Es gibt ein menschlich verständliches Beharren auf dem, was man in seiner (religionspädagogischen) Jugend für richtig erkannt hat. Dazu zählen Ausrufe älterer Damen bei Hans Bernhard Kaufmanns 75. Geburtstag im Jahre 2001: „Was gehen uns denn Lehrpläne an!“ Dazu zählen auch die Ausrufe vieler älterer Kolleginnen und Kollegen zum Paradigmenwechsel von Rahmenrichtlinien zu Kerncurricula: „Wir haben schon viele Lehrplanrevisionen erlebt. Diese schaffen wir auch noch!“ – nämlich dadurch, indem sie ignoriert werden.
Es gibt auch den menschlich verständlichen Wunsch, dass erkannte Fehlentwicklungen gestoppt werden, dass Raum für Innovation und Veränderung da ist, dass man nicht ständig an diese Grenze stößt, die junge Kollegen und Kolleginnen an Schulen so oft frustriert, nämlich der Satz: „Das haben wir immer schon so gemacht!“
Wem diese Schwarz-Weiß-Zeichnung missfällt, dem sei sofort zugegeben, dass sich beides natürlich nicht auf das Gegensatzpaar Alt – Jung reduzieren lässt. Vielmehr besteht die Kunst jeder Entwicklungsstufe und jeden Alters darin, beides in Balance zu halten: das Bewährte bewahren und das Erforderliche anpacken. Nach neuen Wegen suchen, sie mutig beschreiten und mit einem gewissen zeitlichen Abstand dann auch ehrlich zurück schauen, ob dieser Weg weitergeführt oder sich im Dickicht verloren hat.
Die Rezeption der Biehlschen Symboldidaktik
In der Entwicklung von der Symboldidaktik – einschließlich der semiotischen Kritik an ihr – hin zu den didaktischen Strukturen, die Peter Biehl 1996 im Jahrbuch der Religionspädagogik und dann vier Jahre später für „Religion entdecken verstehen gestalten“ formuliert hat, liegt so ein Weg, den ich als gut gelaufene Rezeptionsgeschichte bezeichnen würde. Was sind die Gelingensbedingungen einer solchen Rezeptionsgeschichte, die hier ja ohne Vatermord auskam?
Das Gelingen liegt m. E. vor allem an zwei Dingen: der respektvollen Auseinandersetzung Michael Meyer-Blancks mit Peter Biehl2 und der Fähigkeit Peter Biehls, seinen eigenen Ansatz beweglich zu halten und nicht dogmatisch zu verabsolutieren.
Er schreibt bereits in seinem ersten Band von 1989: „Wir sind auf dem Wege zu einem neuen Symbolverständnis, ohne dass schon feste Konturen erkennbar wären. In dieser Situation ist es wenig sinnvoll, dass die Religionspädagogik eine eigene Definition des Symbols sucht; die Fruchtbarkeit des Symbolansatzes liegt auch nicht darin, dass man das Symbol auf den Begriff bringt; so bietet sich eine pragmatische Lösung an, die das Gespräch mit anderen Disziplinen ermöglicht, falsche Frontstellungen abbaut, abweichende Begrifflichkeit bei gleicher Intention toleriert, ohne dass es zu unbekümmerter Vagheit kommt.“ (Biehl 1991, 44f.)
Das Zitat zeigt zugleich die Schwäche solcher Beweglichkeit: Kann das gelingen – abweichende Begrifflichkeiten tolerieren, ja ganz auf definitorische Klarheit verzichten, ohne dass alles vage und unbestimmt wird?3 Ingo Baldermann schreibt denn auch im Nachwort zu diesem Band: „Unser Sprachgebrauch ist ambivalent; wir sprechen zwar von Symbolen der Hoffnung und von Symbolfiguren des Widerstandes, aber in dem geläufigen, auf eine einseitige Wirklichkeitswahrnehmung fixierten Sprachgebrauch wird sich an unsere Rede von den Symbolen immer wieder die Frage anhängen: Also ‚nur‘ ein Symbol?“ (So bei Biehl 1991, 254.)
