Konfessionslose und konfessionell-kooperativer Religionsunterricht – ein Widerspruch?

Von Susanne Schwarz

 

Motivationstheoretische Impulse


Im aktuellen Diskurs über die Zukunft des Religionsunterrichts wird vor allem der konfessionell-kooperative Religionsunterricht beworben und in vielen Bundesländern erprobt. Das ist für mich Anlass danach zu fragen, ob der konfessionell-kooperative Religionsunterricht eine angemessene religionspädagogische Antwort auf eine Herausforderung sein kann, die in Folgendem besteht.


Passungsproblem?

Im Zusammenhang mit einer in Bayern durchgeführten Studie zeigte sich, dass die Akzeptanz und Relevanz des Religionsunterrichts vor allem mit der religiösen Selbstverortung der Schülerinnen und Schüler zusammenhängt. Besonders auseinander gehen die Voten bei der Frage nach der Relevanz des Faches, die von über 80 Prozent derjenigen, die an Gott glauben, bejaht wird, von 56 Prozent derjenigen, die angeben, manchmal an Gott zu glauben, und von 27 Prozent derer, die angeben, nicht an Gott zu glauben.1

Diese Herausforderung ist nicht neu, sondern bereits in empirischen Studien aus den 1970er Jahren zu erkennen und weder regional noch konfessionell begrenzt. Daran zeigt sich m.E. eine zukunftsbezogene Aufgabe (nicht nur) für den evangelischen Religionsunterricht in Bezug auf seine nicht- und kritisch-religiösen Teilnehmerinnen und Teilnehmer. An diesem Passungsproblem lassen sich Anfragen an das Konzept des Faches ablesen und sind notwendig Rückfragen an die unteilbare religiöse Bildungsverantwortung allen Teilnehmenden gegenüber zu stellen, wenn der evangelische Religionsunterricht als offenes Bildungsangebot für Schülerinnen und Schüler unabhängig von ihrer religiösen Verortung verstanden werden soll. Diese Offenheit wird von nicht wenigen Schülerinnen und Schülern angenommen: In Mecklenburg-Vorpommern besuchen bspw. ca. 42 Prozent den evangelischen Religionsunterricht – bei 15 Prozent Kirchenmitgliedschaft; 2 in Württemberg 3 lernen ca. 34 Prozent konfessionslose Schülerinnen und Schüler im evangelischen Religionsunterricht der Grundschulen. Zwar sagt Konfessionslosigkeit noch wenig über religiöse Selbstverortung aus, gleichwohl sind empirische Zusammenhänge bekannt und es kann bei diesen Teilnehmenden nicht von einem konfessionsspezifischen Hintergrund ausgegangen werden.

Kann der konfessionell-kooperative Religionsunterricht eine zukunftsbezogene Antwort auf die beschriebene Herausforderung sein?

Ein Blick in die empirische wie fachdidaktische Literatur soll etwas mehr Klarheit über das Potenzial und die Herausforderungen des konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts für konfessionslose Schülerinnen und Schüler verschaffen. 4

 

Potenzial

Aus der empirischen Begleitforschung zum konfessionell-kooperativen Religionsunterricht in Baden-Württemberg ist bekannt, dass einige Eltern ihre konfessionslosen Kinder des Klassenerhaltes wegen und/oder aufgrund einer geringeren inhaltlichen Hemmschwelle eher in den konfessionell-kooperativen Religions- unterricht schicken als in den konfessionell-getrennten. Weiterhin ist zu lesen, dass Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums ohne Bekenntnis das erlebte Modell stärker befürworten als bekenntnislose Jugendliche an Vergleichsschulen. Aus der Schülerinnen- und Schülerbefragung ist außerdem zu entnehmen, dass diese für den konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts vor allem soziale Gründe einbringen. Von Seiten der Grundschülerinnen und Grundschüler, der Jugendlichen an Realschulen und Gymnasien wurde aber auch das Interesse, mehr über die andere Konfession zu erfahren, genannt.

Aus theoretischer Perspektive wird vor allem das Bildungspotenzial betont. So verweisen Lütze und Scheidler darauf, dass ein ökumenesensibler Unterricht die Pluralität des Christentums sichtbarer macht und dadurch Vorurteilen vorbeugt bzw. vorhandene infrage stellt.

Gerade im personell eingebauten Perspektivenwechsel sehen außerdem Käbisch und Philipp eine Lernchance, auch für konfessionslose Schülerinnen und Schüler. So könnten diese durch den konfessionell-kooperativen Religionsunterricht ihre Fähigkeit zum Perspektivenwechsel erweitern, weil sie bspw. durch einen Wechsel der Lehrkraft unterschiedliche Sichtweisen auf Themen kennen lernen.

