„Kerzen stellen alle auf“- Wie Trauerrituale sich verändern.

Oliver Friedrich im Gespräch mit dem Bestatter Björn Hamel

 

Oliver Friedrich: Herr Hamel, Sie sind ausgebildete Bestattungsfachkraft. Was genau lernt man in diesem noch vergleichsweise neuen Ausbildungsberuf?

Björn Hamel: Eine geregelte Ausbildungsordnung für diesen Beruf gibt es tatsächlich erst seit 2003. Zur Ausbildung gehören auf der einen Seite kaufmännische Grundlagen, vergleichbar mit den Ausbildungsinhalten eines Bürokaufmanns. Man lernt also Büroorganisation, Betriebsprozesse und Geschäftsdokumentation. Andererseits gibt es natürlich auch fachspezifische Inhalte, dazu gehören Grabmachertechnik, Trauerpsychologie, Warenkunde (z. B. zu Särgen und Urnen), Dekoration, Bestattungsrecht, Besonderheiten der Bestattungstraditionen bei den Weltreligionen – und man lernt natürlich auch, wie man mit den Verstorbenen umgehen muss.

Friedrich: Umgang mit den Verstorbenen? Könnten Sie das etwas erläutern?

Hamel: Je nach Todesfall ist schon die Frage der Bergung des Leichnams ein Teil des Umgangs mit den Verstorbenen: Ein Mensch, der zu Hause im Bett gestorben ist, muss ja anders geborgen werden, als, sagen wir mal, eine Person, die sich erhängt hat. Zum richtigen Umgang mit den Verstorbenen gehören aber auch Kenntnisse zum Infektionsschutz und Wissen um die biochemischen Prozesse, die im Körper nach Eintritt des Todes ablaufen.

Friedrich: Schon lange gibt es viel mehr Möglichkeiten, einen Toten/eine Tote zu bestatten, als die klassische Erdbestattung im Sarg auf dem örtlichen Friedhof. Gibt es so etwas wie „Trends“ bei der Entscheidung für eine Bestattungsform?

Hamel: Wir beobachten einen allgemeinen Trend zu pflegeleichten Beisetzungsformen. An Stelle des klassischen Grabes treten immer mehr pflegeleichte (bekannt als „halbanonyme“) und anonyme Bestattungsformen, Seebestattungen und Beisetzungen in Friedwäldern bzw. Ruheforsten. In Großstädten wie bei uns in Hamburg wird die anonyme Feuerbestattung immer häufiger, im ländlichen Raum gibt es eine Tendenz zu Waldbestattungen.

Friedrich: Gibt es dafür Gründe?

Hamel: Häufig spielen Kosten eine Rolle: Eine Grabstätte für eine anonyme Feuerbestattung ist in der Regel billiger als eine Erdbestattung. Hinzu kommt, dass die Angehörigen eines Verstorbenen häufig nicht mehr dort wohnen, wo die Bestattung erfolgt. Dann sucht man eben nach Bestattungsformen, die wenig Pflege verursachen. Manche Personen verfügen testamentarisch auch ausdrücklich eine solche Bestattungsform, um die Hinterbliebenen nicht mit der Grabpflege zu belasten.

Friedrich: Wie beurteilen Sie diesen Trend?

Hamel: Aus meiner Sicht verhindern anonyme Bestattungen oft die bewusste Trauerarbeit. Es kommt sehr häufig vor, dass Angehörige von anonym bestatteten Verstorbenen bei mir anrufen, um doch den genauen Platz der Beisetzung zu erfragen, weil sie eine Blume niederlegen wollen oder einfach den Ort aufsuchen möchten, wo der/die Verstorbene nun ist. Bei einem klassischen Grab hat man einfach einen klar definierten Ort, an den man gehen und wo man an den Verstorbenen denken kann. Das erleichtert trauerpsychologisch vieles.

Friedrich: Bestatter arbeiten bei der Gestaltung von Trauerfeiern nicht nur mit Pastorinnen und Pastoren zusammen, sondern auch mit weltlichen Rednerinnen und Rednern und mit Geistlichen anderer Religionen. Worin unterscheiden sich christliche Trauerfeiern von anderen Trauerfeiern?

