Vorweg
Am liebsten wäre die Antidiskriminierungsstelle des Bundes überflüssig. Diskriminierungen, Benachteiligungen wegen des Geschlechts, wegen des Alters, der ethnischen Herkunft, der sexuellen Orientierung, einer Behinderung oder wegen der Religion und Weltanschauung – wie schön wäre es, würde es all das nicht geben. Doch auch und gerade in einem toleranten und weltoffenen Land wie Deutschland ist Diskriminierung Realität. Vor allem deshalb, weil es Vorurteile gibt.
Das zeigt der Blick auf einen der ersten Beratungsfälle der Antidiskriminierungsstelle des Bundes: An einem Kölner Gymnasium wurde ein 14-jähriger Schüler von seinen Mitschülern tagtäglich wegen seiner dunklen Hautfarbe mit Worten wie „Affe, Neger, Bastard“ beleidigt. Nachdem er sich beim Schulleiter beschwerte und mit der Begründung abgewiesen wurde, er solle nicht immer seine Hautfarbe vorschieben, begann er, sich handgreiflich zur Wehr zu setzen. Während seine Mitschüler ungestraft blieben, wurde er von seinen Lehrern mehrfach getadelt. Letztendlich war es der Schüler, der wegen „unverschämten und auffälligen Verhaltens“ vorübergehend suspendiert wurde und bald darauf die Schule wechselte.
Diskriminierung und Vorurteil als Alltagserfahrungen
Diskriminierungserfahrungen gehören zum Alltag vieler Menschen in Deutschland. Um sie davor zu schützen, wurde 2006 das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verabschiedet. Das Gesetz stellt Diskriminierung aufgrund der ethnischen Herkunft, der Religion oder Weltanschauung, der sexuellen Identität, des Geschlechts, des Alters oder einer Behinderung in vielen Lebensbereichen unter Strafe. Bestandteil des Gesetzes war außerdem die Einrichtung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Seitdem setzt sich die Antidiskriminierungsstelle öffentlich für die Belange benachteiligter Menschen ein und dient als unabhängige Beratungsstelle.
Wie verbreitet Diskriminierungen in Deutschland sind, das zeigen nicht nur die mehr als 23.000 Anfragen an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes seit 2006. Auch die Erkenntnisse der Vorurteilsforschung zeigen ein eindeutiges Bild. Für die mittlerweile abgeschlossene Langzeituntersuchung „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ hat eine Forschungsgruppe um Wilhelm Heitmeyer und Andreas Zick von der Uni Bielefeld zwischen 2002 und 2012 die Zustimmung zu diskriminierenden Aussagen überprüft. [1] Dabei ließ sich erkennen, dass ablehnende Haltungen gegenüber vermeintlich „anderen“ in der Mitte der Gesellschaft fest verankert sind: Die These, in Deutschland würden zu viele Menschen mit Migrationshintergrund leben, unterstützten 49 Prozent der Befragten. Gleichzeitig waren 24 Prozent der Meinung, man sollte sie bei schlechter Arbeitsmarktlage zurück in ihre vermeintlichen Heimatländer schicken und elf Prozent und stimmten der Aussage zu, Weiße wären zu Recht führend in der Welt.
Nicht nur ethnisch begründeter, auch antimuslimischer Rassismus ist nach wie vor verbreitet: 26 Prozent der Befragten finden, man sollte Musliminnen und Muslimen die Zuwanderung nach Deutschland untersagen, 39 Prozent gaben an, sich manchmal fremd im eigenen Land zu fühlen. Hinzu kommen anschlussfähige Vorurteile über Jüdinnen und Juden: 16 Prozent der Befragten stimmten der Aussage zu, sie hätten in Deutschland zu viel Einfluss, während 12,5 Prozent glaubten, sie seien durch ihr Verhalten an ihrer Verfolgung mitschuldig.
