1. Überblick über die gesamte Einheit
Im Zentrum der Unterrichtseinheit steht die Freude an der Erzählung des Buches Rut. Da sich Glaubenserfahrungen meiner Meinung nach am besten durch Geschichten vermitteln lassen, scheint sich die Ruterzählung in mehrfacher Hinsicht für den Unterricht zu eignen. Sie lässt sich gut erzählen, hat einen guten Ausgang, und es gibt mehrere interessante, zentrale Themen: Freundschaft, in der Fremde Heimat finden, Führung durch Gott.
So gibt es in jeder Stunde eine Erzählphase, in der ein Abschnitt der Geschichte erzählt wird. Hierbei hat sich der Einsatz von Stabpuppen bewährt.
Durch verschiedene Methoden wird die Geschichte dann im Folgenden vertieft, z.B. mit der Psalmwortkartei von Rainer Oberthür.
Außerdem begleitet ein selbstgestaltetes Tagebuch die Einheit.
1. Stunde:
Flucht vor dem Hunger
Erzählausschnitt: Noomi und Ebimelech gehen in die Fremde, sie fliehen vor dem Hunger.
Vertiefung: Malen eines Bildes. Bethlehem vor und während der Hungersnot.
Unterrichtsgespräch: Warum gehen Menschen in andere Länder? Die Kinder erzählen eigene Erfahrungen (Russlanddeutsche (Diskriminierung), Kosovo-Albaner (Krieg) oder was sie allgemein wissen: viele Menschen sind auf der Flucht, weil es ihnen in ihren Ländern schlecht geht. Aktueller Bezug zum Thema wird hergestellt
2. Stunde:
Noomi trifft das Unglück
Erzählabschnitt: Noomi und Elimelech leben sich ein in Moab: ihre Söhne heiraten Moabiterinnen. Aber dann verliert Noomi nach und nach ihren Mann und ihre Söhne. Nun steht sie ganz allein in einem fremden Land, nur noch ihre Schwiegertöchter sind bei ihr.
Unterrichtsgespräch: Offener Umgang mit Gott: man kann Gott gegenüber seine Situation beklagen.
Stillarbeit: Die Kinder schreiben (ggf. mit Hilfe der Psalmwortkartei) ein Klagegebet.
3. Stunde:
Noomi geht zurück nach Israel
Erzählabschnitt: Noomi schickt ihre Schwiegertöchter zu ihren Familien zurück, aber Rut und Orpa wollen bei ihr bleiben.
Gruppenarbeit: Die Kinder überlegen sich, wie Rut sich wohl entscheidet. Sie suchen in Kleingruppen Gründe dafür, dass Rut in Moab bleibt und dafür, dass sie mit Noomi geht. Dann spielen sie die Entscheidungszene nach.
4. Stunde:
Noomi und Rut gehen nach Bethlehem
Erzählabschnitt: Orpa kehrt um, Rut geht mit Noomi, Ankunft in Bethlehem.
Unterrichtsgespräch: Ruts und Noomis Sorgen und Ängste vor dem Neuanfang. Stillarbeit: Die Kinder schreiben in Form eines Tagebucheintrags, wie es Rut am ersten Abend in Bethlehem geht: ihre Ängste und Sorgen.
Unterrichtsgespräch: Was kann Rut bei dem Neuanfang helfen? Auf Pappkarten werden Vorschläge gesammelt.
5. Stunde:
Rut sammelt Ähren auf Boas’ Feld
Erzählabschnitt: Rut geht auf Boas’ Feld und wird von Boas mit großer Güte behandelt (Zentrum: Boas und seine Arbeiterinnen essen mit ihr).
In Standbildern bzw. kleinen Szenen stellen die Kinder die Situation Ruts nach: Sie wird als Fremde zum Essen eingeladen.
In einem Tagebucheintrag (Text oder Bild) empfinden die Kinder nach, was Rut geholfen hat, sich nicht so fremd zu fühlen.
6. Stunde:
Rut und Noomi finden ein neues Zuhause: Rut wird Boas’ Frau
Erzählabschnitt: Erzählung der Gewitztheit von Noomi und des Mutes von Rut, die schließlich zur Hochzeit von Rut und Boas führen.
Unterrichtsgespräch: Was hat Rut und Noomi geholfen? Vergleich mit den Vorschlägen der Kinder aus der vierten Stunde (Pappkarten). Zuspitzung auf die Frage, welche Rolle Gott in der Geschichte gespielt hat, möglich.
Stillarbeit oder Partnerarbeit: Die Kinder schreiben einen weiteren Tagebucheintrag Ruts. Bei Arbeit mit der Psalmwortkartei können sie auch einen Dankpsalm schreiben.
7. Stunde:
Hausfest bei Boas
Es wird mit Saft und Keksen und evtl. einer besonderen Sitzordnung ein kleines Fest gefeiert. Hierbei können die Ergebnisse der letzten Stunde vorgelesen werden (Tagebucheintrag oder Dankpsalm). Die Geschichte wird noch einmal nacherzählt. Einige Kinder können in die Rolle von Rut, Noomi oder Boas schlüpfen und aus ihrer Sicht die Geschichte erzählen. Dies geht sowohl mit den Stabpuppen, als auch mit Tüchern, die Rut, Boas und Noomi präsentieren.2
2. Theologische Überlegungen zum Buch Rut
Es spricht vieles dafür, dass sowohl die Datierung der Geschichte in die Richterzeit, als auch der abschließende Stammbaum sekundär sind.