Hamel: Christliche Trauerfeiern unterscheiden sich in erster Linie durch die Liturgie von weltlichen. Während es bei einer christlichen Trauerfeier einige fest verankerte „Abläufe“ bzw. Rituale gibt, hat der weltliche Redner mehr Handlungsspielraum. Weil die Botschaft der Auferstehung oder des Trostes von Gott fehlt, muss die weltliche Trauerrednerin die Botschaft woanders suchen, z. B. in der Musik. Die Angehörigen äußern dann manchmal, dass auf diese Weise das Leben des Verstorbenen mehr gewürdigt würde als bei einer christlichen Trauerfeier. Aus meiner Sicht merkt man bei den weltlichen Trauerfeiern aber sehr, dass es kein Fundament wie eben den Glauben gibt, auf das sich die Trauernden stützen können.

Friedrich: Ist es nicht auch problematisch, wenn bei einer weltlichen Trauerfeier ein Popsong in den Mittelpunkt gestellt wird und man dann jedes Mal an die Trauerfeier erinnert wird, wenn das Stück im Radio läuft?

Hamel: Absolut. Selbst mir geht das so. Ich höre den Grönemeyer-Song „Mensch“ und denke sofort an die Trauerfeier, die ich dazu miterlebt habe. Für den Trauerprozess ist das wenig hilfreich.

Friedrich: Welche Rolle spielen in Ihrem Alltag Bestattungen und Trauerfeiern von Personen, die anderen Religionen (Islam, Judentum, Buddhismus) oder anderen Weltanschauungen angehören? Wie wirkt sich das auf den Umgang mit den Toten oder die Gestaltung der Trauerfeier aus?

Hamel: Trauerfeiern von Personen anderer Religionen spielen bei uns kaum eine Rolle. In den größeren Städten gibt es vor allem für die Bestattung von Muslimen eigene islamische Bestattungsinstitute, in denen Christen nicht tätig sein dürfen. Ähnliches gilt für andere Religionen, die oft ihren „Haus- und Hofbestatter“ haben, um sicherzugehen, dass alles nach den entsprechenden religiösen Regeln abläuft. Manchmal spielen bei uns Beisetzungen von Mormonen eine Rolle, bei denen wir aber nur unterstützend zur Seite stehen. Die Beisetzung ohne Sarg, wie sie bei Muslimen üblich ist, wird auch bei uns immer mehr ermöglicht, obwohl es eigentlich den „Sargzwang“ gibt. Auf dem Friedhof in Hamburg-Öjendorf gibt es dafür eigene Flächen, auf denen die Gräber auch in Richtung Mekka ausgerichtet werden. Außerdem wird es dort ermöglicht, dass die Trauergemeinde das Grab selbst zuschüttet – auch das ist ein eigenes Ritual im Islam.

Friedrich: Man kann sagen, dass die Trauerfeier ein Ritus ist, der sich aus vielen kleinen Einzelhandlungen, den Ritualen, zusammensetzt. Gibt es Rituale, die bei allen bzw. den meisten Trauerfeiern vorkommen?

Hamel: Bei allen Trauerfeiern werden Kerzen (-leuchter) aufgestellt. Das Symbol „Licht“, das im Dunkel der Trauer leuchtet, gehört zu den ältesten überlieferten Trauerritualen und ist den Menschen einfach vertraut, wenn oftmals auch unbewusst. Blumen für den Toten / die Tote ablegen kommt ebenfalls in allen Trauerfeiern vor, genauso wie der Kondukt, also der Trauerzug zum Grab. Auch der Erdwurf ist verbreitet, obwohl er ja eigentlich ein christliches Ritual ist.

Friedrich: Und Musik? Spielt Musik bei nicht-christlichen Trauerfeiern keine Rolle?

