Welchen Gott der Bibel muten wir Kindern zu?

von Martina Steinkühler

 

"Gott lächelt mich an", antwortete mir neulich ein Vorschulkind auf die Frage, was es denn von dem Segen verstanden habe, den uns die Pastorin nach dem Taufgottesdienst mit auf den Weg gegeben hatte. Gott lächelt mich an – ja, dem kann ich höchstens noch hinzufügen, dass die Gottesfrage im schulischen Religionsunterricht – gottlob – wieder obenauf liegt und der Bibel ihr Recht, in dieser Frage gehört bzw. gelesen zu werden, nicht mehr bestritten wird.

Schülerinnen und Schüler sollen dem Gott der Bibel begegnen als einem, der "befreit, begleitet, versöhnt, stärkt, tröstet, begeistert", und von dem Glauben erfahren, "dass Gott die Welt geschaffen hat und vorbehaltlos liebt". So steht es in der Präambel eines aktuellen Bildungsplans.1 Der Auswahl ihrer "Elementaren Bibeltexte" für die Schule setzen die Herausgeber die Prämisse vorweg, man habe sich bemüht, jeweils herauszuarbeiten, "was diese an lebensförderndem Gehalt enthalten und anzubieten haben."2. Und Rainer Oberthür schreibt in der Einleitung seines "Praxisbuchs für den Religionsunterricht" über das Verhältnis von Glauben und Lernen: "Zu lernen ist, wo die Glaubensentscheidung fällt – nämlich in der Frage, ob ich mich auf den Gott der Liebe verlassen kann."3 Auf den Gott der Liebe ...

Das alles liest sich gut und ich könnte glauben, dass das Gottesbild des oben zitierten Vorschulkindes in der Schule keinen Schaden nehmen, sondern sich lebensförderlich weiterentwickeln wird. Dass der Artikel dennoch nicht zu einem vorzeitigen Ende kommt, liegt an meinen eigenen, bereits eingeschulten Kindern. Der Fünftklässler kommt mittags nach Hause und holt, auf die Frage, was denn in Religion drangewesen sei, ein fotokopiertes Blatt hervor, auf dem scheinbar Fakten über den Auszug Israels aus Ägypten aufgeführt sind: die zehn Plagen, zur Veranschaulichung mit gezeichneten Details. Der Drittklässler hat gerade "David und Goliat" durchgenommen – "Goliat musste natürlich sterben; er hat Gott beleidigt und außerdem war er böse" – und in der ersten Klasse wurde ausführlich besprochen, wie Gott alles Leben auf Erden vernichtete, um dann mit Noah neu anzufangen. Weil die Menschen so schlecht waren.

 

Fragwürdig

Auf einmal ist der Gott der Liebe weit weg – jedenfalls wenn man gelernt hat, sich in andere, auch Gegner, hineinzuversetzen, das einfache Gut-Böse-Schema zu überwinden und jeglicher Gewaltanwendung skeptisch gegenüberzustehen. Auch dies sind ja anerkannte Lernziele des Religionsunterrichts (und schulischer Bildung als solcher). Selbst wenn die Betroffenen in ihrer Begeisterung für die "Helden" der Handlung – Mose, David, Noah – noch die Fragwürdigkeiten übersehen, die in den Heimsuchungen der "Gegenseite" stecken – erfahrungsgemäß dauert es nicht lange, bis sich Fragen aufdrängen. Und dann wiederum ist der Religionsunterricht an seinem Anspruch zu messen, ein nachhaltig glaubhaftes Gottesbild zu vermitteln.

"Was, wenn ich damals gelebt hätte – und ich wäre nicht Noah gewesen?" (Lennard, 8 Jahre) – Ja, was dann? Was antworten Sie da? Vielleicht: "Sei froh, dass du heute lebst, im Jahr 2005 nach Christus. Denn Christus hat alle Schuld von uns genommen." Oder: "Ach, das darfst du nicht so wörtlich nehmen. Damals sind natürlich nicht alle Menschen gestorben." Oder: "Ja, weißt du, ob das nun wirklich alles so passiert ist ... Keiner weiß es. Ich glaube eigentlich eher, dass es damals einen großen Regen gegeben hat, und da haben die Menschen geglaubt, dass Gottes Zorn dahintersteckt."