Die ursprüngliche Geschichte lebt davon, dass sie unter ganz normalen Menschen und nicht im Milieu der herrschenden politischen Klasse spielt. Dabei geht es nicht darum, ob sie historisch so stattgefunden hat, es geht vielmehr darum, mit dieser Erzählung Wahrheiten von allgemeinem Wert weiterzutragen.3 Sie ist in ihrer Anlage zeitlos, könnte also zu jeder Zeit stattfinden. Vielleicht wurde sie geschrieben zu einer Zeit, als Israel auf der Suche nach einer neuen nationalen Identität besonders auf die Abgrenzung gegenüber anderen Völkern bedacht war. Dies könnte z.B. die Zeit kurz nach dem Exil gewesen sein.4
Das Eingreifen Gottes in den Ablauf der Welt
Gott kommt in der Erzählung fast nur im Munde der handelnden Personen vor. Dies ist typisch für die Theologie des Rutbuches, die Gott nur an den Stellen als direkt Handelnden beschreibt, wo Menschen nicht eingreifen können (Ende der Hungersnot, Schwangerschaft von Rut).5 Dies ist Ausdruck der weisheitlichen Theologie des Rutbuches. Es geschehen keine Offenbarungsereignisse, wie sie in den Vätergeschichten und der Exodusüberlieferung erzählt werden. Gott handelt verborgen in der Welt, aber die Menschen rechnen mit seinem Handeln und deuten die Ereignisse im Nachhinein als sein Eingreifen. Dies wird besonders deutlich in den Klagen Noomis im ersten Kapitel (1,13.20f). Sie interpretiert ihr Unglück als Strafe Gottes. Andererseits bittet sie aber auch um Gottes Segen für ihre Schwiegertöchter (1,8) und für Boas (2,20). Die Fügung, dass Rut ausgerechnet auf ein Feld des Boas gerät, deutet Noomi als gütiges Handeln Gottes: "Gesegnet sei er [Boas] vom Herrn, der seine Güte nicht hat weichen lassen, weder von den Lebenden noch von den Toten."6 Hinter dem innerweltlichen Geschehen steht das Handeln Gottes. Dies ermöglicht den Menschen einen offenen Umgang mit diesem Gott in Klage und Dank.7
Vermittelte Güte Gottes
Gottes Handeln kommt erst durch Menschen voll zum Ausdruck, indem diese nämlich in seinem Sinne handeln. "Die Güte Gottes müssen jedoch die Menschen in ihrem alltäglichen Leben verwirklichen, damit sie für andere erfahrbar wird."8 Und genau davon handelt das Buch Rut: von der Güte Gottes, die von Menschen gelebt wird, die andere damit anstecken, so dass sie sich ausbreitet. Dies zeigt auch der Midrasch, den Zakovitch zitiert: " Und warum liest man dieses Buch Rut am Wochenfest? Weil das ganze Buch Rut nur von Güte handelt und weil auch die Tora nur Güte ist ... und sie wurde am Wochenfest gegeben."9
Offenheit und Toleranz gegenüber Ausländern
Ein weiteres Thema des Rutbuches ist die Ablehnung der Ausländerfeindlichkeit. "Das Buch Rut fordert Toleranz und Offenheit gegenüber Ausländern und Fremden und praktiziert dies beispielhaft."10
1.1 Exegetische Überlegungen zur 5. Stunde (Rut 2,1 – 18a)
Zur Abgrenzung der Perikope
Die Abgrenzung der Perikope widerspricht dem kunstvollen Aufbau des Kapitels. Sie hat vor allem didaktische Gründe. (Vgl. 4.4.) In der Gesprächssequenz zwischen Rut und Noomi in V 18-23 wird zum einen das Geschehen des nächsten Kapitels bereits vorbereitet. Zum anderen wird hier in den Worten Noomis das Thema des Eingreifens Gottes in den Lauf der Welt angesprochen. Diese Themenfülle würde aber eine Unterrichtsstunde sprengen. Deshalb lasse ich als Textgrundlage für die Unterrichtsstunde das abschließende Gespräch aus. Die Notiz, dass Rut Noomi die erfolgreiche Ernte zeigt, bildet den Abschluss. (V 18a) Die Gesprächssequenz zwischen Rut und Noomi wird in der folgenden Stunde aufgegriffen werden.
V 1-3: Das eröffnende Gespräch zwischen Rut und Noomi
Zu Beginn steht die Einführung der Person des Boas in die Handlung. Boas wird als Verwandter von Noomi vorgestellt und als vermögend beschrieben (V1). Dann folgt ein Gespräch zwischen Rut und Noomi (V 2-3), in dem Rut darum bittet, vom Recht des Ährensammelns Gebrauch zu machen, was Noomi ihr gestattet. Wenn Rut auch um Erlaubnis fragt, so ist doch sie diejenige, die hier die Initiative ergreift11. Das Recht des Ährensammelns muss hier kurz erläutert werden.
Zum Verständnis der Geschichte ist sowohl eine kurze Beschreibung der damaligen Erntetechnik notwendig, als auch eine Erläuterung der atl. Rechtspraxis zur Armenfürsorge. Die Ernte lief damals so ab, dass die Ähren in Bündeln zusammengefasst wurden und mit der Sichel geschnitten wurden. Dies wurde meistens von Männern ausgeführt. Die Frauen gingen hinterher, um die Büschel zu Garben zusammenzufassen, die dann später abtransportiert wurden, oder um die Ähren in ihre Schürzentasche oder Körbe zu sammeln. Zuletzt wurde "Nachlese" gehalten, d.h. es wurden die Ähren eingesammelt, die beim Abtransport vergessen worden waren.
Genau hier setzt nun das Gebot aus Lev 19,9-10 und Dtn 24,19 ein. Dort wird ausdrücklich die Nachlese verboten. Die vergessenen Garben sollen liegen bleiben für die Fremden, die Witwen und die Waisen. Und es sollen die Felder nicht bis in alle Ecken abgeerntet werden, damit etwas übrig bleibt für diejenigen, die keine andere Möglichkeit haben, sich selbst zu versorgen.12
Diese Gebote sind es, auf die sich Rut bezieht, wenn sie sagt: "Ich will auf das Feld gehen und Ähren lesen hinter jemand, in dessen Augen ich Gnade finde."13 Wobei durch den Nachsatz Ruts deutlich wird, dass das Recht des Ährensammelns in der Praxis wohl nicht immer eingeräumt wurde. Rut muss darum bitten, dass es ihr gewährt wird. Wie dies geschieht, wird erst rückwirkend im nächsten Abschnitt erzählt. In Vers drei wird zunächst nur berichtet, dass sie ihren Vorsatz sofort in die Tat umsetzt, was ihre Entschlossenheit und Initiative besonders unterstreicht.14
Die zentrale Szene auf dem Feld ist einer der zentralen Texte für das Thema der von den Menschen vermittelten Güte.