Biehl hat in seinem Beitrag für das Jahrbuch der RP erstmals den Begriff der didaktischen Struktur verwendet und ihn von der religionspädagogischen Konzeption abgegrenzt: Er geht von der These aus, „dass in bestimmten religionspädagogischen Konzeptionen didaktische Strukturen entwickelt wurden, die auch abgesehen von den oft einseitigen Konzeptionen von weitreichender Bedeutung sind und weiterentwickelt werden konnten. Eine didaktische Struktur – einmal erschlossen – ist also ablösbar von der Konzeption, in der sie ursprünglich entwickelt worden ist“ (Biehl 1996, 200). Diese Begrifflichkeit ist inzwischen allgemeiner Konsens.
Wie hängen nun die Biehlschen Strukturen mit der Fachlichkeit des RU zusammen? Er schreibt: „Wir gehen davon aus, dass drei Kategorien für das religiöse Leben fundamental sind: die symbolische, die geschichtliche und die lebensweltlich-ethische“ (ebd. 201f.). Bemerkenswert hieran ist, dass Biehl a) eine normative Setzung vornimmt („wir gehen davon aus“), auf der die Auswahl der Strukturen aufbaut, b) dass er diese normativen Setzungen aus dem „religiösen Leben“ ableitet – und nicht etwa aus Schlüsselproblemen der Gesellschaft, die es zu bewältigen gälte oder aus Erfordernissen in der jugendlichen Entwicklung, die es zu unterstützen gälte oder aus den theologischen Debatten seiner Zeit.
Aus heutiger Sicht hat Biehl damit dem RU sein Proprium wiedergegeben und das Ende religionspädagogischer Großkonzeptionen besiegelt.4 Zugleich hat er seine eigene Konzeption, „die“ Symboldidaktik, unter der Hand in eine „Struktur“ verwandelt, und damit deutlich abgewehrt, es ginge beim didaktischen Umgang mit Symbolen darum, Symbolkunde in dem Sinne zu betreiben, dass Schülerinnen und Schüler den „verborgenen Sinn“ von Symbolen zu lernen hätten, um dann religiös (symbolisch) sprachfähig zu sein.5 Damit grenzt er sich (bereits 1996) deutlich gegen Halbfas ab. Aus heutiger Sicht muss jedoch auch angemerkt werden, dass der Begriff „Symbolkunde“ ein solches Missverständnis durchaus nahe legt.
Beispielhaft für die leisen Verschiebungen inhaltlicher Art vom Original zur Rezeption möchte ich die Rezeption der Biehlschen Symboldidaktik durch Martin Rothgangel nennen:
„Seit 1980 habe ich eine kritische Symbolkunde entwickelt … Sie zielt darauf ab, … Wahrheitsmomente der vorgegebenen Symbole durch einen selbsttätigen kreativen Prozeß mit christlichen Symbolen zu verstärken. In diesem Prozeß können die überlieferten Symbole für die Betroffenen, und zwar dadurch, daß sie zur Deutung ihrer Erfahrungen und zur Bewältigung ihrer Konflikte in Anspruch genommen werden, allererst zu Symbolen werden. … Die Symbolkunde wurde von vornherein so konzipiert, daß nur ein Teil des Aufgabenfeldes religiöser Lernprozesse abgedeckt ist. … Das Symbol stellt in sich selbst eine Vermittlungsgestalt dar und kann neben einer ausdrucksfördernden Funktion vor allem eine didaktische Brückenfunktion wahrnehmen. Damit die Symbole diese Funktion, Brücke des Verstehens zwischen der Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen und der Welt der Religion zu sein, möglichst optimal entfalten können, sollten die Lernprozesse die folgende symboldidaktische Struktur aufweisen …“ (Biehl 1996, 217).
Daraus wird 16 Jahre später:
„Biehl sieht die Aufgabe der Religionsdidaktik darin, die ambivalenten Wirkungen der von den Jugendlichen ausgebildeten und gesellschaftlich vermittelten Symbole kritisch aufzuarbeiten und durch einen selbsttätigen, kreativen Umgang mit christlichen Symbolen die Betroffenen zur Deutung ihrer Biografie und zur Bewältigung ihrer Konflikte in Anspruch zu nehmen. … In diesem Ansatz der Symboldidaktik werden die Brückenfunktion der Symbole und ihre ausdrucksfördernde Funktion besonders hervorgehoben. Symbole sind eine Brücke zwischen der Lebenswelt der Kinder sowie Jugendlichen und der Welt der Religionen“ (Rothgangel, 2012, 83).
Worin liegen nun die leisen Verschiebungen zwischen Original und Rezeption?
