Form-Gebungen - Gestaltungskompetenz im Religionsunterricht

von Silke Leonhard

 

Egal, in welches Kerncurriculum für den Religionsunterricht man auch schaut – ob für die Grundschule, die verschiedenen weiterführenden Schulformen oder für die Berufsbildenden Schulen: Gestaltkompetenz ist dort als Norm eine zentrale Fähigkeit, die es bei Schülerinnen und Schülern zu fördern gilt. Auch zur Professionalität der Religionslehrkräfte gehört sie dazu. Daher kommt es mir auf einen Beitrag zum Klärungsprozess an, 1. was mit wissenschaftlicher Fundierung im Unterricht unter Gestalt und Gestalten begreifbar ist, 2. warum Religion in besonderer Weise ein Verständnis von Gestalt erfordert und wie dieses zu religiöser Bildung in der Schule beiträgt, und 3., mit welcher professionellen Haltung Gestaltungskompetenz der Religionslehrkräfte einhergeht.


Gestalt und Gestalten: Lernen als per-formative Prozesse

Zunächst lohnt sich ein Einblick in das Verständnis von Lernen als einer Praxis von Bildung, die genau hier aufscheint. Gestalt und Gestalten: In allen Kerncurricula wird sowohl der Weg, hier der Vollzug bestimmt, den das Gestalten meint, und zugleich wird eine Zielperspektive ins Auge gefasst, die mit der Gestaltung erreicht werden soll. Gestalten hat dabei zwei Seiten: Orientiert man sich an der ursprünglichen Wortbedeutung des Begriffes Gestalt, landet man bei dem forma (lateinisch) – bei der Form. Kennt man die Form der Dinge, kennt man ihre Beschaffenheit, ihren Charakter. Was formlos ist, hat keine Konturen, ist nicht greifbar und auch nicht erkennbar. Einen Krug erkenne ich an seiner Form, an der Wölbung, dem Henkel, und wenn ich ihn in die Hand nehme, spüre ich auch seine materielle Beschaffenheit, seine Körperlichkeit. Daher können Formen bildlich oder klanglich sein, tastbar, literarisch, künstlerisch, immer jedoch – und auch dies konkret wie symbolisch – räumlich.

Ohne Formen können wir nicht be-greifen. Damit ist dem Gestaltbegriff auch etwas eigen, das jeglicher Lerntheorie zugrunde liegt: der Übergang vom Was zum Wie und umgekehrt. Was ich lerne, lerne ich in einer bestimmten Weise. Und damit das Wie des Lernens, orientiert am Gegenstand, mitgelernt wird, braucht man Begriffe wie Form und Gestalt. Und: Eine Form, im phänomenologischen Sinne „ein schöpferischer, in sich konsistenter, greifbarer, medialer Ausdruck körperlich-geistigen Lebens für bestimmte Verwendung“ (Bizer 2002, S. 64), ist eine Vorgabe, die kulturell zur Handhabung und zum Nachvollzug, damit zum kulturellen Gestalten und Handeln angelegt ist. Unter Kultur verstehe ich dabei den Prozess und Stil menschlicher Gestaltung von Leben in Freiheit und Bindung symbolischer Kommunikation: Der Briefschreiber schreibt nach der Form des Briefes neue, eigene Briefe. Lieder greifen Motive auf und verändern sie zu neuen.

Der Kompetenzbegriff, auf den die gegenwärtige Kompetenzorientierung des Unterrichts und so auch die des Religionsunterrichts zurückzuführen ist, geht auf den Pädagogischen Psychologen Franz E. Weinert zurück (vgl. Weinert 2001, S. 27f.). Mit jeder Kompetenz, die bei Schülerinnen und Schülern gefördert werden soll – auch den prozessorientierten Kompetenzen – ist damit eine kognitive Funktion verbunden. M.E. sind es gerade die Wahrnehmungs- und Gestaltungskompetenz, die vor einer kognitivistischen Verengung auf den Intellekt bewahren, indem sie die leibliche und räumliche Seite menschlichen Lebens und Lernens betonen. Damit wird gesichert, dass das Lernen auch in der Schule nicht unabhängig von Schülerinnen und Schülern, Religionslehrkräften, dem Raum, den Bedingungen der Schule und der je besonderen Situation erfolgt – die Bindung des Lernens an elementare Lebensprozesse vom Atmen über die Bewegung bis zum Bauen und Verändern ist eine Zielrichtung von Unterricht. Es ist damit mehr als selbstverständlich, dass die Person, ihre Schöpfungskraft und die Beziehungsfähigkeit zu Lerngegenständen und Menschen dabei wichtig und mitbestimmend sind.