Es gibt eine beunruhigende Divergenz zwischen dem Gottesbild, das religionspädagogisch korrekt ist, und dem, was durch unvermindert "kanonische" Bibeltexte vermittelt wird. Bloß dass diese Beunruhigung im Unterrichtsalltag kaum wahrgenommen wird, geschweige denn zu Auseinandersetzungen und Konsequenzen führt.

In den Lehrplänen liest es sich bisweilen, als werde diese Zweischneidigkeit

  1. ignoriert: Der nordrhein-westfälische Lehrplan (Grundschule), der als einen von vier Kardinalbereichen des Faches "Hoffnung schöpfen" ausweist, verlangt unter der Überschrift "Verantwortung übernehmen" eine Behandlung von 1.Mose 7 (Sintflut) "in Auszügen". Ja, ... und was sage ich denen, die nicht Noah sind ...? (s.o.)
  2. oder umgangen: An Abrahams-Texten fordert derselbe Lehrplan zwar den Befehl zum Aufbruch und die Kindesverheißung, nicht aber die Geschichte von Isaaks Bindung. – Und wenn sie "versehentlich" jemand liest ...? Ebenso wollen die niedersächischen curricularen Vorgaben für 5/6 (Hauptschule) ausdrücklich, man solle den Regenbogen unterrichten (1.Mose 8,20ff.) – Wird aber nicht doch der eine oder andere nach der Flut fragen, bevor er sich auf den Regenbogen einlässt?
  3. oder, als werde ihr stillschweigend vorgebeugt: Der vorgeschlagene Deute-Horizont der niedersächsischen curricularen Vorgaben Hauptschule 5/6 lautet: "Die Bibel ist das Dokument menschlicher Grunderfahrungen und Erfahrungen mit Gott; in ihrer Entstehungsgeschichte spiegelt sich die Vielfalt und Geschichtsbezogenheit der Bekenntnisse." Sodann wird der Annäherung an die Gottesfrage (über Metaphern, nicht über Geschichten!) eine ausführliche Einheit über die Entstehung der Bibel und ihrer Texte vorgeschaltet. Die Schülerinnen und Schüler sind – hoffentlich – schon bibelkritisch geschult und auf die uneigentliche Rede von Gott eingestimmt, bevor sie – ein wenig – Gott beim Handeln erleben.

Die Schlaglichter zeigen das Dilemma. Wir wissen, wohin wir wollen – der Weg aber scheint ungebahnt (a), allzu eng (b) oder – im Fall des Vorbeugens (c) – weit und steil.

Dabei ist, zugegebenermaßen, religionspädagogisch alles gut vorbereitet: Die Lehrpläne stehen am vorläufigen Ende eines lange währenden theologischen und religionspädagogischen Ringens mit den "schweren Stellen" der Bibel, insbesondere des Alten Testaments. Es ging zuzeiten so weit, dass man auf die Bibel im Religionsunterricht lieber verzichtete, um die Kinder nicht zu irritieren. Dann aber schien es vernünftiger, eine theologisch begründete und verantwortete Auswahl zusammenzustellen, was gelesen werden solle und was nicht, z.B. nach "Grundbescheiden"4: Wo Gott im Alten Testament so begegnet, dass in ihm der Vater Christi wiederzuerkennen ist, da lohnt die unterrichtliche Behandlung. Hinzu kommt bis heute ein reichhaltiges Ensemble an didaktischen und methodischen Modellen, wie mit Bibeltexten erklärend, deutend, gestaltend umgegangen werden kann, um die gewünschten Erfahrungen und Einsichten anzubahnen.

Auf all das verlassen sich "Lehrplanmacher", wenn sie zum Beispiel zu den vorgeschriebenen Bibelstellen schlicht anmerken: "Textgrundlage für Lehrerinnen und Lehrer ist die Lutherbibel. Angegebene Textstellen legen den biblischen Hintergrund fest und müssen in der unterrichtlichen Umsetzung kindgerecht entfaltet werden."5

Kindgerecht. Das ist das Stichwort. Es ist eine Einladung, das gesamte pädagogische, didaktische und methodische Repertoire der Bibeldidaktik zu nutzen. Was aber, wenn Religion nicht einer meiner Studienschwerpunkte war? Wenn ich heute und morgen fünf Stunden habe und noch die Aufsätze von zwei Klassen auf mich warten? Vielleicht nehme ich "einfach" die Bibel? Oder – kindgerecht – eine Schul- oder Kinderbibel?