Symbole werden erst für die, die mit ihnen umgehen (die „Betroffenen“) zu Symbolen. (Rothgangel: Symbole sind eine Brücke zwischen Lebenswelt und Welt der Religionen.)
Die „kritische Symbolkunde“ zielt darauf ab, Schülerinnen und Schüler in selbsttätige, kreative Prozesse mit Symbolen zu verwickeln und dadurch Wahrheitsmomente von Symbolen zu verstärken. (Rothgangel: Die Aufgabe der Symboldidaktik ist es, die, die mit Symbolen umgehen („die Betroffenen“), in Anspruch zu nehmen – zur Deutung ihrer Biografie und zur Bewältigung ihrer Konflikte.)
Symbole können zwei Funktionen wahrnehmen: eine ausdrucksfördernde Funktion und eine didaktische Brückenfunktion. (Rothgangel: Symbole haben eine Brückenfunktion und eine ausdrucksfördernde Funktion.)
Damit sie diese Funktionen wahrnehmen können, kommt es auf eine didaktische Strukturierung beim Umgang mit Symbolen an. (Rothgangel: Religionsdidaktik hat die Aufgabe der kritischen Aufarbeitung von ambivalenten Symbolen und der Inanspruchnahme der Jugendlichen für Deutungsaufgaben.)
Man wird hier Rothgangel nicht unterstellen können, Biehl nicht wohlwollend gelesen zu haben, zumal die Fassung von 2012 eine gekürzte Fassung des entsprechenden Artikels im Kompendium „Religion in der Sekundarstufe II“ von 2006 ist, wo den Text auch Peter Biehl selbst (noch kurz vor seinem Tod) mitverantwortet hat.
Man wird aber doch urteilen müssen, dass Rothgangel durch seine Rezeption die Symbole an sich ebenso wie normative Ansprüche „der“ Symboldidaktik in den Vordergrund und dabei zugleich die Kommunikation über Symbole und die dienende Funktion der Didaktik in den Hintergrund gerückt hat. So einfach ist es mit der Brückenfunktion der Symbole bei Biehl eben nicht, dass man nur mit Symbolen kreativ und selbsttätig arbeiten müsse, damit Lebenswelt und Religionen (statt Religion) zusammen kommen. Unter der Hand werden darüber hinaus bei Rothgangel mit der Änderung von „Religion“ (Biehl) zu „Religionen“ (Rothgangel) auch interreligiöse Kompetenzen in den Assoziationshorizont gerückt, während es Biehl darum ging, christliche Symbole zu „verflüssigen“, um sie in ihrer lebensdienlichen Funktion wirksam werden lassen zu können.
Entstehung und Rezeption der performativen Religionsdidaktik
Haben es nun die Vertreter und Vertreterinnen der performativen Didaktik besser gemacht? Ihr Anliegen sorgfältiger formuliert? Missverständnisse ausgeschlossen? Peter Biehl hat in seiner Rezension des ersten Buches, das „performativ“ im Titel hatte, nämlich „Schauplatz Religion. Grundzüge einer Performativen Religionspädagogik“ (Leipzig: EVA 2003), geschrieben: „Bei diesem Buch handelt es sich um eine ‚verborgene‘ Festschrift für Christoph Bizer. Sie räumt ihm den ersten Platz ein, stellt seine Schüler vor und knüpft Verbindungen zu seinem Ansatz von RP“ (Biehl 2004, 88). Klingt hier ein wenig Wehmut durch? Mit diesem Buch war der Begriff der performativen Religionspädagogik, wie es zunächst hieß, geboren. Der Anspruch war kein geringer: Schon an der Großschreibung von „performativ“ ließ sich ablesen, dass hier eine neue idiomatische Gesamtbedeutung gesetzt und besetzt werden sollte.
