„Überheblichkeit ist der stärkste Feind des Respekts“

Kirsten Rabe im Gespräch mit Prof. Dr. Wolfgang Huber, dem Schirmherrn des diesjährigen Landeswettbewerbs Evangelische Religion

 

Dr. Wolfgang Huber, geb. 1942, ist Professor für Theologie in Berlin, Heidelberg und Stellenbosch / Südafrika. 1983 bis 1985 war er Präsident des Deutschen Evangelischen Kirchentags, 1994 bis 2009 Bischof in Berlin sowie 2003 bis 2009 Vorsitzender des Rats der Evangelischen Kirche in Deutschland. Der profilierte Vordenker in ethischen Fragen wurde vielfach ausgezeichnet und geehrt, unter anderem mit dem Max-Friedländer-Preis, dem Karl-Barth-Preis und dem Johannes-Reuchlin-Preis.

 

Kirsten Rabe: Sehr geehrter Herr Professor Huber, „Respekt“ ist ein gesellschaftlich hoch aktuelles Thema. Aus welchen Gründen halten Sie persönlich die Auseinandersetzung junger Erwachsener mit Respekt für wichtig und notwendig?

Prof. Dr. Wolfgang Huber: Früher wurde Respekt von Jüngeren gegenüber Älteren, Schülerinnen und Schülern gegenüber Lehrenden, Untergebenen gegenüber Vorgesetzten gefordert. Heute wissen wir, dass wirklicher Respekt nicht einseitig, sondern wechselseitig ist. Wir sind von der gleichen Würde aller Menschen überzeugt. Jeder Mensch verdient Respekt. Werdendes Leben, kleine Kinder, Gleichaltrige oder Ältere, Bekannte oder Unbekannte – Respekt gebührt ihnen allen. Unbefangenheit gegenüber anderen, auch fremden Menschen ist gut, Respektlosigkeit ist es nicht. Diesen Unterschied zu lernen, ist lebenswichtig.
 

Rabe: Gibt es eine Situation oder ein Ereignis, das für Sie in der Frage nach Respekt prägend war und Sie bzw. Ihr Handeln bis heute bestimmt?

Huber: Bei einem Aufenthalt in Südafrika noch zur Zeit des Apartheid-Regimes hatte ich mir vorgenommen, einige Tage in einer Township zu verbringen. Das war ein Verstoß gegen die Regeln des Landes, aber es gelang. Ich nahm am Leben der Menschen teil, sah ihre Armut und begriff, wie entwürdigend das Konzept der „getrennten Entwicklung“ war. Doch die davon Betroffenen ließen sich ihre Würde nicht nehmen. Sie begegneten mir so herzlich, dass es mich beschämte. Mir wurde klar: Respekt ist weder an die soziale Stellung noch an die Hautfarbe gebunden. Überheblichkeit ist der stärkste Feind des Respekts.


Rabe
: Ihre Biografie ist geprägt durch theologisches Denken und kirchliches Handeln. Sehen Sie eine besondere Verantwortung von Theologie und Kirche in der Frage nach Respekt?

Huber: Unser Glaube ermutigt zum aufrechten Gang. Wir beugen uns vor Gott, nicht vor Menschen. Aber wir beugen uns für die, die unsere Hilfe brauchen. Dass wir ganz besonders auf verletzliche und verletzte Menschen achten, prägt den Respekt der Christen. Wir wissen, dass das nicht immer geschah; mit solchen Zügen in der eigenen Geschichte selbstkritisch umzugehen, ist eine wichtige Aufgabe der Theologie.
Dietrich Bonhoeffer beschrieb den „Blick von unten“ als eine Haltung von unvergleichlichem Wert, die wir als Christen lernen können. Darum sollten Theologie und Kirche sich kümmern.


Rabe
: Sie haben 2013 bei C.H. Beck „Ethik. Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod“ veröffentlicht. Welche Zusammenhänge sehen Sie zwischen Respekt und Ethik?

Huber: Das Wort „Respekt“ bedeutet ursprünglich, dass man zu einer Person oder zu etwas Wertvollem Abstand hält. Man tastet es nicht an, sondern lässt es gelten. Die Unantastbarkeit des Lebens, der Wert von Treue, die Unverbrüchlichkeit von Freundschaft, die Würde des Alters, die Achtung des Tötungsverbots, die Bewahrung des Friedens sind grundlegende Themen der Ethik.
Vielen Dank für die Frage – es geht in der Ethik häufiger um Respekt, als ich gedacht habe!


Rabe
: „Respekt für den anderen, auch wenn er uns fremd ist, muss die Tonlage prägen“ – so formulieren Sie in einem Artikel in „The European“ vom 25. Januar 2015. Was aber soll man tun, wenn die Fremdheit als unüberwindbar empfunden wird?

Huber
: Respekt setzt doch nicht voraus, dass die Fremdheit überwunden wird. Warum reisen wir denn in ferne Länder? Weil uns Fremdes interessiert. Das Problem entsteht erst dann, wenn Respekt nicht erwidert wird. Solange wir uns in unserer Fremdheit achten, nehmen wir das Gemeinsame, das uns als Menschen verbindet, wichtiger als unsere Unterschiede. Wenn das gegeben ist, können wir unsere Verschiedenheit aushalten. Fundamentalismus, von welcher Seite auch immer, verweigert den Respekt vor dem Fremden.


Rabe
: Wenn man bei Duden online „Respekt“ aufruft, werden u. a. typische Verbverbindungen zu diesem Begriff aufgezeigt. „Verdienen“ ist eines dieser Verben. Müsste man – vom christlichen Glauben her gedacht – nicht dieses Verb streichen?

Huber
: Es stimmt: Den Respekt vor Gott verdient sich niemand selbst. Dass wir von Gott geachtet und wertgeschätzt werden, ist unverdient. Deshalb bringen wir auch jedem Menschen Achtung entgegen. Denn jeder Mensch ist mehr, als er selbst aus sich macht. Trotzdem können wir achten und respektieren, was Menschen leisten. Wir können uns für ihre lange Lebensgeschichte interessieren, von ihrem Wissen lernen, uns von ihrer Bescheidenheit eine Scheibe abschneiden. Wir dürfen nur nie vergessen: Nicht nur die großen Namen „verdienen“ Respekt, sondern auch die, deren Namen niemand kennt.


Rabe
: Gibt es eine Person, von der Sie heute sagen, sie war für Sie als Jugendlicher Respektsperson?

Huber
: Bei einer Fahrt kamen wir mit unserer Pfadfindergruppe am Haus von Albert Schweitzer vorbei. Er war gerade nicht in Lambarene, sondern im Elsass. Uns wurde die Tür geöffnet und wir wurden hereingebeten. Der große Menschenfreund Albert Schweitzer nahm sich Zeit für ein paar Jugendliche. Eine Respektsperson!


Rabe
: Vielen Dank, Herr Professor Huber, für das Gespräch.