 

Ganz einfach Gott?

Doch leider: Gerade hier klafft der "garstige Graben" zwischen dem religionspädagogischen Anspruch und dem in Bibelgeschichten vermittelten Gottesbild; gerade aus den scheinbar kindgerechten Bearbeitungen schöpfen die Kinder ihr Detailwissen über die Plagen, Kriege und Strafen Gottes. Denn ein Blick in gängige Kinder- und Schulbibeln zeigt, dass sie das Problem der schweren Stellen, die das leuchtende Antlitz des Gottes der Liebe verdunkeln, nicht anders lösen als die Lehrpläne: durch a) Ignorieren, b) Umgehen oder c) Vorbeugen. Testen Sie doch einmal Ihre bevorzugte Schulbibel, etwa im Hinblick auf die Nichtopferung Isaaks (Gen 22,1–19): Wird sie a) "bibelgetreu" nacherzählt, b) ausgelassen, c) kommentiert?

 Luther (Verse 9–10):
Und als sie an die Stätte kamen, die ihm Gott gesagt hatte, baute Abraham dort einen Altar und legte das Holz darauf und band seinen Sohn Isaak, legte ihn auf den Altar oben auf das Holz und reckte seine Hand aus und fasste das Messer, dass er seinen Sohn schlachtete.

  1. Elementarbibel6
    Dort baute Abraham einen Altar und schichtete das Holz für das Feuer auf. Dann band er seinen Sohn Isaak und legte ihn oben auf das Holz. Er reckte seine Hand aus, nahm das Messer und wollte seinen Sohn töten.
  2. Meine Schulbibel7
    Kinderbibel8
  3. Die Kinderbibel9
    Ja, jetzt musste Abraham es wohl sagen, und er erzählte Isaak, dass er das Lamm sein müsse. So legte er Isaak auf das Holz. Doch da rief Gott. ...

 Dabei kann die "Kommentierung" so geschehen wie in dem zitierten Fall: Eine Stimme aus dem Off sorgt für das nötige Pathos. Oder auch ganz anders: beispielsweise mit einem kurzen Sachtext zur Klärung des religionsgeschichtlichen Kontexts. Anstößig finde ich den Versuch, den "Helden" der Handlung gewissermaßen aus Gottes Perspektive abzuqualifizieren: Unter der Überschrift "Abraham muss umlernen"10 beginnt die Nichtopferungs-Geschichte mit harscher Kritik (durch wen eigentlich? Und aufgrund welcher Autorität?): "Schon zweimal hatte Abraham seine Frau verraten, und auch seinen Sohn Ismael hatte er fortgeschickt – würde er die Verheißungen, die Gott ihm für Isaak und seine Nachkommen gegeben hatte, auch noch gefährden?"

Über das unkommentierte Nacherzählen (a) und das Auslassen (b) ist in den Überlegungen zu den Lehrplan-Vorgaben bereits genug gesagt. Damit kommen wir nicht weit. Die Möglichkeit des "Vorbeugens" hingegen bietet Chancen, gesetzt den Fall, man fängt es anders an als in den genannten Fällen: Die Kinder auf einen Text vorzubereiten, damit er nicht missverstanden wird – das entspricht unserem eigenen Zugang:

Wir kommen ja in der Regel deshalb mit den "schweren Stellen" der Bibel klar, weil wir über Entstehungsgeschichte, religionswissenschaftliche Zusammenhänge, Erzählabsichten der Autoren informiert sind.

Ich möchte Ihnen gerne "meine" Lösung vorstellen, eine meiner Meinung nach wirklich kindgerechte Bibel, die den Weg der "Vorbeugung" konsequent zu Ende geht. Damit Sie den Weg, der dorthin geführt hat, nachvollziehen können, schildere ich zuvor an meiner religiösen Biografie entlang11, wie das Bild des Gottes, "der mich anlächelt", in der Arbeit an der Bibel Konturen erhält.