Ein ähnliches Bild vermittelt auch eine Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zu Bevölkerungseinstellungen gegenüber Sinti und Roma und anderen Minderheiten in Deutschland. Jeder zweite Befragte äußerte hier die Ansicht, Sinti und Roma riefen durch ihr Verhalten Feindseligkeit in der Bevölkerung hervor. Und jeder zehnte war der Ansicht, Juden seien selbst dafür verantwortlich, dass sie negative Reaktionen in der Öffentlichkeit hervorriefen.[2]
Kernaufgaben: Rechtsberatung und Forschung
Die Studien machen deutlich, dass Vorurteile und damit auch Diskriminierungen in Deutschland allgegenwärtig sind. Dabei ist es oftmals schockierend, wie grob geltendes Recht missachtet wird. Das zeigt ein weiterer Blick auf die Beratungsfälle der Antidiskriminierungsstelle. Einer schwangeren Angestellten in einem Kleinbetrieb wurde von ihrem Gynäkologen ein Beschäftigungsverbot bescheinigt. Der Geschäftsführer lehnte dies jedoch ab und forderte sie zur Weiterarbeit auf.
Nachdem bei einer Untersuchung klar wurde, dass das Kind im Mutterleib verstorben war und entfernt werden musste, erhielt die Angestellte eine betriebsbedingte Kündigung. Damit grobe Missachtungen geltenden Rechts wie diese nicht ungeahndet bleiben, bietet die Antidiskriminierungsstelle Auskunft über rechtliche Ansprüche, erklärt, wo diese eingeklagt werden können, oder vermittelt bei der außergerichtlichen Einigung.
Neben der Beratung hat der Gesetzgeber der Antidiskriminierungsstelle des Bundes eine weitere Kernaufgabe mit auf den Weg gegeben: die Forschung zu allen sechs so genannten Diskriminierungsmerkmalen. Wo liegen für Menschen mit Behinderung besondere Risiken? Wird das Verbot der Altersdiskriminierung auch tatsächlich beachtet? Wie steht es um den Diskriminierungsschutz von Lesben, Schwulen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen? Wo liegen die größten Herausforderungen bei rassistischer Diskriminierung, wo bei Diskriminierung wegen der Religion oder Weltanschauung? Wie kann Deutschland die Lohnlücke zwischen den Geschlechtern abtragen?
All dies sind dringende Fragen, die in der Wissenschaft bislang nur unzureichend behandelt worden sind. Studien, Expertisen, Umfragen und die regelmäßigen Berichte an den Bundestag der unabhängigen Antidiskriminierungsstelle [3] sollen diese Forschungslücken schließen helfen.
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz: Optimierungsbedarf
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz hat für viele Menschen in Deutschland zu einer Verbesserung des Schutzes vor Diskriminierung beigetragen. So geht etwa der Schutz vor sexueller Belästigung durchaus weit: Arbeitgeber können auf derartige Belästigungen rechtssicher mit Abmahnungen oder auch Kündigungen reagieren, Betroffene können auf Schadensersatz klagen.
Zwei Aspekte sind hier aber noch verbesserungsfähig: Die Wissensvermittlung und das Gesetz selbst, das zahlreiche Lücken aufweist.
Weil Diskriminierungsschutz nur wirksam sein kann, wenn er auch bekannt ist, ist die Vermittlung von Informationen über Rechte und Pflichten, die das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz mit sich bringt, eines der wichtigsten Ziele unserer Öffentlichkeitsarbeit. Da die Antidiskriminierungsstelle untrennbar mit dem AGG verbunden ist und wir täglich damit arbeiten, wissen wir überdies sehr genau über Fälle Bescheid, in denen Diskriminierte durch die bestehende Gesetzgebung nicht ausreichend geschützt sind.
