Ausgangssituation und didaktische Vorüberlegungen
Anhand einer Unterrichtseinheit in einer 8. Klasse des Gymnasiums soll im Folgenden eine Möglichkeit aufgezeigt werden, von ausgewählten Kompetenzen über die Vorstellung einer möglichen Lernsituation bis hin zur Gestaltung einer Prüfaufgabe und letztlich einer Testaufgabe zu gelangen. Den Kern der Überlegungen bildet dabei die angestrebte Förderung folgender, im Kerncurriculum für die Sekundarstufe I ausgewiesener, prozessbezogener Kompetenz, die dem Bereich „Dialogkompetenz“ zugeordnet wird:1
Mit Angehörigen anderer Konfessionen und Religionen sowie nicht religiösen Weltanschauungen respektvoll kommunizieren und kooperieren, ohne dabei vorhandene Differenzen zu leugnen.
Innerhalb des Unterrichts bietet sich grundsätzlich eine Vielzahl von möglichen Themen bzw. Inhalten an, die einer Förderung der gewählten Kompetenz dienlich sein können. Nach Abwägung von Alternativen soll der Fokus im vorliegenden Fall auf einer Auseinandersetzung mit dem „Islam“ liegen.2 Vorläufiges Ziel ist es demnach, dass die Schülerinnen und Schüler sich mit islamischen Glaubensüberzeugungen begründet auseinandersetzen und daraus resultierend mit Muslimen respektvoll kooperieren und kommunizieren können. Bereits an dieser Stelle ist es wichtig, sich vor Augen zu führen, dass sich der gewählten Schwerpunktkompetenz Kompetenzen zuordnen lassen, die sich im Rahmen des Unterrichts gleichzeitig mitfördern lassen. Im weiteren Planungsverlauf wird sich daher zeigen, dass in dieser Einheit zum Beispiel auch die übrigen im Bereich „Dialog“ wie auch ein Großteil der im Bereich „Urteil“ formulierten prozessbezogenen Kompetenzen des Kerncurriculums greifen. Im Kerncurriculum werden in diesem Zusammenhang gleichzeitig inhaltsbezogene Kompetenzen aufgeführt: Die Schülerinnen und Schüler sollen in Bezug auf den „Islam“ das Wissen über zentrale Inhalte des muslimischen Glaubens sowie über die Bedeutung Mohammeds für den Islam und die Unterschiede von Kirche und Moschee besitzen und angemessen Auskunft darüber geben können - um nur einige Beispiele zu nennen.3 Die einzelnen Unterrichtsinhalte können also nicht willkürlich gewählt werden, sondern legitimieren sich im Rahmen der folgenden Planung durch eine jeweilige Rückbindung an die skizzierten Kompetenzkategorien, d.h. die gewählten Inhalte müssen dem Erwerb von prozess- und inhaltsbezogenen Kompetenzen „dienlich“ sein.
Die Identifikation einer Anforderungssituation – didaktische Prämissen
Innerhalb der Planung stellt sich als nächste und vermeintlich schwierigste Aufgabe die Konstruktion einer Lernsituation, die die gewählte Schwerpunktkompetenz fördern soll. Den didaktischen Ausgangspunkt kompetenzorientierten Religionsunterrichts bilden dabei bekanntermaßen anspruchsvolle, d.h. komplexe, lebenspraktische Situationen, „in denen der Einzelne sich zu konkreten Herausforderungen verhalten oder in denen er selbst handeln muss. […] In solchen Situationen können sich z.B. Fragen stellen, die geklärt, beantwortet oder beurteilt werden sollen, Aufgaben, die zu bewältigen sind, oder Probleme, die gelöst werden müssen.“4 Wenn man diese didaktische Prämisse durchgängig verfolgt, ergeben sich folgende Konsequenzen: Zunächst gilt es eine Lernsituation auszuwählen, die das Vorwissen innerhalb der Lerngruppe berücksichtigt. Dieses kann bekanntlich innerhalb der Auseinandersetzung mit einer Fremdreligion sehr unterschiedlich sein und beeinflusst insofern maßgeblich die Struktur und das Anforderungsniveau, als die Situation für alle Schülerinnen und Schüler eine entsprechende Herausforderung darstellen muss. Die Situation sollte sich zudem aus der Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler ergeben bzw. auf diese übertragbar sein, mindestens aber exemplarische Handlungsimpulse im Umgang mit muslimischen Mitschülerinnen und -schülern bereithalten. Indem das Verfügen über Kompetenzen auf eine spezifische Handlungsfähigkeit abzielt, sollte den Schülerinnen und Schülern ferner ein Lernarrangement geboten werden, in dem sie ein aktives Handeln auch tatsächlich erproben können.
