Warum Menschen glauben

Von Barbara Weber

 

Jede bekannte Kultur basiert auf einem religiösen Fundament. Religion spielt in der Menschheitsgeschichte eine nicht zu unterschätzende Rolle. Wissenschaftler suchen schon lange nach Erklärungen dafür, warum Menschen glauben – und verfolgen auch heute noch sehr unterschiedliche Ansätze. 1

Abhängig von Betrachtungsweise und Weltanschauung gibt es unterschiedliche Definitionen von Religion. Aber alle Religionen kennzeichnen universale Elemente wie Sinnfindung, moralische Orientierung und den Glauben an übernatürliche Mächte.

„In der Evolutionsforschung zu Religiosität und Religionen ist man interessanterweise wieder bei der Definition angelangt, die Charles Darwin selber – er hat ja Theologie studiert – damals schon verwendet hat“, sagt der Religionswissenschaftler Dr. Michael Blume, „nämlich den Glauben an höhere Wesen, an ,super empirical-agents‘, oder ,supernatural agents‘, wie die englischsprachigen Kollegen sagen, das heißt, wenn wir uns zueinander verhalten als Menschen, ist das soziales Verhalten. Wenn wir uns aber gegen Wesenheiten verhalten, an die wir glauben können, Ahnen, Geister, Gottheiten, Aliens, Engel, dann ist das religiöses Verhalten.“

Die Universalität von Religion bezieht sich auf einen weiteren Aspekt: „Wir sind in der Tat eine religiöse Spezies“, sagt Prof. Russell Gray, Direktor der Abteilung Sprach- und Kulturevolution am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte. „Praktisch jede Gesellschaft, die wir untersucht haben, besitzt in irgendeiner Form religiösen Glauben und religiöse Praktiken. Es gibt eine große Debatte unter Wissenschaftlern, warum das so ist, weshalb es dieses universelle Merkmal der Menschheit gibt.“

Die ersten überlieferten religiösen Praktiken stehen im Zusammenhang mit dem Tod und dem Versuch, die eigene Sterblichkeit zu begreifen. „Wir können sehen, dass genau in den Phasen, als sich auch das Stirnhirn entwickelt, als Homo sapiens und Homo Neandertalensis beginnen, Vorausplanung zu beherrschen, Impulskontrolle, biografisches Denken, also indem sie sich auch selber bewusst werden, dass andere sterben, und dass auch sie selbst sterben werden, da treffen wir dann auf Bestattungsverhalten, das heißt, wir merken schon, dass es da Zusammenhänge gibt, offensichtlich spielt die Auseinandersetzung mit dem Tod da eine ganz große Rolle“, sagt Michael Blume. „Und das haben wir tatsächlich schon in der Altsteinzeit. So 120.000 Jahre können als gesichert gelten.“


Der Versuch, Einfluss zu nehmen auf das eigentlich nicht zu Beeinflussende

Neben dem Tod beschäftigten die frühen Menschen auch nicht erklärbare Naturphänomene.„Die charakteristische Erklärung dafür lautet, dass in diesen Zeiten Menschen sich sehr stark abhängig gefühlt haben von der Natur,“ so der Religionssoziologe Prof. Detlef Pollack, Sprecher des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ an der Universität Münster, „und dass sie über die Religion, über magische Praktiken, über religiöse Riten versucht haben, Einfluss zu nehmen auf dasjenige, was sie mit natürlichen Mitteln nicht beherrschen können. Und man kann das mit dem Begriff Kontingenzbewältigung, ein Begriff von Niklas Luhmann, bezeichnen. Ganz gewiss erfüllt Religion in diesen Kulturen eine zentrale Funktion.“

Kontingenz bezeichnet in der Systemtheorie die prinzipielle Offenheit und Ungewissheit menschlicher Lebenserfahrung.

