanz des Aktuellen wohl zur Zeit im Videobereich, klassische Themen werden eher im 16-mm-Format abgehandelt und ausgeliehen, aber hier stehen die Vorführungsmodalitäten einer intensiven Nutzung entgegen. Hinzu kommt für den gesamten Filmbereich als ein Moment eingeschränkter Nutzung die Unsicherheit vieler Lehrer und Lehrerinnen mit dem Medium Film, das von seiner Art her extrem komplex ist und das andererseits als Medium in den Ausbildungsgängen von Lehrerinnen und Lehrern und von Pastorinnen und Pastoren kaum vorkommt. So ist verständlich, daß in der Regel dem feststehenden Einzelbild schon aus ganz pragmatischen Gründen im unterrichtlichen Einsatz der Vorzug gegeben wird. Faktisch sind wir damit sowohl filmhistorisch wie sachlich bei der gegenwärtigen Situation des Films im Religionsunterricht angekommen.
In einer Zeit, in der Kinder und Jugendliche viel Zeit im Umgang mit Medien verbringen, wo die "Mediatisierung" vieler Alltagsbereich kontinuierlich voran schreitet. Was das für die Kinder qualitativ bedeutet, wurde bisher nur vereinzelt untersucht. Dennoch sind dauerhafte und womöglich tiefgreifende Veränderungen für das Alltagsleben der Kinder und ihr Verhältnis zur Umwelt abzusehen; sie berühren auch die Ziele und Inhalte des Religionsunterrichts:
(1) Der Alltag der Kinder wird zunehmend von "Medienerfahrungen bestimmt und durchsetzt", er wird dadurch komplizierter und differenzierter. Die Kinder müssen sich mit den Medien- und Konsumangeboten auseinandersetzen und "neue Formen der Aneignung von Welt" und Wirklichkeit entwickeln. Das betrifft sowohl ihr praktisches Verhalten als auch das Symbolische Aneignen und Verstehen der Wirklichkeit und ihrer selbst. (vgl. z. B. Barthelmes 1986, S. 8)
(2) Auch inhaltliche Aspekte des Sinnaufbaus und des Verstehens von Alltag und Lebenswelt wandeln sich unter dem Einfluß der Medien:
- Normen und Werte, also auch die Orientierungen für das Handeln und die Zielvorstellungen junger Menschen etwa für ihre Lebensplanung, orientieren sich nicht mehr allein an dem, was in Gesellschaft und Kultur allgemein "gilt", sondern verstärkt auch an den künstlichen Leitbildern, die die Medienprogramme unter den Bedingungen von Aktualität, Faszination und Attraktivität entwerfen. Eigene mediale Leitbilder entstehen.
- Sinngebungen für die Erlebnisverarbeitung unterliegen der Einwirkung der trivialen oder tragischen, phantastischen wie wirklichen Geschichten von Gut und Böse der Fernsehenunterhaltung oder der Video- und Computerspiele.
- Alltagsroutine wird durch den Medienbetrieb "reglementiert": Während der Hauptnachrichten ruft man niemanden an, während großer Sportübertragungen finden keine Gruppenveranstaltungen statt.
- Vorstellungen über Zeit, Raum und Gegenstände verändern sich, die Medien vermitteln das Gefühl, unbegrenzt überall und jederzeit dabei zu sein, der subjektive Aktionsradius weitet sich aus.
Der wachsende Einfluß der Medien bzw. die "Sozialisation durch Medien" tritt in Konkurrenz zu den traditionellen Sozialisationsinstanzen wie Familie und Schule bzw. drängt deren Einfluß weiter zurück (ebd., S. 7) Das gilt auch für religiöse Erziehung und Religionsunterricht.