Insgesamt wird sich die Unterrichtseinheit zunächst mit jenem Islam beschäftigen, wie er den Schülerinnen und Schülern in der Bundesrepublik begegnet. Da dies zumeist der türkische Islam ist, wird sich die Einheit auf das Zusammenleben mit türkischen Muslimen konzentrieren. Ferner lässt sich feststellen, dass die hauptsächlichen Berührungspunkte im Bereich von gleichaltrigen muslimischen Mitschülerinnen und -schülern zu finden sind, daher soll auch die Kompetenz am Beispiel der Begegnung mit diesen gefördert werden.
Lenhard zeigt im Zusammenhang mit der Situationskonstruktion ein „didaktisches Grundmodell kompetenzorientierten Religionsunterrichts“5 auf, das dazu beiträgt, sich über die Tragfähigkeit einer gewählten Lernaufgabe bewusst zu werden. Als Lehrkraft könnte man hier schnell der Gefahr unterliegen, eine möglichst innovative Situation schaffen zu wollen, die allerdings den einzelnen Modellaspekten bei genauerer Prüfung nicht gerecht werden kann. Löst man sich stattdessen von diesem Anspruch, so wird man feststellen, dass auch bekanntes und bewährtes „Material“ mit Hilfe des Modells didaktisch neu fruchtbar gemacht werden kann. Im vorliegenden Zusammenhang soll daher der in nahezu allen Schulbüchern aufgeführte und somit gängige „Problemkomplex“ einer Klassenfahrt mit muslimischen Mitschülerinnen und -schülern in eine neue, kompetenzorientierte didaktische Perspektive geraten und aufbereitet werden.
Die Lernaufgabe 6
Die Schülerinnen und Schüler sollen in Anbetracht der Vorüberlegungen mit der Situation einer Lehrerin konfrontiert werden, in deren Klasse zwei von insgesamt vier türkischen Schülerinnen und Schülern nicht mit auf eine Klassenfahrt fahren (M 1). In der Auseinandersetzung mit dieser Lernaufgabe ergeben sich zunächst zwei grundlegende Leitfragen, nämlich erstens: Worin liegen die Gründe für die Nichtteilnahme? und zweitens: Wie ist mit dem Problem weiterführend umzugehen?
Damit die Schülerinnen und Schüler mit der Situation sachgemäß umgehen können, brauchen sie zunächst ein genaues Wissen über die Rolle der Frau im Islam. In Bezug auf das geplante Programm benötigen sie zudem Informationen über die Bekleidungsvorschriften der Frau (Schwimmbadbesuch), die islamischen Speisegebote (Grillabend), sowie über die monotheistische Position des Islam und sein Verhältnis zum Christentum (Besuch der Kirche). Die Notwendigkeit dieser Nachfragen wird durch die Betrachtung der einzelnen Programmpunkte fokussiert. Allerdings können diese Aspekte nicht allein zur vertieften Betrachtung der Problemlage beitragen, sondern es ist notwendig, dass die Schülerinnen und Schüler sich zusätzlich über die Bedeutung der „Fünf Säulen“ des Islam informieren, da diese den muslimischen Alltag (Gebetszeiten, Fastenzeit etc.) strukturieren und die Klassenfahrt bei genauerer Betrachtung direkt in die Zeit des Ramadan fällt.