Schaut man in die Curricula anderer Fächer, findet man die Dimension des Gestaltens nicht so prominent ausgewiesen, aber als stete Dimension mitlaufend. Das Fach Politik wird als Gestaltungsaufgabe begriffen, das zur Gestaltung der Gesellschaft beiträgt. In den philologischen Fächern tragen stets Gestaltungen von Texten dazu bei, dass ihre Wirksamkeit auch bei den Schülerinnen und Schülern ankommt. Die im Fach Deutsch benannten Kompetenzbereiche Sprechen, Lesen, Umgang mit Texten und Medien haben ohnehin schon Gestaltungsaspekte in sich. Die Koppelung mit den analytischen Kompetenzbereichen Zuhören sowie der Untersuchung von Sprache und Sprachgebrauch verweist darauf, wie wichtig das Gestalten für das Verstehen und das Verstehen für das Gestalten ist.

Dass im Bereich religiöser Bildung nicht Handeln, sondern Gestalten im Vordergrund steht, ist ein Hinweis darauf, dass nicht allein die Befähigung zu menschlicher Aktion gemeint ist; stete Berücksichtigung finden folgende Aspekte (vgl. Leonhard/Klie 2012, S. 96-98):
 

  1. Wer gestaltet, legt menschliche Kraft in das Lernen und Handeln. Damit ist die Individualität des Lernens geboten: Auch die Vorgaben, die vorgegebene, geprägte Form lässt sich in die Hand nehmen. Entsprechend wird der Lernprozess auch als je eigener immer wieder anders – eben subjektiv – sichtbar. Daher ist auch der Prozess des Gestaltens genauso wichtig wie das Ziel.
  2. Handeln findet nicht im luftleeren Raum statt, sondern bedeutet den Umgang mit Vorgaben und Formen, die aufgelegt, aufgeführt werden, zur Präsentation kommen. Religion ist stets nicht nur an die Mitteilung bzw. an Inhalte, sondern auch an die Darstellung gebunden (vgl. Dressler 2006). Daher spielt der Gedanke der Performanz eine Rolle: Er macht deutlich, dass Bildung an die Darstellung von Inhalten gebunden ist, an und mit denen Bildung geschieht. Kurzum: Gestaltend gelernt wird, was aufbereitet, ansichtig gemacht und somit präsentiert wird.
  3. Ein Gestaltbildungsprozess, der sich als Umformung vollzieht, wird erlebt und erfahren mit dem Potential seiner Performativität, in der Veränderung von Wirklichkeit – das ist schon etwas im weiten Sinne Religiöses. Ein solcher Prozess hat kreative, ja künstlerische Kraft, kann aber natürlich ebenso destruktive Anteile enthalten, da manchmal auch Dinge verabschiedet oder kaputt gemacht werden müssen, um etwas Neues, Passendes in die Welt zu setzen und Welt zu verwandeln.
     

Beim Umgang mit Form, im Gestalten also, entsteht neue Form. Das ist performativ im doppelten Sinne: Das, was gelernt wird – und das gilt letztlich in jedem Zusammenhang – ist ein inhaltlicher, gegenständlicher Bezug, der aufgenommen, sozusagen referiert wird. Auf Bildung bezogen geht es um eine produktive Seite des Lernens: die Verwandlung dieser Bezüge im Sinne des Schaffens von (neuer) Wirklichkeit, in diesem Fall die Aneignung und der Erwerb von neuen bzw. die Vertiefung von Kompetenzen. In beiden verwirklicht sich Bildung als kulturelle Selbstwerdung in der „Verknüpfung von Kultur und Individualität, die es den Menschen möglich macht, dass sie an ihren Erziehungs- und Bildungsbedingungen, mithin an ihren Selbst- und Weltverhältnissen, selbst mitwirken, d.h. in der Lage sind, sich selbst eine Form geben zu können“ (Wulf/Zirfas 2007, S. 11).


