Besuche bei Familien zu Beginn der Arbeit mit Konfirmandinnen und Konfirmanden
Seit einer Reihe von Jahren besuchen mein Mann und ich in den Sommermonaten die Familien der frisch beginnenden Konfirmandinnen und Konfirmanden. Im folgenden stelle ich unsere Erfahrungen und die Effekte für die Gemeindearbeit vor, darüber hinaus erläutere ich einige organisatorische Fragen. Durch einen zwischenzeitigen Stellenwechsel können wir sowohl von Besuchen im städtischen Kontext mit kleinen Konfirmandenzahlen berichten, als auch von solchen auf dem Lande mit stärkeren Jahrgängen.
Der Auslöser
Auslöser für diese nachgehende Arbeit war die Situation einer vergleichsweise sehr säkularisierten Gemeinde am Rande Bremerhavens, in der Jugendliche der siebten Klassen weder durch ihr Elternhaus noch durch MitschülerInnen in ihren Klassen darauf aufmerksam wurden, dass es vielleicht an der Zeit wäre, sich mit der Frage "Konfirmandenunterricht – ja oder nein" auseinander zu setzen. So rief uns im November ein Vater an und fragte, ob er denn seine Tochter bei uns zur Jugendweihe "oder wie das heißt" anmelden könne. Er war recht erstaunt, dass der Unterricht für den Jahrgang seiner Tochter längst begonnen hatte und dass dieser außerdem über 1 Jahr ging und mitnichten mit einer Jugendweihe abschloss. Diese Jugendliche war in einer Klasse, in der kaum andere evangelisch sozialisierte Kinder waren, so dass sie einfach in ihrem Lebensumfeld nicht mitbekommen hatte, dass es wohl soweit wäre.1
Unsere Erfahrungen
Aus diesem Grund begannen wir, alle aufgrund unserer Gemeindegliederkartei in Frage kommenden Jugendlichen und ihre Eltern zu besuchen. Unsere Erfahrungen damit sind durchweg positiv. Unabhängig davon, ob wir angemeldet oder unangemeldet kamen, öffneten uns Elternteile meist sehr wohlwollend die Türen, hießen uns etwas erstaunt willkommen. Sie klärten ihre Fragen und äußerten ihre Bedenken und Einwände, etwa zu einer geplanten großen Seminarfahrt.
Häufig sind unsere Gesprächspartnerinnen die Mütter, manchmal aber auch die ganze Familie. Sie nutzen die Gelegenheit, uns ihre familiäre Situation zu erläutern (alleinerziehend; Patchworkfamilien; Neubürger). Auf unsere behutsame Nachfrage erfahren wir auch das berufliche Umfeld der Eltern, häufig werden auch wenigstens Andeutungen gemacht, warum Elternteile aus der Kirche ausgetreten sind.
Oft wurde beim Abschied ein spontaner Dank geäußert für diesen wahrnehmenden Besuch.
Die betroffenen Jugendlichen selbst waren nicht immer bei den Gesprächen dabei. Die meisten verhielten sich eher zurückhaltend neugierig, schauten kurz vorbei und hatten geringe Gesprächsanteile.
Die Kirchenvorstände meldeten eine positive Resonanz dieser Besuche zurück.
In einzelnen Fällen erfuhren wir nur kurz an der Haustür, dass der Jugendliche kein Interesse an der Konfirmandenarbeit hat oder z.B. woanders den Unterricht besucht. Doch auch in diesen Fällen herrschte für uns nach dem Besuch Klarheit über die Gründe des Nichterscheinens. Vorher hatten wir oft nur raten können, warum bis zur Hälfte eines Karteijahrgangs sich nicht anmeldete.
Für uns selbst hatte durch diesen Beginn in der Konfirmandenarbeit jeder Jugendliche mehr als ein Gesicht. Es fiel uns wesentlich leichter, die Namen zu lernen. Wir verbinden seitdem mit jedem Konfi eine Wohnung, eine Familie, eine bestimmte Atmosphäre.