In der Einleitung, die die zum Teil, wie Biehl richtig bemerkte, völlig unterschiedlichen Konzeptionen von Bizer und Zilleßen zusammenbinden sollte, aber die dann doch „hart nebeneinander gestellt“ (ebd. 90) blieben, haben Klie und Leonhard verschiedene Lesarten und Herkünfte des Performativen benannt: performative Sprechakte, Inszenierung und performance (synonym verwendet!), der gesamte Religionsunterricht als inszenatorisches Handeln: „Unterricht ist insofern performativ, als er die ihm aufgegebenen Inhalte durch eine bestimmte Form (latein.: per formam) in Szene setzt“ (Leonhard 2003, 10). Dem entspricht eine hohe Geltung des Methodischen, fast so, als sei der Primat der Didaktik gänzlich aufgehoben: „Wenn es sich demzufolge an den Darbietungsformen entscheidet, welche Inhalte sich jeweils in den Köpfen und Herzen bilden – und von daher auch ein-bilden – , dann rückt die Methode von den ihr traditionell zugeschriebenen hinteren Rängen der Unterrichtsplanung auf einen absolut prominenten Platz vor“ (ebd. 11). Eine solche scharfe Positionierung für Inszenierung und Methodik war angebracht vor der Folie eines Unterrichtes, der biblische Texte eben nicht verlauten ließ, ihre liturgischen Aufführungsarten nicht im Blick hatte und aus der Bibel fotokopierte „Zettel“ machte. Damit war genau ein Kernanliegen Christoph Bizers getroffen.
Was macht nun performative Didaktik als Didaktik (und nicht als Methodik) aus? Wenn man Didaktik mit Hilbert Meyer nicht im Unterschied zur Methodik definiert6, sondern als „die Frage, wer, was, von wem, wann, mit wem, wo, wie, womit und wozu lernen soll“ (Jank 1991, 16), dann schließt die Didaktik methodische Fragen ein. Für den Bereich der performativen Didaktik möchte ich einige dieser Fragen beantworten:
Was soll gelernt werden?
Es sollen nicht nur Kenntnisse im Bereich der systematischen Theologie erworben werden (Sek II) und Grundkenntnisse in Bezug auf die biblische Überlieferung (Sek I) oder etwas über die Funktionen von Religion im Allgemeinen, sondern die Inhalte umfassen auch Gebiete der Praktischen Theologie: In welchen Formen drückt sich (christliche) Religion aus? Was macht (christliche) Religion als Praxis aus? Biehl hat diesen Bereich mit dem Begriff „Symbol“ zu erfassen versucht. Klie/Leonhard formulieren: Der Zeichendidaktik „geht es darum, Religion als ein Ensemble grundsätzlich deutungsoffener Zeichen zu verstehen. Religion kommt also als eine in Kultur eingelagerte Praxis in den Blick, die je nach Vorwissen und -erfahrung unterschiedliche Lesarten hervorbringt.“ (Leonhard 2003, 18)
Wo soll gelernt werden?
In der Schule soll gelernt werden – und eben nicht nur in der Christenlehre oder im Konfirmandenunterricht. Sich in Dingen religiöser Theorie und Praxis auszukennen ist ein genuiner Teil religiöser Bildung, die nicht in den Privatbereich gehört, sondern Teil der öffentlichen Bildung ist.
Wie soll gelernt werden?
Hier spielt der Inszenierungsgedanke (und damit die Methodik) eine besondere Rolle, denn es wird auf Eigentätigkeit und Eigenständigkeit in der Aneignung gesetzt, vor allem aber auf eine Stimmigkeit zwischen Form und Inhalt: „Die Bibel als historischen Quellentext zu behandeln, verfehlt ihren evangelisch-pädagogischen Gebrauch genauso wie der weit verbreitete Missbrauch, sie lediglich als Informationsträger für eine ‚hinter‘ ihr liegende, eigentliche Mitteilung zu nehmen“ (ebd., 19). Damit geht es im Wechselspiel zwischen Wie und Was auch um liturgische Formen, um Kirchenlieder, um das Psalmgebet, um den Kanzelsegen, um die Predigt, um Sakramente. Christinnen und Christen kommen im Gottesdienst nicht zusammen und lesen Aufsätze, um anschließend darüber zu diskutieren, sondern sie feiern (!) Gottesdienst, sie beten, singen, taufen, essen Brot und trinken Wein, vergegenwärtigen sich die Geschichte des Christentums, verleiblichen sie, geben ihr eine Gestalt, die Vergangenheit und Gegenwart zusammentreffen lässt.
Auch diese Formen ließen sich theoretisch anhand von Agendentexten, von Gesangbuch-Fotokopien und mit Hilfe dogmatischer Aussagen zum Abendmahl „behandeln“ – aber sie würden damit eben nur be-handelt. Eine solche „Inszenierung“ würde der (allein lerntheoretisch zu begründenden) Forderung entgegenstehen, dass im Unterricht Form und Inhalt einander entsprechen müssen.