Religion in den Mund und in die Hand nehmen: Partizipative Bildung in Schule und Religionsunterricht

In unterschiedlichen Nuancen wird in allen Kerncurricula formuliert: Gestaltungskompetent ist man, wenn man religiös bedeutsame Ausdrucksformen verwenden und gestalten kann, wenn man religiös begründet handeln kann, wenn man dabei religiöse, also allererst christlich bedeutende Gestaltungsformen verwenden kann. Inwiefern trägt Gestaltungskompetenz zu religiöser Bildung bei?

Ulrich Hemel versteht religiöse Kompetenz als „die erlernbare, komplexe Fähigkeit zum verantwortlichen Umgang mit der eigenen Religiosität in ihren verschiedenen Dimensionen und in ihren lebensgeschichtlichen Wandlungen“ (Hemel 1988, S. 674). Hemel nimmt selbst Bezug auf fünf Dimensionen, in denen er Religion erfasst sieht: Sensibilität, Ausdrucksfähigkeit, Inhaltlichkeit, Kommunikation und Lebensgestaltung. Hier geht es also um die Fähigkeit zu einem formaufnehmenden wie formverändernden Umgang mit Religion, der sich am eigenen Leben und dem der anderen in dieser Welt orientiert. Wenn Religionsunterricht das leistet, ist er eine Keimzelle nicht nur für Lebens-, sondern auch Weltgestaltung.

In Bezug auf die Performanz von Religion ist klar: Religiöse, tradierte Formen machen Leben kulturell wahrnehmbar und nachvollziehbar; sie sind Vorgaben, die in Gebrauch genommen werden. So kommt es darauf an, die Anlässe, Situationen, Orte und Gebrauchsweisen von Religion in ihren Formen kennen zu lernen und sie entsprechend – eben gestaltend – in die Hand zu nehmen. Das erfordert ebenso das Erproben, um die Praxis kennenzulernen, wie das Nachdenken über genau diesen Gebrauch, die Reflexivität.

In Bezug auf die Performativität, die Verwandlungskraft, kommt es darauf an, die neuen Herausforderungen im Blick zu behalten – das, was Religion mit ihren Dimensionen und Formen an Wirksamkeit schafft. Diese Perspektive auf Gestaltungskompetenz beinhaltet auch das kritische Beäugen von religiöser Praxis, aber im Interesse eines positiven Blicks zum – auch experimentellen – Ertasten, Nachvollziehen und Erproben von religiösen Formen, um selbst herauszufinden, wofür und wie es gut ist. Entscheidend ist dabei, dass Kinder und Jugendliche auf diese Weise mit Religion derart in Berührung kommen, dass die Praxis dieser Religion gezeigt wird. Mit Gestaltungskompetenz ist also keinesfalls Ästhetizismus intendiert, eben nicht eine etwaige „schöne Religion“, sondern eher ein „schöner“, weil sinnvoller Umgang mit Religion.

Im Folgenden möchte ich das Potpourri der einzelnen gefragten Teilkompetenzen der Gestaltungskompetenz exemplarisch zum Klingen bringen – dabei ist ein Religionsunterricht an verschiedenen Schulstufen und -formen im Blick; ihre Teilkompetenzen sind sehr ähnlich formuliert. An den Schülerinnen als lernenden Subjekten ebenso wie an den lebensbedeutsamen Herausforderungen richten sie sich dann aus, wenn ihrer Umsetzung das Ausfindigmachen entweder von problemhaltigen Situationen, der Anforderungssituationen oder eben situativer Lernanlässe vorausgeht, in denen die lebensweltliche und lebensbedeutsame Verortung von Religion explizit wird (vgl. Obst 2010).