Bedacht werden sollte zudem, dass ein möglicher Grund in den Kosten der Klassenfahrt (150,- Euro) bestehen kann, dass also ein finanzieller Grund eine Rolle spielt, der nichts mit der Religionszugehörigkeit zu tun hat. Da die Schülerinnen und Schüler einer 8. Klasse sich selbst auf einer Alterstufe befinden, die entwicklungspsychologisch mit der Ablösung von Erziehungsmächten einhergeht, ist ein Wissen über die Bedeutung der Familie im Islam nötig, um deren Funktion zu erkennen und in diesem Zusammenhang zu erklären, warum die türkischen Mädchen die Teilnahme an der Klassenfahrt bei ihren Eltern nicht stärker einfordern. Die Tatsache, dass sich noch andere muslimische Schülerinnen und Schüler in der fiktiven Klasse befinden, die allerdings an der Klassenfahrt teilnehmen dürfen, verhindert zudem, dass die Einstellung der muslimischen Eltern pauschalisiert wird. Stattdessen kann in diesem Zusammenhang erkannt werden, dass die Orthopraxie des islamischen Glaubens von Muslimen grundsätzlich, aber vermehrt in Anbetracht westlicher Lebensumstände, unterschiedlich ausgelegt wird. In diesem Zusammenhang werden die Schülerinnen und Schüler also dafür sensibilisiert, dass eine Teilnahme muslimischer Mitschülerinnen und -schüler an einer Klassenfahrt grundsätzlich nicht selbstverständlich ist.7
Bei der Bearbeitung der Aufgabe sind unterschiedliche Einstellungen möglich, die von Anteilnahme an der Situation der türkischen Schülerinnen und Schüler, Unverständnis gegenüber den „strengen“ Ansichten der Eltern bzw. der Einhaltung religiöser Vorschriften oder „der Gleichgültigkeit gegenüber religiösen Überzeugungen […] geprägt“8 sein können. Angesichts der Alterstufe ist es möglich, dass die Schülerinnen und Schüler kein Verständnis gegenüber der Ausrichtung des alltäglichen Lebens nach Glaubensgrundsätzen entwickeln können, da sie sich selbst ggf. davon distanzieren. Diese Einstellungen müssen zum einen generell akzeptiert werden, und zum anderen muss ihnen Raum zur Aussprache gegeben werden. In der Aufarbeitung der verschiedenen Wissensbereiche können die Schülerinnen und Schüler die Fähigkeit erwerben, die Reaktion der muslimischen Eltern und die Nichtteilnahme der Töchter zu verstehen und vor dem Hintergrund muslimischer Glaubensgrundlagen zu deuten, aber auch die Fähigkeit und Bereitschaft, mit muslimischen Mitschülerinnen und -schülern und, wie in diesem Fall, ggf. ihren Eltern darüber zu kommunizieren und deren Anschauung zu respektieren. Durch die Auseinandersetzung mit dem Konfliktpotenzial einer Klassenfahrt insbesondere für muslimische Mädchen werden die Schülerinnen und Schüler für deren Situation sensibilisiert und können Empathie entwickeln. Innerhalb der Unterrichtseinheit bedeutet dies aber auch, dass zwar ein Versuch unternommen werden kann, Lösungen zu finden, die zu einer Mitfahrt der türkischen Mädchen führen, dass dieses aber nicht das unbedingte Ziel sein darf. Vielmehr müssen die Schülerinnen und Schüler auch bedenken, dass die Verwurzelung der Ansprechpartner in der eigenen Glaubensüberzeugung möglicherweise so tiefgründig ist, dass das Problem nicht durch eine bloße Änderung der Programmpunkte zu beseitigen ist. Andererseits müssen sie sich in Bezug auf Alternativvorschläge fragen, ob diese den Interessen der anderen Schülerinnen und Schüler entsprechen, da die Klasse an der Planung der Fahrt beteiligt war. Es ist ferner auch zu klären, inwiefern sich überhaupt Änderungen ergeben dürfen, ohne dass die türkischen Mädchen in eine „Spielverderberrolle“ geraten. Die Lernaufgabe ist also in Anbetracht der bisherigen Überlegungen in jedem Fall als „anregungsreich“ zu einzustufen.