Neben dem nicht vollständig skizzierten Potenzial sind auch offene Fragen zu benennen.

 


Offene Fragen

Ein Ergebnis ist besonders auffällig: So steigt zwar die konfessionsbezogene Kenntnis und die Auskunftsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler ohne Bekenntnis durch den Modellversuch, deutlich zu erkennen ist aber auch, dass diese Schülerinnen und Schüler bei fast allen Fragen schlechtere Ergebnisse erzielen als ihre evangelischen oder katholischen Klassenkameradinnen und -kameraden an Modell- wie auch an den Vergleichsschulen.

Auffällig ist weiterhin, dass den Hauptschülerinnen und Hauptschülern, die als wenig religiös sozialisiert beschrieben werden, ihre Konfession nicht wichtig ist und auch in ihrer Lebenswelt keine Rolle spielt. So sind sie auch in der Vergleichsuntersuchung inhaltlich sehr unsicher, geben wenige richtige Antworten; zum Teil weisen die Vergleichsschülerinnen und Vergleichsschüler etwas bessere Ergebnisse auf. Entsprechend heißt es auch, dass die Gymnasiastinnen und Gymnasiasten mehr vom interkonfessionellen Dialog profitieren können, weil sie noch am ehesten einen religiösen Hintergrund mitbringen.

Bislang wird das Verhältnis von Konfessionslosen und konfessionell(-kooperativ)em Religionsunterricht kaum problematisiert. Das kann zum einen mit dem Selbstverständnis des evangelischen Religionsunterrichts als offenem Bildungsangebot für alle Schülerinnen und Schüler zusammenhängen, aber auch damit, dass die Perspektive der konfessionslosen Kindern und Jugendlichen immer noch nicht selbstverständlich in religionspädagogische Grundüberlegungen einbezogen wird bzw. zu einer gewissen Unsicherheit führt. So beschreibt Schweitzer 2017 seine Ratlosigkeit wie folgt: „Noch am wenigsten geklärt ist die Bedeutung von Konfessionalität im Blick auf Konfessionslose. (…) Wie aber ist mit den zahlreichen konfessionslosen Kindern und Jugendlichen, die inzwischen im evangelischen Religionsunterricht zu finden sind, religionspädagogisch und -didaktisch umzugehen? Und was kann ein Dialog mit Menschen bedeuten, für die es gerade keine gemeinsame Bekenntnisgrundlage oder auch nur gemeinsame Bezugspunkte des Glaubens oder Nicht-Glaubens gibt?“5 Ähnliches ist auch in der EKD-Denkschrift „Religiöse Orientierung gewinnen“ zu lesen, wo die von den Autorinnen und Autoren nicht gefundene Dialogbasis mit Konfessionslosen zu der Überlegung führt, dass die Verständigung dann eher über ethische Themen erfolgen sollte.6 Konzeptionell zeigt sich die Schwierigkeit auch an den mit dem KoKoRu verbundenen Zielen, zu denen meist der Erwerb eines vertieften Bewusstseins für die eigene Konfession zählt; das exkludiert natürlich die konfessionslosen Lernenden.

Kann der konfessionell-kooperative Religions- unterricht eine zukunftsfähige Antwort auf die beschriebene Herausforderung sein? Vor dem Hintergrund des beschriebenen Potenzials wie der offenen Fragen ist erkennbar, dass es zur Beantwortung einer eigenen religionspädagogischen Auseinandersetzung bedarf. Festgehalten werden kann, dass der Religionsunterricht eine unteilbare religiöse Bildungsverantwortung für alle Teilnehmenden hat. Religionsdidaktische Lernansätze und Modelle sind von daher auf alle Teilnehmenden hin zu bedenken. Gerade die konsequente Einbeziehung der Perspektiven nichtkonfessioneller Kinder und Jugendliche realisiert die tatsächliche Offenheit des Religionsunterrichts und stärkt die Zukunftsfähigkeit des Faches. Denn die Plausibilisierung gegenüber nichtchristlichen Schülerinnen und Schülern trägt zum Dialog bei und nimmt so auch den Öffentlichkeitscharakter des Bildungsangebotes konsequent wahr. Eine zukunftsbezogene Antwort auf religiöse und weltanschauliche Pluralität kann konfessionell-kooperativer Religionsunterricht sein, wenn die konfessionelle wie eben auch weltanschauliche Pluralität ernst genommen wird.

