Der Wettbewerb
Mit dem im September vergangenen Jahres ausgeschriebenen Medienwettbewerb "Was glaubst du? – Interviews über Gott und die Welt" hat das Religionspädagogische Institut Loccum Jugendliche aus Schule und Gemeinde auf den Kirchentag in Hannover hingewiesen und zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit seiner Losung: "Wenn dein Kind dich morgen fragt … " eingeladen.1 Die überraschend große Resonanz, die sich in mehr als zweihundert Beiträgen niederschlug, verdankte sich der offenen, weit gefassten Ausschreibung, der verhältnismäßig langen Anfertigungszeit von fünf Monaten sowie der konkreten inhaltlichen Fokussierung auf das Glaubensthema. Die Aufgabe bestand für die teilnehmenden Jugendlichen in der Erarbeitung von Interviews mit selbst gewählten Zielgruppen sowie der anschließenden Visualisierung der Ergebnisse in Form eines Plakates oder einer kurzen Film- bzw. Computerpräsentation von drei bis fünf Minuten. Neben Inhalt und Zielsetzung der Interviews wurde der kreativ-künstlerischen Mediengestaltung ein besonderes Gewicht beigemessen.
Auf dem Kirchentag in Hannover konnten die Plakate und digitalen Präsentationen in der "Werkstatt Kirche und Schule" erfolgreich einem aufgeschlossenen und neugierigen Publikum vorgestellt werden. Neben vielen Unterrichtenden waren es oftmals die Jugendlichen selbst, die das Gespräch und die Diskussion mit anderen gesucht haben. Interessant waren der Vergleich der Beiträge untereinander, die Diskussion über die Kriterien der Jury sowie der Austausch über die Vielzahl der unterschiedlichen Aussagen und Perspektiven, unter denen das Glaubensthema in den einzelnen Arbeiten dargestellt und behandelt worden ist.
Das Thema
Der Medienwettbewerb hat mit seiner Frage "Was glaubst du?" Fragen nach den grundlegenden Fundamenten religiöser Vorstellungen in der heutigen Zeit aufgegriffen. Nicht zufällig war der Themenbereich I des Kirchentages in Hannover ebenfalls dem Thema des Glaubens zugeordnet. Es geht in der gesellschaftlichen Gegenwart offensichtlich für viele Menschen nicht nur um politische oder ethische Diskurse. Gefragt wird verstärkt nach Wurzeln und Visionen, die eng mit der eigenen Lebensgeschichte und Orientierungssuche verbunden sind. Die Beiträge des Wettbewerbs haben sehr unterschiedliche Weisen des Umgangs mit diesen Fragen deutlich werden lassen. Die Jugendlichen interviewten Politprominenz und bekannte Fußballer, Passanten auf der Straße und Kinder im Kindergarten, Jugendliche einer Behinderteneinrichtung und Vertreter anderer Religionsgemeinschaften, Mitschüler und Mitschülerinnen, Schulleitungen, Eltern und Großeltern u.v.a.m. Hierfür mussten konkrete Interviewfragen von den Jugendlichen erarbeitet werden. Dabei war es erforderlich, eine eigene Zielvorstellung zu entwickeln, die sowohl den Inhalt der Glaubensthematik als auch den Lebenszusammenhang der jeweiligen Personen reflektierte, um beides sinnvoll aufeinander beziehen zu können. So wurde beispielsweise die "Entwicklung des persönlichen Glaubens" – angefangen bei Kindern im Kindergarten bis hin zum Erwachsenenalter – nachgezeichnet, das Verhalten von Sportlern im Blick auf offene wie versteckte religiöse Formen und Rituale hin befragt oder es wurden Fragen nach den großen Lebensthemen wie Sinn des Lebens, Sterben und mit sehr verschiedenen Lebenshintergründen beantwortet. Dabei entstand ein äußerst vielfältiges Bild religiöser Einstellungen von Menschen in unserer Zeit. In einigen Beiträgen wurde dabei die Schwierigkeit thematisiert, auskunftswillige Gesprächspartner zu finden. Von den Angesprochenen wurden pragmatische Gründe wie Zeitmangel oder schlichtes Desinteresse genannt. Es wurde aber auch erkennbar, wie schwer es Menschen heutzutage fallen kann, ernsthaft und konkret über den eigenen Glauben Auskunft zu geben. Umso wertvoller und authentischer erscheinen die vielen Antworten, die gegeben wurden und die sich in den Ergebnissen der Interviews widerspiegeln. Sie bewegen sich zum einen zwischen bekannten Klischees und kirchenkritischen Einstellungen, zum anderen jedoch stellen sie auch Zeugnisse von ehrlicher Frömmigkeit und persönlicher religiöser Sinnsuche dar. So fand das Thema des Glaubens nicht nur Aufnahme in kreativen Fragestellungen, sondern auch in vielen nachdenklichen und ermutigenden Antworten. Wir leben nicht nur in einer Zeit der Fragen. Menschen sind auch fähig, über ihren Glauben und die eigene religiöse Tradition Auskunft zu geben, wenn ihnen Raum und Zeit dafür gegeben werden! Angestoßen durch die Form des Interviews fand ein intensiver Kommunikationsprozess statt, der weit über die dargestellten Ergebnisse hinausging. In zahlreichen Begegnungen von Menschen wurden zentrale Fragen von Glaube, Kirche und Religion ins Gespräch gebracht, miteinander diskutiert und oftmals von den Jugendlichen selbst in einen eigenen Deutungs- und Verstehenszusammenhang eingetragen.
