Bestattungsrituale der evangelischen Kirche

Von Oliver Friedrich

 

Ich betrete die Sakristei der Kapelle durch den Seiteneingang. Dort ziehe ich meinen Talar an. Sobald die ersten Töne der Orgel zu hören sind, öffne ich die Tür, die von der Sakristei in die Kapelle führt, und betrete den Raum, in dem der Sarg aufgestellt und die Trauergemeinde zusammengekommen ist. Ich trete vor den Sarg und bleibe einen Augenblick stehen. Ich konzentriere mich auf die Gegenwart des Toten und bitte im Stillen um die Nähe Gottes für das, was in den nächsten 45 Minuten passiert. Ich gehe zum Lesepult und schlage meinen Ordner mit der Traueransprache und dem Ablauf für die Trauerfeier auf. Ich hebe meinen Kopf und nehme Blickkontakt zu den Trauernden in der ersten Reihe auf. Dort sitzen die nächsten Angehörigen des Verstorbenen. Ich suche die Gesichter derer, mit denen ich das Trauergespräch geführt habe und nehme wahr, wer in ihrer Nähe ist. Wenn das Orgelvorspiel endet, spreche ich den Friedensgruß. Damit beginnt die liturgische Trauerfeier.

Wenn das Orgelnachspiel erklingt, tritt eine Mitarbeiterin des Bestattungsinstituts vor den Sarg, verneigt sich sichtbar und räumt Kränze und Dekorationen so beiseite, dass die Sargträger an den Sarg treten können. Dann wird die Tür zur Kapelle geöffnet, vor der die sechs Sargträger bereit stehen. Sie betreten angemessenen Schrittes den Raum. Jeweils drei von ihnen stellen sich an eine Längsseite des Sarges. Sie nehmen ihre Hüte ab, verneigen sich vor dem Sarg, setzen ihre Hüte wieder auf. Wenn die Sargträger den Sarg erstmals bewegen, erhebt sich die Trauergemeinde. Die Sargträger tragen den Sarg nach draußen, direkt hinter dem Sarg gehe ich, dann folgen die Angehörigen aus der ersten Reihe, dann die anderen Gäste der Trauerfeier.

Am Grab wird der Sarg zunächst auf zwei Holzbalken gestellt, die quer über der Gruft liegen, darunter liegen drei dicke Taue. Es braucht etwas Zeit, bis alle Trauergäste aus der Kapelle am Grab angekommen sind, einen Platz gefunden haben und aus der Bewegung wieder Ruhe entsteht. Der Bestatter gibt den Sargträgern ein Zeichen. Diese ergreifen nun die Taue, ziehen sie stramm und einer entfernt die Holzbalken. Der Sarg liegt nun auf den Tauen. Die Sargträger lassen den Sarg in die Gruft hinab, sie legen die Taue ab, nehmen noch einmal ihre Hüte von den Köpfen, verneigen sich und gehen zurück zur Kapelle. Der Bestatter stellt das Behältnis mit Erde und Schaufel bereit und tritt dann zur Seite.

Nun bin ich wieder mit den liturgischen Handlungen dran, die am Grab stattfinden.

Nach dem Segen treten zuerst die Angehörigen an das Grab, legen Blumen ein oder wiederholen den dreimaligen Erdwurf. Ich bleibe noch einen Augenblick stehen, verabschiede mich dann von den engsten Angehörigen und gehe.

Die Angehörigen bleiben bis zum Schluss am Grab und nehmen die Kondolenzbekundungen von denen entgegen, die selbst auch ans Grab getreten sind und nun mit einem Händedruck, einem guten Wort oder einer Umarmung Anteilnahme zum Ausdruck bringen.

Danach trifft man sich zum Leichenschmaus in einer nahe gelegenen Gaststätte.

Sind alle Trauergäste gegangen, besuchen die nächsten Angehörigen oft noch einmal das Grab, das inzwischen zugeschüttet ist und auf dem die Blumen und Kränze liegen.