V 4-7: Boas kommt auf das Feld und spricht mit dem Vorarbeiter
Durch den Vorarbeiter erfährt Boas, dass die ihm unbekannte Frau auf dem Feld mit Noomi aus Moab gekommen ist, dass sie um Erlaubnis zum Ährensammeln gefragt hat und seit dem Morgen unermüdlich gesammelt hat, ohne sich eine Pause zu gönnen. Durch seinen Gruß (V 4) wird deutlich, dass er in seinem Inneren von Gott bestimmt ist und aus Gottes Güte heraus handelt.
V 8-13: Die erste Begegnung Ruts mit Boas
Daraufhin wendet sich Boas an Rut und bietet ihr besonderen Schutz an. Hiermit geht Boas über das gebotene, ethische Handeln hinaus. Sein Vorarbeiter hatte Rut bereits das Recht des Ährensammelns zugestanden, womit Boas’ Pflicht erfüllt gewesen wäre. Boas kümmert sich aber ganz besonders um Rut. Als diese in V10 verwundert nachfragt, womit sie diese Güte verdient habe, obwohl sie doch eine Ausländerin sei, antwortet Boas, dass er bereits von ihr und ihrem gütigen Handeln gegenüber Noomi gehört habe. Er bittet Gott, ihr dieses Handeln zu vergelten. Er lässt sich aber auch selber davon anstecken und handelt ihr gegenüber voller Güte. Er beginnt gewissermaßen gleich mit der Vergeltung an Gottes statt. "Die stille Aufforderung, die Sorge für eine gerechtere Welt auf Erden nicht schicksalsergeben Gott zu überlassen, sondern die von ihm geschenkte und erfahrene Güte (1,6 und die Ernte) weiterzuschenken – das ist eine zentrale Aussage der zweiten Szene"15, und dies kommt hier beispielhaft zum Ausdruck.
Ruts Worte wiederum zeigen, dass sie gefunden hat, was sie suchte, jemanden, in dessen Augen sie Gnade finden würde. Boas’ Worte haben sie getröstet und sie ermutigt16.
Die Güte des Boas, die über sein ethisch gefordertes Handeln hinausgeht, wird zum Ende der Szene auf dem Feld noch stärker sichtbar. Er lädt sie zum gemeinsamen Mittagessen aller Feldarbeiter ein. Während Rut sich dabei bescheiden an die Seite setzt, reicht er ihr höchstpersönlich das Essen, das so großzügig bemessen ist, dass sie noch etwas davon übrig behält.
V 15-17: Die Anweisung des Boas an die Erntenden
Und als Rut wieder an die Arbeit geht, weist Boas die Erntearbeiter an, dass sie Rut auch zwischen den Garben sammeln lassen sollen, ja dass sie sogar Ähren aus den Bündeln wieder herausziehen sollen, um sie für Rut liegen zu lassen. Rut kommt mit einem Scheffel voll Gerste nach Hause, eine Menge, die die Emsigkeit Ruts und die Großzügigkeit von Boas zeigen soll, denn sie wäre gar nicht von einer Person zu tragen.17
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die vermittelte Güte Gottes das zentrale Thema des zweiten Kapitels ist. Die Menschen in dieser Geschichte lassen sich hineinziehen in einen Kreislauf der Güte. Dass sie selber aus der Güte Gottes heraus leben, wird nur durch ihre Worte angedeutet (V4 und V12) und erst im deutenden Gespräch zwischen Rut und Noomi explizit gemacht (vor allem in V20). Das Thema der Offenheit gegenüber Fremden wird beispielhaft an der Person des Boas geschildert. Beide Themen sind von zentraler Bedeutung für die 5. Unterrichtsstunde.
1.2 Systematisch-theologische Überlegungen
Das Buch Rut erzählt eine Geschichte von Menschen, die Gottes Liebe im Herzen tragen und dementsprechend handeln. Sie handeln nicht aus einem Pflichtgefühl gegenüber den Geboten, sondern erfüllen die Gebote aus einem übervollen Herzen. Theologisch gesprochen ist dies das antwortende Handeln auf Gottes vorausgehende Gnade. Der Mensch, der sich von Gott erwählt weiß, handelt nun voller Freude in seinem Sinne.
Aber es werden auch materielle ethische Aussagen getroffen: das Recht des Fremden auf freundliche Behandlung und auf eine minimale Armenfürsorge werden hier vertreten. Durch die Erzählung wird deutlich, dass die religiösen Gebote den Zweck haben, soziale Sicherheit zu schaffen.
Beispielhaft dafür steht die Einrichtung des Ährensammelns. Ohne diese Rechtsbestimmung und ihre tatsächliche Umsetzung hätten Rut und Noomi vor dem Nichts gestanden. Ebenso wird das gütige Handeln des Boas, das über das gebotene Verhalten noch hinausgeht, als vorbildliches Verhalten dargestellt. Durch die literarische Form der erzählenden Novelle fehlt dem jedoch jegliche Form eines moralisierenden Untertones. Der Leser ist in der Geschichte gefangen und freut sich über das Verhalten des Boas gegenüber Rut. Im Zentrum steht die Güte des Boas gegenüber Rut. Sie ist das Leitmotiv des Handelns des Boas. Sie ist auch Antwort auf Ruts gütiges Handeln gegenüber Noomi. Es breitet sich ein Kreislauf der Güte aus, das Gegenteil zu einer Spirale der Gewalt.
Die Art und Weise, wie die Ruterzählung die ethischen Aussagen vermittelt, lässt sich als "narrative Ethik" bezeichnen. Ethik wird hier in Form einer Erzählung vermittelt, die beschreibt, wie ethisches Handeln aussehen könnte, nicht in Form von direkt auffordernden Geboten, wie etwa im Dekalog und anderen Gesetzessammlungen.
