In dieser Rubrik haben wir bei zwei Vertretern nachgefragt, deren beruflicher Alltag in der Öffentlichkeit besonders wahrnehmbar wird: Respekt! Welche Bedeutung spielt das Thema in Ihrem Beruf?
Arbeitsverdichtung, Auflagenschwund und Social Media setzen dem klassischen Journalismus zu. Im Medienwandel drohen ethische Leitlinien auf der Strecke zu bleiben, wie etwa die grenzwertige Berichterstattung über die Germanwings-Tragödie im März gezeigt hat.
400 Beschwerden binnen Wochenfrist: Selten hatte der Deutsche Presserat derart viel zu tun wie in den Tagen nach dem tragischen Absturz des Germanwings-Flugs 9525. Spekulativ, sensationsheischend und ohne die gebotene Achtung vor den Opfern und ihren Angehörigen sei die Berichterstattung, so die Kritiker. Auch die Frage, ob es angemessen sei, noch während der Ermittlungen ungepixelte Privatfotos und den vollen Namen des Copiloten zu veröffentlichen, beschäftigte nicht nur die Beschwerdeführer, sondern auch etliche Redaktionen. Manche Titel sahen sich gar in der Pflicht, darzulegen, warum sie sich für (etwa FAZ.net) oder gegen (etwa Spiegel Online) die Preisgabe der Identität von Andreas Lubitz entschieden hatten.
Wenn Medien selbstreferentiell werden, wenn sie ihre Entscheidungen in langen Artikeln vor den Lesern (und letztlich auch sich selbst) begründen, dann verrät das zweierlei. Erstens: Sie sind sich ihrer ethischen Verantwortung zumindest bewusst. Zweitens: Sie sind mit einer Situation konfrontiert, die ihre alltäglichen Handlungsroutinen und Bewertungsmaßstäbe infrage stellt.
Zumeist herrscht besonnene Geschäftigkeit in den Redaktionen. Kaum eine Nachricht, die sich nicht in vertraute Bezüge einsortieren ließe, kaum ein Vorgang, der einen versierten Redakteur ernstlich ins Schwitzen bringen würde. Doch dann geschieht das Außerordentliche, das fassungs- und sprachlos Machende: Ein Flugzeugabsturz, eine deutsche Maschine, 150 Todesopfer. Eine nationale Tragödie.
In den folgenden Stunden und Tagen überschlagen sich die Meldungen. Doch ein stimmiges Bild von Ursache und Hergang des Unglücks ergibt sich zunächst nicht. Das öffentliche Interesse ist gigantisch. Die „schnellen Kanäle“ – soziale Medien, Fernsehsender, die Internetportale der Tageszeitungen – kompensieren das Fehlen gesicherter Erkenntnisse durch ein hochfrequentes Dauerfeuer aus Hintergrundbeiträgen, Experteninterviews und mitunter auch bloßem Betroffenheitsjournalismus. Bilder von tief verstörten Angehörigen kursieren in den Medien. Ebenso Fotos von Andreas Lubitz. Dutzende Journalisten machen sich auf ins rheinland-pfälzische Montabaur, dem Heimatort des inzwischen unter Suizid- und Mordverdacht stehenden Germanwings-Copiloten. Sie belagern das Elternhaus, fragen die Anwohner aus – und tragen dennoch kaum zum tieferen Verständnis der Tragödie bei.
Die Berichterstattung über das Flugzeugunglück vom 24. März verrät viel darüber, wie heutige Medien ticken – und wie leicht sie Gefahr laufen, im Wettstreit um auflagenträchtige Nachrichten die ethischen Leitlinien ihres Handeln aus dem Blick zu verlieren: Sorgfalt und Lauterkeit bei der Recherche, Wahrhaftigkeit bei der Berichterstattung, die Achtung von Persönlichkeitsrechten, ein Verzicht auf unangemessen sensationelle oder ehrabschneidende Berichterstattung und ein Festhalten an der Unschuldsvermutung bis zum Beweis des Gegenteils.
Im Volontariat und an Publizistikakademien werden angehende Journalisten mehr oder weniger gründlich mit den Rechtsbegriffen ihres Berufs vertraut gemacht. Zumindest einen Crashkurs in Presserecht hat nahezu jeder Jungredakteur intus. Bei der Entwicklung einer über nackte Paragrafen hinausgehenden Vorstellung von „richtig“ und „falsch“ sind die noch unerfahrenen Redakteure hingegen oftmals weitgehend auf sich allein gestellt und passen sich – teils aus Ehrgeiz, teils aus Bequemlichkeit – den in der Redaktion herrschenden Gepflogenheiten an. Und das kann eben auch bedeuten, dass eine Art ethischer Minimalkonsens stillschweigend akzeptiert wird: „Richtig“ heißt dann zwar, rechtlich einwandfrei zu handeln – aber seinen Eifer zugleich nur soweit zu bändigen, dass der Leser hinreichend bei Laune gehalten und das eigene Standing als verlässlicher „Nachrichtenbeschaffer“ in der Redaktion nicht infrage gestellt wird.
Gewiss, die meisten Journalisten bemühen sich redlich, die beträchtlichen Ansprüchen ihres Berufs zu erfüllen. Doch einwandfreies, sauberes Arbeiten ist mühsamer geworden. Zum einen wird sorgfältige, vieldimensionale Berichterstattung durch Stellenabbau und zunehmende Arbeitsverdichtung in den Redaktionen erschwert. Zum anderen steht der klassische Journalismus in wachsender Konkurrenz zu einem nahezu unüberschaubaren Informations- und Kommunikationsangebot im Internet. Jugendliche halten zunehmend jene Nachrichten für relevant, die ihre Freunde auf Social-Media-Plattformen wie Facebook und Twitter mit ihnen teilen. Und sie wissen, dass sich jene Inhalte, für die Zeitungsleser bezahlen, zumeist auch kostenlos aus dem Netz fischen lassen.
Nicht, dass diese Entwicklung nur beunruhigend wäre. Im Gegenteil: Nie waren mehr Informationen für Menschen in aller Welt frei zugänglich als heute. Zugleich jedoch stellen die Allverfügbarkeit, die schiere Masse und das beständig anziehende Tempo von Nachrichten immer höhere Anforderungen an Redakteure wie Leser. Gefragt ist die Fähigkeit zu selektieren, Informationen von Behauptungen und Spekulationen zu unterscheiden. Gefragt ist Besonnenheit: Wann schlägt ein berechtigtes Bedürfnis nach Informationen um in Voyeurismus, wann wird angemessene Neugier zur bloßen Gier nach dem Neuen? Gefragt ist auch ein Gespür für Qualität: Was bietet Klarheit und Orientierung in einer immer schnelleren, immer unübersichtlicheren Welt?
Und schließlich ist Demut gefragt. Denn Wahrhaftigkeit, die vielleicht stärkste Tugend eines guten Journalisten, beginnt mit der Selbstkritik, der aufrichtigen Betrachtung der Möglichkeiten und der Grenzen des eigenen Handelns.