Jetzt beginnt der eigentliche Trauerprozess. Der Schock über den Tod und die geschäftige Phase der Vorbereitung für die Trauerfeier sind vorbei. Nun gilt es für die Angehörigen Schritt für Schritt zu lernen, ohne den Verstorbenen weiter zu leben. –

Alles ist sehr vertraut und alles wiederholt sich von Trauerfeier zu Trauerfeier in derselben Form. Die immer ähnlichen Verhaltensformen, die sich um die liturgische Trauerfeier ranken, strukturieren nicht nur für mich den Ablauf der Trauerfeiern, sondern sie strukturieren auch das Trauererleben der Hinterbliebenen und derjenigen, die sich mit dem Besuch der Trauerfeier von dem / der Toten verabschieden: Vieles, was bei einer Trauerfeier passiert, ist ritualisiert, geschieht also nicht nur zufällig, sondern nach normierten und fixierten Handlungsmustern 1. Das gilt nicht nur für die christliche Liturgie, sondern auch für eine Reihe von Verhaltensformen, die vor, während und nach der Trauerfeier sichtbar werden: das Agieren des Pastors, der Bestatterin, der Angehörigen und Trauergäste ist in vielen Trauerfeiern gleich. Die Trauerfeier mit Sarg und anschließender Beisetzung ist dabei nur ein Teil dessen, was die christliche Kirche als Trauerrituale 2  tradiert und den Trauernden zur Verfügung stellt. Im Folgenden zeichne ich den Weg der liturgischen Trauerrituale nach, wie die Bestattungsagende 3  der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands ihn in idealer Weise vorschlägt, deute dabei einige ausgewählte Riten und kommentiere aus Sicht des Praktikers. Ich konzentriere mich dabei auf diejenigen Riten, die in der Erdbestattung des Sarges ihren Zielpunkt haben.
 


Trauerrituale der Bestattungsagende und Deutung einzelner Riten

„Bestattungsagenden sind Bücher, in denen die Handlungen rund um Sterben, Bestattung und Trauer vor- und festgeschrieben werden.4“ Die in der Agende festgeschriebenen Handlungen richten sich ihrem Selbstverständnis nach an die verstorbenen, getauften Mitglieder der evangelisch-lutherischen Kirche. Nach Eintritt des Todes sieht die Agende einen liturgischen Dreischritt bei den Trauerritualen vor: Am Sterbeort sind als liturgische Handlung (1) die Aussegnung und (2) die Abholung vorgesehen, die (3) zu einem Gottesdienst zur Bestattung führen, der in der Kapelle beginnt und am Grab fortgesetzt wird.

1. Aussegnung

Die Aussegnung soll kurz nach Eintritt des Todes vorgenommen werden – also möglichst noch im Sterbebett der eigenen Wohnung, des Krankenhauses oder der Pflegeeinrichtung. Zentraler Ritus der Aussegnung ist der Valetsegen. Der Valetsegen wird dem / der Toten zugesprochen. Die klassische Formulierung des Valetsegens erinnert an den dreieinigen Gott und nimmt Gedanken der Gnade Gottes für den Verstorbenen und die Hoffnung auf das ewige Leben auf. Das lateinische „Valet“ bedeutet „Es möge dir gut gehen“. Es handelt sich also um ein Wort an den Toten, mit dem der / die Verstorbene in die Hand Gottes übergeben wird. Besonders im Ritus des Valetsegens wird deutlich, dass es sich bei den Trauerritualen um Rituale handelt, die am Übergang zwischen Leben und Tod; zwischen diesseitigem und jenseitigem Sein stehen.

Gerahmt wird der Valetsegen mit einem biblischen Votum, einem Psalm oder einem frei formulierten Gebet, einer kurzen biblischen Lesung, dem Vaterunser und einem Segen für alle, die der Aussegnung beiwohnen. Die Agende schlägt darüber hinaus vor, dass zur Aussegnung ein Kreuz aufgestellt wird und Kerzen angezündet werden.

2. Abholung

Die Abholung erfolgt, wenn der der / die Tote eingesargt wurde und nun zur Friedhofskapelle zur Kirche oder zur Trauerhalle überführt wird. Wiederum rahmen Psalm und Gebet das Geleitwort, welches das Zentrum der Abholung bildet: „Lasst uns nun in die Kapelle gehen und Gottes Wort hören. Gottes Friede geleite uns. Amen.“ Der Plural in der Formulierung macht deutlich, dass hier noch der Gedanke eines Trauerzuges vom Trauerhaus zur Kapelle mitschwingt. Der Sarg wird also in Begleitung der Trauernden vom Trauerhaus in die Kapelle überführt. Folgerichtig wird vorgeschlagen, dass ein Kreuzträger dem Zug voran gehen soll und dass zu Beginn ein Lied gesungen werden kann. Auch hier wird deutlich, dass die liturgischen Trauerrituale in weiten Teilen aus Übergangsriten bestehen: Der / die Verstorbene verlässt nun endgültig das Haus und wird in die Kapelle überführt.
Aussegnung und Abholung sind liturgische Handlungen, die im Sterbe- oder Trauerhaus stattfinden. Sie richten sich einerseits an die Verstorbene / den Verstorbenen (Valetsegen), andererseits aber auch immer an die Hinterbliebenen, die in den geprägten biblischen Worten und Riten Unterstützung, Trost und Halt finden sollen.