(3) Abzusehen ist auch, daß Kinder und Jugendliche nicht nur Objekte der Medienwirkung sind, sondern sich auch als deren Subjekte verhalten: Sie nutzen das alltägliche Medienensemble aktiv als Spiel- und Experimentierfeld nach ihren Bedürfnissen: Sie sehen selektiv, auch wenn die Programme kontinuierlich durchlaufen, sie handeln als Zuschauer "aktiv" und greifen sich thematische Aspekte heraus, die den aktuellen Themen korrespondieren, mit denen sie von ihrer inneren Entwicklung und ihrem äußeren Umfeld her gerade beschäftigt sind. Sie nutzen das Fernsehen zur alltäglichen "Lebensbewältigung" (vgl. Charlton/Neumann 1986) und machen aus ihrer Beschäftigung mit Video- und Computerprogrammen "eine Art Baustelle für die eigene Identitätsarbeit"; zwar liefern ihnen die Medien keine "zusammenhängende (n) Bilder der Wirklichkeit" und keine "umfassende(n), dauerhaften und detaillierte(n) Identifikationsangebote", bieten aber doch immerhin "eine Fülle von Fragmenten, Sinnsplittern und reizstarken Eindrücken. Die Kinder sind also gezwungen (bzw. haben auch die Chance), die Synthesen, die Selbstentwürfe und Weltinterpretationen immer wieder in ihrem Tun und in ihren Köpfen selbst herzustellen". (Hengst 1984, S. 25)
Allerdings müssen sie sich auf die "Sprache der Medien einlassen. Sie hören und sehen in den Bildern und Codes, in den Zeichen und Symbolen, die ihnen die Massenmedien bzw. die von ihnen bevorzugt genutzten Medien vorgeben. Sie eigenständig zu deuten und kritisch zu nutzen, braucht eine eigene, kritische Sprachlehre. Die "audiovisuelle Alphabetisierung" ist deshalb als Kern einer kritischen Medienkunde und Medienerziehung zu begreifen und bildet für die Schüler den entscheidenden Schritt auf dem Weg zu eigenen kommunikativen Kompetenz.
Die weitgreifenden persönlichkeits-bildenden und weltbild-konstituierenden Folgen der ausgedehnten Mediennutzung können auch die Religionslehrer und Religionslehrerinnen nicht übersehen und nicht übergehen. Denn auch im RU muß der Schüler mit seiner konkreten Individualität, mit seiner persönlichen Biographie und Lebenspraxis im Mittelpunkt stehen, das gilt in der neueren Religionspädagogik als "allgemein anerkanntes Postulat" (Fraas 1986, S. 77). Medienalltag und Medienbiographie der Schüler sind deshalb nicht nur als Voraussetzung für den am Schüler orientierten Religionsunterricht zu berücksichtigen, sondern müssen auch im Unterricht thematisiert werden. (Gawert, S. 188/89)
Dabei ist allerdings ein wesentlicher Aspekt noch zu berücksichtigten und das ist der Aspekt der sich ständig verändernden Sehgewohnheiten. Bedingt durch die Vielzahl der Programme einerseits und einer damit gegebenen sehr großen Programmauswahl hat es sich ergeben, daß der durchschnittlich interessierte Fernsehzuschauer zu "Springen" zu "Zappen" beginnt, wenn ihn eine Filmszene zu langweilen anfängt. Er springt gleichsam von Programm zu Programm, um die jeweils interessanteste Szene zu finden. Verstärkt wird dieser Vorgang betrachterunabhängig durch die Sendestruktur der privaten Programme, deren Finanzvolumen (und damit deren Spielfilmfähigkeit) durch die Werbeausstrahlungen finanziert und geprägt wird. In ca. 20 Minuten Abständen wird ein Spielfilm durch Werbeblöcke unterbrochen. So ergibt sich vom Filmverlauf her, daß derjenige, der Werbung nicht konsumieren will, in diesen Pausen den Kanal wechselt, um in andere Programme hineinzuschauen. Damit wird filmdramaturgisch gesehen ein sinnvoller, hinführender, die Handlung langsam aufbauender Filmvorgang einschließlich der damit beim Zuschauer vorhandenen Haltung und Bereitschaft, sich einbeziehen zu lassen in ein nach und nach sich dramatisch steigerndes Handlungsgefüge, systematisch zerstört. Hierzu gehört auch die aus dem Umgang mit Videofilmen bekannte und mögliche Form des