 

"Mein" Gott

Als Kind habe ich die Geschichte vom Verlorenen Sohn geliebt und auch die Geschichte, dass David seinen Verfolger Saul verschont, als er die Gelegenheit hat, ihn umzubringen. Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen ... – was für ein herrliches Bild für Behutsamkeit, Sanftmut und liebevolles Gewähren-Lassen. Auch den Gott, der für diese Haltung einsteht, liebte ich von Anfang an – und liebe ihn bis heute. Von Anfang an hat es mich daher gestört, anderes – wie ich fand Falsches – über Gott zu lesen: dass er die Erde mit einer Sintflut heimsuchte, bevor ihm einfiel, dass er die Menschen trotz all ihrer Fehler doch liebt. Dass er den Befehl geben konnte, Gegner gnadenlos zu töten, auszurotten – sogar seine eigenen Anhänger, sofern sie den Kult verletzten. Schon damals habe ich ihn deshalb nicht gefürchtet, nicht in Frage gestellt, sondern geargwöhnt, an diesen Geschichten müsste etwas faul sein.

Wie froh war ich, viel später Belege für meinen Verdacht zu finden, wissenschaftlich fundierte Anhaltspunkte dafür, dass der liebe Gott tatsächlich drin steckt in der Bibel – und dass man Gewalt, Unversöhnlichkeit und Grausamkeit mit gutem Grund als sekundäre Zutaten ausscheiden kann.

Um die Vielzahl der divergierenden Gottesbilder zu verstehen, so lernte ich, muss man sich dreierlei klarmachen:

  • Das Bild des einen Gottes Israels formte sich im Umfeld anderer Kulturen und Religionen – in Anpassung und Abgrenzung.
  • Das Bild des einen Gottes Israels entfaltete sich in einem Jahrhunderte andauernden Prozess.
  • Das Bild des einen Gottes Israels war zu allen Zeiten abhängig von denen, die es prägten, von ihren Vorstellungen und Interessen.

Andere Götter ringsum: Baal Zaphon, ein Gewittergott, Aschera, die Himmelsgöttin, die tierköpfigen Götter der Ägypter, der dämonenhafter Moloch – sie alle prägten die Umwelt, als Nomadensippen wie die des Erzvaters Abraham die Tradition des Einen Gottes begründeten, der mit ihnen zog und der Familie verbunden blieb. Die unterschiedlichen religiösen Vorstellungen der Umwelt hatten zumindest drei Dinge gemeinsam: Sie kannten viele Gottheiten nebeneinander, sie machten sich Bilder – sichtbare, fassbare, anbetbare Götter – und sie glaubten, dass Opfer die Gottheit versöhnen, gnädig stimmen konnten. Die schroffe Abwehr anderer Götter, das Bilderverbot und die Geschichte der Nicht-Opferung Isaaks sind Wegmarken der Abgrenzung: Seht, unser Gott ist anders!

Ein weiter Weg: Über drei Jahrtausende lang haben die Erzähler der Bibel ihren Gott beschrieben. Sie lebten unter immer wieder veränderten Umständen – und nahmen ihren Gott mit:

  • Die Nomaden kannten einen Gott, der mit ihnen zog und zeltete.
  • Die Flüchtlinge aus Ägypten lernten Gott kennen als den, der sie befreite, begleitete und heimführte.
  • Josua und den Richtern stand Gott bei, als es darum ging, Land zu nehmen, zu verteilen und zu verteidigen.
  • Den Königen David und Salomo festigte Gott die Königsherrschaft.
  • Den Exulanten in Babylon gab Gott Hoffnung auf Heimkehr und Wiederherstellung verlorener Macht und erloschenen Glanzes.

In jedem Zusammenhang jedoch wurde bekräftigt: Wir glauben noch immer an denselben Gott. "Seht, im Kern ist Gott Gott: Ich werde sein, wer ich sein werde" (Ex 3,14).

Die Ansichten und Absichten der Erzähler: Zu all diesen Zeiten mussten – und müssen bis heute – die Vorstellungen von Gott subjektiv sein; einmal deshalb, weil Gott schlicht über unseren Verstand geht, zum anderen, weil die Versuchung, ihn so zu sehen, wie man ihn gern sehen möchte, einfach unwiderstehlich ist. Muss er nicht, wenn er für mich ist, gegen die anderen sein? Auch grimmig und gnadenlos? Hat er nicht sogar verlangt: Ich muss kämpfen, mich durchsetzen? Wird er mir nicht helfen und vorangehen? Muss er nicht seine Ehre, seinen Namen, sein Recht, seinen Kult verteidigen? Strafen verhängen und nur die Frommen verschonen? Wenn ich die Kanaaniter hasse, hasst Gott mit, wenn ich Jerusalem für den Nabel der Welt halte und David für den größten König aller Zeiten – dann Gott erst recht. "Seht, Gott ist auf meiner Seite." Rede von Gott ist umweltabhängig und zeitgebunden, sie wandelt sich mit den Vorstellungen der Menschen und mit dem Weltbild, das sie – für sich und andere – rechtfertigen wollen. Als ich das wusste, konnte ich die Gottesbilder "filtern" und so den Kern zurückgewinnen, um den es mir von Anfang an ging (und um den es uns auch heute geht): den Gott der Liebe.