3. Gottesdienst zur Bestattung

Der dritte Schritt ist der eigentliche Gottesdienst zur Bestattung. Er beginnt in der Kapelle und wird am Grab fortgesetzt. Auch hier bilden ein Psalm, eine biblische Lesung und Lieder den Rahmen. Im Mittelpunkt aber stehen die Predigt und der Abschied. In der Predigt soll aufgenommen werden, was das Leben des Verstorbenen / der Verstorbenen ausgemacht hat. Dabei soll das einmalige Leben des / der Toten im Horizont der biblischen Verheißung zur Sprache kommen. Es soll deutlich werden, dass im christlichen Glauben der Weg Gottes mit den Menschen durch die Taufe beginnt und über den Tod hinaus weitergeht. Die Predigt bei einer kirchlichen Bestattung würdigt also das Leben dieses einen Menschen und gibt zugleich Zeugnis von der christlichen Auferstehungshoffnung, die die Angehörigen trösten und stärken soll. Nach Möglichkeit soll deshalb die Osterkerze während der Trauerfeier angezündet sein.

Der Predigt folgt ein Lied, dem sich als zweiter zentraler Punkt der Trauerfeier der Abschied anschließt. Der Abschied nimmt Dank, Schuld, Vergebung und die Bitte um Frieden für den Toten und die Hinterbliebenen auf. Oft wird er verbunden mit einem Moment des Schweigens, in dem die Trauernden im Stillen je für sich Abschied nehmen können. Dem Abschied folgt erneut ein Geleitwort: „Lasst uns nun zum Acker Gottes gehen und den Leib der / des Verstorbenen zu seiner Ruhestätte bringen. Der Herr behüte unseren Ausgang und Eingang von nun an bis in Ewigkeit.“
Mit dem Geleitwort ist der Übergang zum liturgischen Handeln am Grab eingeleitet.

Am Grab sind die zentralen liturgischen Handlungen der Erdwurf und das gemeinsame Beten des Vaterunsers. Nachdem der Sarg in die Gruft herabgelassen wurde, wird ein biblisches Votum gesprochen, dem sich der dreimalige Erdwurf anschließt: „Nach dem Gott, der Herr über Leben und Tod, NN aus diesem Leben abgerufen hat, legen wir seinen / ihren Leib in Gottes Acker. Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zum Staube, wir befehlen sie / ihn in Gottes Hand.“ Mit dem Erdwurf verbinden sich mehrere Deutungsebenen:

  1. Er erinnert daran, dass nach alttestamentlichem Verständnis der Mensch von der Erde abstammt, auf ihr seinen Lebensraum hat und zu ihr wieder zurückkehren wird (Gen 2,7 und 3,19).
  2. Der dreimalige Erdwurf nimmt die Taufe auf: bei der Taufe wird ein Mensch durch dreimaliges Begießen des Kopfes mit Wasser in die sichtbare Gemeinschaft der Christenheit aufgenommen, nun wird er unter dreimaligen Erdwurf der Hand Gottes und der unsichtbaren Gemeinschaft im ewigen Leben übergeben.
  3. Die Trauernden beteiligen sich durch den Erdwurf andeutungsweise bei der Beerdigung. Sie trennen sich nun von dem Verstorbenen endgültig. Dem Erdwurf folgt ein Hinweis auf die Auferstehungshoffnung, eine biblische Lesung und das von der am Grab versammelten Trauergemeinde gemeinsam gesprochene Vaterunser. Danach wird die Trauergemeinde abschließend gesegnet.
     

Dieser idealtypische, traditionelle Ablauf der Trauerrituale folgt einem inneren Sinn: Er beschreibt den Weg einer allmählichen Distanzierung von dem / der Toten. Am Anfang steht das Sterben eines Menschen, bei dem nur wenige andere Personen anwesend sind. Nach einer kurzen persönlichen Zeit des Abschiednehmens wird der / die Tote der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Der Pastor / die Pastorin kommt, feiert mit den Menschen aus dem sozialen Umfeld des / der Verstorbenen eine Andacht (Aussegnung), der Leichnam bleibt im Haus. Nachbarn und Freunde können kommen, um sich zu verabschieden. Dann folgen die Abholung und die Überführung in die Kapelle, dort dann der öffentliche Gottesdienst.5

