Am Anfang stand vielleicht der Satz von Papst Gregor I. (540-604): „Denn was für die Lesenden die Schrift, das gewährt den Laien, indem sie sehen, das Bild, weil in ihm auch die Unwissenden sehen, was sie befolgen müssen; durch diese lesen diejenigen, die die Schriften nicht verstehen. Darum vor allem nimmt für das Volk das Bild die Stelle des Lesens ein.“1 Bilder, so hat es sich seitdem in unseren Köpfen festgesetzt, sind ein gutes Mittel, auch jene anzusprechen, die zur reinen Textlektüre nicht fähig sind. Ob Gregor der Große mit seiner didaktischen Ingebrauchnahme der Bilder Recht hatte, kann man mit guten Gründen bezweifeln. Bis heute gilt, dass zur Lektüre von Bildern auch ein Wissen über die dargestellten Inhalte notwendig ist. Man sieht zwar nicht nur, was man weiß, aber ohne Wissen sieht man nichts oder eben etwas völlig anderes.
Wenn wir auf ein Bild stoßen, auf dem ein junger Mann dargestellt ist, der gerade seinen Kopf auf den Schoß einer jungen Frau gelegt hat, während diese ihm mit Hilfe einer weiteren Person die Haare schneidet, könnte man das unbefangen für eine frühe Genre-Szene eines (zudem noch ziemlich barocken) Friseurladens halten. Erst mit dem 16. Kapitel des biblischen Buchs Richter können wir das Bild als den Showdown in der Beziehung von Samson und Delila erkennen und die Situation und die Bilddetails angemessen deuten (Abb. 1).
Trotz ihrer Abhängigkeit vom vorgegebenen Bezugstext haben Bilder eine kaum zu überschätzende Bedeutung im Christentum bekommen, manche religiösen Tatbestände sind uns eher als Bild denn als Lehre präsent. Wenn wir das Wort „Abendmahl“ hören, denken wir geradezu intuitiv an Leonardo da Vincis berühmtes „Letztes Abendmahl“ in Mailand (Abb. 2), während wir vielleicht mit der Realpräsenz nur mit Mühe etwas anfangen können.
Bilder haben eine eigene Wirkungsmacht, die in den letzten Jahrzehnten eher zu- als abgenommen hat. Von den ersten Bildern der Menschen trennen uns 40.000 Jahre, aber die Bildproduktion der Menschen ist nicht an ihr Ende gekommen. Ganz im Gegenteil. Seit der Moderne werden wir von Bildern nur so überschüttet. Vermutlich sieht ein heutiger Mensch an einem Tag mehr „künstliche Bilder“ als ein mittelalterlicher in seinem ganzen Leben. Gleichzeitig scheint etwas von der Intensität, die frühere Bilder auszeichnete, verloren zu gehen. Das einzelne Bild, das sich dem schnellen Konsum verweigert, tritt zunehmend in den Hintergrund. Dabei können Bilder – und hier allen voran jene Bilder, die wir als Kunstwerke bezeichnen, – mehr sein als nur optische Garnierung, Illustration oder mediale Wegwerfware. Das Lesen, Deuten und Genießen von jenen Bildern, die wir Kunst nennen, muss heute neu gelernt werden – gerade auch in religionspädagogischen Kontexten. Die Annäherung an die Kunst ist auch ein Beitrag zur intensiveren Lektüre des Bildes der Welt in der allgemeinen Bilderwelt. Kunst hilft sehen – das ist die Grundlage der folgenden Überlegungen. Andererseits ist das seit der Zeit der Reformation auch keine Überraschung mehr, war doch das Bild ein entscheidendes Argument in der Auseinandersetzung zwischen den neu entstehenden Konfessionen. Luther hat in Zusammenarbeit mit Lukas Cranach und seiner Werkstatt gezielt auf die Wirkungsmacht der Bilder gesetzt und zentrale Themen der protestantischen Lehre in Bilder übersetzen lassen.