Biblische Texte durch kreative Gestaltung in die eigene Lebenswelt übertragen

Ob es die Heilung der gekrümmten Frau ist, deren Aufrichtung sich als göttliche wie soziale Anerkennung zeigt – hier ist es die Gottes- bzw. Jesuserzählung, deren Kern und Dynamik zu eigener Erzählung und Gestalt werden soll, um das buchstäbliche Tradieren (= Übertragen, Weitertragen) am Leben zu erhalten, oder um Psalmen: Fort- und Umschreibungen sind schriftliche, Neuerzählungen mündliche, Theaterstücke, Bibliodramen, Videodramen und Bibliologe sind Inszenierungs-Formen für das Hineinholen der Partitur in die eigene Welt durch eine Vergegenwärtigung. Diese Form der Gestaltung entlockt in zeitlicher Hinsicht den Texten ein Herz, das über die Historie des Erzählten und des Erzählens hinaus in der Gegenwart schlägt und eine Story am Leben erhält. Sie macht auch aus flächigen Buchstaben
(er)lebbare Geschichte – und mehr noch: Der biblische Text wird durch die Gestaltung ein Spiegel für das ge- und erlebte Leben. Sind der Geschwisterstreit der Kinder bzw. die Konkurrenzsituationen innerhalb der Clique so ernst wie bei Kain und Abel? Wo müsste die Geschichte der Brüder bzw. der Konkurrenten angehalten werden, damit sie anders ausgeht, und wie sähe das Ende aus, das die Schülerinnen und Schüler gestalten?

Religiös relevante Inhalte ästhetisch, künstlerisch und medial ausdrücken

Nicht nur biblische Formen geben christlich relevante Inhalte für die Gestaltung frei. Mehr denn je ist zu schauen, wo solche lebensweltlichen Formen religiöse Spuren auffindbar machen, die für Kinder und Jugendliche nicht nur Anreize bieten, in denen vielmehr auch Fragen und Antworten zum lebenswerten Leben stecken. Das reicht von der modernen Formulierung von Gebeten und Bekenntnissen bis zum eigenen Gestalten von Szenarien, die sich in Literatur, Theater oder Film auftun1. Situierte Lernanlässe, in denen die Formen gebraucht werden, sind existenzielle Erfahrungen wie Tod eines nahen Menschen, Krankheit, Verliebtsein, Aufbruch und verbinden sich oft mit starken Emotionen. Der produktive, auch mediale Umgang mit Kunst im Sinne der Weitergestaltung von Bildern oder deren Übermalung, die Verfremdung von Chorälen gehören dazu. Immer ist danach zu fragen, welchem Interesse, welchen Adressaten und welcher Situation die Ausdrucksform geschuldet wird. Der Umgang mit Inhalten anderer Religionen erfordert um der Berührung willen ebenfalls eine Gestaltung; hierbei ist es jedoch wichtig, den Anspruch des anderen als anderen nicht zu überspringen und Ausdrucksweisen und Gestaltungsformen zu wählen, welche diesen Hiatus würdigen. Einen Sederabend nachzuerzählen oder Interviews mit Beteiligten zu filmen, hält den Respekt vor der Wirklichkeit und dem Glauben des anderen wach.

An Ausdrucksformen des christlichen Glaubens für verschiedene Lebenssituationen erprobend teilhaben und ihren Gebrauch reflektieren

Wo kommen Formen religiöser und biblischer Sprache sowie individueller und kirchlicher Praxis von Religion in dem Wirkungsbereich von Schülerinnen und Schülern vor? Der Unfall des Rennfahrers, dessen gesundheitliches Schicksal ungewiss ist – welcher Klagepsalm würde ihm aus der Seele sprechen? Welche Gebetsworte könnten seine Angehörigen über die Lippen bringen – welche erscheinen stimmig, welche nicht? Welche Situationen bringen nicht nur Spaß, sondern solche Freude hervor, dass Menschen ein Halleluja ausstoßen – im heutigen Europa im Vergleich zum alten Israel? Aber auch die umgekehrte Suchrichtung ist möglich: Welchen „Sitz im Leben“ könnte eine Form wie ein Klagepsalm einmal gehabt haben, welchen messen wir ihr heute zu?2

Die Erprobung schafft Partizipation, das Einbinden von Zuschauern und Beobachtern stellt diese aber auch immer wieder der Distanzierung, Spiegelung und Kritik zur Verfügung.