Die Testaufgabe
Testaufgaben sollen zu eindeutigen Ergebnissen führen und konkrete Leistungsniveaus unterscheiden. Diese ließen sich zwar auch im Rahmen der gewählten Prüfaufgabe feststellen, allerdings präsentieren die Schülerinnen und Schüler ihre Ergebnisse dort in Gruppen, sodass die Lehrkraft zunächst keine Auskunft darüber bekommt, inwieweit die einzelnen Schülerinnen und Schüler über die Teilkompetenz verfügen. Am Schluss der Einheit erhalten die Schülerinnen und Schüler daher eine Testaufgabe, die sie in die Situation versetzt, während des Ramadan Gast in einer muslimischen Familie zu sein (M 2).
Die Aufgabenstellung ist für die Jungen und Mädchen fast einheitlich formuliert, die Jungen besuchen jedoch ihren Freund, während die Mädchen ihre Freundin besuchen. Die Testaufgabe kann mit Hilfe des in der Unterrichtseinheit erworbenen Wissens bearbeitet werden, indem dieses hier nun reproduziert und reorganisiert wird. In der ersten Aufgabe sollten die Schülerinnen und Schüler zunächst die grundlegenden Familienstrukturen innerhalb des Islam beschreiben und dazu das Bild einbeziehen (Anforderungsbereich 1). Dabei können sie Bezug nehmen auf die traditionelle Rolle der einzelnen Familienmitglieder, die Aufgaben der Familie (Zusammenhalt, Einweisung und Einhaltung von religiösen Pflichten etc.), aber auch die Erziehung der Kinder bzw. das Verhältnis Kind-Eltern. Es könnte sein, dass hier bereits Aspekte des religiösen Lebens (Einhaltung der fünf Säulen) genannt werden, allerdings wird dies durch die Aufgabenstellung nicht direkt fokussiert, da sich diese auf das Bild bezieht. Stattdessen wäre es möglich darauf einzugehen, inwiefern dem Bild zu entnehmen ist, ob die Familie als „streng“ religiös zu bezeichnen ist (nicht alle Mädchen/ Frauen tragen ein Kopftuch etc.).
Nachdem die Schülerinnen und Schüler sich diese Strukturen vergegenwärtigt haben, geht es in der zweiten Aufgabe darum, die besonderen Aspekte des Besuchs im Zusammenhang mit dem islamischen Alltag allgemein, aber insbesondere anlässlich des Ramadans, zu erläutern (Anforderungsbereich 2), (Beten, Fasten, Moscheebesuch (Freitag), Speisevorschriften etc.). Eine differenzierte Darstellung könnte an dieser Stelle, auch in Anbetracht des eigenen Geschlechts, Überlegungen einbeziehen, wie sich die türkischen Eltern gegenüber dem Gast verhalten könnten, welche Erwartungshaltung ggf. an diesen gerichtet wird (Mitfasten, sich als Junge nicht mit der Schwester allein in einem Zimmer aufhalten, sich als Mädchen nicht zu freizügig in der Wohnung bewegen etc.).
Nachdem die Schülerinnen und Schüler in den vorherigen Aufgaben den Ablauf des Besuches antizipiert haben, zielt Aufgabe 3 im Anschluss darauf, sich zu diesen Gegebenheiten zu verhalten und die Haltung in Abwägung zu Handlungsalternativen zu begründen (Anforderungsbereich 3). Hierbei ergibt sich eine Vielzahl unterschiedlicher Möglichkeiten, die von „Ich würde aus Solidarität auch nicht essen“ bis „Ich würde ganz normal essen, wann ich will“, von „Ich würde am Freitag mit in die Moschee gehen“ bis „Ich habe weder Lust und Interesse, mich der Familie anzupassen“ reichen können. Die gewählte Aufgabe eignet sich deshalb besonders gut als Testaufgabe, weil sie zum einen Aufschluss darüber gibt, inwieweit die Schülerinnen und Schüler sich bereits die Kompetenz zum Dialog und zur Kommunikation angeeignet haben, zum anderen aber auch den einzelnen Schülerinnen und Schülern in die Perspektive versetzt, sich nun selbst positionieren zu müssen. Insofern stellt die Testaufgabe in gewissem Sinne eine Umkehrperspektive der Lernaufgabe dar. Indem die Schülerinnen und Schüler dort ggf. erwartet haben, dass die Muslime entgegen ihren persönlichen Überzeugungen handeln und „einfach mitfahren“, wird ihnen nun die Möglichkeit eröffnet, sich die Frage zu stellen: Inwieweit bin ich selbst bereit, Kompromisse einzugehen, und wo gerate ich an die Grenzen meiner persönlichen Überzeugung? Gleichzeitig nimmt die Aufgabe nicht nur Bezug auf die gewählte Schwerpunktkompetenz, sondern wie bereits zu Beginn angedeutet auch auf andere im Bereich Dialog sowie Urteil aufgeführten Kompetenzen, indem die Schülerinnen und Schüler insbesondere innerhalb der Begründung von Aufgabe 3 die dort benannten Fähigkeiten anwenden könnten.