Schnelldurchlaufs jener Passagen, die nicht unmittelbar durch Action geprägt werden. Der regelmäßige Fernsehende ertappt sich so dabei, wie er in längeren Reportagen zum Schnelldurchlauf greift, ehe er sich dessen bewußt wird, daß kein Film im Recorder liegt, sondern daß es sich um ein Liveprogramm handelt. So kommen verschiedene Elemente zusammen, die insgesamt zu einer der klassischen, am Theater orientierten Filmbetrachtung abträglichen Gewohnheit, dem Zappen, führen. Kurz, die Vorliebe des Betrachters für kurze emotional und actionreiche dichte Filme steigt. Umgekehrt führt der Einsatz der Videotechnik im Unterricht dazu, daß der Unterrichtende, wenn er seine Methoden anfängt zu reflektieren, nach kurzen Filmen Ausschau hält. Hier begegnen sich zwei Tendenzen, die eben durch gegenwärtige Sehgewohnheiten geprägt werden. Kurze Filme garantieren die Aufmerksamkeit der Schülerinnen und Schüler, sie sind im Sinne von Unterricht bearbeitbarer oder zumindest leichter zu bearbeiten als längere Filme; im Falle eines Videofilms ist das schnelle Hin- und Herspulen von Vorteil, sie sind preislich günstiger zu erwerben, sie sind leichter zu transportieren als 16-mm-Rollen und von daher besser in den Unterricht einzupassen. Hinzu kommt, daß sie vom Preisniveau her von der Schule anschaffbar sind, so daß sie ständig verfügbar gehalten werden können und damit das auswendige Ausleihen einschließlich des Transportes entfällt. Die Film- und Videoverlage nutzen diese Möglichkeit und stellen sich zunehmend darauf ein. Mit der Zeit verändern sich also die Rahmenbedingungen für den Film im Unterricht. Sie werden einerseits schlechter, was den klassischen Film betrifft, andererseits besser im Kontext des Videobereiches. Offen bleiben zunächst jedoch die Fragen nach einer Mediendidaktik, die unterrichtlich praktikabel ist. Theoretische Abhandlungen gibt es zur Genüge, aber sie bewegen sich auf einem Niveau, das in den unterrichtlichen Vollzug kaum hineinreicht oder ihn kaum betrifft. Ein deutlicher Versuch, in diese konkrete unterrichtliche Situation einzusteigen, ist über entsprechende Fachzeitschriften hinaus, eine Arbeitshilfe aus Loccum: "Film und Religionsunterricht", die versucht, dem Unterrichtenden an dieser Stelle eine gewisse Hilfestellung zu bieten. Der eigentlich typische Ansatz liegt dabei nicht so sehr im theoretischen Raum allgemeiner mediendidaktischer Problematik und des damit zusammenhängenden gesellschaftlichen Umfeldes, sondern im Blick auf die unterrichtliche Konkretion. Dabei wird der Ansatz von Brockmann aus den 70er Jahren aufgenommen und das heißt konkret:
- Filme werden vorgestellt und inhaltlich bekanntgemacht
- Analysekriterien und Filmbeobachtungsmöglichkeiten werden vorgestellt und als Hilfen an die Hand gegeben.
- Filme werden mit Bildern oder Texten kontrastiert, so daß eine gegenseitige Erschließung möglich wird.
Gerade der letzte Punkt scheint mir dabei besonders wichtig zu sein, denn das, was dieser Punkt benennt, ist genau das, was den meisten, den Filmen beigefügten Arbeitsblättern fehlt: Kontrast- bzw. Ergänzungsmaterial, zumal dann, wenn Schülerinnen und Schüler Aussagen bzw. Wertungen eines Filmes sich selbständig erarbeiten sollen. Solche Bilder, wie ich sie mir vorstelle, können dem Film selbst entnommen sein, um in ihn einzuführen und um die Aufmerksamkeit zu schärfen. Sie können aber auch anderen Kontexten entstammen, um eine mögliche Einlinigkeit eines Films aufzubrechen oder ihn in seiner Besonderheit hervorzuheben. Dabei wird man allerdings unterscheiden müssen und zwar nach der Art der uns zur Zeit überwiegend angebotenen Filme. Wenn ich es richtig sehe, bietet der religionspädagogische Filmmarkt zur Zeit folgende Filmgruppen:
- Spielfilme zu unterschiedlichen Thematiken, in der Regel ethisch orientiert.