Feste des Kirchenjahres und religiöse Feiern im schulischen Leben mitgestalten

Ein- und Ausschulungsgottesdienste sowie Abiturgottesdienste wachsen in der Beliebtheit. Sie bilden den Lackmustest für den Bedarf, in welcher Stärke Lebensbegleitung in der Schule initiiert und mitgestaltet werden soll. Mit diesen Übergangsritualen schafft die Schule die Mitgestaltung auch von stets krisenanfälligen Übergängen. Im Religionsunterricht können Feiern und Rituale bewusst und achtsam in die Hand genommen und gestaltet werden. Ist es auch vorstellbar, in der Passionszeit diejenigen Anlässe thematisch zu be- und ihrer zu gedenken, die nicht so fröhlich daherkommen? Mit zunehmender Ganztagsgestaltung nimmt die Schule mehr Lebensraum denn je im Leben eines jeden Kindes und Jugendlichen ein. Damit steht es auch an zu entdecken, wo Passionserfahrungen – Misserfolge, Scheitern, Leiden, Ungerechtigkeitserfahrungen, die ja oft auch mit der Schule zusammenhängen – in der Schule begangen werden können. Rituell-liturgische Gestaltung ist auch ein wichtiges Element für die Entwicklung des christlichen, konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts. Und zukünftig wird mehr denn je auch zu ertasten sein, wie unterschiedliche Religionen gefeiert werden können.
 


Zur Gestaltungskompetenz von Religionslehrkräften

Religionslehrer/innen sind selbst Profis für die Gestaltung von Prozessen zur religiösen Bildung am Lernort Schule. Ihre Gestaltungskompetenz erfordert und bedeutet den Umgang mit unterschiedlichen Situationen und Ansprüchen; an ihnen macht sich die ethische Fundierung ihres Gestaltungspotentials deutlich. Die Erfahrung zeigt, dass Schulkultur und Schulentwicklung systemische Bedingungen für das Gestaltungspotential des Religionsunterrichts darstellen. Der Alltag inmitten dieser Bedingungen fördert diesbezüglich viele Facetten zutage; zumindest einige davon sollen am Schluss aufgezeigt werden.

Für die Religionslehrerinnen- und -lehrerbildung gelten ebenfalls Standards, eine spezifische Weise eines Profi-Kerncurriculums, welches das Gerüst für die unterschiedlichen Phasen von Studium, Seminarausbildung sowie Fort- und Weiterbildung bietet (EKD 2009). Religionspädagogische Gestaltungskompetenz ist hier eine von vier ebenso zentralen wie umfassenden Kompetenzen für die Religionslehrerinnen- und -lehrerpraxis. Ihre Teilkompetenzen ranken sich vor allem um das schulische Kerngeschäft und stellen es unter eine Norm: Professionell ist eine theologisch, didaktisch, methodisch wie medienpädagogisch kundige Unterrichtsgestaltung. Es ist immer wieder nötig, dieses Ideal an den tatsächlichen Gegebenheiten realistisch zu orientieren, ohne die Zielrichtung dabei aus den Augen zu verlieren. Dabei kommt es individuell darauf an, das Gestalten von Unterricht nicht ausschließlich in der Dimension des Vermittelns im Sinne einer „Weitergabe“, des aktiven Formens zu sehen; Lehren beinhaltet ebenso passive Momente, Religionsunterricht lebt auch davon, ein gestaltendes Antworten auf die Herausforderungen, Bedürfnisse und Bedarfe des Lebens zu sein. Hinsehen, Wahrnehmen, Zurückhaltung und das Lassen neben dem Tun sind entscheidende Elemente einer religionspädagogischen Praxishaltung, die nötig sind, um die Gestaltgebung, die eine Lehrkraft vollzieht, auch passgenau auszurichten. Eine Stütze ist, die didaktische Unterrichtsvorbereitung selbst als Gestaltungsprozess zu begreifen und sich deren Schritte unter Einbeziehung der eigenen Person zurechtzulegen (vgl. z.B. Schaper 2006; Leonhard 2009).

In Lerngruppen und Lernmilieus, in denen sich die Fremdheit zu dem, was im Alltag unter ,Religion‘ verstanden wird, in besonderem Maße zeigt, ist eine besondere Sensibilität der Religionslehrkraft – und der Schule! – dafür gefordert, Schwellen, Übergänge und Brüche zwischen diesem Alltags(er)leben und erkennbar christlicher Religion zu gestalten. Die Kirchenpädagogik hat sich in den letzten Jahrzehnten mit großem Erfolg verstärkt dieser Schwellenkunst von religionsästhetischer Bildung gewidmet.