Freilich ist gerade in der Schule der Umgang mit Bildern oftmals zu einer überaus harmlosen und auch nicht wirklich herausfordernden Sache geworden. Man zeigt Bilder als Teil der Kulturgeschichte, also als etwas Vergangenes. Oder man präsentiert sie als eine Art Rätsel, das mit Hilfe ihrer Versprachlichung gelöst werden soll und macht sie auf diese Weise zur bloßen Illustration. Dabei können bei entsprechender Präsentation auch Werke der Vergangenheit wieder aufregend werden, uns zu religiösen Entdeckungen wie auch Stellungnahmen herausfordern. Wer genau hinschaut und mit Hilfe der Bilder präziser zurückfragt, für den werden auch „Ochs und Esel“ an der weihnachtlichen Krippe überaus fraglich (weil keineswegs harmlos) und eine Provokation für den Glauben. Das aber will eingeübt sein.
Christian Schwarke hat in seinem kürzlich erschienen Buch über „Technik und Religion“ auf die Frage, warum er sich dort vorrangig an Bildern abarbeite, geschrieben: „Da es sich bei religiösen Dimensionen und Verweisen auf das Transzendente stets um solche Kontexte handelt, die zwar reflektiert werden, in ihrer Kommunikation aber auf vorreflexive Ebenen zielen und aus diesen gespeist werden, wird über sie stets in Bildern und Symbolen kommuniziert … Gleichwohl werden Bildinhalte und ihre Gestaltung von Künstlern selbstverständlich nicht unreflektiert eingesetzt. Gerade in Kontexten, die auf Öffentlichkeit zielen, geschieht dies in der Regel auf ihre Akzeptanz. Daher können Bilder zugleich als Ausdruck öffentlicher Wahrnehmung und als Gestaltungsversuch dieser Wahrnehmung verstanden werden.“ (S. 14-15) Um diese Dialektik von vorreflexiven Elementen und bewussten Bildgestaltungen geht es in der Arbeit mit Bildern bzw. Kunstwerken im Religionsunterricht. Und es geht darum, Bilder als Argumente ernst zu nehmen und das heißt auch: mit ihnen zu streiten und die eigenen Überzeugungen darzulegen.
Ein Bild zur Geburt Christi
Als Beispiel wähle ich das Thema der „Geburt Christi“. Und ich habe mir ein Bild ausgesucht, dem ich als Unterrichtender nicht einfach zustimme, sondern das von mir eine Stellungnahme erfordert, bis dahin, dass ich es inhaltlich ablehne. Zudem sollte es ein Bild sein, zu dem es auch unter den Schülerinnen und Schülern kontroverse Haltungen gibt, wenn ihnen das auf den ersten Blick freilich gar nicht bewusst sein mag.
Ausgewählt habe ich ein Werk des Meisters des Hersbrucker Altars (Abb. 3). Das Bild stammt aus dem Jahr 1480 und hängt in der Hersbrucker Stadtkirche in der Nähe von Nürnberg. Weder über den Maler noch über den Stifter wissen wir etwas. Hersbruck gehört in dieser Zeit in das Herrschaftsgebiet der Herzöge von Bayern-Landshut und fällt 1504 an das Gebiet der Reichstadt Nürnberg. 1525 wurde Nürnberg und damit auch Hersbruck evangelisch. Obwohl der Altar ein Marienaltar war, wurde er von der evangelisch gewordenen Gemeinde beibehalten. Er stand am Ende des Chorraumes, der mit der Reformation etwas von seiner liturgischen Funktion verlor. Konzeptionell haben wir einen reich geschnitzten Mittelteil mit vier Figuren von Kirchenvätern (Augustinus, Gregor der Große, Hieronymus, Ambrosius) und der Marienfigur in der Mitte vor uns. Hinzu kommen die Flügelbilder mit ihren Innen- und Außenseiten. Sie zeigen auf den Innenseiten zwei große Darstellungen, links die Geburt Christi (Abb. 4) und rechts den Tod der Maria. Auf den Außenseiten finden sich acht kleinere Darstellungen aus der Passion Jesu und vier Darstellungen aus dem Leben der Maria.
