Religiöse Feierelemente in nichtreligiösen Feiern

Von Emilia Handke

 

Bereits der aufgetragene Titel hebt altbekannte Probleme im soziologischen Umgang mit dem Religionsbegriff auf das Tableau: Was nämlich sind nichtreligiöse Feiern, die sich gleichwohl religiöser Elemente bedienen? Wer legt fest, wann es sich bei Feiern offiziell um religiöse oder nichtreligiöse handelt? Geht es hier primär um das Selbstverständnis der Teilnehmenden oder das der verantwortlichen Akteure? Und was trägt die inhaltliche Signatur der Feiern und Feierorte für eine angemessene religionssoziologische Wesensbestimmung bei?

Der Titel führt in das heterogene Feld all derjenigen Feiern, die sich in- sofern im intermediären Raum zwischen Kirche und Zivilgesellschaft bewegen, als dass sie sich (auch) explizit an Menschen wenden, die in organisationssoziologischer Hinsicht der wachsenden Zahl der sog. Konfessionslosen zuzurechnen sind. Mitunter firmieren sie in der Praktischen Theologie unter dem Titel „Riskante Liturgien“1. Meist stellen diese Feiern Kooperationen zwischen Kirche, Schule und anderen Akteuren des Gemein- wesens in Form von gemeinsamen Projekten mit Abschlussritualen dar. Trauerfeiern nach Großkatastrophen, Einschulungsgottesdienste oder Gottesdienste zum Florianstag mit der Ortsfeuerwehr sind dabei klar dem religiösen Feierspektrum zuzuschreiben. Allerdings existieren in der Praxis auch andere Formate, bei denen sich diese Zuordnung deutlich schwieriger gestaltet: eine liturgisch gestaltete Weihnachtsstunde in einer Kirche oder Segnungsfeiern im Umfeld des Weihnachtsmarktes, eine schulische Expedition ins Kloster mit rituellen Elementen, eine Segnungsfeier zum Valentinstag, Gedenkfeiern für Verstorbene, Schulfeiern, Stadtteilfeste, Einweihungen, Jubiläen oder kirchlich (mit)verantwortete Alternativen zur Jugendweihe.

 
Das Beispiel kirchlich (mit)verantworteter Alternativen zur Jugendweihe

Um sich im vorliegenden Beitrag nicht in den weitreichenden Debatten zum soziologischen Koordinatensystem des Religionsbegriffs zu verlieren, erscheint es notwendig, die obigen Fragen an einem konkreten Beispiel zu verhandeln, das seit gut zwanzig Jahren in Ostdeutschland eine hohe Konjunktur erfährt: kirchlich (mit)ver- antwortete Alternativen zur Jugendweihe, wie sie für konfessionslose Familien im Rahmen von christlichen Schulen, Freikirchen und übergemeindlichen Kontaktstellen der Kirche evangelisch, katholisch und mitunter auch ökumenisch angeboten werden. Neben ihrer Konfirmation oder Firmung nehmen mitunter auch getaufte Jugendliche an diesen Feiern im Rahmen einer Gemeinschaftserfahrung mit einer größeren Gruppe ihres Zugehörigkeitsfelds teil – die kirchlichen Riten zum Übergang ins Erwachsenwerden erreichen in Ostdeutschland zusammen nicht mal mehr ein Fünftel aller 14-Jährigen.

Bereits in den gewählten Eigennamen dieser Feiern wird dabei deutlich, dass eine gewisse Zurückhaltung besteht, diese Feiern als religiöse kenntlich zu machen – in der katholischen Kirche haben sie sich als „Feiern der Lebenswende“, im evangelischen Bereich als „Segensfeiern“ etabliert. Daneben existieren aber auch andere Bezeichnungen wie z.B. „Wunsch- und Segensfeier“ (hier wird die Vorsicht im Eigennamen ablesbar), „Take off-Fest“, „Feier des Erwachsenwerdens“ oder „Wegweiser-Projekt“. Dies hat wesentlich mit dem Einbezug der Perspektive der Teilnehmenden und deren Scheu vor der biografischen Inanspruchnahme einer explizit religiösen Feier zu tun.