Hamel: Es wird tatsächlich nicht gesungen. Die Musik dient in der Regel als Teilungssegment in der Trauerfeier: ein Musikstück zu Beginn, wenn die Trauergäste in die Kapelle einziehen, eines in der Mitte nach der Rede und eines am Schluss, wenn die Trauergäste die Kapelle verlassen bzw. wenn der Sarg oder die Urne hinausgetragen werden. Zur Auswahl lässt sich sagen, dass entweder ein persönlicher Bezug besteht (z. B. hat der Verstorbene dieses Stück zu Lebzeiten gerne gehört) oder es wird nach anlassbezogener Musik gesucht. Stücke wie z. B. „My way“ sollen außerdem eine Botschaft über den Verstorbenen transportieren: „Ja, NN ist seinen Weg gegangen“. Als drittes Motiv für die Musikauswahl ist da noch der Trost, der in dem Text eines Liedes gesucht wird: z. B. „Amoi seg ma uns wieder“ – „einmal sehen wir uns wieder“.

Friedrich: Auch bei christlichen Trauerfeiern werden immer mehr besondere Elemente gewünscht, wie z. B. Powerpoint-Präsentationen mit Fotos aus dem Leben des Verstorbenen, Popmusik, die die Verstorbene liebte, oder die Angehörigen wollen irgendetwas tun (Kerzen anzünden, Texte vorlesen, Blumen niederlegen). Was beobachten Sie diesbezüglich?

Hamel: Trauerfeiern werden zunehmend als Event begangen. Alte Strukturen und Rituale werden ausgeklammert, stattdessen werden neue Elemente für die Trauerfeier gesucht. Ich habe manchmal den Eindruck, dass es geradezu um ein „Gänsehaut-Feeling“ geht, das irgendwie erzeugt werden soll. Bei Urnenfeiern, bei denen den Trauernden ja oft kaum vorstellbar ist, dass in dieser kleinen Urne nun die Überreste des ganzen Menschen sind, wird inzwischen fast immer ein Foto des / der Verstorbenen aufgestellt, um einen Bezugspunkt zu haben. Offensichtlich ist es für die Angehörigen leichter, eine Urne und ein Foto anzuschauen als den Sarg, in dem der Leichnam noch körperlich vorhanden liegt. Eine Urne ist weniger schlimm anzusehen.
Immer mehr Angehörige wünschen sich auch eine individuelle Gestaltung der Trauerfeier und wollen selbst beteiligt sein. Sie tragen die Urne selbst zur Grabstätte, malen den Sarg an oder bringen persönliche Gegenstände des Toten / der Toten mit, um die Trauerhalle zu dekorieren.

Friedrich: Wie stehen Sie selbst dazu?

Hamel:Ich glaube, dass wir Rituale brauchen, auch die alt überlieferten; und ich bin der Meinung, dass bei einer Trauerfeier der / die Verstorbene im Mittelpunkt stehen sollte und nicht die Dekoration: weder die Dekoration von Sarg und Urne noch die Dekoration der Kapelle bzw. Feierhalle. 

Friedrich: Ich stoße immer mal wieder auf Anzeigen von Personen, die sich als Trauerbegleiter oder Ritualmeisterin ausweisen. Wie würden Sie sich selbst in Ihrer Rolle als Bestatter verorten?

Hamel: Ein Bestatter ist niemals ein Trauerbegleiter. Trauer ist ein Prozess, der über einen längeren Zeitraum geht. Als Bestatter begleitet man die Menschen in der Regel nur wenige Wochen. Ich verstehe mich in meiner Funktion als Bestattungsfachkraft als Wegbereiter, der den Trauernden den Einstieg in den Trauerprozess durch eine „gute Betreuung“ ermöglichen soll. Ein normaler Trauerprozess braucht individuell unterschiedlich lange Zeit. Erst wenn die Trauer pathologisch wird, sollte man sich professionelle Hilfe holen.

Friedrich: Als Bestattungsfachkraft haben Sie täglich mit Toten zu tun. Haben Sie selbst Rituale, die Ihren Umgang mit jedem einzelnen Verstorbenen prägen?

Hamel: Ich streiche den Toten über die Hand und sage zu ihnen „Ach Mensch!“, bevor ich sie versorge. Am Sarg oder an der Urne verneige ich mich als Ausdruck des Respekts vor jedem Verstorbenen. Und bei Urnenbeisetzungen, an denen keine Pastorin/kein Pastor beteiligt ist, lade ich die Trauergemeinde zu einem Moment der Stille ein. In diesem Moment bete ich selbst im Stillen das Vaterunser.

Friedrich: Vielen Dank, Herr Hamel, für das Gespräch.