Effekte für die Konfirmandenarbeit
Durch diese gewisse Kenntnis des sozialen Umfeldes einer Jugendlichen kann ich ihre Stärken und Schwächen im Unterricht besser verkraften und aufgreifen.
Zum Beispiel wurde mir bereits in der Vorbereitung auf einen neuen Jahrgang mehrmals stöhnend von einem gewissen Jungen erzählt. Nachdem ich seine Familie kannte, wunderte mich gar nichts mehr. Wenn er störte, brachte ich ihm weniger Ärger und mehr Verständnis entgegen, gelegentlich gelang es uns beiden, seine Stärken gut zum Tragen zu bringen. Auch für die Wahl und Gestaltung der Themen im Unterricht ist die Kenntnis des familiären Umfeldes der Konfirmandinnen und Konfirmanden von Belang. Welche Konflikte beschäftigen sie, aber auch welche Fähigkeiten und Kenntnisse könnten für den Unterricht fruchtbar gemacht werden.2
Zum Beispiel erfuhr ich von einem katholischen Vater, der sich früher lange als Messdiener engagiert hatte. So ist der Besuch in der katholischen Kirche mit seiner Führung bereits fest in die Konfirmandenarbeit eingeplant.
Effekte für die Gestaltung von Gottesdiensten
Als noch weitaus größer empfinde ich die Folgen für die Vorbereitung von Gottesdiensten. Jedenfalls in den dörflich geprägten Gemeinden, in denen wir inzwischen arbeiten, ist der verbindliche Charakter des Gottesdienstbesuches der Konfirmandinnen und Konfirmanden sehr hoch und zieht auch immer wieder einige Elternteile mit in die Kirche, so dass an durchschnittlich besuchten Sonntagen etwa ein Viertel bis zu einem Drittel der Gottesdienstfeiernden aus Konfirmandenfamilien bestehen.
Dies hat nicht nur Auswirkungen auf die Sprache der Gebete und die Auswahl der Lieder, auch die Konkretionen in der Predigt können auf das schwierige Zusammenleben von drei Generationen, die Pflegebedürftigkeit von Großeltern oder den allgegenwärtigen Streit der pubertierenden Geschwister eingehen.
Ich wundere und ärgere mich seitdem nicht einmal mehr über das Nichterscheinen einiger Eltern im Gottesdienst, weil ich um ihren Schichtdienst oder selbständige Berufstätigkeit weiß. Und schließlich ist es für uns als noch relativ "Neue" in einer Gemeinde auch wunderbar, Menschen im Gottesdienst wiederzuerkennen und mit Namen ansprechen zu können.
Effekte für den Gemeindeaufbau
In diesem Bereich sehe ich fast die größten Erfolge der besuchenden Arbeit. Wir lernen eine Altersgruppe kennen, die für das Funktionieren unserer Kirche durch ihre Steuern oder ihr Kirchgeld in glaubensverschiedenen Ehen viel beitragen, aber in der Gemeindearbeit kaum vorkommen. Wie auch bei Seniorengeburtstagsbesuchen wird der Besuch einer Pastorin in der Regel als eine Wertschätzung erlebt.
Selbst den Aspekt der "Gelegenheitsseelsorge" finde ich nicht zu unterschätzen: Wie geht es der Oma, deren Mann ich vor einem Jahr beerdigt habe? In einem solchen Sinne der Kontaktpflege kann ich mir diese Besuche selbst dann noch gut vorstellen, wenn ich schon viele Jahre in derselben Gemeinde arbeite.
Ich lerne auch die Fähigkeiten und (mit sehr viel Glück selbst) die Bedürfnisse von Gemeindegliedern kennen. Nicht nur, dass ich besser weiß, wen ich für handwerkliche Dinge oder zum Kuchenbacken für eine Gemeindeveranstaltung ansprechen kann. Auch Talente, um beispielsweise den Weltgebetstag mitvorzubereiten, lassen sich entdecken. Ich ahne, wen ich anstubsen kann, um das Wort der Eltern im Konfirmationsgottesdienst zu sprechen, und vor der nächsten Kirchenvorstandswahl ist mir nur halb so bang, denn bei so vielen Konfirmandenjahrgängen bis dahin wird sich auch die eine oder der andere Kandidat/in finden.