 


Motivationstheoretische Impulse 7

Mein Angebot an dieser Stelle besteht darin, eine motivationstheoretische Lesart in die Fragestellung einzutragen, weil mit ihr stärker (nicht nur) von den konfessionslosen wie nichtreligiösen Schülerinnen und Schülern her gedacht und damit auch die Relevanzfrage gestellt wird. An dieser Stelle könnte eingewandt werden, dass das beschriebene Passungsproblem vielleicht gar kein fachspezifisches ist. Denn sind nicht auch die Unsportlichen weniger motiviert, den Sportunterricht zu besuchen und bewerten sie dessen Relevanz nicht auch geringer?

Wenngleich es aufschlussreich wäre, dies empirisch nachzuweisen, besteht doch die Aufgabe aller Fachdidaktiken darin, Motivation zu begünstigen, weil ohne Motivation kein Lernprozess stattfindet und Motivation zu den zentralen fachübergreifenden Qualitätsmerkmalen von Unterricht zählt. Ohne Motivation kann der bildungstheoretische Mehrwert eines Modells auch nicht verwirklicht werden. Dieser Zugang kann deshalb als Brücke zwischen der bildungstheoretisch bestimmten Relevanz (nicht nur) des konfessionell-kooperativen Modells und der zum Subjekt hin gewendeten Frage nach der Relevanz des Unterrichtsgeschehens dienen.

In Abbildung1 8 wird exemplarisch auf das erweiterte kognitive Motivationsmodell zurückgegriffen, um Motivation und Motivationsdefizite besser ergründen zu können. Abgebildet ist die Struktur eines ergebnisorientierten Handlungsablaufs. Ob und wie eine Person handelt, hängt von der Abwägung zwischen ihren Erwartungen und Wertzuschreibungen ab.

Als Beispiel dient hier die Achtklässlerin Sophie, die als konfessionslose Schülerin an einer konfessionell-kooperativen Unterrichtsstunde mit einer gemischtkonfessionellen Gruppenarbeit zu Firmung und Konfirmation teilnimmt, deren Präsentationsergebnisse am Ende bewertet werden sollen. Ob und wie sehr Sophie für die geplante Gruppenarbeit motiviert sein wird, hängt auf der Erwartungsebene u.a. daran, ob sie aus ihrer Sicht für eine gute Präsentation viel tun muss, weil sie eventuell Vorwissen hat oder die Anforderungen in Reli nicht so hoch sind. Sophie kann sich weiterhin fragen, ob sie auf das Ergebnis einwirken kann und sie sich in der Lage sieht, die Bewertung mit ihrer Anstrengung zu beeinflussen oder ob sie sich das als „Laie“ eher nicht zutraut. Sie könnte weiter darüber nachdenken, ob mit dem Ergebnis der Gruppenarbeit bzw. der Note erstrebenswerte Folgen verbunden sind.

Wichtiger für die Frage nach der Motivation ist im Religionsunterricht aber die Anreizebene. Wichtiger, weil die Lernanforderung in Religion oft als eher leicht eingestuft wird und die Erwartung, die Lernanforderungen erfüllen zu können, meistens hoch ist.

Entscheidend für Sophie wird eventuell sein, ob die Tätigkeit für sie selbst von Relevanz ist. Tätigkeitsanreize können aus der Sozialität der Situation resultieren, weil Sophie sich auf die Zusammenarbeit mit den anderen Gruppenmitgliedern freut; das entspräche dem Bedürfnis nach sozialer Eingebundenheit. Tätigkeitsanreize können aber auch aus der Tätigkeit selbst stammen. Gibt es beispielsweise die Möglichkeit, mit dem Internet zu arbeiten, eine kreative PowerPoint-Präsentation oder ähnliches zu gestalten oder hat die Lehrkraft den Lernenden, die keine der beiden Feiern begehen, angehalten, ihre konfessionsverschiedenen Klassenkameradinnen und Klassenkameraden zu interviewen? Sophie könnte das motivieren, weil sie bei den Tätigkeiten kreativ und selbstbestimmt handeln kann.

Drittens ist es möglich, dass diese Feste selbst, und damit der Lerngegenstand, für Sophie besonders interessant sind, weil sie sie noch gar nicht kennt und mehr darüber erfahren will oder weil sie sie vergleichen will, eventuell mit der eigenen Jugendweihe oder einer nichtreligiösen Jugendfeier, oder weil sie darüber nachdenkt, ob für sie solch eine Feier auch infrage kommen kann und die konfessionsverschiedenen Ansprechpersonen ihr dafür authentische Auskunftspersonen sein können. Möglicherweise hat die Lehrkraft die Lerneinheit ausgehend von allgemeinen Initiationsritualen konzipiert und die auch Sophie interessierende Frage steht im Zentrum, was es einem Menschen denn bringt, wenn er sein Leben im Initiationsritual mit Gott verbindet und wie das die evangelischen und katholischen Mitschülerinnen und Mitschüler je deuten.