Auf der Ebene der inhaltlichen Signatur zeigt sich der intermediäre Wesenszug dieser Feiern „zwischen Kirche und anderer Welt“ (so der signifikante Ausdruck einer teilnehmenden Mutter) dadurch, dass sich bei ihnen in Vorbereitungsarbeit und Ritus Elemente aus dem religiösen wie dem nichtreligiösen Feld vereinen. In der bis zu einjährigen Vorbereitungsarbeit werden sowohl Themen verhandelt, die im Rahmen der Jugendweihe (z. B. ein Theaterbesuch oder die Beschäftigung mit Fragen des Erwachsenwerdens) als auch im Rahmen von Konfirmation und Firmung anzutreffen sein könnten (z.B. Beschäftigung mit transzendenzbezogenen Fragestellungen des Lebens, Arbeit am Thema „Segen“ oder Gestalten einer Kerze für die Feier). Die Elemente der Feier, die aufgrund des Mitgestaltungsrechts der Jugendlichen und ihrer Eltern sowie aufgrund der jeweiligen Verantwortlichen aus Schule und Kirche grundsätzlich variabel sind, adaptieren ebenso Elemente aus der Tradition der Jugendweihe (z.B. Rede von Jugendlichen und/oder Eltern) sowie von Konfirmation und Firmung (z.B. Segen, Kerzensymbolik). Inwiefern dieser Segen jedoch explizit christlich profiliert ist, variiert von Feier zu Feier. In den teilnehmend beobachteten Jahrgängen der Feier der Lebenswende aus Halle sowie der Segensfeier der Evangelischen Sekundarschule Haldensleben wurden die Jugendlichen im Namen des dreieinigen Gottes gesegnet. Der bei der Feier der Montessori-Schule in Leipzig mitwirkende Pfarrer las im Jahr 2014 hingegen ohne eine begleitende Geste ein ausformuliertes Segensgebet vor, welches mit den Worten endete: „Geht euren ganz eigenen Weg. Ihr seid gesegnet.“ Anstatt vom dreieinigen Gott wurde hier von der „Kraft“ gesprochen, die „diese Erde im Innersten zusammenhält“ – also einem säkularen Interpretament des Gottesbegriffes. Im beiliegenden Programm fand sich diese Handlung dann auch nicht unter der Bezeichnung „Segen“, sondern unter der Rubrik „Abschließende Worte“ abgedruckt.

Auffällig ist bei allen diesen Feiern, dass der Segen in der Regel als ein persönliches Element der Verantwortlichen eingetragen wird. Dies sei mittels eines stark zusammengekürzten Einblicks in die Hallenser Feier der Lebenswende veranschaulicht:

 

Es ist Samstag, der 19. Mai 2012. Da ist eine hohe und geweihte Kirche mitten in der Stadt und in der Institution, die sie unterhält, sind fast 90 Prozent der Bürger dieser Stadt nicht Mitglied. Im Altarraum liegt ein geöffneter Koffer, vor dem eine Vase mit roten Rosen aufgestellt ist. Auf einem Tisch in der Mitte, der mit einem weißen Tuch bedeckt ist, stehen zehn Kerzen, die von den Jugendlichen, die hier heute ihre Lebenswende feiern, selbst gestaltet sind. Diese weißen Kerzen zieren Herzen, Sterne, Streifen, Namen, Zahlen und andere Symbole. Daneben ragt die Osterkerze empor, an der später die eigenen Kerzen der Jugendlichen angezündet werden. Hinten im Altarraum probt eine Band der katholischen Studentengemeinde, die mit Gitarre, Keyboard, Saxophon, Trommel und Gesang richtige Hits spielt – Lieder, die Gefühle von Generationen auszudrücken vermochten: „Circle of life“ von Elton John und „Die Zeit heilt alle Wunder“ von den Helden zum Beispiel. Die Kirche füllt sich merklich, es ist so voll wie sonst nur an hohen Festtagen. […]
Als die Band mit Trommeln und Gesang zu „Caminando va – Leben lebt vom Aufbruch“ einsetzt, stolpern die Jugendlichen in die Kirche, der katholische Diakon geht hinter ihnen her. In seiner […] Begrüßung, […] blickt er auf seine Arbeit mit ihnen zurück: „Wir haben darüber gesprochen, was euch wichtig war in eurer Kindheit, welche Menschen euch auf eurem Weg wesentlich begleitet haben, woher ihr Kraft und Hoffnung nehmt.“ Beeindruckt sei er gewesen, mit welcher Mühe die Jugendlichen die eigenen Kerzen gestaltet haben. Es sei jener Nachmittag gewesen, an dem keiner von ihnen gefragt hätte: „Wie lange machen wir heute eigentlich?“
Er spricht über den Ort, an dem wir uns befinden, die 600 Jahre alte Moritzkirche, ein Ort der Ruhe, an dem man aus dem alltäglichen Rhythmus aussteigen könne. […]
Nun geht es zum Segen. Etwas unsicher stellen sich die Jugendlichen um den Tisch mit dem weißen Tuch herum, auf dem ihre brennenden Kerzen stehen. „Wir machen es jetzt genauso, wie wir es verabredet haben“, raunt ihnen der Diakon zu. Er legt sich eine bunte Stola über die Schultern und spricht ruhig und in sich gekehrt: „Ich möchte euch nun etwas von dem mitgeben, was mir wichtig ist im Leben.“ „Mir wichtig“, sagt er, indem er seine Hände auf sich selbst richtet und er sagt es nachdenklich. Keiner scheint sich daran zu stören, allerdings ist es auch nicht gerade besonders still in den Kirchbänken. „Gott ist für viele von euch ein fremder Begriff, aber man kann ihn auch nennen: Was sich manchmal still in euch meldet …“ Er versucht ihnen zu beschreiben, was Christen als die Stimme Gottes beschreiben. Um den Segen, nach dem sie sich sehnen, möchte er Gott bitten. Segen heiße, dass „Gott euch Gutes zusagt“. Er hebt die Hände und spricht nun den Segen, den er mit einer trinitarischen Formel abschließt. Und dann sagt er zu den Jugendlichen leise: „Ihr wisst, wenn irgendetwas ist, ihr könnt euch immer an mich wenden.“ Es entsteht ein intimer Moment zwischen ihm und der Gruppe, den die Anwesenden nicht teilen können – denn der Zirkel dort vorn ist geschlossen und bleibt es, bis die letzten Töne vom letzten Lied verklingen.