Ein ganz wichtiger Punkt sind hier die viel zu kurzen Fristen, in denen Betroffene vor Gericht auf Entschädigung und Schadenersatz klagen können. Der Gesetzgeber sieht hier eine Frist von zwei Monaten vor. Nicht nur, um ein Beispiel zu nennen, für eine von einer sexuellen Belästigung traumatisierte Arbeitnehmerin ist das viel zu kurz.
Nicht hilfreich ist es darüber hinaus, dass das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz nur im Arbeitsrecht und im Zivilrecht wirksam ist, nicht aber im öffentlichen Bereich. Betroffene, die zum Beispiel in einem Supermarkt oder am Arbeitsplatz rassistisch diskriminiert werden, können dagegen unter Verweis auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz vorgehen – nicht aber der anfangs genannte Schüler, der eine vergleichbare Benachteiligung im Unterricht erlebt oder in einer vergleichbaren öffentlichen Einrichtung wie etwa im Bürgeramt. Hier muss der Gesetzgeber nachbessern.
Das gilt auch für den aus Sicht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes wichtigsten Bereich: Den der Rechtsdurchsetzung. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes kann im Fall einer Diskriminierung zwar Arbeitgeber, Vermieter oder Versicherungen anschreiben, um eine gütliche Einigung zu erzielen. Sie kann aber nicht juristisch gegen sie vorgehen oder Musterprozesse führen. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz sieht ausschließlich die Möglichkeit vor, dass Betroffene persönlich klagen. Nur wenige Menschen trauen sich aber, gegen den eigenen Arbeitgeber oder Vermieter vor Gericht zu ziehen. Auch schrecken viele Betroffene wegen der Kosten einer Klage davor zurück. Abhilfe schaffen würde hier ein Klagerecht für Verbände und/oder Antidiskriminierungsstellen, wie es in vielen EU-Mitgliedstaaten bereits möglich ist, etwa in Irland, Großbritannien, Belgien und zahlreichen osteuropäischen Ländern.
Ausblick
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz hat ein wichtiges Signal für eine gerechtere Gesellschaft gesetzt. Es reicht aber nicht aus, um Diskriminierungen wirksam vorzubeugen und sie zu bekämpfen. Wir müssen deshalb alles daran setzen, um den Diskriminierungsschutz weiter zu stärken.
Im Jahr 2016 jährt sich das Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes zum zehnten Mal. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes wird in diesem Jahr die bislang größte, bundesweite Umfrage zu Diskriminierungserfahrungen in Deutschland und eine Evaluation des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes vorstellen.
Damit wollen wir einen starken, öffentlichen Anstoß für eine Reform des Schutzes vor Diskriminierung geben. Ziel muss es sein, Diskriminierung in Deutschland zu beseitigen – damit, wer weiß, die Antidiskriminierungsstelle auf lange Sicht tatsächlich einmal überflüssig werden wird.
Anmerkungen
- Wilhelm Heitmeyer (Hrsg.): Deutsche Zustände. Band 1-10, edition suhrkamp, Frankfurt a. M., 2002-2012.
- Antidiskriminierungsstelle des Bundes (2014): Zwischen Gleichgültigkeit und Ablehnung. Bevölkerungseinstellungen gegenüber Sinti und Roma. Expertise für die Antidiskriminierungsstelle des Bundes; Zentrum für Antisemitismusforschung, Institut für Vorurteils- und Konfliktforschung e.V., Berlin.
- Antidiskriminierungsstelle des Bundes (2013): Zweiter Gemeinsamer Bericht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes und der in ihrem Zuständigkeitsbereich betroffenen Beauftragten der Bundesregierung und des Deutschen Bundestages: Diskriminierung im Bildungsbereich und Arbeitsleben. Berlin; Antidiskriminierungsstelle des Bundes (2010): Gemeinsamer Bericht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes und der in ihrem Zuständigkeitsbereich betroffenen Beauftragten der Bundesregierung und des Deutschen Bundestages: Mehrdimensionale Diskriminierung. Berlin.