Ich kann ihn mir nicht vorstellen, denn ich hab ihn nie kennengelernt. Ich weiß nur, dass es ihn gibt. Es gab ein paar Wunder in meinem Leben, dass ich sagen kann, ja es gibt ihn und es ist eine Stimme in mir, die mir sagt, das und das ist richtig und das ist falsch und ich denke mal, das ist zum Teil meine eigene Stimme und auch zum Teil die Stimme von Gott. aus einem Interview mit einer körperbehinderten Jugendlichen |
Die Präsentationen
Der Medienpädagoge Franz Röll hat mit Hinweis auf die Unterscheidung von verbalem und präsentativem Symbolismus2 auf die Eigenständigkeit ästhetischer Darstellungs- und Ausdrucksformen hingewiesen. Hierzu zählen u.a. die audiovisuellen Medien, aber auch Formen der bildenden Kunst wie z.B. die Grafik oder das Plakat. Mit der Aufgabe einer kreativ-künstlerischen Umsetzung der Interviewergebnisse haben die verschiedenen Lerngruppen ihr vorhandenes großes ästhetisches Ausdrucksvermögen unter Beweis gestellt. Die Vielfalt und Phantasie der eingereichten Beiträge machten u.a. die Anstrengung, Konzentration, aber auch die Lust und Freude an der Gestaltung deutlich. Die Medien selbst bedeuteten einen Motivationsschub. Sowohl die gestalterische wie technische Herausforderung, die Inhalt und Form zu verbinden hatte, hat im Gelingen nicht nur begründeten Stolz zur Folge gehabt, sondern war gerade im audiovisuellen Bereich Ansporn zu immer weiteren Verbesserungen, ja zu einer "Perfektionierung" der Präsentation. Die prinzipielle Offenheit der digitalen Medien kann dabei zu einem äußerst intensiven, damit oft auch sehr zeitaufwendigen Gestaltungsprozess führen. Viele Jugendliche haben an dieser Stelle einen großen Teil ihrer Freizeit eingebracht.
Die breite Nutzung von Medien ist heutzutage alltäglicher Bestandteil der Jugendkultur. Medien und medial geprägte und vermittelte Formen sowie ihre Inhalte bestimmen die Wahrnehmungs- und Wirklichkeitserfahrung von Jugendlichen in vielen Bereichen.3 Das Bildhafte gewinnt dabei zunehmend an Bedeutung.4 Gleichzeitig prägt die Medienerfahrung von Jugendlichen nicht nur ihre Rezeptionsformen, sondern auch ihre Ausdrucksformen. Medien bieten Jugendlichen eine Fülle von Darstellungsmöglichkeiten, die Ausgangspunkt von unterschiedlichsten Selbstinszenierungen sein können.5 Auf diesem Hintergrund lesen sich die eingereichten Präsentationen nicht nur als schlichte Zusammenfassungen von Arbeitsergebnissen, sie lassen sich zugleich als Selbstausdruck eines eigenen Wahrnehmungs- und Deutungsverständnisses von Wirklichkeit beschreiben. In ihm lassen sich mediale Kompetenzen, unterschiedliche Standpunkte und Perspektiven der Wahrnehmung sowie Wertvorstellungen und ein differenziertes Beurteilungsvermögen erfassen. Von weiterführender Bedeutung kann die Frage angesehen werden, wie Jugendliche selbst ihren Arbeitsprozess und die eigene errungene ästhetische Ausdrucksform beschreiben. In der Differenz von Medium und Beschreibung liegt dabei die Chance einer Wahrnehmung, die das Potential der ästhetischen Form als einen offenen Lernprozess nutzt. Was Jugendliche konkret thematisieren und mit ihrer Präsentation auszudrücken wünschen, stellt zum einen eine objektive Bedeutungsstruktur dar, kann jedoch gleichzeitig eine latente, nicht bewusste Sinnstruktur besitzen.6 Wenn Jugendliche beispielsweise ihr Plakat oder ihren Filmbeitrag darstellen und mit anderen diskutieren, können sich bei genauer Betrachtung der medialen Beiträge überraschende Einsichten und neue Perspektiven für alle Beteiligten erschließen. Der kreative Gestaltungsprozess, der durch seine Auswahl und Montage ein Stück Selbst- und Weltaneignung darstellt, eröffnet symbolisch verfasste Einsichten, deren Entschlüsselung eine Erfahrungs- und Wahrnehmungserweiterung bedeutet.