Allen drei Trauerritualen ist gemeinsam, dass biblische Texte gelesen werden und dass gemeinsam gesungen wird, bei jedem Ritual wird darüber hinaus das Vaterunser gebetet. Die Bestattungsagende setzt also voraus, dass sowohl die / der Tote getaufter Christ / getaufte Christin war und dass diejenigen, die sich von dem / der Toten verabschieden ebenfalls im christlichen Glauben „zu Hause“ sind, dass sie also die christliche Auferstehungshoffnung teilen, dass das Vaterunser für sie ein selbstverständliches Gebet ist und dass sie einen Bezug zu den traditionellen christlichen Liedern haben. Nur so können die agendarischen Trauerrituale einen überindividuellen Deutungshorizont von Tod und Leben, von Trost, Hoffnung und Gnade eröffnen. „Wer an einem traditionellen Bestattungsritual einer Religionsgemeinschaft teilnimmt, dessen Wert unter anderem gerade in seiner Wiederholung und Wiederholbarkeit liegt, der wird nicht nur an frühere Bestattungen erinnert, sondern er weiß damit auch um seine eigene, kann den eigenen Tod ebenso in diesem Ritual aufgehoben sehen. Die rituelle Wiederholung hebt die Einmaligkeit des Todes auf: Der Tote wird so aus seiner Vereinzelung geholt. (…) Zudem entlastet das, was wiederholt werden kann, von der Notwendigkeit Neues schaffen zu müssen.“6
 


Die Bestattungswirklichkeit

Die praktizierte Bestattungswirklichkeit in den christlichen Gemeinden allerdings sieht anders aus – ganz zu schweigen von der zunehmenden Zahl von Trauerfeiern, die von nicht-christlichen Trauerrednern für nicht-christliche Tote gestaltet werden. An drei Punkten will ich verdeutlichen, wie Trauerfeiern und Bestattungen sich verändern.

  1. Der in den Agenden der evangelisch-lutherischen Kirchen vorgesehene Dreischritt der Trauerrituale findet faktisch nicht mehr statt. In manchen Gegenden werden Pastorinnen und Pastoren noch zu Aussegnungen gerufen; bei der Abholung sind sie in der Regel nicht mehr anwesend. Ein Trauerzug vom Ort der Abholung des Leichnams zur Kirche oder Kapelle wird nur noch dann praktiziert, wenn eine Person von besonderem öffentlichem Interesse zu betrauern ist (z. B. das Mitglied eines Königshauses oder ein besonderer Politiker). Übrig geblieben ist nur der dritte Schritt der Trauerrituale: Die Trauerfeier in der Kirche mit anschließender Beisetzung auf dem Friedhof. Und auch innerhalb dieses Rituals gibt es erhebliche Umbrüche und Veränderungen: So kann schon lange nicht mehr davon ausgegangen werden, dass die Trauergäste sich mit dem christlichen Glauben identifizieren. Sie kennen die christlichen Lieder nicht mehr; die Botschaft von Tod und Auferstehung Jesu Christi gehört nicht zu dem, woran sie glauben und wovon sie sich trösten lassen können und biblische Texte sind den Trauergemeinden immer weniger bekannt und vertraut. Die Folge dieser Entfremdung von christlichen Inhalten: „Viele Menschen können sich daher mental und performativ nicht mehr in kirchliche Bestattungsrituale eingliedern. Wo der Sinnhorizont einer rituellen Praxis entfällt, weil er von den Ritualteilnehmenden nicht mehr geteilt wird, werden Bestattungsrituale als ‚unpassend‘ und ‚inhaltsleer‘ erlebt.“7  Hinzu kommt, dass immer mehr Angehörige eine Trauerfeier „im engsten Familienkreis“ wünschen. Freundinnen, Nachbarn, Arbeitskolleginnen und anderen Weggefährten wird damit der Zugang zur Trauerfeier und der Abschied verwehrt – der Tod tritt einen weiteren Schritt aus der öffentlichen Wahrnehmung heraus.
  2. Neben die Trauerfeier mit Sarg und anschließender Beisetzung sind zahlreiche weitere Bestattungsformen getreten. Das Internetportal bestattungsplanung.de verzeichnet 22 Bestattungsarten, die grundsätzlich für alle Verstorbenen möglich sind.8  Eine Bestattung am Baum, eine Promession, eine Seebestattung oder die Übergabe des Leichnams zu anatomischen Forschungszwecken machen andere Formen an Trauerriten nötig als die traditionelle Erdbestattung. So befindet sich die gegenwärtige Bestattungswirklichkeit auf dem Weg, immer individueller und vielfältiger zu werden – nicht nur in der Form der Bestattung, sondern auch in der Gestaltung der Trauerfeier. Dass mit der Zunahme alternativer Bestattungsformen langfristig auch mit dem Verschwinden des klassischen Parkfriedhofs aus dem Bild der Städte zu rechnen ist, sei hier nur am Rande angemerkt.9
  3. Weil die Trauerrituale, die die evangelische Kirche Trauernden zur Verfügung stellt, weil die christliche Auferstehungshoffnung für viele Angehörige keine Hoffnung mehr ist und weil auch Lieder und Gebete immer weniger zu „passen“ scheinen, machen sich Trauernde auf die Suche nach individuellen Formen zur Gestaltung des Abschieds von ihren Toten. Die immer säkularer werdende Gesellschaft sucht nach eigenen Gestaltungsformen, um dem Übergang zwischen Leben und Tod Ausdruck zu geben. Sie setzt dabei auf säkulare Texte, Bilder und Inszenierungen. Professionell organisierte Ritualleiter / Ritualleiterinnen ersetzen die Pastorin / den Pastor. Der Tote wird also nicht mehr aus dem Kreis der (christlichen) Gemeinschaft verabschiedet, sondern steht als Individuum im Mittelpunkt der Trauer.10
     