Ich nenne Kennzeichen dieses Gottesbildes hier bewusst ausführlich, damit der Weg, den wir religionspädagogisch mit den

Kindern beschreiten müssen, möglichst präzise Wegmarken erhält. Wir machen uns auf die Suche nach dem Gott, der anders ist als die Götter der Umwelt, der sich selbst in diesem Anderssein treu ist, und zwar jenseits von zeitgebundener Propaganda.


Wegmarke 1. Gen 2,17:
Die Warnung vor dem Baum der Erkenntnis. Gen 4,7: Die Warnung vor dem Grimm.
Ein Gott, der straft, ist nichts Besonderes. Wohl aber ein Gott, der warnt und mahnt und dem Unheil vorbeugen will


Wegmarke 2. Gen 2,18:
Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei. Gen 6,6: Da reute es ihn, dass er die Menschen gemacht hatte. Gen 8,1: Da gedachte Gott an Noah und an alles wilde Getier. Ex 32, 14: Da gereute den Herrn das Unheil, das er seinem Volk zugedacht hatte.
Ein Gott, der nach Belieben handelt, ist nichts Besonderes. Wohl aber ein Gott, der "sich ein Gewissen macht", der in der Ordnung der Welt einen Prozess sieht, an dem auch er lernen kann. Und den sein Zorn reut, so dass er ihn zügelt und im Zaum hält.


Wegmarke 3. Gen 22,12:
Gott verhindert Isaaks Opferung. Jes 1,11: Gottes Ekel vor äußerlichen Opfern.
Ein Gott, der Opfer fordert, ist nichts Besonderes. Wohl aber ein Gott, der sagt: Ich will eure Opfer nicht, sondern eure Liebe.


Wegmarke 4. Gen 4,15:
Gott garantiert für Kains Leben, auch nach dem Mord. Psalm 103: So fern der Morgen ist vom Abend, lässt er unsere Übertretungen von uns sein. Jes 43,22–25: Ich, ich tilge deine Übertretungen um meinetwillen und gedenke deiner Sünden nicht.
Ein Gott, der es mit denen hält, die makellos vor ihm stehen, ist nichts Besonderes. Wohl aber ein Gott, der vergibt und Treue hält, wo der Mensch schwach und schuldig ist.


Wegmarke 5. Gen 18,22–33:
Abraham handelt mit Gott um Sodom: "Ich will sie nicht verderben um der zehn willen." 2 Sam 12,13: David bekennt sich schuldig. Gott lässt ihn leben. Jona 4,10: ... mich sollte nicht jammern um Ninive, eine so große Stadt, in der mehr als hundertundzwanzigtausend Menschen sind, die nicht wissen, was rechts und links ist, dazu auch viele Tiere?
Ein Gott, der seine Gegner vernichtet, ist nichts Besonderes. Wohl aber ein Gott, der auch in ihnen das Wunder des Lebens sieht und respektiert.


Wegmarke 6. Ex 33,18–23:
Mose darf Gottes Herrlichkeit sehen; aber Gott schirmt ihn ab, damit er nicht vor dem Glanz des Göttlichen vergeht. 1 Kön 19,11–13: Gott zeigt sich Elia in einem "sanften Sausen".
Ein Gott, der Macht und Glanz demonstriert, ist nichts Besonderes. Wohl aber ein Gott, der die Macht, die er hat, zu verbergen vermag.
 

Wegmarke 7.
Der Gottesknecht, Jes 50,6: Ich bot meinen Rü-cken denen, die mich schlugen, und meine Wangen denen, die mich rauften. Jes 53,4: Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen.
Ein Gott, der sich mit seiner Macht und seinem Glanz durchsetzt, ist nichts Besonderes. Wohl aber ein Gott, der sich durchsetzt, indem er seine Macht und seinen Glanz verleugnet.