Der Leser wird eingeladen, sich anstecken zu lassen von dem gütigen Handeln der Hauptpersonen, indem er sich in der Erzählung mit ihnen identifiziert und sich auch mit ihnen darüber freut, dass sich alles zum Guten wendet. Das Lesen macht Freude und der Leser bekommt Lust, auch so zu handeln. Ethisches Handeln geschieht hier aus einer "Freude an dem, was sein soll"18 heraus.
3. Didaktische Überlegungen
Das Thema und der Lehrplan
Im Lehrplan kommt das Buch Rut nicht vor. Nach einer Einheit zu den Psalmen in Anlehnung an Ingo Baldermann und Rainer Oberthür, zu Beginn des 4. Schuljahrs, schien es mir sinnvoll, die in der Psalmeneinheit gewonnene neue Sprachkompetenz an einer biblischen Geschichte zu erproben. Da bot sich die Geschichte von Rut an. Das Schema der Psalmen, Klage, Erhörung, Lob lässt sich auch auf die Geschichte von Noomi und Rut übertragen. Hier lassen sich auch Elemente der Einheit zum Thema Geborgenheit und Angst aufgreifen. In der zweiten Stunde der Unterrichtseinheit sollen die Kinder z.B. einen Klagepsalm Noomis, also ein Gebet zu Gott formulieren (s.u. 5.1.), dies entspricht der Lernzielvorgabe, "Gebete gemeinsam frei formulieren"19.
Besonders interessant ist das Buch Rut aber auch aufgrund der Bezüge zur Lebenswirklichkeit der Kinder.
Das Thema bietet mehrere lebensrelevante Bezüge. In fast allen Schulklassen gibt es heute Aussiedlerkinder und Kinder ausländischer Eltern. Sie haben die Erfahrung des Fremdseins in einem anderen Land selbst kennen gelernt. Andere Kinder wissen, wie es ist, in eine neue Klasse zu kommen. Alle Kinder werden nach der vierten Klasse auf die Orientierungsstufe kommen und sich dort in einer neuen Klassengemeinschaft einleben müssen. Für alle Kinder bieten sich somit Identifikationsmöglichkeiten mit Rut. Eine besondere Parallele besteht vielleicht für die Kinder aus Aussiedlerfamilien: auch Noomi ist ja eine "Spätheimkehrerin", und Rut ergreift für sie die Initiative. Genauso wie ausländische Kinder oft für ihre Eltern übersetzen müssen, da sie besser deutsch können als ihre Eltern. Gerade für diese Kinder kann Rut eine positive Identifikationsfigur sein, die einerseits ihr Schicksal mutig in die Hand nimmt und andererseits von anderen viel Gutes erfährt.
Eine Mutmach- und Hoffnungsgeschichte für alle, die sich aufmachen, um Neues zu erobern. Deshalb soll in der Unterrichtseinheit Platz sein für die Ängste und Sorgen, die mit so einem Neuanfang verbunden sind, aber auch für das Hilfreiche und Gute, das einem dabei widerfahren kann. Auf diese Weise ist sie auch eine Vorbildgeschichte für den Umgang mit Fremden, die zu uns kommen.
Überlegungen zur Didaktik des Bibeltextes
Wie kann die biblische Geschichte von Rut im Unterricht ihren Platz finden?
Im Falle der Ruterzählung gibt die Gattung bereits einen Umgang mit dem Text vor. Sie will erzählt und nachempfunden werden. (Vgl. 3.1.2. und 3.2.). Von daher muss die Geschichte als Erzählung im Unterricht zu ihrem Recht kommen und es müssen Möglichkeiten gegeben werden, sie nachzuempfinden. Diese Geschichte, die unter ganz gewöhnlichen Menschen spielt, bietet sich dazu an, dass Kinder sich mit den Protagonisten identifizieren können. Entsprechend müssen die Methoden dazu gewählt werden.
Dieser Weg von der biblischen Geschichte zur Unterrichtsmethode entspricht Baldermanns bibeldidaktischem Ansatz. Er sagt: es kommt "darauf an, den didaktischen Weg aufzuspüren und zurückzuverfolgen, den die biblischen Texte selbst weisen"20.
Von daher liegt bei der Methodenwahl ein Schwerpunkt auf den didaktischen Überlegungen zur Lehrererzählung. Eine Erzählung ist als "Urform biblischer Sprache" die "angemessene Form ihrer Entschlüsselung und Erschließung". Zusätzlich entspricht sie dem "Bedürfnis von Kindern nach konkreter bildhafter Sprache und nach Identifikationsmöglichkeiten" 21.
Letztere erfordern allerdings Methoden der Vertiefung, die über die Erzählung noch hinausgehen, etwa szenisches Spiel, Malen, eigenes Nacherzählen etc. (Vgl. dazu 5.3.)
Das Ziel der Unterrichtsstunde
Für die fünfte Stunde habe ich zum Erzählabschnitt aus Rut 2,1-18a die Fokussierung auf die Frage, "Wie können Fremde Heimat finden?" gewählt. In der Identifikation mit Rut sollen die Kinder erfahren, was dieser geholfen hat, in der Fremde heimischer zu werden: die soziale Absicherung und die überaus freundliche Aufnahme des Boas, der Rut sehr viel mehr Güte zuteil werden lässt, als das Gesetz es von ihm fordert, sowohl in materieller als vor allem auch in menschlicher Hinsicht. Den Schwerpunkt bildet für mich dabei die Einladung zum Essen, bei der Rut "aufgenommen" wird in den Kreis der Einheimischen.
Entsprechend der narrativen Ethik des Textes soll dabei bewusst auf einen moralischen Ton verzichtet werden. Das Ziel der Stunde ist nicht die explizite Aufforderung, gegenüber Fremden genauso zu handeln wie Boas. Der Clou der Geschichte liegt gerade darin, dass Boas nicht auf eine Aufforderung hin handelt, sondern sich von Rut anstecken lässt zu gütigem Handeln. Deshalb ist das klar beschreibbare Ziel der Stunde lediglich, dass die Kinder die Geschichte kennen 4.