Wozu soll gelernt werden?
Das Ziel aller Bildungsanstrengungen in der Schule in Bezug auf das Fach Religion ist religiöse Bildung. Und religiös gebildet ist, wer ohne Ressentiment über Religion reden kann, auch wenn er „religiös unmusikalisch“ ist, wer funktionale Äquivalente zur Religion in der Alltagskultur dechiffrieren und beurteilen kann, wer hermeneutische Kompetenzen in Bezug auf religiöse Anklänge in Kunst, Musik und Literatur hat und wer nicht nur um die grundsätzliche Differenz zwischen Erzählung und Dogma, zwischen religiösem Ritual als Zeichenhandlung und neurotischen Zwangshandlungen kennt, sondern auch an religiöser Praxis teilhaben kann und eine Idee davon gewinnt, was die Weltsicht eines religiösen Menschen ausmacht. Das hat alles viel mit Bildung und viel mit Toleranz zu tun, nichts mit Zwangsrekrutrierung für kirchliche Interessen.
Der Religionsunterricht verfehlt sein Proprium, wenn nicht auch – wie bei der Fremdreligionendidaktik selbstverständlich – Praxen in den Blick kommen. Und das eben nicht nur über ihre sekundären Textgestalten, sondern mit einer Entsprechung von Form und Inhalt. Das ist überhaupt nichts Spezifisches oder Neues, sondern schlicht ein Kennzeichen guten Unterrichts. So wie Chemieunterricht keine Kreide-Chemie sein darf, darf Religionsunterricht keine Zettel-Religion sein.
Die bisherige Rezeption der performativen Didaktik
Ich nenne im Folgenden beispielhaft zwei Arten und Weisen, wie die performative Didaktik rezipiert wurde:
Die Rezeption in der religionspädagogischen oder praktisch-theologischen Literatur (Lämmermann und Mendl)
Godwin Lämmermann schrieb 2006: „Die performative Religionspädagogik legt nahe, die Rolle von ReligionslehrerInnen im Kontext von Performance und Happenings zu suchen. In beiden Aktionskünsten geht es im Wesentlichen … um die Selbstdarstellung der KünstlerIn und das, was sie zum Ausdruck bringen will. … Rollentheoretisch wie psychologisch werden wir wohl von einer Totalidentifikation [mit kirchlichen Inhalten, B.H.] sprechen müssen“ (Lämmermann 2006, 383). Der Vorwurf also lautet: Der Religionslehrer, die Religionslehrerin tariert kein Konfliktfeld mehr aus, sondern wird identisch mit der Institution Kirche. Lämmermanns größte Sorge gilt denn auch dem Verschwinden der Aufgabe (sic!), Jugendliche zu einer kirchenkritischen und machtkritischen Haltung zu erziehen. Spätestens hier ist klar: Dieses Konstrukt stammt aus den 1970er-Jahren. Es wird nicht dem relativ unverkrampften Verhältnis heutiger Religionslehrkräfte zur Kirche als Institution gerecht. Festzuhalten ist: Die Rolle der Lehrkraft ist in der performativen Didaktik keine normative Zuschreibung, sondern etwas, das ausgefüllt sein will und von der Person der Lehrkraft unterschieden werden muss.
Ganz anders die Rezeption bei Hans Mendl: Mendl „lädt ein“ (S. 68), er spricht von „performativen Handlungsformen“ (S. 70), von „performativen Angeboten“ (S. 69) und schreibt beispielsweise: „Wir laden zum Vollzug einer ernsthaften Praxis ein, deren subjektive Bedeutungszuweisung je verschieden ausfallen und deren nachhaltige Praktizierung selbstverständlich nicht vorgeschrieben werden kann“ (Mendl 2008, 68). Entsprechend steht weiter hinten in Mendls Praxisbeispielen: Das Prinzip Freiheit „darf nicht verstanden werden im Sinne einer Laissez-faire-Pädagogik im Voraus (‚wer mitmachen will, soll das tun‘), sondern als Ausgangs- und Endpunkt jeden pädagogischen Handelns, das nicht im Widerspruch zur wichtigen Aufgabe einer entschiedenen werbenden Motivation (‚versuch‘s bitte‘, ‚lass dich drauf ein‘) steht“ (ebd., 168). Mendl kann das so schreiben, weil er grundsätzlich die Differenzierung zwischen authentischer religiöser Praxis und didaktischer Inszenierung für obsolet hält.7
Mag sein, dass das weniger aufwändig, weniger verkopft, weniger schwierig ist. Es ist auch angenehmer als Einladende aufzutreten, denn als Inszenierende von Lernarrangements, bei denen Schüler und Schülerinnen eben nicht authentisch sein müssen oder zum Gebet eingeladen werden.