Der Anschluss dieses "Gottes des Alten Testaments" an den Vater Jesu fällt leicht: Auch im Neuen Testament geht es im Kern – und das weit unbestrittener – um Achtsamkeit gegenüber dem Schwachen und Verlorenen, um Selbsthingabe Gottes an die Welt, um Mit-Leiden statt Gegen-Gewalt. Der Weg des Gottessohnes durch Schmerz und Tod zum Leben ist der Weg, den der ohnmächtig mächtige Gott des Alten Testaments schon nahe legt.

 

Gott für Kinder

Dieses wunderbare Gottesbild kann nur gewinnen, wer über den Entstehungsprozess des Alten Testaments im Bilde ist. Daher ist der Weg, den das niedersächsische Curriculum vorgibt, im Ansatz richtig: Wir machen die Kinder zu Bibelexegeten und lassen sie dann biblische Geschichten lesen und deuten. Bleibt nur der Einwurf der Steilheit.12 Witze, die man erklären muss, funktionieren nicht recht. Ein Gottesbild, das erst nach Studium der Gebrauchsanweisung genossen werden kann – wirkt das?

Die oben "gescholtene" Erzählbibel mit ihrer entrüsteten Kommentierung des opferbereiten Abraham zeigt einige Sätze weiter, wie es gehen kann. Da heißt es: "Der Bote rief ihn [Abraham] noch einmal", und dann spricht der Bote in Gottes Namen: "Ich will nicht, dass Eltern ihre Kinder opfern – mir nicht, aber auch niemand anderem und keiner anderen Sache!"13 Bei Luther sagt Gott das nicht – und dennoch "darf" und muss er es sagen; denn Religionswissenschaft und wissenschaftliche Exegese machen es höchst wahrscheinlich, dass die Geschichte von Isaaks Nichtopferung aus eben diesem Anlass erzählt wird: um deutlich zu machen, dass Menschenopfer für Gott nicht in Frage kommen. Hintergründe, die theologisch unstrittig sind und die Wahrheit Gottes erhellen, erzählend in die Bibeltexte einzubeziehen, anstatt sie kommentierend in Metarede zu fassen, das erweist sich als ein glaubhafter, überzeugender Weg, mit Kindern Bibelstellen, auch die schweren, zu lesen und sie so darin zu bestärken, dass Gott sie anlächelt.

Ich habe es ausprobiert. Ich erzähle Kindern die Geschichten der Bibel neu, und zwar so, wie ich sie auf dem Hintergrund meiner exegetischen Kenntnisse verstehe. Ich erzähle sie und lasse sie wirken. Dadurch, dass ich das, was ich für glaubhaft halte, in die Erzählung einbringe, erspare ich den Kindern Enttäuschungen und mir das nachträgliche Kommentieren. Ich vermeide den Eindruck, als traue ich der Geschichte nicht recht oder als sei sie nicht ganz ernst zu nehmen.

Isaaks Nicht-Opferung erzählt sich dann so:14

Im Schlaf hört Abraham eine Stimme. 
Er denkt, es ist Gott, der da spricht.
Abraham, komm, steh auf!
Hier bin ich Gott, was soll ich tun?, sagt Abraham.
Opfere mir dein Liebstes, sagt die Stimme. 
Dann weiß ich: Du hast mich lieb.
Mein Liebstes, Gott, sagt Abraham.
Aber das wäre mein Sohn!
Ja, sagt die Stimme.
Den opfere mir. Dann will ich dich schützen.
Dann brauche ich deinen Schutz nicht mehr, sagt Abraham.
Erinnere dich, was du versprochen hast, sagt die Stimme.
Alles würdest du tun für ein Kind. 
Nun also: Ich fordere und du musst gehorchen. Worauf wartest du?
Abraham steht auf und geht hinüber zu Isaaks Lager.
Abraham, was tust du, schreit Sara. 
Sie ist aufgewacht und sieht Abraham mit einem Messer bei Isaak.
Gott, stammelt Abraham voller Schmerz. 
Er will das Liebste, er will Isaak. 
Niemals!, schreit Sara und stößt ihn fort.
Wie kannst du so schlecht von Gott denken!
Menschen mögen grausam sein – Gott aber nicht. Merk es dir.
Und da kann man Gott dann doch lächeln sehen, oder?

