Taufe und verfremdete „Taufen“

Von Felix Emrich

 

Bei der christlichen Taufe hat das Wort „Taufe“ (Faktitivum von „tief“, also etymologisch: „tief machen“, also ein- oder untertauchen) zwei grundlegende Bedeutungen:

Zum einen das christliche Sakrament, in dessen Vollzug der meist junge Täufling zum Kind Gottes und Teil der Glaubensgemeinschaft wird. Zentral ist hier die Verbindung von Wort Gottes – verdichtet in der Taufformel nach Matthäus 28,20, wobei der Täufling mit seinem Namen angeredet wird: „Lieber Paul, ich taufe dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiliges Geistes“ – mit dem Element des Wassers, das symbolisch sowohl für den Tod als auch das ewige Leben steht und dreimal (in der Regel) über den Hinterkopf des Kindes gegossen wird.

Zum anderen kann Taufe aber auch das Familien- oder Gemeindefest meinen, das an die Taufe in der Kirche anschließt. Man geht dann „zur Taufe“.

Die Wendung „aus der Taufe heben“ zeigt, dass das Wort Taufe in der deutschen Sprache weitere übertragene Verwendung findet.

So hat die „Taufe“ auch im nichtreligiösen Sinn Einzug in diverse Bräuche gehalten, z. B. bei der feierlichen Namensgebung eines Schiffes. So gesehen gibt es viele „Taufen“: Die Sekttaufe nach dem ersten eigenen Ballonflug oder die Taufen von Schiffen, Flugzeugen und Zügen, wenn sie nach Jahren der Planung und Arbeit feierlich der geneigten Öffentlichkeit vorgestellt werden. Ja, selbst ein Esel oder eine Stadtmauer können, folgt man dem Selbstverständnis der Besitzer bzw. Lokalpolitiker, „getauft“ oder zumindest „eingeweiht“ werden. Solche „Taufen“ bringen Menschen zusammen. Sie sind ein Fest, und sie sind zumindest in einer Stadt oder in einem Gebiet oft in aller Munde – sie sollen es auch sein, denn mit ihnen wird heutzutage auch Werbung betrieben.

Auch Menschen werden durchaus „wieder getauft“ im Laufe ihres Lebens – das etwa kann ihnen in manch einer ländlichen Region Norddeutschlands passieren. Dann blüht ihnen vielleicht zum 18. Geburtstag die „Mehltaufe“ (mit oder ohne Eier oder Bier als Klebemittel), die vor allem den Freunden Spaß macht.

Wenn jemand eine Seefahrt macht, wird das unter Umständen auch nicht lustig für ihn. Überquert man dabei zum ersten Mal den Äquator, muss man sich auf etwas gefasst machen – wobei die „Äquatortaufe“ heute eine harmlosere Variante ist als das, was Seefahrer früher über sich ergehen lassen mussten.

Während in den letzten Jahren die Zahlen echter christlicher Taufen langsam rückläufig sind, erfreuen sich diese weltlichen „Taufen“ zunehmender Beliebtheit – und das, obgleich sie wie die Äquator- und die Mehltaufe mit einigem Recht vom Täufling gefürchtet werden. Sie versprechen aber Spaß, begleiten zum Teil auch Übergänge und haben nicht selten einen erwünschten Werbe- oder Publicity-Effekt.

Handelt es sich hier um verweltlichte oder um verfremdete Taufen? Bei fast allen der im Folgenden vorgestellten „Taufen“ stehen ein oder zwei zentrale Merkmale der christlichen Taufe im Vordergrund. Zum einen die feierliche Aufnahme in eine Gemeinschaft, die sich um eine Mitte vereint weiß. Während das beim Sakrament der Taufe letztlich Jesus Christus und Gott sind, stellt sich das bei den verfremdeten Taufen natürlich profaner dar und kann z. B. der Kreis der Volljährigen sein. Zum anderen steht die Namensnennung (im Rahmen des Sakraments) mit der verbreiteten Feier der Namensgebung in enger Nähe. Wenn etwa ein Schiff auf den Namen XYZ „ getauft“ wird, scheint die früh praktizierte Säuglingstaufe durch, bei der das Sakrament (Taufe im Namen Gottes) und öffentliche Proklamation des Taufnamens zeitlich quasi zusammenfielen. Auch Flüssigkeiten wie z. B. Sekt, die bei weltlichen Taufen dazugehören, nehmen das christliche Symbol des Wassers auf, ohne eine religiöse Bedeutung zu erhalten.

Auch wenn die unten aufgeführten Bräuche sehr unterschiedlich schon von ihrer Herkunft sein mögen, so lässt sich festhalten, dass sie alle als verfremdete bzw. verweltlichte Formen gelten können, die deutliche Bezüge zur christlichen Taufe aufnehmen. Die Vermengung von Religion und Kultur wird an diesen Punkten sehr greifbar, was ja etwa auch für das Weihnachtsfest zutrifft.