Zur Unterrichtspraxis: Zielsetzung und Ablauf der Einheit
Anknüpfend an die zuvor dargestellten Anforderungen der Lern- und Testaufgabe ergibt sich ein konkretes Befähigungsziel für die Unterrichtseinheit, das folgendermaßen lauten kann:
Die Schülerinnen und Schüler können auf der Grundlage islamischer Glaubensüberzeugungen die komplexe Problematik einer geplanten Klassenfahrt darstellen und angemessene Lösungs-/ bzw. Handlungsmöglichkeiten im Umgang mit muslimischen Schülerinnen und Schülern und Eltern reflektieren. Daraus ergibt sich folgende didaktische Struktur für den Ablauf der Unterrichtseinheit:
Phase I (1. Stunde): Die Einstiegssequenz
Die Einstiegsstunde dient zunächst dem Problemaufriss und der Zielformulierung, d.h. die Schülerinnen und Schüler werden hier unvoreingenommen mit der Lernaufgabe konfrontiert und sollen sowohl erste Hypothesen zu den möglichen Gründen der Nichtteilnahme der Mädchen formulieren als auch ihren weiteren Lernweg in Form von möglichen Vorgehensweisen strukturieren. Es ist davon auszugehen, dass selbst bei den Schülerinnen und Schülern, die möglicherweise sofort Gründe für die Nichtteilnahme der Schülerinnen und Schüler benennen können, genauere Kenntnisse über den Glaubenshintergrund fehlen, sodass in jedem Fall eine Motivation zum Weiterlernen entstehen kann. Indem die Schülerinnen und Schüler einer anderen, wenn auch fiktiven, Person (Frau Schäfer) differenzierte Unterstützung bieten sollen, indem sie Gründe eruieren und Vorgehensweisen benennen, wird der Möglichkeit vorgebeugt, dass sie sich möglicherweise zu sehr auf ihr eigenes „grobes“ Vorwissen verlassen und keine Notwendigkeit der tiefgründigen Auseinandersetzung sehen. Sollten die Schülerinnen und Schüler hier die Idee äußern, dass Frau Schäfer zunächst mit den Mädchen oder den Eltern sprechen sollte, kann ihnen ein entsprechendes fiktives Gespräch vorgelegt werden, dass Frau Schäfer bereits geführt hat, aus dem die Schülerinnen und Schüler jedoch keine näheren Auskünfte beziehen konnte, so dass die Notwendigkeit der eigenständigen Auseinandersetzung noch deutlicher fokussiert wird.
Stunde | Thema/Inhalt | Sozial- |
1. Stunde
| „Meine Tochter wird nicht teilnehmen...“ –
HA: 1. Eintrag in das Lerntagebuch; 2. Die Mädchen unterhalten sich mit ihren Eltern über eine mögliche Teilnahme an der Klassenfahrt! Schreibt einen kurzen Dialog! | EA SÄ PA SÄ UG LV |
Abkürzungen *** SÄ=Schülerinnen- und Schüleräußerung; UG=Unterrichtsgespräch; EA = Einzelarbeit; PA = Partnerarbeit; GA = Gruppenarbeit; LV= Lehrervortrag
Phase II (2. bis 6. Stunde): Die Erarbeitung der religiösen Hintergründe
In der 2. bis 6. Stunde erarbeiten die Schülerinnen und Schüler in einer Phase gebundenen, d.h. gelenkten Unterrichts die religiösen Hintergründe der Nichtteilnahme der Mädchen. Sie erwerben somit das nötige Wissen, um die Handlungsweise der türkischen Eltern zu verstehen. Diese Phase dient dazu, die Schülerinnen und Schüler auf die einzelnen Problemaspekte und damit auf die Komplexität der Situation aufmerksam zu machen, das heißt, die einzelnen Aspekte werden hier lediglich angesprochen, allerdings wird keine abschließende Problemlösung initiiert.