 

Materialanhang zu Martina Steinkühler:
Welchen Gott der Bibel kann man Kindern zumuten? in: Loccumer Pelikan 3/05, S. 116
Das Alte Testament
Die Urgeschichte (Geeignet ab ca. 6 Jahre, Jahrgang 1/2) besteht aus in sich nahezu geschlossenen Einzelerzählungen mit je einem
Erkenntnis-Kern; die Redeweise ist mythologisch.
Die Geschichten sind farbig, anschaulich, unmittelbar zugänglich.
Schwellen:
a) Vordergründig das für die Kinder nicht mehr stimmige Weltbild.
b) Im Hintergrund das archaische Menschenbild, das „Menschen“ als Dinge, Zahlen,
Verfügungsmasse betrachten kann (als sei es akzeptabel, von Gott anzunehmen, er habe erst einmal
alle „aus Zorn“ umgebracht, um dann herauszufinden, dass er sie, wie sie auch sind, nicht missen
will!).
Abhilfe:
a) Schaut nicht auf die Verpackung; Schaut, was drin steckt.
b) Wir stellen uns vor, dass Gott Emotionen kennt wie auch wir, z.B. Jähzorn, dass er sich aber besinnt, bevor er handelt.
Das Augenmerk der Erzählung gilt dem Herausarbeiten des guten Willens Gottes – auch angesichts des Dranges der Menschen, sich zu verselbstständigen.
Gott „lernt“: Diese Geschöpfe, die ich mir da als Gegenüber geschaffen habe, wollen wie ich Bewegung; sie besitzen Eigensinn; sie machen ihre eigenen Fehler.

 

Anmerkungen

  1. Exemplarisch aus dem Bildungsplan Grundschule für die vierte Klasse, Baden-Württemberg
  2. Rainer Lachmann/Gottfried Adam/Christine Reents (Hg.): Elementare Bibeltexte. Exegetisch – systematisch – didaktisch, Göttingen 2001, S.13
  3. Rainer Oberthür: Kinder und die großen Fragen. Ein Praxisbuch zum Religionsunterricht, München 1995, S.33
  4. Horst Klaus Berg: Grundriss der Bibeldidaktik, München 1993, S. 76–95
  5. Evangelische Religionslehre, Grundschule, Nordrhein-Westfalen, S. 135
  6. Elementarbibel, ausgewählt, in acht Teile gegliedert und in einfache Sprache gefasst von Anneliese Pokrandt, gestaltet und illustriert von Reinhard Herrmann, Lahr 1998
  7. Meine Schulbibel. Ein Buch für Sieben- bis Zwölfjährige, "Arbeitsgruppe Schulbibeln", berufen vom Vorsitzenden der "Kommission Erziehung und Schule" der Deutschen Bischofskonferenz, Kevelaer/Stuttgart/München/Düsseldorf
  8. Werner Laubi/Annegert Fuchshuber: Kinderbibel, Lahr 1992
  9. Anne de Vries: Die Kinderbibel, Neukirchen-Vluyn, Neuauflage 2002
  10. Diana Klöpper/Kerstin Schiffner: Gütersloher Erzählbibel, Gütersloh 2004
  11. Dabei schildere ich das Werden meines Gottesbildes gewissermaßen in Stellvertretung vieler überzeugender Entwürfe der Bibeldidaktik. Ich verweise besonders auf die praxisorientierten Bücher von Horst Klaus Berg: Ein Wort wie Feuer, München 1991; Grundriss der Bibeldidaktik, München 1993; Altes Testament unterrichten, München 1999.
  12. Zurecht warnt Ingo Baldermann davor, den Bibeltext zum "Objekt" zu machen, das erklärt werden muss, anstatt wirken zu dürfen (Ingo Baldermann: Einführung in die biblische Didaktik, Darmstadt 1996, S.1–4 und viel, viel öfter).
  13. Diana Klöpper/Kerstin Schiffner: Gütersloher Erzählbibel, Gütersloh 2004, S.37
  14. Wie Feuer und Wind. Das Alte Testament Kindern erzählt von Martina Steinkühler, Göttingen 2005

Text erschienen im Loccumer Pelikan 3/2005

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