Wir sind da als Protestanten sehr viel skrupulöser, was die Vermeidung von möglichen Überwältigungen angeht – mein Hauptargument gegen Mendl ist daher, dass das einladende Hineinnehmen in praktische Vollzüge der Religion mit dem Bildungsanspruch von Religion in der Schule kollidiert.
Die Rezeption in Lehrerfortbildungen – die „Basis“
Was mir in Lehrerfortbildungen in NRW, Hessen und Berlin-Brandenburg an Fragen begegnet ist, lässt darauf schließen, dass die Autoren und Autorinnen von religionspädagogischen Publikationen nicht in der Hand haben, wie verstanden wird, was sie meinten, deutlich gesagt zu haben.
Deshalb zum Schluss noch ein paar Antworten auf frequently asked questions:
Wenn ich im Unterricht dies und das mache, ist das denn dann performativ?
Nein, die Etikettierung ist vollkommen unwichtig. Und es kommt der performativen Didaktik auch nicht darauf an, dass möglichst viel Unterricht als performativ gelten kann.
Warum braucht es überhaupt einen neuen Begriff?
Weil ein neuer Begriff Aufmerksamkeit fokussiert, ist ein neuer Begriff sinnvoll. Und um der Sache willen: Es wird eine der ganz großen Herausforderungen der Zukunft sein, Religionsunterricht für religionslose Schülerinnen und Schüler zu machen. Alternativ dazu könnten wir dieser Herausforderung nur dadurch begegnen, dass wir alle diese Schülerinnen und Schüler freudig in den Werte-und-Normen-Unterricht entlassen statt uns um sie zu bemühen. Religiöse Bildung für Nichtreligiöse zu ermöglichen, halte ich aber gesamtgesellschaftlich für eine unaufgebbare Aufgabe.
Was ist der Mehrwert dieses Begriffs?
Er schafft eine Verbindung zu performativen turns in vielen anderen Wissenschaften: der Soziologie, der Kulturwissenschaft, der Ethnologie, die alle in ihren empirischen Forschungen sich dem „Feld“ direkt zugewendet haben statt über Sekundärtexte zu forschen.
Was ändert sich denn in einem performativen Unterricht konkret?
Es ist damit eine Erweiterung des inhaltlichen Spektrums verbunden (Taufe, Abendmahl, Gottesdienst, Eheschließung, kirchliche Bestattung, Gebete, liturgische Gestaltungen, Predigten). Und es ist damit eine größere Herausforderung der Gestaltung von Lernarrangements verbunden.
Kann ich denn jetzt mit meinen Schülern und Schülerinnen Abendmahl feiern?
Nein, das sollten Sie nicht tun.
Symboldidaktik out – performative Didaktik in?
Wer so fragt, hat Lust auf neue Entwicklungen. Das ist gut. Die Gegenüberstellung zeigt aber zugleich die Problematik eines solchen Hypes, immer up to date zu sein. Man vergisst allzu leicht, dass das Neue auf Altem fußt. Im Verhältnis zwischen Symboldidaktik und performativer Didaktik liegt eine Erweiterung oder eine Weiterentwicklung vor. Kein Gegenmodell. Rudolf Tammeus ist ein lebendiges Beispiel dafür, mit Herzblut und Engagement die Religion als Ganze, mit ihren gelebten und ihren reflexiven Gestalten, für den Religionsunterricht fruchtbar zu machen.
Anmerkungen:
- Für Rudolf Tammeus. – Stark gekürzter Vortrag anlässlich der Tagung „Symbole geben zu lernen!?“ vom 14. Juli 2012 in Loccum. Der Vortragsstil wurde beibehalten.