Aber auch andere Fremdheitserfahrungen können maßgeblich sein für die Gestaltung von Lernsituationen. Der prominente Jugendroman „Tschick“ von Wolfgang Herrndorf liest sich wie eine literarische Gestaltung einer Suche nach und eines Aufbruchs zum Leben (Bohrmann 2012). Was ist, wenn Schülerinnen und Schüler nicht nur den ermutigenden Aufbruchcharakter des beliebten Jugendromans lesen und gestalten, sondern auch den öffentlichen Blog des verstorbenen Autors aufgreifen, aus welchem dessen Verlust des Lebensmutes bis zum Suizid – der Abbruch des eigenen Lebens – klar hervortritt (vgl. Herrndorf 2013)? Wie ist es religionspädagogisch nicht nur auszuhalten, sondern auch zu gestalten, dass Vor-Bilder nicht immer ermutigende Vorbilder sind? Es gibt noch ganz andere (z.B. Not-)Situationen, in denen die eigene professionelle Gestaltungskraft an Grenzen stößt. Solche Grenzen auch als Grenzen sich selbst, Schülerinnen und Schülern sowie anderen an Unterricht und Schule beteiligten Akteurinnen und Akteuren bewusst zu machen und sie als solche zu gestalten, halte ich für einen wichtigen Anker.

Als schwierig zu gestaltendes Paradoxon empfinden viele Religionslehrkräfte besonders in den ersten Berufsjahren den Spagat zwischen dem Freiraum des personalen Begleitens von Schülerinnen und Schülern in deren individuellen Entwicklungsprozessen einerseits und der Notwendigkeit des Bewertens von deren Leistungen im Religionsunterricht. Die Einschätzung und Bewertung von Schülerleistungen im Bereich der Gestaltungskompetenz bereitet oft besondere Kopfschmerzen, da in den Prozessen wie Produkten deutlicher persönliche Seiten mit Leib und Seele eingetragen werden als in kognitiven Lernakten. Welcher Maßstab, welche Kriterien sind hier hilfreich?

Im Grunde schärft die Bewertung und Benotung von Gestaltungsaufgaben, was ohnehin klar sein sollte: die Unterscheidung von Person und Leistung bzw. Person und Unterrichtsbeteiligung, die sich in der Wertschätzung der Schülerin bzw. des Schülers und deren bzw. dessen Mühen spiegelt (vgl. Schaper 2001). Dass Kritik grundsätzlich zum schulischen Lernprozess gehört, kann klargestellt werden. Besonderes Augenmerk gilt hier mehr denn je der höchstmöglichen Transparenz des Bewertungsmaßstabs; zu ihr gehört auch das Offenlegen von impliziten Bewertungsmustern. Es bleibt zu überlegen, inwieweit ästhetische Kriterien geltend gemacht werden, ohne dass der Wert der Arbeit auf künstlerisches Geschick reduziert wird. Die Stimmigkeit von Form und Inhalt zu erläutern, macht eine größtmögliche Passgenauigkeit der Bewertung sichtbar. Einfließen sollte in die Bewertung nicht nur der Vollzug der Arbeit, sondern auch dessen Reflexion. Das spricht zuweilen schon bei der Aufgabenstellung dafür, Gestaltungsaufgaben mit Aufträgen zu begründenden Kommentierungen oder zur Formulierung eines Konzepts zu kombinieren. Überlegenswert ist auch: Lässt sich der Vorgang des Bewertens und Benotens in den Gestaltungsprozess integrieren? Gibt es Möglichkeiten der intersubjektiven Bewertung, dass die Lerngruppe dabei einbezogen ist?

Insgesamt kommt es darauf an, eine stimmige Bewertungshaltung zu finden, in der das Fördern der Gestaltungskompetenz im Vordergrund steht. Je nach Rahmen – Gestaltungsarbeiten im Rahmen von Abiturprüfungen haben einen anderen Stellenwert als Produkte im laufenden Schuljahr – gibt es auch gute Gründe dafür, Aufgaben aus dem Katalog der zu bewertenden Leistungen auszuklammern.

Religionspädagogische Gestaltungskompetenz ist ein Indikator für Unterrichtsqualität: Die eigene und andere Praxis des Religionsunterrichts insgesamt als leibliche, kulturelle Gestalt(ung) zu begreifen (vgl. Heimbrock 2013), hilft Religionslehrerinnen und -lehrern dabei, die im Unterricht gelehrte Religion an die gelebte Erfahrung von Schülerinnen und Schülern rückzubinden und das eigene Verhältnis von aktiven und pathischen Momenten des Unterrichts kreativ und gelassen auszubalancieren.