4. Methodische Überlegungen
4.1 Der Ablauf der Unterrichtsstunde mit Begründung der Auswahl der Methoden und Medien
Einstieg
Als Einstieg in den Unterricht sollen die Kinder berichten, worum es in der letzten Unterrichtsstunde ging: um Ruts Ängste und Sorgen im Blick auf den Neuanfang im fremden Land und um das, was Rut diesen Anfang erleichtern könnte. Als Impuls werde ich die Pappkarten mit den Ergebnissen der letzten Unterrichtsstunde an die Tafel hängen. Darauf stehen Vorschläge, was Rut helfen könnte, damit sie in Bethlehem heimisch wird. Dieser kurze Einstieg dient dazu, dass die Kinder sich an Ruts Situation erinnern und ihre möglichen Gefühle in der Situation des Fremdseins nachempfinden.
Erzählen und Erarbeiten der biblischen Geschichte
Danach wird im Stuhlkreis die biblische Geschichte erzählt. Der Stuhlkreis eignet sich besonders als Sozialform für die Erzählung der biblischen Geschichte. Zum einen ist die Unterrichtende den Schülern näher, zum anderen können sie aufmerksamer zuhören, da sie nicht durch Gegenstände auf ihrem Tisch abgelenkt werden. In dieser Stunde eignet sich der Stuhlkreis besonders, da sich in ihm die Szene gut nachstellen lässt, in der Boas Rut zum Essen einlädt (s.u.).
Um den Bibeltext nahezubringen, wird als Methode vor allem die Lehrererzählung eingesetzt. Dies liegt aufgrund der Gattung der biblischen Vorlage nahe. Die Exegese hat bereits ergeben, dass dieser Text durch das Nachempfinden der Erzählung verstanden werden will.22 Deshalb soll den Kindern während der Erzählung die Möglichkeit gegeben werden, Rückfragen zu stellen oder eigene Erfahrungen mit einzubringen. Als besonderes Mittel der Erzählung werden Stabpuppen eingesetzt für Noomi, Rut, Boas und den Knecht (Siehe 5.3).
Innerhalb der Lehrererzählung soll die Geschichte unterbrochen werden, um einen aktuellen Bezug zu ermöglichen. Die Erzählung beginnt mit einem Gespräch zwischen Noomi und Rut, in dem Noomi das Recht des Ährenlesens erklärt. Im Anschluss daran erfolgt der erste Einschnitt, in dem die Kinder sich überlegen sollen, ob es heute ähnliche Regelungen gibt, die dafür sorgen, dass Menschen ohne Einkommen nicht verhungern müssen (Sozialhilfe, "Tafeln", Altkleidersammlungen u.ä. können hier genannt werden, werden eventuell auch von dem Unterrichtenden erwähnt, falls sie den Kindern nicht bekannt sind). Es geht darum, dass den Kindern bewusst wird, dass es solche Einrichtungen auch heute gibt.
Danach geht die Erzählung weiter mit dem Gespräch zwischen dem Knecht und Boas, das Ruts Fürsorge für Noomi und ihre Initiative beim Ährensammeln zum Inhalt hat. Daran schließt sich das Gespräch zwischen Boas und Rut an, in dem zum Ausdruck kommt, dass Boas ihr sehr viel mehr zugute kommen lässt als vorgeschrieben23, aber auch, dass Rut dies gar nicht erwartet, da sie doch eine "Fremde" ist. Schließlich gipfelt die Erzählung darin, dass Boas Rut zum Essen einlädt.
Im Anschluss an die Erzählung soll nun mit Hilfe eines Standbildes und einer kleinen Spielszene nachempfunden werden, was diese Einladung für Rut bedeutet.
Zunächst wird die Situation von Rut vor der Einladung dargestellt. Die Kinder geben selbst die Regieanweisungen: z.B.: ein Kind geht mit einem umgehängten Tuch (siehe 5.3.), das Rut symbolisiert, aus dem Stuhlkreis hinaus, so dass ein Stuhl frei wird. Die Situation wird kurz als Standbild festgehalten: Rut steht draußen, während alle anderen zusammensitzen und essen. Nun werden die Kinder gefragt: "Was bedeutet das für Rut, draußen zu stehen? Wie fühlt sie sich? Wie fühlt ihr euch im Kreis?" Auch das Kind, das Rut darstellt, kann sagen, wie es sich fühlt.
Es folgt eine kleine Szene, in der die Einladung des Boas dargestellt wird: Ein anderes Kind, das Boas spielt, ruft Rut zum Essen in den Kreis hinein. Sie setzt sich in den Stuhlkreis hinein. Auch hier geben die Kinder wieder selber Regieanweisungen, wie gespielt werden soll. Die anderen Kinder sollen nun Beobachtungen austauschen. Wieder folgt ein Gespräch darüber.
Es schließt sich nun ein Unterrichtsgespräch im Sitzkreis an, in dem die Kinder überlegen sollen, was Rut wohl am meisten geholfen hat in der Situation, als sie fremd war. Sie können dabei auf die ganze Geschichte zurückgreifen. Dabei wäre zu erwarten, dass die Kinder die materielle Hilfe durch das Getreide nennen, die Freundlichkeit von Boas, dass Boas überhaupt mit ihr redet, dass er sie schließlich zum Essen einlädt, so dass sie dazugehört.