Vorbereitung für die Arbeit im Unterricht
Für die Arbeit im Unterricht brauchen wir zunächst Abbildungen und die ihnen zugrunde liegenden Texte. Wie kann man an Abbildungen des Altars kommen? Das Bild gehört nicht zu jenen, die man in den großen Bilddatenbanken findet. Das Gottesdienstinstitut in Nürnberg (http://www.gottesdienstinstitut.org) bietet aber für 20 Cent das Stück eine gut verwendbare Bildpostkarte Geburt Christi an (Artikel-Nr. 0694). Dazu gibt es auch eine günstige Dia-Serie, welche freilich die noch unrestaurierte Fassung des Altars dokumentiert und deshalb für den Unterricht nur bedingt hilfreich ist. Sehr gut verwendbar ist dagegen eine Broschüre aus dem Medienhaus Pfeiffer, die zahlreiche Details des Altars präsentiert. Sie kann im Internet unter der Adresse http://pfeiffer-medienhaus.de/buchverlag/der-hersbrucker-altar bestellt werden.
Einen Überblick über weitere Kunstwerke zur Geburt Christi kann man sich in der grundsätzlich empfehlenswerten Web Gallery of Art (www.wga.hu) verschaffen (Stichwort ‚Nativity‘). Kunstwerke, die sich zur vergleichenden Betrachtung eignen, sind Bilder von Martin Schongauer (Abb. 5a), Robert Campin (Abb. 5b) und Rogier van der Weyden (Abb. 5c). Vgl. dazu auch die Vgl. dazu auch die Loccumer Impulse „Starke Bilder“ (Marklein 2012). Für die „Lektüre“ des Bildes werden zudem einige Texte benötigt (M 1):
- Lukas 2 (80-90 n. Chr.)
- Matthäus 2 (80-100 n. Chr.)
- Protoevangelium des Jakobus 17-20 (um 150 n. Chr.)
- Pseudo-Matthäus-Evangelium 13-14 (600-625 n. Chr.)
- Legenda Aurea zur Geburt Jesu (um 1264 n. Chr.)
- Visionen der Hl. Birgitta von Schweden zur Geburt Jesu (ab 1344 n.Chr.)
Zur Vorbereitung der Erschließung des Bildes im Unterricht hebe ich zudem mit Hilfe eines Grafikprogramms seine Einzelelemente hervor. Dazu lege ich eine transparente grauweiße Ebene über das Bild und kopiere nach und nach die Bilddetails als eigenständige Ebenen in den Bildvordergrund. Am Ende dieser Bildanalyse habe ich dann zahlreiche Bilddetails, die ich zur Hervorhebung einzelner Elemente, des Bildaufbaus und des Erzählstrangs im Unterricht verwenden kann. Persönlich finde ich diese Aufgliederung deshalb wichtig, weil man sich so besser auf einzelne Bilddetails konzentrieren kann.
Worauf blicken wir? – Die Erzählschichten des Kunstwerks
Das betrachtete Kunstwerk bildet erkennbar nicht den Text ab, den wir in der Bibel lesen. Bei Lukas kommen zwar Josef, Maria und das Christuskind, Hirten und auch Engel vor. Aber Maria hatte als niedere Magd ganz sicher kein Brokatkleid, Josef wäre kein alter Mann mit Kerze, das Christuskind läge nicht nackt auf dem Boden, sondern in der Krippe und die Hirten hätten auch keine Musikinstrumente dabei. Natürlich kann es keine Fotografie der Geburt sein, aber es ist eben auch keine Illustration der lukanischen Erzählung. Aber es ist auch nicht ein frei fantasiertes Bild. Aber was ist es dann? Tatsächlich haben wir es mit einer Gemengelage zu tun: Wir schauen auf ein Altargemälde eines unbekannten Malers, der die Visionen der Heiligen Birgitta von Schweden von der Geburt Jesu unter Berücksichtigung der Erzählung des Lukas gestaltet hat. Angereichert hat er das Bild mit Details aus der Legenda Aurea, dem beliebtesten religiösen Buch des Mittelalters.
Der Prozess lässt sich am Bild einer Zwiebel so beschreiben:
- Als Kern haben wir das Geschehen der Geburt, zu dem wir allerdings keinen unmittelbaren narrativen Zugang haben, denn Berichte von Zeitgenossen haben wir nicht.
- Die Erzählung nach Lukas 2,7 ist zeitlich anzusetzen 90 n. Chr., also fast 100 Jahre nach den Ereignissen. Sie entwirft ein Glaubensbild des Geschehens. Die Geburtserzählung nach Matthäus 2 weicht deutlich davon ab, ist aber ebenfalls ein Glaubensbild.