- Beispielhaft: „Im Gespräch mit dem Konzept Peter Biehls als dem differenziertesten symboldidaktischen Ansatz ist somit die kritische Reflexion aus semiotischer Sicht zu entfalten. Vielleicht ist es an dieser Stelle hilfreich, zu betonen, dass damit keine Ablehnung, sondern eine Weiterführung des Konzept Biehls intendiert ist bzw. gerade die Einlösung der kritischen Intentionen Biehls“ (Meyer-Blanck 1995, 85).
- Nebenbei bemerkt geht es da der performativen Didaktik trotz eines Begriffes, der gerade nicht alltagssprachlich besetzt ist, nicht besser. Auch hier ist eine Fülle an Vorstellungen, die sich mit dem Begriff „Performanz“ verbinden, zu ertragen; wie beim „Symbol“ scheinen sie dem Performanzbegriff eigen zu sein. Die Diskussion wird auch nicht wesentlich durch Definitionsversuche und Abgrenzungsbemühungen vereinfacht, vielmehr muss man damit leben, dass jede und jeder „Performanz“ auf seine Weise rezipiert.
- Martin Rothgangel hat das weitaus verhaltener formuliert: „In jüngster Zeit mehren sich aus verschiedenen Gründen die Zweifel, ob eine Darstellung religionspädagogischer Grundlagenfragen durch Konzeptionen weiterhin angebracht ist“ (Rothgangel 2012, 73).
- Biehl, 1996, 217: „Mit einem theologisch interpretierten Bildungsbegriff verträgt sich eine Symboltheorie nicht, die die Symbole als ‚ewig gegebene‘ Urbilder (Eliade) auffasst … Vollzieht sich Bildung didaktisch als Vermittlung von Subjekt und Wirklichkeit, so schließt diese ‚wechselseitige Erschließung‘ eine kritische Auseinandersetzung ein, aus der beide Seiten verändert hervorgehen.“
- Etwa: Die Didaktik beantwortet die Frage nach den Inhalten (Was soll gelernt werden?), die Methodik die nach der Art der Vermittlung (Wie soll gelernt werden?).Ebd., S. 78: „Das in der evangelischen Religionspädagogik (Meyer-Blanck, Husmann, Klie) entfaltete Konstrukt, solche Erfahrungen seien nur als ‚Als-ob-Erfahrungen’ und nicht als wirkliches Gebet etc. zu inszenieren, ist mir, wie ich oben bereits erläutert habe, … unverständlich.“
Literatur
- Peter Biehl (1996), Didaktische Strukturen des Religionsunterrichts. Christoph Bizer gewidmet, in: JRP 12 (1995). Religionspädagogik seit 1945. Bilanz und Perspektiven, Neukirchen, S. 197-223.
- Peter Biehl (2000), Religion entdecken – verstehen – gestalten: Anmerkungen zur konzeptionellen Grundlegung des Lehrbuchs, in: Gerd-Rüdiger Koretzki und Rudolf Tammeus (Hg.), Werkbuch Religion entdecken verstehen gestalten. Materialien für Lehrerinnen und Lehrer, 5./6. Schuljahr, Göttingen, S. 10-21.
- Peter Biehl (21991) unter Mitarbeit von Ute Hinze und Rudolf Tammeus: Symbole geben zu lernen. Einführung in die Symboldidaktik anhand der Symbole Hand, Haus und Weg, Neukirchen.
- Peter Biehl (2004), Rezension: „Schauplatz Religion. Grundzüge einer Performativen Religionspädagogik“, in: ZPT 56, S. 88-90.
- Werner Jank (1991)/Hilbert Meyer, Didaktische Modelle, Berlin.
- Godwin Lämmermann (2006), Die Rolle der ReligionslehrerInnen und das kollektive Unbewusste der Kultur. Spielräume zwischen Distanz und Identifikation, in: Praktische Theologie 95, 380-395.
- Silke Leonhard (2003)/Thomas Klie, Schauplatz Religion. Grundzüge einer Performativen Religionspädagogik, Leipzig.
- Hans Mendl (2008): Religion erleben. Ein Arbeitsbuch für den Religionsunterricht, München.
- Michael Meyer-Blanck (1995), Vom Symbol zum Zeichen. Symboldidaktik und Semiotik, Hannover.
- Martin Rothgangel (2012), Religionspädagogische Konzeptionen und didaktische Strukturen, in: ders./Gottfried Adam/Rainer Lachmann (Hg.): Religionspädagogisches Kompendium, Göttingen, S. 73-91.