Während der Erzählpausen, aber auch während des Unterrichtsgesprächs können die Kinder eigene Erfahrungen mit dem Fremdsein einbringen. Dies wird sich wahrscheinlich von allein ergeben, lässt sich aber ggf. auch durch gezielte Fragen steuern. Im Vordergrund stehen jedoch zunächst das Nachempfinden von Ruts Situation und das Wiederholen der Geschichte.24
Vertiefung
Als Vertiefungsphase folgt eine Stillarbeitsphase, in der die Kinder das in der letzten Stunde begonnene Tagebuch von Rut um einen Eintrag ergänzen. Aus der Sicht von Rut sollen sie aufschreiben oder wahlweise aufmalen, was ihr an diesem Tag geholfen hat, sich in Bethlehem heimischer zu fühlen.25 Die Wahl der Methode ist hier durch verschiedene Faktoren bestimmt. Zum einen habe ich die Beobachtung gemacht, dass den Kindern die Aspekte einer Geschichte, die sie malen oder aufschreiben, besonders in Erinnerung bleiben. Das Malen ist besonders für die Aussiedlerkinder hilfreich, die noch große Probleme mit der Sprache haben. Gerade sie sind in dieser Stunde ganz besonders angesprochen. Sie kämen in einer auf das Gespräch zielenden Vertiefung nicht zum Zuge. Besonders für sie habe ich die Aufgabe erweitert auf Malen oder Schreiben. Die Möglichkeit, zwischen verschiedenen Methoden zu wählen, hat sich auch bei Freiarbeitsphasen mit der Psalmwortkartei bewährt.
Abschluss
Als Abschluss dieser Phase dürfen drei bis vier Kinder ihre Bilder oder Texte präsentieren. Dies dient der Zusammenfassung und auch der Würdigung der Schülerarbeiten. Hier wäre ein Abschluss der Stunde möglich.
Falls noch Zeit ist, können die Sch die Tagebucheinträge mit den Vorschlägen auf den Pappkarten an der Tafel vergleichen. Es ginge dann darum zu sortieren, was Rut von den Vorschlägen nun tatsächlich erlebt hat. Wichtig wäre dabei allerdings, dass die Vorschläge, die nicht in der Geschichte vorkommen, dennoch als legitime Möglichkeiten gewertet werden. Eventuell müssten die Karten auch ergänzt werden um Aspekte aus der Rutgeschichte, die noch nicht auf Karten stehen.
Falls die Zeit dazu nicht mehr ausreicht, wäre dies auch ein guter Einstieg für die Wiederholungsphase in der nächsten Stunde.
4.2 Die Medien
Die Pappkarten
Die Vorschläge, was Rut den Neuanfang in Bethlehem erleichtern könnte, sind in der letzten Stunde auf Pappkarten (DIN A3 längs durchgeteilt) gesammelt worden, die mit Magneten an der Tafel befestigt werden können. So können die Ergebnisse der letzten Stunde als Einstiegsimpuls für diese Stunde dienen. Sie haben gegenüber einem Tafelanschrieb überdies den Vorteil, dass sie beliebig umgruppiert werden können.
Die Stabpuppen
Die Stabpuppen eignen sich zum Erzählen sehr gut, da die Unterrichtende als Erzählerin zurücktreten und die Figuren sprechen lassen kann. Die Figuren können auch in ein Gespräch mit den Kindern eintreten. Die ganze Erzählung wird auf diese Weise sehr dialogisch angelegt sein und damit plastischer. Außerdem bleibt die Geschichte den Kindern durch die Verbindung mit Figuren, die sie vor Augen haben, besser im Gedächtnis.
Die Lehrererzählung26
Die Anlage der Lehrererzählung folgt nicht dem kunstvollen Aufbau der biblischen Erzählung. Vor allem am Anfang ist ein Dialog zwischen Noomi und Rut eingefügt, in dem Noomi das Recht das Ährenlesens beschreibt. Auf diese Weise werden diese Informationen auch in erzählter Form vermittelt und ein Lehrervortrag vermieden.
Der Inhalt von V15-17 wird vor das Gespräch zwischen Rut und Boas und das gemeinsame Essen (V8-14) gezogen. Somit steht dies nicht mehr im Zentrum der Erzählung, sondern am Ende. In der biblischen Erzählung diente der symmetrische Aufbau dazu, den theologischen Höhepunkt der Geschichte zu markieren. In der Erzählung wird dies dadurch erreicht, dass diese Szene am Ende steht. Das hat zudem den Vorteil, dass die weiteren Unterrichtsschritte (Standbild, Unterrichtsgespräch) daran anschließen können.
Der Wortlaut der Erzählung ist z.T. entlehnt aus der "Guten Nachricht", der Aufbau wurde angeregt durch die Erzählung bei H. K. Berg.27
Die Tücher
Die Tücher haben die gleichen Farben wie die Kleider der Stabpuppen von Rut und Boas. Sie fördern als einfache Verkleidung das Nacherleben der Rollen von Rut und Boas.
Das Tagebuch
Das Tagebuch besteht aus drei gefalteten DIN-A-4-Blättern, so dass ein kleines Heft entsteht. Das äußere Blatt ist bunt und mit der Aufschrift "Ruts Tagebuch" versehen. Es wird in drei aufeinanderfolgenden Stunden (Stunde vier, fünf und sechs) durch Einträge gefüllt, so dass die Kinder zum Schluss ein Erinnerungsheft an die Rutgeschichte mit nach Hause nehmen. Zudem haben die Vertiefungsaufgaben so einen etwas spielerischen Anstrich. Wenn sie auf dem Kieser-Block aufschreiben würden, was Rut geholfen hat, hätte dies einen stärker schulischen Anstrich.
Skizze des Unterrichtsverlaufes
Datum: 17.01.2001 Thema der Unterrichtseinheit: Rut
Thema der Unterrichtsstunde: Wie können Fremde Heimat finden
Klasse 4b
Ziel der Stunde: Die Sch sollen anhand der Geschichte von Rut nachempfinden, dass Freundlichkeit und Güte den Menschen helfen, in der Fremde heimisch zu werden.