„Ich würde zunächst mal sagen, dass Religion mit dem Unzugänglichen, Unerkennbaren, mit dem, was wir nicht wissen können, zu tun hat, ganz zentral nicht nur, aber ganz wesentlich. Und das ist ein Hinweis darauf, dass man im menschlichen Leben, in der Natur, in der Gesellschaft, in seinem persönlichen Leben, nicht alles in den Griff nehmen kann, und dass man damit rechnen muss, dass es da Kräfte gibt, denen man ausgeliefert ist, und Religion ist ein Ausdruck dieses Bewusstseins, dass wir nicht alles in der Hand haben.“

Wie auch Detlef Pollack vermutet Russell Gray, dass weitere Aspekte hinzukommen. Der Evolutionsbiologe glaubt nicht, dass Religion nur ein Nebenprodukt unserer mangelnden kognitiven Fähigkeiten ist:

„Ich denke nicht, dass die Beschreibung von Religion als Nebenprodukt die Vielfalt der Religionen in der Welt ausreichend erklärt, und speziell die Tatsache, dass Religion nicht kostenlos zu haben ist. Religion benötigt viel Zeit, eine Menge Geld. Und nicht nur Geld oder Zeit müssen aufgewendet werden, auch körperliche Opfer können erforderlich sein wie Leid und Schmerz. Ich denke, nur einfach zu sagen, es ist ein Nebenprodukt von etwas anderem, trifft die Bedeutung von Religion nicht.“

Auch andere Erklärungsmodelle greifen seiner Meinung nach zu kurz, zum Beispiel, „dass Religion eine Art krankhafter Virus ist – das ist die Sicht von Richard Dawkins – sie ist anpassungsfähig, aber nur zu ihren eigenen Gunsten. Sie schädigt ihren Wirt, meint er. Einige Leute finden das amüsant, aber ich denke, dass das nicht mit der wissenschaftlichen Erkenntnis zusammenpasst, die zeigt, dass Religionen das Überleben ihrer Angehörigen und soziale Verhaltensweisen unterstützen.“

In ähnliche Richtung geht der dritte wissenschaftliche Ansatz: „Die dritte These, warum Religionen so verbreitet sind, ist, dass sie zweckmäßig sind, zweckmäßig im Sinne der kulturellen Evolution. Ein Grund dafür ist, dass sie soziales Verhalten und die Kooperation in Gruppen unterstützen.“

Aber sind sie deshalb eine notwendige Voraussetzung, um Menschen zu sozialen Verhaltensweisen anzuhalten? Oder anders gefragt: Wären Menschen ohne Religion weniger sozial? Nein, sagt Donald Pfaff, dessen Buch „Das altruistische Gehirn“ Anfang Mai 2016 in Deutschland erschienen ist. Er beginnt mit einem Beispiel:

„Weslay Autray stand in New York an einem U-Bahn Bahnsteig, als ein Mann neben ihm einen epileptischen Anfall bekam und auf die Gleise fiel, unmittelbar bevor ein Zug kam. Autray sprang direkt hinterher und schützte den Mann mit seinem Körper, als der Zug über ihnen zum Stehen kam. Warum hat er das getan?“

Diese Frage beschäftigte den Leiter des Labors für Neurobiologie und Verhaltenspsychologie der Rockefeller University in New York City. Im vergangenen Jahr erläuterte der Wissenschaftler in einem Vortrag an der James Madison University seine Theorie über das altruistische Gehirn. Der Neurobiologe erzählte, dass seine Frau in einer College-Bibliothek arbeitet. So nahm er öfter Fotokopien seiner Fachliteratur mit, um dort zu studieren, während er auf seine Frau wartete.

„Eines Abends, als ich in der Bibliothek meine wissenschaftlichen Studien beendet hatte – ich bin Neurobiologe –, wanderte mein Blick über die Buchrücken der gut ausgestatteten Abteilung ,Vergleichende Religionswissenschaften‘ in diesem College. Nachdem ich dort eine Weile gelesen hatte, wunderte ich mich, dass ich über Kontinente und über Jahrhunderte hinweg keine Religion finden konnte, die es versäumte, ein Statement über die so genannte ,Goldene Regel‘ aufzunehmen.“

Die ‚Goldene Rege‘ bezeichnet den sogenannten reziproken Altruismus. Reziprok heißt, dass altruistisches Verhalten zwischen Individuen ausgeglichen sein sollte – nach dem Motto: ‚Helfe ich dir – hilfst du mir!‘ Der Wissenschaftler ist überzeugt, dass diese Verhaltensdisposition im Bauplan unseres Gehirns verankert und neurobiologisch nachweisbar ist, wie er in seinem Buch darlegt.