Anmerkungen

  • Z.B. Herrndorf, Wolfgang: Tschick, Literatur von Schmitt, Eric E. (vgl. Zimmermann 2012).
  • War formgeschichtlich mit dem „Sitz im Leben“ (nach Hermann Gunkel; vgl. Koch 1964) die soziologisch-religionsgeschichtliche Ursprungssituation im Blick, so lässt sich dies auf Verortungen der Form in der Gegenwart hin fortführen.

     

Literatur

  • Bizer, Christoph: Gestaltungsräume im christlichen Religionsunterricht. In: Wermke, Michael (Hg.): Aus gutem Grund: Religionsunterricht, Göttingen 2002, S. 61-72
  • Bohrmann, Sabine: Auslese. Wolfgang Herrndorf: Tschick, in: Katechetische Blätter 137 (2012) Heft 3, S. 233
  • Dressler, Bernhard: Darstellung und Mitteilung. Religionsdidaktik nach dem Traditionsabbruch, in: Klie, Thomas / Leonhard, Silke (Hg.): Schauplatz Religion. Grundzüge einer Performativen Religionspädagogik, Leipzig ²2006, S. 152-165
  • Kirchenamt der EKD (Hg): Theologisch-religionspädagogische Kompetenz. Professionelle Kompetenzen und Standards für die Religionslehrerausbildung. EKD-Texte 96, Hannover 2009
  • Heimbrock, Hans-Günter: Das Kreuz. Gestalt, Wirkung, Deutung, Göttingen 2013
  • Hemel, Ulrich: Ziel der religiösen Erziehung. Beiträge zu einer integrativen Theorie, Frankfurt am Main 1988
  • Herrndorf, Wolfgang: Tschick, Berlin 2010
  • Herrndorf, Wolfgang: Arbeit und Struktur, Berlin 2013; siehe auch http://www.wolfgang-herrndorf.de (abgerufen am 10.6.2014)
  • Koch, Klaus: Was ist Formgeschichte? Methoden der Bibelexegese. Neukirchen 1964.
  • Leonhard, Silke: „Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?“ Performativer Religionsunterricht – eine Stilfrage, in: Wege zum Menschen 59 (2007) Heft 1, S. 53-59
  • Leonhard, Silke: Unterwegs zwischen Speisungsgeschichte (Lk 9, 10-17) und Unterricht. Performative Schritte auf dem Weg zu bibeldidaktischer Kompetenz, in: entwurf. Konzepte, Ideen und Materialien für den Religionsunterricht. Heft 3/2009, S. 12-18
  • Leonhard, Silke / Klie, Thomas: Performatives Lernen und Lehren von Religion, in: Grümme, Bernhard / Lenhard, Hartmut /Pirner, Manfred L. (Hg.): Religionsunterricht neu denken. Innovative Ansätze und Perspektiven der Religionsdidaktik. Ein Arbeitsbuch, Stuttgart 2012, S. 90-104
  • Obst, Gabriele: Kompetenzorientiertes Lehren und Lernen im Religionsunterricht. 3. aktualisierte Auflage, Göttingen 2010
  • Schaper, Carolin: „Wie konnten Sie Malte eine Vier geben?“ Noten für persönlich bedeutsame Lernergebnisse?, in: Zeitschrift für Pädagogik und Theologie 53 (2001), S. 359-374
  • Schaper, Carolin: „Es war, als hätt‘ der Himmel …“ Ein Beispiel für gestaltpädagogisches Arbeiten im Religionsunterricht, in: Klie, Thomas / Leonhard, Silke (Hg.): Schauplatz Religion. Grundzüge einer Performativen Religionspädagogik, Leipzig ²2006, S. 326-344
  • Weinert, Franz E. (Hg.): Leistungsmessung in Schulen, Weinheim/Basel 2001
  • Wulf, Christoph / Zirfas, Jörg: Pädagogik des Performativen. Theorien, Methoden, Perspektiven, Weinheim/Basel 2007
  • Zimmermann, Mirjam: Literatur für den Religionsunterricht. Kinder- und Jugendbücher für die Primar- und Sekundarstufe, Göttingen 2012