- 3. Welt-Filme, die zum Teil in die Kategorie a) fallen, zum Teil in die Kategorie Kurzfilme (Dokumentation)
- Kurzspielfilme
- kurze Animationsfilme
- Videoclips (besonders kurze Animations- und Spielszenen nach Themen geordnet und in nicht unbeachtlicher Fülle auf einem Videoband versammelt - Matthias-Film)
Fragt man nach den Einsatzmöglichkeiten der Filme, dann sind sie, abgesehen von abendfüllenden Spielfilmen, die jedoch eine Sonderrolle spielen, Einstiegsmaterialien, die den Zugang zu einer bestimmten Thematik erschließen sollen. Sie stehen damit am Anfang einer Stunde oder einer Unterrichtseinheit. Der themenfelderschließende Charakter dieser Filme, der die anschließende Diskussion bzw. das weiterführende Gespräch erfordert, macht sie aber auch für Angelpunkte eines weiter fortgeschrittenen Unterrichtsgeschehens durchaus geeignet. Für jenen Punkt also, wo neue Argumente ins Spiel kommen sollen oder müssen bzw., wo eine neue Richtung der Diskussion eingeschlagen werden soll. Viel seltener, aber möglich, wären evaluative Aufgaben, für die aber das filmische Einzelbild in der Regel geeigneter erscheint als selbst ein Kurzfilm. Die Methoden, die jeweils zum Einsatz kommen können, will ich am Ende gesondert erwähnen, auch um Überschneidungen zu vermeiden. Ich denke, neben der Betrachtung und Diskussion von Filmen und ihrer jeweiligen Thematik wird beim Stichwort Film zu sehr aus dem Blick gelassen, daß uns die gegenwärtige Videotechnik hervorragende Möglichkeiten der Eigenproduktion bietet, vor allem im Kurzfilmbereich. Das kann bei einfachen Erkundungen mit der Videokamera beginnen, aber auch zum gestalteten Kurzspielfilm führen.
In der Regel wird man ein solches Vorhaben als Projekt planen müssen und der- oder diejenige, die auf diesem Gebiet einige Erfahrungen gesammelt haben, werden nicht umhin können, ein solches Projekt fächerübergreifend zu gestalten. Aufgrund des Arbeitsaufwandes wird man dies auch nicht sehr häufig tun, aber ich denke, es ist leicht einsehbar, daß im Religionsunterricht und im Deutschunterricht eine Story bzw. das Drehbuch entwickelt werden kann, daß im Bereich Kunst die Gestaltung anfällt und daß im Fach Musik der Ton artikuliert wird. Das bedarf jedoch intensiver Planung und auch in der Regel außerschulische Aktivitäten. Gerade aber so lernen Schüler sowohl am besten und am meisten und deswegen halte ich diesen Weg geradezu für den Königsweg medialer und damit auch filmischer Erziehung. Und dies vor einem doppelten theoretischen Hintergrund:
Die Kirchen haben sich in ihrer Verkündigung und Unterweisung immer anschaulicher Bilder und bildhafter Geschichten bedient und so didaktisch zwischen dem "Wort Gottes", dem Grund ihres Zeugnisses, und den Hörern mit ihren Erfahrungen "vermittelt". Der Religionslehrer verfährt nicht anders. Er muß aber, wie die Kirchen heute auch, bewußt auf die weltlichen Bilder achten, sie als Ausdruck der Erfahrungen und Empfindungen der Menschen heute verstehen und sie genauso sorgfältig "lesen" unter interpretieren, wie er selbstverständlich die traditionellen Texte der christlichen Überlieferung exegisiert und interpretiert, um nicht an der Realität der Schüler, an ihren Alltagserfahrungen vorbei zu unterrichten. Er braucht die Medien, mit denen die Schüler alltäglich spielen, sich unterhalten und lernen, um seine fachspezifischen Inhalte und den Alltag der Schüler zu vermitteln. Der wachsende Einfluß der Medien auf die Schüler und der vermehrte "Nutzen", den sie daraus ziehen, verstärkt diese Notwendigkeit.