 

Dass ausgerechnet Kerzen hier einen so hohen Stellenwert einnehmen, kommt nicht von ungefähr. Sie stellen als religiöses Medium „ein[en] offene[n] Anknüpfungspunkt“2  dar, „um Sinnfragen zu verhandeln“3  und die eigene, eher unbestimmte Affinität zur christlichen Religion vorsichtig zum Ausdruck zu bringen: „Diskret wird etwas angedeutet, was offen vielleicht gar nicht immer dargestellt werden will oder kann.“4

Auch der Segen kann als ein solches Element gedeutet werden, das man sich „gefallen [lässt], auch wenn man nicht beten und schon gar nicht ein Bekenntnis sprechen will“5. Er wird hier im Modus des persönlichen Wunsches für die Jugendlichen eingeführt („Ich möchte euch nun etwas von dem mitgeben, was mir wichtig ist im Leben“). Es ist die eigene heilige Tradition eines Menschen, der den Jugendlichen in der Vorbereitungsarbeit vertraut wurde und darum als persönlicher Wunsch für ihren weiteren Lebensweg offenbar gut angenommen werden kann. Der Segen wird in dieser Feier der Lebenswende gleichwohl nicht mehr als selbstverständlich vorausgesetzt, sondern vielmehr einleitend in die Lebenswelt der Jugendlichen übersetzt („Gott ist für viele von euch ein fremder Begriff, aber man kann ihn auch nennen: Was sich manchmal still in euch meldet …“; „Segen heiße, dass ,Gott euch Gutes zusagt’“). Wie notwendig diese Wegbereitung ist, lässt sich an der dokumentierten Verhaltensunsicherheit der Jugendlichen ablesen.

Auch wenn diese Feiern nach außen hin keine religiösen Feiern sein wollen, spricht die Analyse ihrer inneren Symbolik eine andere Sprache. Ich sammle sie in meiner Dissertation daher unter dem Begriff „Religiöse Jugendfeiern“. Es sind keine Gottesdienste im Sinne der klassischen liturgischen Definitionen, weil ihnen jene dialogischen Elemente fehlen, mit denen sich die Teilnehmenden selbst an Gott wenden (wie das Gebet). 6 Dementsprechend verhandelt Karl-Heinrich Bieritz sie im Anschluss an Karl Schlemmer auch nur knapp unter der Überschrift „Präkatechumenale Feierformen“7. Sie versuchen, Menschen im gemeinsamen Feiern des Lebens mit Gott in Verbindung zu bringen, auf Seiten konfessionsloser Familien religiöse Kommunikations- und Lernprozesse zu initiieren, Artikulationen für die Ambivalenzen des Lebens bereitzustellen. Damit haben sie zugleich eine lebensbewältigende wie kulturerschließende Funktion.


Ausblick auf andere intermediäre Feierformate

Im Blick auf religiöse Feierelemente bei intermediären Feierformaten im Raum zwischen Kirche und Zivilgesellschaft erweisen sich besonders jene als anschlussfähig, die auf elementare Weise menschliche Transzendierungsbedürfnisse zum Ausdruck bringen. Die grundsätzlichen Lebensfragen nach Hoffnung, Sinn, Schuld, Gut und Böse oder Gott, vor denen Christen wie konfessionslose Menschen stehen, sind die gleichen. Diese gemeinsamen Lebenssituationen werden entschlossen zum zu deutenden Ausgangspunkt der Feiern erklärt. Auch bei Trauerfeiern nach Großkatastrophen oder Gedenkfeiern für Verstorbene aus der Anatomie kommt den Kerzen als Element eine besondere Bedeutung zu. Neben dem Segen spielen auch musikalische Elemente, der Kirchraum sowie partizipative Zeichenhandlungen (wie z.B. die Übergabe von Blumen, ein Friedensgruß, das Ablegen von Symbolgegenständen, Selbstvorstellungen der Beteiligten), stellvertretende Gebetselemente oder das Aussprechen von Wünschen als säkularisierte Form der Fürbitten eine besondere Rolle. Sie werden mit den Beteiligten kooperativ ausgehandelt.