Wenn das Gehirn des Homo sapiens aber per se mit dieser Eigenschaft ausgestattet ist, bedarf es keiner religiösen Regeln, um Altruismus einzufordern. Andererseits könnte es eine mögliche Erklärung dafür sein, warum Menschen auch ihre Götter mit dieser Eigenschaft ausstatten. Nicht nur menschen-ähnliche Eigenschaften zeichnen Götter aus. Sie werden auch – so Russell Gray – geprägt von der Umgebung, in der die Menschen leben, die sie verehren.

„Unsere Untersuchungen haben in der Tat gezeigt, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen Umwelt und Göttern. Carlos Botero, Kollegen und ich haben uns bestimmte Arten von Religionen weltweit angeschaut. Wir haben uns die Existenz eines bestimmten Typus von Göttern angeschaut, nämlich große, moralisierende Götter, die vermittelnd in menschliche Angelegenheiten eingreifen und sehr mächtig sind. Was wir herausgefunden haben, als wir nach der Verbreitung der verschiedenen Götter geschaut haben, ist, dass sie häufiger in einer Umgebung vorkommen, die rau ist und wo das Leben für die Menschen wirklich hart ist. Das heißt, die ökologischen Zwänge, in der menschliche Gesellschaften leben, prägen ihre Vorstellung von den Göttern, an die sie glauben.“

Neben erwünschten Verhaltensweisen und Umwelt sehen Wissenschaftler auch eine Wechselwirkung zwischen Machtverhältnissen, Religionen und religiösen Praktiken. Für diese These spricht eine kürzlich in „Nature“ veröffentlichte Studie von Forschern des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte, der Universität Auckland und der Viktoria Universität Wellington.
„Mein Doktorand Joseph Watts und Kollegen haben herausgefunden, dass es in der Tat einen Zusammenhang gibt – wahrscheinlich einen kausalen Zusammenhang – zwischen religiösen Praktiken und sozialer Ungleichheit.“
Soziale Ungleichheit ist ein relativ modernes Phänomen in der Menschheitsgeschichte. Über Zehntausende von Jahren lebten Menschen in kleinen, relativ egalitären Gesellschaften, bis sich plötzlich in der späten Jungsteinzeit und verstärkt zu Beginn der Bronzezeit Hierarchien herausbildeten.

„Wir waren daran interessiert, in welchem Ausmaß bestimmte religiöse Praktiken geholfen haben könnten, die Evolution der heutigen hierarchischen Gesellschaft zu begründen und zu fördern. Speziell haben wir uns rituelle Menschenopfer angeschaut, das heißt, die religiös gebilligte Tötung von Menschen“, sagt Prof. Russel Gray.
„Was wir mithilfe computerbasierter Methoden herausgefunden haben, war, dass in einem Querschnitt von 93 historischen austronesischen Kulturen aus dem pazifischen und ostasiatischen Raum, die Gesellschaften, die ungleicher waren, zu Menschenopfern tendierten. Wir konnten zeigen, dass Gesellschaften, die Menschenopfer praktizierten, weniger wahrscheinlich zu einer egalitären Gesellschaft zurückkehrten, sondern eher an dieser Hierarchisierung festhielten und diese soziale Ungleichheit sogar vergrößerten.“

Rituelle Menschenopfer trugen entscheidend dazu bei – so das Resümee der Wissenschaftler –, dass die Eliten ihre Macht über die unteren sozialen Schichten festigten. Ähnliche Opferpraktiken finden sich im alten China und im alten Ägypten aber auch bei den Azteken. Sobald soziale Systeme etabliert waren, wurde die Praktik der Menschenopfer durch mehr formale Methoden der Kontrolle ersetzt.

Bis heute hat sich das Muster der Verbindung von Religion und Politik in vielen Gesellschaften gehalten. Genau das erforschen auch Wissenschaftler in dem Exzellenzcluster „Religion und Politik“ an der Universität Münster. Doch was bedeutet diese Verknüpfung für die Religion, was für die Politik?