- Das Protoevangelium des Jakobus entsteht aus dem Interesse an der erzählerischen Ausgestaltung des Lebens der Maria und des Geburtsgeschehens und datiert in die Mitte des zweiten Jahrhunderts. Hier finden wir zum ersten Mal Ochs und Esel und auch die an der Geburt beteiligten Hebammen (namentlich Salome) erwähnt.
- Das Pseudo-Matthäus-Evangelium aus der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts konkretisiert noch mal die Erzählung (Ausgestaltung der Hebammen-Erzählung mit Salome und Zelomi, Ochs und Esel nehmen Jesus in die Mitte).
- Die am Kirchenjahr orientierte Legenda aurea entsteht in der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts und beschreibt den Ort der Geburt als „offener Durchgang zwischen zwei Häusern, der ein Dach hat“. Dies wird unmittelbar in die Kunst übernommen.
- In die Zeit nach 1344 datieren die Visionen der Heiligen Birgitta von Schweden, die den heutigen Bildtyp der Geburt Jesu bestimmen. Wir finden in diesen Visionen Maria mit weißem Mantel und dünnem Kleid, Josef als alten Mann mit Kerze zur Erleuchtung der Herberge, der aber bei der Entbindung nicht dabei ist, den Strahlenglanz des Christuskindes, das nackt vor der anbetenden Madonna liegt. Nach 1372 finden diese in ganz Europa zirkulierenden Visionen Eingang in die Kunst. Seitdem pflegen die Künstler Christus oft auf dem blanken Boden liegend darzustellen. Bei Birgitta finden wir auch die Erwähnung der Nachgeburt Christi, die eingewickelt und glänzend neben dem Kind liegt. Das hier betrachtete Bild könnte eines der wenigen sein, das auf dieses Detail Bezug nimmt.
Über etwa 1250 Jahre entfaltet sich also die inhaltliche Schichtung des Bildes, die immer komplexer und anspielungsreicher wird. Und die Künstler greifen immer die aktuellste erzählerische Entwicklung des Themas auf und erweitern so die Bilderzählung nach und nach. Und in der Rezeption kommen dann noch weitere Positionen, Konfessionen und Gesichtspunkte hinzu.
Die zahlreichen Tiere auf dem Bild sind dem Interesse des Christentums seit seiner Frühzeit an einer symbolischen Deutung der Welt geschuldet. So ist etwa der Physiologus eine Schrift, die nach dem 2. Jahrhundert entstand und knapp 50 Naturphänomene christlich interpretiert (Abb. 6). Der Distelfink als Hinweis auf das kommende Kreuz Jesu (Abb. 7), die Eidechse als Symbol des gläubigen Christen sind schon bekannte Symbole, andere wie der Buntspecht oder der Kleiber dürften eher Lokalkolorit sein. Jedenfalls ist dieses Bild sehr „dicht“, was seine Symbole angeht. Diese Symbole sind durchaus adressatenorientiert, sie setzen Betrachter voraus, die die abgebildeten Tiere und Pflanzen nicht nur erkennen konnten, sondern auch in ihrem Bezug auf das Christentum zu deuten wussten.
Letztlich haben wir hier ein katholisches Bild mit orthodoxen Elementen in einer evangelischen Kirche vor uns, das in der Gegenwart auch kunstgeschichtlich wahrgenommen wird. Eigentlich ist es eine Art visuell-kontextueller Ökumene. Die lutherische Gemeinde hat keinen Grund gesehen, den Altar zur Verherrlichung der Gottesmutter Maria aus ihrer Kirche zu entfernen. Die katholischen Auftraggeber hatten offenbar kaum Probleme damit, dass einige Bilddetails der offiziellen Lehre widersprachen (etwa die verschlüsselte Darstellung der Nachgeburt). Und weder die katholischen Auftraggeber noch die protestantischen Nutzer störten sich an den byzantinisch-orthodoxen Elementen. Heute ist uns eine derartig dichte Bilderzählung fremd geworden. Schon mit Simultanbildern haben viele Schülerinnen und Schüler Schwierigkeiten, noch viel mehr mit der Entschlüsselung der zahlreichen Anspielungen. Aber vielleicht hilft es, wenn in einer ökumenischen Zusammenarbeit einmal die Bestandteile des Bildes und seine literarischen Schichten und die möglichen Bedeutungen einmal konkret im Unterricht erörtert werden. Faktisch stoßen wir ja heute auf Schülerinnen und Schüler mit ganz unterschiedlichen religiösen und kulturellen Voraussetzungen – orthodoxen, katholischen, evangelischen, muslimischen, atheistischen oder agnostischen. Jeder dieser Hintergründe bringt aber auch eigenes Deutungswissen in die Erschließung dieses Bildes mit ein.