Innerhalb der 2. Stunde wird zunächst die Bedeutung der Familie im Islam fokussiert. Indem die Eltern bereits in der Einstiegsstunde im Mittelpunkt standen, sollen die Schülerinnen und Schüler sich nun in die direkte Situation der Mädchen begeben und nachvollziehen können, dass ihre Nichtteilnahme möglicherweise nicht aus übertriebener (religiöser) „Strenge“ der Eltern resultiert, sondern sich auch aus den festen Familienstrukturen begründen lassen könnte. In diesem Zusammenhang kann bereits die Gefahr einer Pauschalisierung minimiert werden, indem durch die Tatsache, dass einige türkische Schülerinnen und Schüler mitfahren dürfen, deutlich wird, dass das traditionelle islamische Rollen- und Familienbild nicht in jeder muslimischen Familie gleich „streng“ gelebt wird.
Stunde | Thema/Inhalt | Sozial- |
2. Stunde | „…und zu den Eltern sollst du gut sein“ – | SÄ GA SÄ LV SÄ UG |
Da die Schülerinnen und Schüler den Grund der Eltern wahrscheinlich schon in der Einstiegsstunde in der Stellung der Frau innerhalb des Islam vermuten werden, muss diese spätestens in der 3. Stunde geklärt werden. Die Auseinandersetzung mit der Rolle der Frau knüpft nicht nur an die generellen Probleme einer Klassenfahrt (enges Zusammensein zwischen Jungen und Mädchen etc.), sondern gleichzeitig an den Schwimmbadbesuch an. Da die Bekleidungsvorschriften ein gesellschaftlich viel diskutiertes Problem darstellen, scheint es an dieser Stelle auch in Bezug auf eine Förderung der bereits angesprochenen Urteilskompetenz sinnvoll, diese religiöse Überzeugung von den Schülerinnen und Schülern bewerten zu lassen.
Stunde | Thema/Inhalt | Sozial- |
3. Stunde | „Sie sollen ihre Tücher über sich ziehen…“- | SÄ/UG GA SÄ SÄ |
Durch die Auseinandersetzung mit der Frage, inwiefern der Besuch der St. Marienkirche ggf. ein Problem für die türkischen Eltern darstellt, kann in der 4. Stunde zur Erarbeitung einer Verhältnisbestimmung von Islam und Christentum übergeleitet werden. Um diese Verhältnisbestimmung leisten zu können, benötigen die Schülerinnen und Schüler zunächst ein Wissen über das Leben Mohammeds und dessen Bedeutung für den Islam.
Stunde | Thema/Inhalt | Sozial- |
4. Stunde | „…und Mohammed ist sein Gesandter.“ –
HA: Eintrag ins Lerntagebuch |
|
Gleichzeitig kann in Anknüpfung an die Auseinandersetzung mit den Korantexten aus der vorherigen Stunde der Stellenwert des Korans geklärt werden, welcher sich ebenfalls aus der Beschäftigung mit Mohammed ergibt. Es ist möglich, dass die Frage, ob Muslime eine christliche Kirche besuchen dürfen, in dieser Stunde nicht gelöst werden kann oder aber die Schülerinnen und Schüler davon ausgehen, dass die Ablehnung der Anerkennung Jesu als Gottes Sohn einen Besuch der Kirche grundsätzlich verbietet. Da in diesem Teil der Einheit jedoch lediglich Probleme aufgeworfen werden sollen, sind ungelöste Fragen zunächst auszuhalten.