Die kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind dabei dazu aufgerufen, das reichhaltige symbolische Kapital der Kirche im Blick auf die Grundfragen menschlichen Lebens neu abzutasten, zu elementarisieren und in Bezug auf den fremden Blick der anderen fruchtbar zu machen. Die Kirche erweist sich damit als religionsfähig8  und entschlossen im Blick auf die Aufgabe, danach zu suchen, wo und auf welche Weise das Evangelium heute angemessen kontextualisiert werden kann. Nur so können kirchliche Liturgien tatsächlich wieder zum öffentlichen Dienst werden und religiöse Suchprozesse angemessen unterstützen.

 

Anmerkungen: 

  1. Vgl. Fechtner / Klie: Riskante Liturgien.
  2. Wagner-Rau: Angedeuteter Glaube, 207-215, 209.
  3. Ebd., 208.
  4. Ebd., 209.
  5. Ebd.
  6. Begreift man das Gebet mithilfe von Differenzierungen der Orientierungshilfe der Liturgischen Konferenz der EKD u.U. auch als „Gemeinsame Stille bzw. Feierelemente, bei denen jeder den eigenen Gedanken nachgehen kann und zum in-neren Hören (auf Gott) gelangt“ oder als „Annäherung an Gott im Modus des Fragens“ (Liturgische Konferenz [Hg.]: Mit anderen feiern – Gemeinsam Gottes Nähe suchen, 59), könnte sich diese Perspektive verändern. Allerdings wäre damit ein sehr niedrigschwelliger Begriff von Dialogizität in Anschlag gebracht.
  7. Bieritz: Liturgik, 681.
  8. Vgl. Drehsen: Wie religionsfähig ist die Volkskirche.
     

 Literatur

  • Bieritz, Karl-Heinrich: Liturgik, Berlin 2004
  • Drehsen, Volker: Wie religionsfähig ist die Volkskirche? Sozialisationstheoretische Erkundungen neuzeitlicher Christentumspraxis, Gütersloh 1994
  • Kranemann, Benedikt / Benz, Brigitte (Hg.): Trauerfeiern nach Großkatastrophen. Theologische und sozialwissenschaftliche Zugänge, Neukirchen-Vluyn 2016
  • Domsgen, Michael / Handke, Emilia (Hg.): Lebensübergänge begleiten. Was sich von Religiösen Jugendfeiern lernen lässt. Leipzig 2016
  • Domsgen, Michael / Handke, Emilia/ Gruber, Tobias: Religiöse Feiern an der Schule im Kontext mehrheitlicher Konfessionslosigkeit, in: Arnold, Jochen / Kraft, Friedhelm / Leonhard, Silke / Noß-Kolbe, Peter (Hg.): Gottesdienste und religiöse Feiern in der Schule, Hannover 2015, 110-124
  • Fechtner, Kristian / Klie, Thomas (Hg.): Riskante Liturgien. Gottesdienste in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit, Stuttgart, 2011
  • Handke, Emilia: Religiöse Jugendfeiern „zwischen Kirche und anderer Welt“. Eine historische, systematische und empirische Studie zu kirchlich (mit)-verantworteten Alternativen zur Jugendweihe (APrTh 65), Leipzig 2016
  • Hauke, Reinhard: Mitfeiern – miterleben – mitgestalten. Neue Perspektiven und Anregungen für die Seelsorge an Christen und Nichtchristen. Leipzig 2014
  • Liturgische Konferenz (Hg.): Mit anderen feiern – Gemeinsam Gottes Nähe suchen. Eine Orientierungshilfe der Liturgischen Konferenz für christliche Gemeinden zur Gestaltung von religiösen Feiern mit Menschen, die keiner christlichen Kirche angehören, Gütersloh 2006
  • Wagner-Rau, Ulrike: Angedeuteter Glaube. Kerzen im Kirchenraum, in: Braune-Krickau, Tobias /Scholl, Katharina / Schüz, Peter: Das Christentum hat ein Darstellungsproblem. Zur Krise religiöser Ausdrucksformen im 21. Jahrhundert, Freiburg im Breisgau 2016, 207-215