Das Bild im Unterricht
Im Unterricht geht es vor allem darum, zu erkennen, dass Werke der christlichen Kunstgeschichte nicht bloß Illustrationen von biblischen Texten sind, sondern durchaus eigenständige Interpretationen und Deutungen, die das Überlieferungsmaterial jeweils zu einer neuen, eigenen Botschaft zusammenstellen. Im vorliegenden Fall ist dem Maler zum einen der Naturalismus wichtig, den er in der Vielzahl von Naturdarstellungen hervorhebt, aber auch durch die Betonung der Natürlichkeit der Geburt Jesu; zum anderen will er Maria als Mutter des Retters dieser Welt gebührend würdigen, denn das ist der Wunsch des Auftraggebers.
Im ersten Schritt der Annäherung, dem Prozess der Wahrnehmung, geht es zunächst einmal darum, möglichst viel auf dem Bild zu sehen und zu beschreiben. Was entdecken die Schülerinnen und Schüler auf dem Werk? Was hätten sie erwartet, finden es aber nicht oder an anderer Stelle? Was können sie sich erklären, was ist unvertraut und erklärungsbedürftig?
Im zweiten Schritt, dem Prozess der Zuordnung, geht es darum, die verschiedenen Erzählschichten überhaupt zu erkennen und zu identifizieren. An diese Stelle gehört die Arbeit an den zugrunde liegenden Texten, um sich mit der Überlieferungsgeschichte vertraut zu machen. Man könnte für jede Schicht (Lukas-Evangelium; Proto-Evangelium des Jakobus; Pseudo-Matthäus-Evangelium; Legenda aurea; Visionen der Hl. Birgitta) eine eigene Arbeitsgruppe einsetzen, die festhält, was vom jeweiligen Text im Bild vorkommt, wie es dargestellt wird und was unabhängig davon Eigenleistung (Lokalkolorit) des Künstlers ist. Eine Gruppe sollte sich auch mit der symbolischen Bedeutung von Tieren und Pflanzen auseinandersetzen.
Im dritten Schritt, dem Prozess der Auslegung, geht es darum, eine Deutung auf der Ebene des Bildes, also dessen Botschaft zu erheben. Erkennbar bildet Maria als Gottesmutter das Zentrum des Werkes, aber es ist nicht die Maria, wie sie in den Evangelien geschildert wird (Kleidung, Heiligenschein). Hier kommt der Prozess der Aufwertung der Maria und die sich entwickelnde Marienverehrung der ersten Jahrhunderte des Christentums zur Geltung. Zugleich bleibt das Bild an dieser Stelle ambivalent, denn es stellt nicht nur das Besondere und Übernatürliche, sondern auch das Natürliche dar.
Im vierten Schritt, dem Prozess der Aneignung und/oder Kritik, geht es schließlich darum, zu überlegen, in welcher Relation die Entwicklung der Marienfigur in der Erzählung von der Geburt Jesu zu unserer heutigen Deutung steht. Eingebettet werden können und müssen diese Prozesse der Bildannäherung daher in eine Beschäftigung mit der heutigen Deutung der Figur der Maria in den verschiedenen Konfessionen.
Anmerkung
- Nam quod legentibus scriptura, hoc idiotis praestat pictura cernentibus, quia in ipsa etiam ignorantes vident quid sequi debeant, in ipsa legunt qui litteras nesciunt. Unde et praecipue gentibus pro lectione pictura est (Migne, PL 77, 1128f; Ep. XI,13).
Literatur
- Schwarke, Christian: Technik und Religion. Religiöse Deutungen und theologische Rezeption der Zweiten Industrialisierung in den USA und in Deutschland, Stuttgart 2014
- Marklein, Steffen (Hg.): Starke Bilder – Bilder für den Religionsunterricht, Loccumer Impulse 6, Rehburg-Loccum 2012