Religionspädagogische Impulse
Der Medienwettbewerb hat in Durchführung und Gestaltung viel Kreativität und Engagement bei den Jugendlichen und ihren Lehrkräften geweckt. Das Angebot unterschiedlicher Präsentationsformen war für die verschiedenen Lerngruppen einladend und hilfreich. Von entscheidender Bedeutung ist, dass Jugendlichen eine ihnen entsprechende mediale Form zur Verfügung gestellt wird, in der sie ihre inhaltliche, gestalterische und technische Kompetenz unter Beweis stellen. Jugendliche benötigen Foren, in denen sie experimentieren können und zeigen, wie sie selbst Fragen der Zeit begreifen und interpretieren. Ästhetische Ausdrucksformen wie Plakat oder Film können dabei einen Raum für eine nonverbale Symbolik bieten, die Jugendlichen in einer medial geprägten Lebenswelt sehr entgegenkommt. Leider gibt es sehr wenige Möglichkeiten der öffentlichen Präsentation und Darstellung. Vielen Jugendlichen bleibt lediglich die private Präsentation unter Freunden oder die anonyme Verbreitung über das Internet.
Die thematische Auseinandersetzung mit Fragen des Glaubens und der Religion ist für Jugendliche immer dort spannend, wo sie persönlich und konkret an die Lebenswirklichkeit von Menschen gebunden ist. In Begegnung und Kommunikation wird Glaube lebendig. Die Offenheit von Fragestellungen und Auseinandersetzungen erscheint auch für religiöse Lernprozesse von großer Bedeutung.
Eine Chance des Medienwettbewerbs lag in seiner Anlage zur Projektarbeit. Durch seine thematische Konzentration und die intensive sich über einen längeren Zeitraum erstreckende Beschäftigung mit einer Projektaufgabe kann ein großes Lern- und Erfahrungsfeld erarbeitet werden. Voraussetzung ist, dass es gelingt, mit klaren, erreichbaren Zielen die Motivation für die Lerngruppe zu erhalten. Zudem können durch die Projektarbeit die Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit einer Lerngruppe erheblich gefördert und gestärkt werden.
Die Beiträge des Medienwettbewerbs sind auf zwei DVDs erschienen sowie auf der unter Anmerkung 1 angegebenen Homepage des Religionspädagogischen Instituts Loccum einsehbar. Die angesprochenen Themen und Interviews eignen sich hervorragend zur Weiterarbeit in eigenen Kontexten. Außerdem können sie als Ermutigung und Vorbild für eigene Projekte begriffen werden, die ebenfalls im Medium eines künstlerischen Plakates, einer digitalen Film- oder Fotosequenz oder einer Computerpräsentation ihren Ausdruck finden könnten.
Anmerkungen
- Die Gewinner des Medienwettbewerbs wurden veröffentlicht in: Loccumer Pelikan 1/05 S. 89 sowie unter: www.rpi-loccum.de/wettbewerbe/was-glaubst-du
- Vgl. Franz Josef Röll: Mythen und Symbole in populären Medien, Frankfurt/Main, 1998 S. 21
- Vgl. Margit Witzke: Identität, Selbstausdruck und Jugendkultur, München, 2004, S. 36
- "Die Welt des Abbildes wird wieder Vorbild, Orientierung für Bewusstsein und Vorstellungen von Identität und Sein. Die technischen Bilder werden nach aller Voraussicht die existentielle Orientierung künftiger Generationen bündeln", Franz Josef Röll: Medienarbeit als Lebensgestaltungsfunktion, 1991, S. 81f zitiert nach: M. Witzke, Identität, Selbstausdruck und Jugendkultur, München 2004, S. 48
- Nach Dieter Baacke ist dabei häufig eine ironisierende Distanzierung leitend (vgl. Witzke, S. 52). Anschaulich wird dies u.a. im prämierten Wettbewerbsbeitrag einer Berufsschulklasse aus Buxtehude. Eine ebenfalls selbstkritisch-ironische Darstellung der eigenen Lebenswelt zeigt eindrucksvoll der Films "A Gamer’s Day" von Dieter Schenk. Der Film thematisiert die Gewaltfrage in Computerspielen und ist im Internet unter www.danielpschenk.com frei verfügbar.
- Vgl. M. Witzke: S. 23