Organisation
Wir beginnen mit der Konfirmandenarbeit erst ca. vier Wochen nach Unterrichtsbeginn in der Schule. So haben wir in und außerhalb der Sommerferien ausreichend Zeit für Besuche. In der Stadtgemeinde mit sehr kurzen Wegen und kleinen Konfirmandenzahlen sind wir unangemeldet gekommen. Als Tageszeit bietet sich der späte Nachmittag und der frühe Abend an. Der Nachteil liegt auf der Hand: manchmal ist eine häufige Wiederkehr nötig. In den jetzigen Dorfgemeinden mit Konfirmandenjahrgängen zwischen 25 und 37 Jugendlichen entwickelten wir folgendes Verfahren: In der Zeitung und/oder durch persönliches Anschreiben werden die Familien um einen Anruf zur Bürozeit gebeten. Unsere Sekretärin sprach dann einen Besuchstermin ab. Für jeden Ortsteil hatten wir zwei Nachmittage/frühe Abende im Terminkalender reserviert, die Termine wurden möglichst zusammenhängend und im Halbstundentakt vereinbart. So war das Projekt für uns zeitlich überschaubar, die Wege von einem Termin zum anderen innerhalb des jeweiligen Ortsteils kurz.
Die Verbindlichkeit ist hoch, so dass Menschen, die eine Terminänderung wünschten, erneut anriefen und auch wir Termine durch die Auflistung von Adresse und Telefonnummer unproblematisch ändern konnten.
Eine halbe Stunde ist ein manchmal knapper, aber machbarer Zeitrahmen. Freundlicherweise brauchte ich mich auch nicht durch Kuchenberge zu futtern.
Wir bringen immer einiges als "Mitbringsel" ins Haus. Ein Infobrief mit allen nötigen Hinweisen zur Konfirmandenarbeit, die Anmeldung und eine Einladung zum Begrüßungsnachmittag und –gottesdienst. Für den nächsten Jahrgang überlegen wir auch ein Buch zu verschenken, das den Gottesdienst auf ansprechende Art erklärt.
Gegenargumente und was nicht geleistet wird
Natürlich kostet eine solche nachgehende Arbeit Zeit. Uns ist es diese Zeit wert, diese Entscheidung muss jedoch jede und jeder selbst mit sich ausmachen.
Bei sehr viel größeren Konfirmandenjahrgängen würde ich vielleicht auch die Lust verlieren – oder lässt sich diese Arbeit im Team der Unterrichtenden verteilen?
Man sollte sich darüber im Klaren sein, dass man die Konfirmandinnen und Konfirmanden selbst mit dieser Aktion noch nicht sehr gut kennen lernt. Es ist meist auch noch zu früh, mit Eltern über Erwartungen an die Konfirmandenarbeit zu sprechen oder gar Glaubensthemen zu bereden. Allerdings sind diese Besuche eine Bodenbereitung, auf der eine offene Kommunikation auch über Erwartungen an Kirche und Glaubensfragen wachsen kann.
Ein Nachteil auch, dass man manche Infos 25 bis 37 mal erzählen muss, anders als bei einem Elternabend.
Schluss
Wir erleben, dass die Türen von Konfirmandenfamilien im konkreten wie im übertragenen Sinn offen sind. Unsere Erfahrungen mit den kurzen Besuchen zu Beginn der Konfirmandenzeit zeigen, wie nützlich sie für viele Bereiche der Gemeindearbeit sein können und nicht zuletzt wie erfrischend sie für uns selbst sind.
Anmerkungen
- Entsprechende Überlegungen finden sich auch im Bericht des Landeskirchenamtes an die Landessynode über das kirchliche Leben vom Februar 2002. Kirchliches Leben im Überblick, S. 199
- Auch hierzu vgl.: Kirchliches Leben im Überblick, S. 200