Mit dem in dieser Stunde erworbenem Wissen ist die Grundlage für eine Beschäftigung mit den „Fünf Säulen“ innerhalb der 5. Stunde gegeben. Ohne das Wissen über Mohammed und den Koran können die Schülerinnen und Schüler die Bedeutung der „Fünf Säulen“ für Muslime nicht richtig einordnen und verstehen, dass die gesamte Orthopraxie des islamischen Glaubens auf dem Leben Mohammeds gründet. Ein Bezug zur Klassenfahrt entsteht dadurch, dass die Schülerinnen und Schüler durch die Auseinandersetzung mit den „Fünf Säulen“ auf Probleme aufmerksam gemacht werden, die sie – ähnlich wie in den vorherigen Stunden – ggf. vorher nicht eigenständig antizipiert haben (Klassenfahrt evtl. während der Fastenzeit, feste Gebetszeiten jeden Tag etc.).
Stunde | Thema/Inhalt | Sozial- |
5. Stunde | „Vollständige Hingabe an Gott“ –
HA: 1. Eintrag ins Lerntagebuch, 2. Informiert euch über die islamischen Speisvorschriften! | SÄ GA GA UG UG |
Da die Einhaltung der Speisevorschriften ebenfalls Teil der Orthopraxie ist, kann sich eine Auseinandersetzung mit diesen funktional in der 6. Stunde anschließen und die Frage klären, inwieweit der Grillabend problematisch sein könnte. Indem die Stunde den Übergang zur Erarbeitungssequenz III darstellt, erscheint eine didaktische Struktur, die hier bereits mögliche Alternativen für das gemeinsame Grillen in den Blick nimmt, sinnvoll.
Stunde | Thema/Inhalt | Sozial- |
6. Stunde | „Verboten ist euch das von selbst Verendete…“ –
HA: Eintrag ins Lerntagebuch (Bündelung der bisherigen Erkenntnisse) | SÄ SÄ SÄ GA SÄ |
Gesamtübersicht über den geplanten Verlauf der Unterrichtseinheit als PDF-Datei
Phase III (7. bis 10. Stunde): Die Erarbeitung von Lösungs- bzw. Handlungsmöglichkeiten
Während in der vorherigen Phase „gebundenen“ Unterrichts das Problembewusstsein auf Seiten der Schülerinnen und Schüler fokussiert und islamische Glaubensgrundlagen erarbeitet werden sollten, dient die anschließende Freiarbeitsphase dazu, eine zusammenfassende Gesamtdarstellung der Problematik „Klassenfahrt“ zu erarbeiten und weiterführend angemessene Lösungs-/ bzw. Handlungsmöglichkeiten bzgl. des Umgangs mit den muslimischen Eltern und auch Schülerinnen und Schüler zu reflektieren. Indem die Erarbeitungssequenz II den Schülerinnen und Schülern eine Phase des Übens, Vergewisserns und Wiederholens bieten soll, können individuelle Fragen aufgearbeitet werden und somit die Möglichkeit einer eigenständigen vertieften Bearbeitung der Lernsituation geschaffen werden. Vorab sollen die bisherigen Erkenntnisse gebündelt werden. Hierdurch können die Schülerinnen und Schüler – auch mit Blick auf die an sie formulierten Kompetenzerwartungen – ggf. ihre Defizite erkennen und je nach bisherigem Kenntnisstand individuell vertiefen. Kurz: Die Schülerinnen und Schüler sollen sich überlegen, wo sie noch Lücken haben, woran sie gerne weiterarbeiten möchten, welche Informationen sie noch benötigen und welche konkreten Vorschläge sie in Bezug auf das Problem „Klassenfahrt“ unterbreiten möchten. Das grundsätzliche Ziel ist im weiteren Verlauf die Vorbereitung einer Präsentation für einen fiktiven Elternabend bzw. ein Elterngespräch.
In dieser Vorbereitungsphase erhält die Lerngruppe ferner durch den Besuch einer Muslima die Möglichkeit der direkten Begegnung mit einer Angehörigen des Islam. Spätestens hier kann z.B. auch erfragt werden, ob der Besuch der Kirche erlaubt ist. Die Befragung könnte alternativ auch am Beginn der Einheit stehen, allerdings ist davon auszugehen, dass sich die Schülerinnen und Schüler dann nicht mehr zu einer eigenständigen Erarbeitung herausgefordert sehen, da sie mit Hilfe der Muslima bereits die meisten Aspekte klären könnten.