Prof. Detlef Pollack, Sprecher des Exzellenzclusters: „Für die Religion bedeutet es zu einem großen Teil, dass sie zu einem großen Teil instrumentalisiert wird. Nehmen wir zum Beispiel Russland: In Russland beobachten wir einen starken religiösen Aufschwung. Dieser religiöse Aufschwung ist seit 1990/92 zu beobachten, also seit 25 Jahren, und man kann sagen, dass das zulasten der Kirche geht und zwar insofern, als dass die russisch-orthodoxe Kirche politisch instrumentalisiert wird, benutzt wird, um das Herrschaftssystem zu legitimieren, und da kann man sehen, dass Religion, religiöse Überzeugungen, religiöse Praktiken, sehr stark nationalistisch aufgeladen sind.“

Mit dem Zerfall des Ostblocks verlor die UdSSR ihren Großmachtstatus, für viele ihrer Bewohner ein schmerzlicher Verlust, verbunden mit einer Identitätskrise. Es entspricht dem gängigen Muster, dass genau in dieser Phase die orthodoxe Kirche an Bedeutung gewann, so der Religionswissenschaftler Dr. Michael Blume.
„Grundsätzlich wird Religiosität sehr stark aktiviert durch existenzielle Unsicherheit, das heißt, wenn es Menschen schlecht geht, wenn sie materiell unsicher leben oder sich existenziell bedroht fühlen, dann bricht eine große Sehnsucht nach Religiosität aus.“

 


„Die Menschen sind der Meinung, Amerika hat quasi einen göttlichen Auftrag“

Von existenzieller Unsicherheit fühlen sich auch Teile der US-amerikanischen Mittelschicht bedroht, die sich wiederum in ihrer Wertvorstellung den fundamentalistischen Evangelikalen zugehörig fühlen. Ein wichtiger Punkt dabei sind die politischen, sozialen und ökonomischen Interessen, die sich mit den jeweiligen Religionsgemeinschaften verbinden.

Detlef Pollack: „Da kann man beobachten, dass viele von denjenigen, die dem Fundamentalismus anhängen, bestimmte politische Vorstellungen haben darüber, wie Amerika die Demokratie, den Rechtsstaat, die Freiheit in die Welt hineinzutragen hat. Und diese Vorstellungen sind auf der einen Seite politischer Natur, auf der anderen Seite auch religiös konnotiert, das heißt, die Menschen sind der Meinung, Amerika hat quasi einen göttlichen Auftrag.“

Die Lautstärke, mit der Fundamentalisten ihre Positionen vertreten, täuscht allerdings darüber hinweg, dass die Evangelikalen in der amerikanischen Bevölkerung nur eine Minderheit repräsentieren.

„Es sind so 15 bis 20 Prozent der Gesamtbevölkerung. Man muss aber sagen, dass die Bedeutung von Religion in den USA insgesamt zurückgeht, also zum Beispiel, wenn man sich die sogenannten mainline-churches anguckt, zum Beispiel die Kirchen, die stärker an den sozialen Mainstream angeschlossen sind, dann kann man beobachten, dass die an Bedeutung verlieren, und inzwischen haben wir in den USA 20 bis 25 Prozent Konfessionslose, so viel wie in Westdeutschland auch.“

Woran liegt es, dass in westlich orientierten, modernen Staaten Religion an Bedeutung verliert? Michael Blume: „Wenn es Menschen längere Zeit sehr gut geht, dann bröckelt die Religiosität durchschnittlich ab, das heißt, wenn Menschen existenziell sehr sicher leben, dann aktiviert das sehr viel schwächer, dann tritt das auch zurück.“

Auch die Religionen, die heute in modernen Gesellschaften vertreten sind, haben sich im Verlauf der Evolution entwickelt. „Was ganz spannend ist, dass wir tatsächlich sehen können: In kleinen Gruppengesellschaften, wo man sich noch persönlich kennt, da sind die gemeinsamen Ahnen ganz wichtig“, so der Religionswissenschaftler Dr. Michael Blume.

