Die Zumutung des Fremden gehört zum Prozess der Selbstbildung - Muslimische Erzieherinnen in Evangelischen Kindertagesstätten – pro

von Götz Doyé

 

Religion ist fester Bestandteil des Bildungs- und Erziehungs­auftrages einer Kindertagesstätte (Kita) in kirchlicher Trä­gerschaft. Was aber bedeutet dies für eine evangelische Kita mit einer Vielzahl von Kindern aus muslimisch geprägten Familien? Verträgt es die christliche Grundausrichtung des Trägers, dass Religion in der Person einer Erzieherin auch als Islam begegnet? Mit den Kindern ist der Islam sowieso gegenwärtig, mehr oder weniger deutlich vermutlich in Kultur, Sitte und gesellschaftlichen Umgangsformen.

 

Welches Gewicht messen wir dem bei?
Es besteht die Chance, dass durch eine muslimische Erzieherin diese Zumutung des Fremden zu einem pädagogischen Prozess werden kann, der weiter geht, als z.B. im Angebot der Speisen auf Vorschriften des Islam Rücksicht zu nehmen. Religionspädagogisch ist davon auszugehen, dass man jeder „fremden“ Religion immer nur religionskundlich begegnen kann, weil Religion sich nur aus einer inneren Beteiligungs-Beziehung erschließt. Ziel des kirchlichen Trägers kann es nicht sein, die muslimischen Kinder und ihre Familien für den christlichen Glauben zu gewinnen. Diesbezüglich personifiziert eine muslimische Erzieherin das religiöse Überwältigungsverbot, das auch für eine kirchliche Einrichtung gilt. Durch die Möglichkeit, dass muslimische Eltern ihre Kinder in eine konfessionell geprägte Einrichtung bringen können, kann sich aber eine positive Grundhaltung dem christlichen Glauben gegenüber entwickeln. Dies kann befördert werden, wenn die Familien/ Eltern in der Einrichtung auf eine Erzieherin treffen, die der eigenen Religion verbunden ist.

Die Zumutung des Fremden und in manchem auch Unverständlichen gehört zum Prozess der Selbstbildung. Dies gilt nicht nur für Erwachsene, sondern ebenso auch für Kinder. Ein pädagogisch verantworteter Alltag der Kita wird solche Prozesse der Selbstbildung verdeutlichen und begleiten. Dem Fremden in einer angstfreien Umgebung zu begegnen, erhöht die Chance, am Fremden das Eigene zu erkennen. Das Feiern von religiös geprägten Festen im Jahreskreis ist dafür ein Beispiel. Die Behauptung, man könne sich erst auf das Fremde einlassen, wenn man im Eigenen beheimatet sei, wird durch häufige Wiederholung nicht richtiger. Vielmehr kann die authentische Begegnung mit einer religiös anders beheimateten Erzieherin Lernprozesse eröffnen, die das Fremde und das Eigene besser verstehen lassen.

In der Freiheit eines Christenmenschen, der sich anderen gerne zum „Diener“ macht, wenn es deren Leben stärkt, kann sich der Träger einer Kita im Blick auf die muslimischen Kinder so weit öffnen, dass sie in der Einrichtung einer Person begegnen können, die in gleicher religiöser Praxis steht wie sie und ihre Familien. Kinder dürfen in der Kita Gott Allah nennen. Selbstverständlich vorausgesetzt ist dabei die Akzeptanz der christlichen Grundausrichtung der Kita durch die Erzieherin, was ja nicht allein eine muslimische Erzieherin betrifft. Es ist von ihr zu erwarten, dass sie sich mit dem Christentum beschäftigt und ihm positiv gegenüber steht.

So kann sie Dolmetscherin für Eltern und Erzieherinnen sein mit Blick auf kulturell-religiöse Deutungen von Alltagspraxis und Lebensverständnis. Sie kann aus dem Verstehen der eigenen Religion Wege zum Verstehen anderer Weltsichten ebnen. Damit kann in der Kita das praktiziert werden, was unsere Gesellschaft derzeit dringend braucht: Dialog und Einübung in einen toleranten Umgang. Das kann praktisch bedeuten, dass Familien, deren Kinder zusammen in der Kita sind, sich auch außerhalb der Kita wahrnehmen und im Alltag unterstützen. Die Kita wird für Kinder und Erwachsene zum Übungsfeld gesellschaftlicher Integration und schließt dabei das Thema Religion gerade nicht aus.

Recht verstanden wäre eine in Deutschland lebende Muslima mit sozialpädagogischer Ausbildung ein Glücksfall für eine evangelische Tageseinrichtung mit muslimischen Kindern. Paradoxerweise könnte sogar das Profil einer evangelischen Kita dadurch gestärkt werden, da dem Thema Religion bewusste Aufmerksamkeit zukäme.

Text erschienen im Loccumer Pelikan 3/2011

PDF