Anreize für die Motivation können auch aus den Folgen des Ergebnisses resultieren. Sophie könnte eine gute Note für ihren Durchschnitt im Fach Religion oder zum Ausgleich gebrauchen und engagiert sich deshalb besonders. Eine Attraktivität der Ergebnisfolgen könnte auch darin bestehen, dass Sophie bei den Gesprächen über Firmung und Konfirmation nun endlich mitreden kann oder sie erhofft, durch eine kreative Präsentation ihren sozialen Stand in der Klasse zu verbessern oder sich selbst in Bezug auf Initiationsfeiern zu orientieren.
Die Motivation Sophies wird letztendlich das Ergebnis einer Abwägung zwischen den Erwartungen und vor allem den Wertzuschreibungen gegenüber den Anreizen sein.

 


Fazit

Um das Bildungspotenzial des konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts auch für konfessionslose Schülerinnen und Schüler zu bedenken, braucht es eine Überprüfung der konzeptionellen Aspekte auf ihre Anschlussfähigkeit und Bedeutsamkeit für alle Kinder und Jugendlichen, unabhängig von ihrer religiösen Verortung.

Eine motivationstheoretische Lesart könnte einen Beitrag dazu leisten, den konfessionell-kooperativen Religionsunterricht als chancenreiches religiöses Bildungspotential aus der Sicht der Teilnehmenden zu bedenken.

 

Anmerkungen: 

  1. Vgl. Schwarz / Dörnhöfer: SchülerInnenperspektiven auf den evangelischen Religionsunterricht in Bayern, 215.
  2. Vgl. www.welt.de/regionales/mecklenburgvorpom mern/article139348446/Zulauf-fuer-Religionsun terricht-in-Mecklenburg-Vorpommern.html (Abrufdatum: 18.07.18).
  3. Nach Auskunft von Wolfgang Kalmbach.
  4. Zugrunde gelegt wurde vor allem: Kuld, Lothar u.a.: Im Religionsunterricht zusammenarbeiten; Lindner u.a.: Zukunftsfähiger Religionsunterricht.
  5. Schweitzer: Die Bedeutung von Konfessionalität für einen zukunftsfähigen Religionsunterricht aus evangelischer Sicht, 52.
  6. Vgl. EKD: Religiöse Orientierung gewinnen, 31f.
  7. Vgl. Heckhausen, Jutta/Heckhausen, Heinz: Motivation und Handeln, 373ff.
  8. Vgl. ebd., 375.

 

 Literatur

  • EKD: Religiöse Orientierung gewinnen. Evangelischer Religionsunterricht als Beitrag zu einer pluralitätsfähigen Schule, Gütersloh 2014
  • Heckhausen, Jutta / Heckhausen, Heinz: Motivation und Handeln, Heidelberg 4. Aufl. 2010
  • Käbisch, David / Philipp, Laura: Religiöse Positionierung als Fähigkeit zum Perspektivenwechsel und Argumentieren. Didaktische Leitlinien für das gemeinsame Lernen mit Konfessionslosen, in: Lindner, Konstantin u.a. (Hg.): Zukunftsfähiger Religionsunterricht. Konfessionell – kooperativ – kontextuell, München 2017, 238-260
  • Kuld, Lothar u.a. (Hg.): Im Religionsunterricht zusammenarbeiten. Evaluation des konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts in Baden-Württemberg, Stuttgart 2009
  • Lindner, Konstantin u.a. (Hg.): Zukunftsfähiger Religionsunterricht. Konfessionell – kooperativ – kontextuell, München 2017
  • Lütze, Frank / Scheidler, Monika: Ökumenisch sensibler Religionsunterricht im säkularen Kontext. Perspektiven aus den ostdeutschen Bundesländern, in: Lindner, Konstantin u.a. (Hg.): Zukunftsfähiger Religionsunterricht. Konfessionell – kooperativ – kontextuell, München 2017, 281-296
  • Schwarz, Susanne / Dörnhöfer, Adriane: SchülerInnenperspektiven auf den evangelischen Religionsunterricht in Bayern. Ausgewählte Ergebnisse, in: Theo-Web. Zeitschrift für Religionspädagogik 15 (2016), H. 1, 205–243
  • Schweitzer, Friedrich: Die Bedeutung von Konfessionalität für einen zukunftsfähigen Religionsunterricht aus evangelischer Sicht, in: Lindner, Konstantin u.a. (Hg.): Zukunftsfähiger Religionsunterricht. Konfessionell – kooperativ – kontextuell, München 2017, 41-54