„Wenn die Gesellschaften dann größer und komplexer werden, werden auch die Götter immer größer und komplexer. Dann haben wir Gottheiten für Handel, für Krieg, für Fruchtbarkeit. Gottheiten für Städte, Pallas Athene zum Beispiel. Und dann schließlich im Umkreis der entstehenden großen Zivilisationen auch in den nomadischen Gebieten, dort entsteht dann der Glaube an eine Gottheit, die alles weiß, die alles umfasst, die alle Menschen im Blick hat. Das ist erst ein paar tausend Jahre alt, ist aber das Erfolgsmodell seither gewesen.“
In den meisten komplexen Gesellschaften finden sich heute abrahamitische Religionen wie das Christentum, der Islam oder das Judentum.

Michael Blume: „Die Komplexität von Gesellschaften hängt auch damit zusammen, welche Art von Religion sie hervorbringt.“

Besteht also eine Wechselwirkung zwischen Religion und Gesellschaft? Schaffen wir uns die Religion, die wir brauchen? „Das ist ein interessanter Gedanke“, meint Prof. Russell Gray vom Max Planck Institut für Menschheitsgeschichte. „Natürlich werden Gläubige, zumindest Fundamentalisten, glauben, dass ihre Religion direkt von Gott kommt und nicht irgendein menschliches Konstrukt ist. Doch unsere Forschung zeigt, dass Glauben und religiöse Praktiken durch ökologische und kulturelle Kräfte geformt werden. Sie weisen Unterschiede in Bezug auf verschiedene Gesellschaftsformen auf. Das heißt nicht, dass alle Glaubensrichtungen und jede religiöse Praxis ausschließlich funktional sind; aber es bedeutet, dass sie weitaus variabler und flexibler sind, als man gedacht hat. Also schaffen wir tatsächlich zumindest ansatzweise die Religionen, die wir brauchen, aber wir tun dies eingeschränkt durch die Umwelt und eingeschränkt durch die Kultur, in der wir leben.“

Wenn wir uns unsere Religion so formen, wie wir sie benötigen, heißt das im Umkehrschluss, dass wir sie in der modernen, aufgeklärten Welt nicht mehr benötigen? Der Theologe und Religionssoziologe Prof. Detlef Pollack:

„Ich würde ohnehin nicht davon ausgehen, dass Religion etwas ist, was notwendig ist. Es gibt bestimmte Dinge, die wirklich notwendig sind, zum Beispiel, dass wir uns ernähren, dass wir die Möglichkeit haben, uns zu schützen. Wir brauchen irgendwo ein Bett, wir brauchen eine Gelegenheit zum Schlafen. Es gibt notwendige Bedürfnisse, auf die wir nicht verzichten können, und das wäre so die erste Frage, ob Religion dazu gehört. Und wenn man das so sieht, dass Religion möglicherweise nicht etwas ist, was notwendig ist für die Gesellschaft oder für den Einzelnen, dann steht auch nicht die Frage, was an die Stelle von Religion tritt. Wir können trotzdem ein moralisch und auch persönlich existenziell vollgültiges Leben führen. Die Frage danach, was an die Stelle von Religion tritt, setzt voraus, dass Religion unverzichtbar ist. Und diese Voraussetzung würde ich so ohne weiteres nicht machen.“

Doch auf der einen Seite stehen wissenschaftliche Erkenntnisse, auf der anderen das persönliche Leben. So unterscheidet auch Detlef Pollack zwischen beiden Dimensionen:

„Ich würde sagen ja, Religion spielt für mich eine ganz zentrale Rolle, auch die Kirche, auch die Beteiligung am kirchlichen Leben spielt für mich eine große Rolle. Auch wenn ich mich in der Wissenschaft eher distanziert mit religiösen Fragen beschäftige, so ist mir doch vollkommen bewusst, dass in der Praxis, im Vollzug von Religion, eine Dimension zum Tragen kommt, die sich wissenschaftlich nicht voll auf den Punkt bringen lässt.“

 

Anmerkungen: 

  1. Der folgende Text ist das Manuskript eines Radiobeitrags, der unter demselben Titel am 5. Mai 2016 vom Deutschland-funk gesendet wurde. Das Manuskript ist im Internet verfügbar unter: www.deutschlandfunk.de/religion-warum-menschen-glauben.1148.de.html?dram:article_id=353377 (Abrufdatum 24.07.2018).