Lernschritt/ Phase | Inhalt | Medium | Methode/ Sozialform | geplantes Verhalten der Lehrerin | erwartetes Verhalten |
Begrüßung | |||||
Hin- | Was kann Rut Ein- | Bunte Tonkarton- | Unterrichts- | Bittet die Schüler / innen,
| Erzählen, berichten ( allein sein, und was ihr helfen könnte: ("wenn mir Men- "eine Wohnung |
Er- | Rut 2,1-18a | Stabpuppen | Lehrer- kurzes
Lehrer- | Dialog zw. Rut und Noomi Unter- Ergänzt evt. Erzählt, wie | Hören zu dürfen Zwischen- nennen Beispiele: Sozialhilfe, Brot |
Was hat | Standbilder | Szene, in der Boas Rut zum Essen einlädt Sch werden aufgefordert Im Rückblick | 2 Sch stellen Rut die anderen und berichten dass Boas mit ihr gesprochen hat, | ||
Ver- | Tagebuch- | Ruts | Stillarbeit | Erklärt die Aufgabe: Rut schreibt | malen, schreiben Möglicher Beginn |
Sicherung | Präsen- | Unterrichts- | Schüler zeigen | ||
Sicherung II | Vergleich von Schüler- | Tonkarton- | Unterrichts- | Fragt, welche | Sch können Vor- |
Abschluss | Sagt, dass Stunde zu Ende ist, verweist |
Rut auf den Feldern des Boas An einem der ersten Tage in Bethlehem: Rut: Als wir in Bethlehem ankamen, da kamen viele Frauen, die Noomi noch von früher kannten. Aber Noomi war ganz traurig. Und sie machte sich Sorgen, wovon wir leben sollten. Ich habe auch überlegt, was wir machen könnten. Die Hungersnot war längst vorbei. Es gab wieder Getreide und es war sogar gerade die Zeit der Gerstenernte, als wir ankamen. Aber das Land hatten Noomi und Elimelech damals ja verkauft. Wir konnten also kein eigenes Getreide ernten. Auf der Straße hörte ich dann, dass es ein Recht in Juda gab, das "Recht des Ährensammelns" heißt. Habt ihr davon schon mal gehört? – Ich auch nicht. Also habe ich Noomi gefragt: Sag mal Noomi, was ist das "Recht des Ährensammelns" eigentlich? Noomi: Oh, das ist ein altes Recht in Juda. Ihr wisst doch, was eine Ähre ist, oder? Wenn die Bauern nun ihr Getreide ernten, dann gehen sie immer hin und schneiden die Ähren in großen Bündeln ab. Mit der einen Hand fassen sie viele Halme zusammen und mit der anderen Hand schneiden sie sie ab. Das sind die Schnitter. Die Frauen gehen dann hinterher und binden die einzelnen Bündel zu großen Garben zusammen. Die werden dann später abtransportiert. Aber natürlich fallen auch immer Ähren auf den Boden und bleiben zwischen den Garben liegen. Und das Recht des Ährensammelns sagt jetzt, dass die Erntearbeiter diese Ähren, die liegen bleiben, nicht einsammeln sollen. Sie sollen liegenbleiben, damit Menschen, die kein eigenes Land haben und auch kein Geld haben, sie aufsammeln können. Außerdem sollen die Bauern auch am Rand des Feldes ein bisschen Getreide stehen lassen, für diejenigen, die anders nichts zu essen bekämen. Das Recht gilt besonders für Witwen und Waisen und für Fremde. Rut: Aber das sind wir ja: wir sind Witwen, unsere Männer sind gestorben, und wir sind Fremde, oder ich zumindest bin eine Fremde. Dann kann ich doch auf ein Feld gehen und dort etwas Getreide für uns sammeln. Noomi: Na, so einfach ist das nicht. Das ist zwar ein Recht in Juda, aber es halten sich nicht alle daran. Rut: Ich werde gehen und gucken, dass ich jemanden finde, der mir erlaubt, dass ich auf seinem Feld die Ähren sammle. Mensch, ihr Kinder, könnt ihr euch vorstellen, wie froh ich war, als ich das gehört habe. Wie gut, dass es so ein Gesetz in Juda gibt. Sonst müssten Leute wie Noomi und ich ja glatt verhungern, wenn sie neu in ein Land kommen oder wenn sie ohne eigene Schuld in Not geraten!! Gibt es so was bei euch auch? Gibt es das auch, dass die, die genug haben, etwas abgeben für andere, die nicht genug haben? Erwartete Antworten: Gesetz: Sozialhilfe; Wo Menschen von dem abgeben, was sie haben: Altkleidersammlungen, Uelzer Tafel (kennen Kinder vielleicht nicht, sonst erzähle ich es ihnen), Brot für die Welt u.ä. Boas: Ich bin Boas. Ich bin ein Verwandter von Noomi, und ich besitze in Bethlehem einige Felder. Ich bin sehr wohlhabend. Auf meinem Hof arbeiten viele Menschen. Es ist gerade Erntezeit, und ich habe viele zusätzliche Arbeiter, die mir bei der Ernte helfen. Jetzt bin ich gerade auf das Feld gegangen, um zu sehen, wie die Ernte vorangeht, und da habe ich gesehen, dass hinter den Erntearbeiterinnen, die die Garben binden, eine junge Frau geht und Getreideähren einsammelt. Ich habe die noch nie gesehen. Wer das wohl ist? Na, da werde ich wohl mal meinen Knecht fragen, der für die Erntearbeiter zuständig ist. Hallo Aaron, wer ist denn die junge Frau, die da Getreideähren aufsammelt? Aaron: Das ist die Moabiterin, die mit Noomi aus Moab gekommen ist. Sie ist morgens gekommen und hat gefragt, ob sie die Ähren aufsammeln darf, die unsere Leute liegen lassen. Und nun sammelt sie schon den ganzen Vormittag. Jetzt hat sie zum ersten Mal eine Pause gemacht und sich in den Schatten gesetzt. Boas: Da war ich vielleicht erstaunt! Von Noomis Rückkehr hatte ich schon gehört. Und auch von Rut, der Moabiterin, die mit Noomi gekommen war. Ich finde das sehr mutig von ihr, in ein fremdes Land zu gehen, wo sie niemanden kennt. Das zeigt, dass sie Noomi wirklich sehr gern hat. Sie müssen wirklich gute Freundinnen sein. Zu Aaron: Hindert sie nicht am Sammeln. Im Gegenteil, zieht aus den Bündeln, die ihr geschnitten habt, Ähren wieder heraus und lasst sie für Rut liegen. Zu sich: So ein Zufall, dass sie auf meinem Feld gelandet ist. Es lassen ja nicht alle Ähren aufsammeln. Na, ich werde sie mal ansprechen. Zu Rut: Hallo, ich bin Boas, der Besitzer der Felder hier. Ich gebe dir einen Rat: geh nicht auf ein anderes Feld, um dort Ähren zu sammeln. Halte dich an meine Knechte und Mägde, ich werde ihnen sagen, dass sie dich nicht hindern sollen. Und wenn du Durst bekommst, dann geh hin und trinke etwas. Rut: Wie kommt es, dass du so freundlich zu mir bist? Ich bin doch eine Fremde. Boas: Ich habe gehört, was du alles für Noomi getan hast: du hast deinen Vater und deine Mutter und deine Heimat verlassen und bist mit ihr zu einem Volk gegangen, das du vorher nicht kanntest. Du hast Noomi viel Liebe und Güte geschenkt. Gott möge dich reich beschenken. Rut: Du bist sehr freundlich zu mir. Du hast mich getröstet und mir Mut gemacht. Zu den Kindern: Dann ging Boas wieder weg. – Aber stellt euch vor, zur Essenszeit, da kam er wieder zu mir und sagte: Boas: Komm zu uns, iss von dem Brot und tauche es in die Suppe. Rut: Also habe ich mich zu den Mägden gesetzt, ganz an die Seite, aber Boas hat mich in den Kreis geholt zu den andern. Und er hat mir selber etwas zu essen gegeben. |
Anmerkungen
- Diese Unterrichtsstunde wurde im Rahmen des 2. theologischen Examens als Unterrichtsentwurf vorgelegt.