 

Fragen und Ideen zur Vertiefung:

  • Was hat es mit diesen verfremdeten Formen von „Taufen“ grundsätzlich auf sich?
  • Warum wird hier und so „getauft“? Gibt es etwas, was all diese sehr unterschiedlichen Rituale gemeinsam haben? Wo gibt es Überschneidungen, wo Unterschiede?
  • Mit welchen Sinn-Dimensionen könnte man die jeweiligen „Taufen“ überschreiben (z. B. „Segnung“)?
  • Finden Sie weitere Beispiele für verfremdete Taufen finden und analysieren Sie diese.
  • Erkunden und deuten Sie historische Hintergründe z. B. zur Schiffs- oder Äquatortaufe.
  • Gehen Sie der Frage nach, wie überhaupt neue Rituale entstehen (z. B. die Feier von Halloween).
     

Quellen und Hinweise im Internet zum Einlesen und Diskutieren
(eingesehen am 27.6.2017):

  • www.dwds.de/wb: kurze Definition aus dem Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache mit Wort-Statistiken etc.
  • www.ekd.de/Taufe-10844.htm: die Evangelische Kirche Deutschlands zur Taufe mit Definition, Fragen, Statistiken etc.
  • www.t-online.de/leben/familie/baby/id_ 73027996/taufe-veraltetes-relikt-oder-ech te-glaubenssache-.html: diskursiver Artikel zur Bedeutung der Taufe heute.


***

Schiffstaufe

„Am Tage der Schiffstaufe stand wie gewöhnlich die halbe Stadt am Hafen“, so schrieb es James Krüss, in Helgoland aufgewachsener Schriftsteller, Ende der Fünfziger Jahre.

Die Ursprünge der Schiffstaufe reichen weit hinter das christliche Zeitalter zurück. Bis in das vierte Jahrtausend vor Christus sind Riten in verschiedenen Kulturen belegt, etwa der mesopotamischen, griechischen und römischen, bei denen Boote oder Schiffe beim Stapellauf oder der Jungfernfahrt zumeist mit Wein begossen wurden, um die Götter gnädig zu stimmen. Auch andere Opfer sind dabei belegt, bis hin zu Menschenopfern.
Bei diesen Riten ging es zugleich schon um die Namensgebung der Schiffe.

Die Bezeichnung Schiffstaufe kommt wohl von einem volkstümlichen Verständnis der christlichen Taufe her. Durch die seit dem zweiten Jahrhundert praktizierte Säuglingstaufe rücken Namensgebung und Taufe zeitlich sehr eng zusammen.

Heutzutage wird z. B. in Deutschland bei einer oft großen Feier zur Namensgebung von Schiffen und Booten eine Flasche Champagner „geopfert“, die bei großen Schiffen an der Bordwand zerschellen soll (wenn das nicht im ersten Anlauf gelingt, gilt das vielerorts als ein böses Omen). Erst dann wird das Schiff zu Waser gelassen und kann die Jungfernfahrt antreten. In Schottland verwendet man eine Flasche Whisky für die Schiffstaufe. Nach islamischer Sitte wird ein Schiff mit Wasser aus dem heiligen Brunnen von Mekka getauft.

Ähnlich der christlichen Taufe gehören bei diesem Akt der Namensgebung und Ingebrauchnahme eines Schiffes zum gesegneten Gebrauch auch formelhafte Worte dazu. Diese sollten sein:

  • Hiermit taufe ich Dich auf den Namen …
  • Ich wünsche der Besatzung allzeit gute Fahrt und dir stets (mehr als) eine Handbreit Wasser unter dem Kiel.
  • Ich grüße dich mit einem dreimaligen „Hipp Hipp Hurra“!
     

Wichtig – vor allem für Seeleute, denen ein Hang zum Aberglauben nachgesagt wird – beim Akt der Taufe ist es, dass eine Patin, kein Pate, die Taufe vollzieht. Das sind in aller Regel sehr bekannte Menschen wie Queen Elizabeth. Die Titanic wurde nicht getauft, da man sie für ein technisches Wunderwerk und unsinkbar hielt. Sie ist schon bei ihrer Jungfernfahrt untergegangen.

In ähnlicher Weise werden auch Flugzeuge und Züge „getauft“, also feierlich benannt und für den Betrieb übergeben.

Internetlink: www.brauchwiki.de/Schiffstaufe. In der Brauchwiki finden sich eine Vielzahl von Bräuchen vor allem aus Süddeutschland.