Phase IV (11. und 12. Stunde): Die Sicherung – Präsentation und Evaluation
Die 11./12. Stunde dient ausschließlich der Präsentation und gemeinsamen Evaluation. Die Schülerinnen und Schüler sollen hier Möglichkeiten vorlegen, die das Problem zu einer Lösung führen können. Dies betrifft zum einen die inhaltliche Ausrichtung der Klassenfahrt und zum anderen den Dialog mit den muslimischen Eltern und Schülerinnen und Schülern. Im Anschluss an diese Auswertungsphase soll letztlich der individuelle Kompetenzerwerb anhand der bereits dargestellten Testaufgabe geprüft werden.
M 1: Problemstellung/Lernaufgabe
Die vierzehn Mädchen und zwölf Jungen der Klasse 8a des Max - Planck - Gymnasiums in Aurich planen zusammen mit ihrer Lehrerin Frau Schäfer eine Klassenfahrt nach Osnabrück. In der Klasse befinden sich drei türkische Mädchen und ein türkischer Junge. Frau Schäfer hat sich bereits bei den Jugendherbergen vor Ort erkundigt und konnte drei Tage im Oktober für die Klasse buchen. In einem Brief informiert die Lehrerin die Eltern über die Fahrt…
Max-Plack-Gymnasium Aurich Liebe Eltern, |
Bei der Durchsicht ihrer Unterlagen bemerkt Frau Schäfer nach einigen Tagen, dass zwei türkische Schülerinnen und Schüler den Abschnitt mit dem Vermerk: „Unsere Tochter wird an der Klassenfahrt nicht teilnehmen“, abgegeben haben. Bei dem anderen türkischen Mädchen und dem türkischen Jungen in der Klasse ist dies nicht der Fall. Frau Schäfer macht sich Gedanken, worin die Gründe bestehen könnten …
M 2: Testaufgabe zum Kompetenzerwerb
Gruppe A: Jungen
Aufgabe 1: Aufgabe 2: Aufgabe 3: Viel Erfolg! |
Gruppe B: Mädchen
Aufgabe 1: Aufgabe 2: Aufgabe 3: Viel Erfolg! |
Anmerkungen
- Vgl. Niedersächsisches Kultusministerium: Kerncurriculum für das Gymnasium. Schuljahrgänge 5-10. Evangelische Religion. Anhörfassung Februar 2009, S. 14.
- Das gewählte Thema wird auch im Kerncurriculum für einen 7./8. Jahrgang im Kompetenzbereich „Religionen“ vorgeschlagen. Vgl. ebd. S. 31.
- Vgl. ebd. S. 31; zu den prozessbezogenen Kompetenzen S.14.
- Lenhard, H.: Kompetenzorientierung – neuer Wein in alten Schläuchen? In: Loccumer Pelikan 3/07, S. 107.
- Vgl. Materialanhang zu Lenhard 2007. Im Internet unter: www.rpi-loccum.de/pelikan.
- Die folgenden Überlegungen sind dem Formulierungsrahmen H. Lenhards innerhalb dessen didaktischer Analyse des Karikaturenstreites angepasst, vgl. ebd.
- Für den Religionskurs, in dem die geplante Einheit stattfindet, erlangt diese Erkenntnis insofern einen zusätzlichen Stellenwert, als ein Teil der Schüler eine muslimische Mitschülerin in der Klasse hat. Diese durfte erst an einer Klassenfahrt teilnehmen, nachdem in einem Gespräch mit den Eltern bestimmte Einigungen getroffen wurden, worüber die Klasse jedoch nicht offiziell informiert ist.
- Lenhard (siehe Anmerkung 5).
- Material z.B.: Tworuschka, M. und U.: Vorlesebuch – Fremde Religionen. Judentum/Islam. Düsseldorf 1988.
- z.B. Tahar Ben Jelloun: Papa, was ist der Islam? Der Audio Verlag. Juli 2007.