- Die Anregung dazu stammt aus dem Plan für den Kindergottesdienst, hrsg. vom Gesamtverband für Kindergottesdienst in der EKD, Stuttgart 1994, 188.
- Vgl. Frevel, 11ff und 35.
- Vgl. Frevel, 27-30. Gegen Fischer, 65 und Zakovitch, 38ff, die in dem Buch eine bewusste Polemik gegen die Gegner von Mischehen im nachexilischen Juda sehen, denen eine moabitische Urgroßmutter von König David den Wind aus den Segeln nehmen soll.
- Vgl. Fischer, 41.
- Übers. in Anlehnung an Zakovitch, 125.
- Vgl. zum ganzen Abschnitt, Frevel, 38f; Fischer, 40f.
- Fischer, 41.
- Zakovitich, 70.
- Frevel, 38.
- Vgl. Fischer, 160, und Zakovitch, 106.
- Vgl. Zakovitch, 42f und Fischer, 160ff.
- Übers. Fischer, 268.
- Vgl. Zakovitch, 110.
- Gemeint ist hier das Gespräch zwischen Rut und Boas V 8-13. Frevel, 79.
- Vgl. Fischer deutet die Wendung "jemandem zu Herzen reden" als "Sprache des Herrschers... an seine Untertanen..., um sie zu ermutigen", 181.
- 39 Liter, vgl. Fischer, 184.
- Stock, a.A.O..
- Rahmenrichtlinien, 17.
- Baldermann, Ingo, Die Bibel – Buch des Lernens, Göttingen 1980, 17. Zit. nach: Lämmermann, 156.
- Lämmermann, 158. Hervorhebung vom Autor.
- Vgl. auch die Überlegungen zur narrativen Ethik unter 3.2.
- Hier werde ich die Anweisung des Boas an die Knechte, die im Bibeltext erst nach dem Essen erfolgt (V15-17), bereits vorziehen.
- Vgl. dazu auch die Überlegungen unter 4.3.
- Mögliche Formulierung des Arbeitsauftrages: "Stellt euch vor, dass Rut sich abends überlegt, was ihr am meisten geholfen hat an diesem Tag. Sie macht einen Eintrag in ihr Tagebuch. Vielleicht schreibt sie einen Text, oder sie malt ein Bild, oder sie macht beides. Ihr dürft euch aussuchen, was ihr machen wollt. Wichtig ist, dass ihr euch überlegt, was Rut geholfen hat, dass sie sich in Bethlehem schon ein bisschen mehr zu Hause fühlt."
- Vgl. M1.
- Vgl. Berg, 200-201.
Literaturverzeichnis
- Barth, Karl, Das Geschenk der Freiheit, Grundlegung evangelischer Ethik, Zürich 1953 (Theologische Studien, Heft 23, hrsg. v. K. Barth).
- Berg, Horst Klaus, Altes Testament unterrichten. Neunundzwanzig Unterrichtsentwürfe, München/Stuttgart 1999.
- Diess., (Hrsg.), Methodisches Kompendium für den Religionsunterricht, 3. Aufl., Göttingen 1998 (Methodisches Kompendium).
- Fischer, Irmtraut, Rut, Freiburg i.Br., Basel, Wien, 2001 (HThKAT).
- Frevel, Christian, Das Buch Rut, Stuttgart 1992 (Neuer Stuttgarter Kommentar; Altes Testament; 6).
- Lachmann, Rainer/ Adam, Gottfried (Hrsg.), Religionspädogisches Kompendium, 5.neubearb. Aufl., Göttingen 1997 (Religionpädagogisches Kompendium).
- Luther, Martin, Von den guten Werken, in: Luther deutsch. Die Werke Martin Luthers in neuer Auswahl für die Gegenwart, hrsg. v. K Aland, Bd. 2, Der Reformator, 95-196.
- Meyer, Hilbert, Unterrichtsmethoden, Frankfurt a. M. 1987.
- RPI Loccum, Reader zum Religionspädagogischen Lehrgang II, dritte, überarb. Fassung 2001.
- Stock, Konrad, Freude an dem, was sein soll, in: Gute Werke, hrsg. v. W. Härle, Marburg 1993, 41-61 (Marburger Theologische Jahrbücher, Bd. 5).
- Zakovitch, Yair, Das Buch Rut. Ein jüdischer Kommentar, Stuttgart 1999 (Stuttgarter Bibelstudien; 177).
- Zenger, Erich, Einleitung in das Alte Testament, 3., neu bearb. und erw. Aufl. – Stuttgart, Berlin, Köln 1998 (Kohlkammer Studienbücher Theologie; Bd. 1,1).