Äquatortaufe

Die Äquatortaufe ist eine Art Initiationsritus von Menschen, aber kein religiöses Ritual. Als Brauch hat er seinen Ursprung in der Zeit der Entdeckungsreisen der Portugiesen. Beim Überqueren des gefürchteten Äquators wollten die Seefahrer so ihren Mut bekräftigen. Denn das Gebiet südlich des Äquators galt als so heiß, dass es kein Leben ermöglichen könne.

Dem „Täufling“ wurde dabei übel mitgespielt; er wurde vor seiner Audienz bei dem verkleideten „Neptun“ (oder Poseidon) „gereinigt“, indem er von dessen Begleitern mit Mitteln wie Rasierschaum und Fischöl „eingeseift“ wurde. Beim mehrmaligen Untertauchen im Wasserbecken musste der Täufling früher dem Gott (und der Besatzung) Opfergaben versprechen, damit von ihm abgelassen wird.

Bei heutigen „Äquatortaufen“ auf Kreuzfahrtschiffen geht es naturgemäß weniger rauh zu, zumal sie freiwillig sind. Doch auch hier ist der Täufling froh, am Ende seine Taufurkunde in der Hand zu halten, sich reinigen zu dürfen und mit den anderen mitfeiern zu können. Laut der Urkunde kann sich der frisch „getaufte“ Südseefahrer nun des Schutzes des Meergottes gewiss sein.

Seit 2011 ist die Äquatortaufe bei der Marine offiziell abgeschafft; in der Zeit davor wurde sie unter strengen Auflagen geduldet. Kritische Berichterstattungen über erniedrigende Bräuche auf der Gorch Fock führten zur umstrittenen Entlassung des Kapitäns.

Internetlinks:

  • https://de.wikipedia.org/wiki/Äquatortaufe
  • www.kreuzfahrt-blog.com/2014/04/kreuz fahrten-aequatortaufe-und-polartaufe-durch-neptun: Beschreibung moderner Äquatortaufen
  • http://xochipilli.eu/seefahrt-aequatortaufe.html: Erinnerungen und Bilder von Äquatortaufen aus den 1960er Jahren


Ballontaufe

Die Ballontaufe meint eigentlich eine feierliche Aufnahme von Menschen, die zum ersten Mal eine Ballonfahrt absolviert haben. Bei dem Ritus geht es nicht um das Lenken eines Ballons, sondern um das Mitfahren, was aber sicher auch einer gewissen Portion Mut bedarf.
Gemeinsam wird mit Sekt angestoßen, und der frische Ballonfahrer, die Ballonfahrerin erhält eine Urkunde – nicht ohne vorher das Versprechen abgelegt zu haben, nie mehr „Ballonfliegen“ zu sagen, sondern nur noch richtig „Ballonfahren“. Weitere Traditionen beinhalten das Verleihen eines spaßigen Adelsnamen und manchmal auch das Entzünden einer Locke der Erstfahrerenden und das sofortige Löschen durch den Piloten oder die Pilotin, am besten mit Champagner.

Internetlink: https://de.wikipedia.org/wiki/Ballon#Ballontaufe


„Taufen“ von Tieren?

Zuweilen werden auch schon Fohlen von Eseln oder Pferden, auch junge Jagdhunde „getauft“. Dabei geht es den Besitzern (in aller Regel) nicht um eine religiöse Dimension. Natürlich finden diese „Taufen“ nicht im Namen des dreieinigen Gottes statt; hier wird „auf den Namen XY“ getauft.
Das junge Tier wird, ähnlich wie bei einer Kleinkindertaufe, öffentlich mit seinem Namen benannt, mit Wasser übergossen und mit einem Geschenk bedacht, während die Menschen mit Sekt anstoßen. Auch „Paten“ können hier eingesetzt werden, meist bekanntere Personen.
Vor allem Zoos und Tierpark entdecken „Tiertaufen“ als ein Mittel der Öffentlichkeitsarbeit auch der finanziellen Unterstützung, denn häufig geben die Paten dem Tier bzw. den Tieren nicht nur den Namen, sondern beteiligen sich auch regelmäßig als Sponsoren am Unterhalt.

In der Kirche finden jedoch Gottesdienste zur Tiersegnung statt, vor allem an den Gedenktagen des Heiligen Antonius (17. Januar) und des Heiligen Franziskus (3./4. Oktober), die beide zu den Tieren gepredigt haben sollen.

Internetlinks:

  • https://www.youtube.com/watch?v=J33 MmDVaVS0: „Taufe“ sibirischer Tigerjungen
  • www.predigtpreis.de/aktuelle-ausgabe/news/article/tiersegnung.html: Ein Franziskaner-Mönch berichtet über seine Tiersegnungsgottesdienste
  • www.gutefrage.net/frage/kann-man-auch-haustiere-taufen-lassen: Tiersegnung oder Tiertaufe? Antworten zur Information und Diskussion