Abschließend bleibt die Frage zu stellen, ob eine individuelle Abschiedszeremonie überhaupt die Kriterien eines Rituals erfüllt oder ob sie nicht vielmehr nur noch eine Performance ist, die so oder so aufgeführt werden kann. Das einzige verbindende Element zwischen den individuell gestalten Abschiedszeremonien droht der Leichnam (bzw. seine Asche) zu werden, der irgendwie an den Ort kommen muss, wo er – bis auf weiteres – bleiben kann.


Ideen für die Weiterarbeit

  • Der Bedeutung weiterer Trauerriten nachgehen: Kränze, Trauerkleidung, -briefe und -anzeigen, Beerdigungsessen, Grabstein etc.
  • Trauerforen im Internet im Blick auf darin enthaltene Riten beschreiben und kritisch hinterfragen
  • Bestattungsriten anderer Bestattungsformen (Seebestattung, Waldbestattung etc.) analysieren
  • Analyse von Trauerritualen bei Adelshäusern z. B. Windsors oder Habsburger und / oder Analyse von Trauerfeiern für Personen von öffentlicher Bedeutung z. B. Robert Enke, Helmut Schmidt
  • Bestattungsrituale anderer Religionen kennenlernen und deuten


Literatur

  • Bieritz, Karl-Heinrich: Bestattungsrituale im Wandel, in: Klie, Thomas (Hg.) Performanzen des Todes, Stuttgart 2008, 118-157
  • Hutter, Manfred: Art. „Ritus / Ritual“ in RGG Bd. 7, 547, Tübingen 2004
  • Kirchenleitung der VELKD (Hg.): Agende für die evangelisch-lutherischen Kirchen und Gemeinden, Bd. 3, Teil 5: Die Bestattung, Hannover 1996
  • Kranemann, Benedikt: Art. „Ritus“ in LThK, Bd. 8, 1210, Freiburg 3. Auflage 2006
  • Lüddeckens, Dorothea: Rituelle Selbstermächtigung und strukturelle Flexibilität, in: Praktische Theologie 50/2015, 156-160
  • Rinn, Angela: Friedhof, gefährdeter Ort – veränderte Bestattungskultur in der Gegenwart und ihre Folgen, in: Pastoraltheologie 104 / 2015, 307-325
  • Wagner-Rau, Ulrike: Zeit mit Toten, Gütersloh 2015

 

Anmerkungen 

  1. Vgl. Kranemann, 1210.
  2. Mit Hutter verstehe ich unter einem Ritual eine „komplexe Handlungssequenz“, die sich aus einzelnen Riten zusammen-setzt. Der Ritus ist also der kleinste Baustein eines Rituals. Vgl. Hutter, Manfred, RGG, 547.
  3. Kirchenleitung der VELKD (Hg.): Agende für die evangelisch-lutherischen Kirchen und Gemeinden, Bd. 3, Teil 5 Die Bestattung, Hannover 1996.
  4. Bieritz, Bestattungsrituale im Wandel, 124.
  5. Vgl. Zeit mit Toten, 55f.
  6. Lüddeckens, Rituelle Selbstermächtigung, 157.
  7. Ebd., 156.
  8. Vgl. www.bestattungsplanung.de/bestattung/bestattungsarten.html zuletzt aufgerufen am 30. Mai 2017, 10.45 Uhr.
  9. Vgl. Rinn, Friedhof, gefährdeter Ort.
  10. Vgl. Lüddeckens, Rituelle Selbstermächtigung,160.