Filmen ist ja das ins Bild setzen von Wirklichkeit, die uns umgibt, in der wir leben. Durch die zunehmende Individualisierung bricht allerdings öffentlicher Konsenz in extrem viele Kleingruppenmeinungen auseinander, damit zugleich auch die Wahrnehmung von Wirklichkeit. Ein Film wiederum stellt von sich aus eine Wirklichkeit her und in dem wir ihn gemeinsam betrachten und uns in seinen Bann ziehen lassen, in dem wir uns an ihn ausliefern, stellen wir so etwas her wie einen gemeinsamen Erfahrungs- und Gesprächshintergrund oder eine Erfahrungs- und Gesprächsvorlage. Der Film macht uns damit Wirklichkeit erfahrungskompatibel und wird als Bild der Welt eine Interpretationsfolie fürs Religiöse. Diese Funktion hat er mit dem Einzelbild, sei es ein Gemälde oder ein Foto, gemeinsam. Suchten Religionspädagogen im Sinn einer Zielkonformität in der Mitte dieses Jahrhunderts noch nach "stützenden" Filmen, die das, was der Lehrer wollte, deutlicher und intensiver ans Licht bringen sollten, als er selbst das vermochte, gleichsam wie ein großer Bruder, so hat sich heute das Verhältnis geändert. Da das Gegenüber der Welt extrem vieldeutig geworden ist, bilden sich nun im Bild und im Film nicht nur der Glaube, sondern die Welt ab, die es zu interpretieren und zu verändern gilt, denn Wirklichkeit begegnet uns zunehmend medial und gilt nur als solche wirklich. Damit hat sich aber auch die Position und Funktion des Films im Religionsunterricht grundlegend geändert. Die Funktion und Vertriebswesen einschließlich der Preise (also im wesentlichen die "kurze" Videoproduktion versus "längerer" Spielfilm) wie andererseits der Individualisierungsschub der "Moderne" lassen es sinnvoll erscheinen, auch filmische Unterrichtsmaterialien von den "großen" Medienstellen weg hin in die Hand des Lehrers und der Lehrerin, bzw. der Schule zu verlagern. So könnte die Idealsituation darin bestehen. daß die Unterrichtenden im Fach Religion das von ihnen verwendete Material, das sie häufiger, weil leichter, einsetzen, in unmittelbarer Zugriffsnähe zur Hand haben. Eine mögliche positive Folge könnte dann darin bestehen, daß mit bestimmten bevorzugten Materialien längere Erfahrungsräume im unterrichtlichen Prozeß abgedeckt werden können und die individuelle Sicherheit im Umgang mit dem Medium Film zunehmen kann. Ebenso wächst die Chance des gezielten medienspezifischen Einsatzes, denn die Medien stehen dann zur Verfügung, wenn der durchschnittliche Lehrer sich auf den Unterricht vorbereitet - am späten Nachmittag oder Abend -. Was aber wird dann aus den großen Medienstellen und Medienzentren? Mit der Wiederentdeckung eines möglichst vieldimensionalen Lernprozesses, der fälschlicherweise häufig als "ganzheitlich" ausgegeben wird, haben die medialen unterrichtlichen Möglichkeiten des Rollenspiels, des Maskenbaus, des Schminkens, des Theaters, des Spiels und des bildnerischen Gestaltens derartig viele Möglichkeiten, aber auch notwendige Beratungs- und Lernsituationen geschaffen, daß hier der Trend des Angebotes, so wie es in der Medienzentrale in Hannover schon praktiziert wird, in Richtung Kulturarbeit gehen könnte und müßte. Damit verlagert sich deren Schwerpunkt von der Ausleihstelle zum Ort und Organisator von Beratung und Weiterbildung im mediendidaktischen Bereich. Die radikale Forderung des medialen und gesellschaftlichen Wandels hieße dann: Jedem seine eigene Mediothek, zumindest jeder Schule und Gemeinde.
Insofern hat der Individualisierungsschub marktpolitische und ökonomische Konsequenzen.