Die folgenden Ausführungen geben die langjährigen Erfahrungen mit Schülergottesdiensten am Bußtag wieder und verstehen sich als Anregungen für Religionslehrer zur Vorbereitung solcher Gottesdienste. Manche Ideen und Texte könnten eventuell in ähnlicher Form noch einmal Verwendung finden. Deshalb werden in diesem Beitrag (bis auf eine Ausnahme) auch keine fertigen Gottesdienstabläufe wiedergegeben. Die vorgestellten Materialien wurden 1996-2000 in Bußtagsgottesdiensten für Schülerinnen und Schüler des Johanneums Lüneburg im Ökumenischen Gemeindezentrum St. Stephanus in Lüneburg- Kaltenmoor eingesetzt. Die Abschaffung des Bußtages als Feiertag nahm die Fachkonferenz Religion 1996 zum Anlass, Gottesdienste speziell für Schüler des Johanneums anzubieten und dabei die Zusammenarbeit von Kirchengemeinde und Schule zu intensivieren. Die besondere Chance lag (und liegt) darin, Schülerinnen und Schüler anzusprechen, die möglicherweise an einem schulfreien Tag nicht zur Kirche gegangen wären, weil in ihrer Heimatgemeinde kein Gottesdienst speziell für Jugendliche angeboten wurde. Die Besucherzahlen sind mit ca. 80-100 Schülern des Johanneums zufriedenstellend. Alle Schulklassen 7-13 wurden eingeladen, wobei realistischerweise der Schwerpunkt auf die Mittelstufe gelegt wurde, da die Oberstufe eher dem Klausurendruck unterliegt. Die Thematik wurde möglichst "offen" gewählt: Der Bußtag als Tag zum "Besinnen – Innehalten – Nachdenken" – so das Plakat von 1996. Dieser thematische Ansatz ist auch gleichzeitig programmatische Vorgabe für die weiteren Gottesdienste gewesen. So findet sich jeweils in den Textmeditationen die von Schülern geleistete Reflexion über den biblischen Text, über die Lage der in der biblischen Erzählung betroffenen Personen, über Sorgen, Schuld usw.
Das Modell, einen Schülergottesdienst in einer Kirche und nicht in der Schule zu feiern, soll hier nicht in Konkurrenz zu den Vorschlägen von Michael Künne treten, den Gottesdienst in der Schule zu gestalten (1). Es gibt aber auch gute Gründe, die für den Ort Kirche sprechen:
- Schülern einer Schule wird die Gelegenheit geboten, einen sakralen Raum und seine Atmosphäre kennen zulernen und zu erleben.
- Der evangelische Kirchenraum im Ökumenischen Gemeindezentrum St. Stephanus ist ein modern gestalteter Kirchenraum, der durch seine kreisförmige Sitzordnung Jugendliche anspricht.
- Der Kirchenraum liegt nur ca. 8 Gehminuten vom Johanneum entfernt. Schüler und Lehrer gehen gemeinsam zum Gottesdienst dorthin.
- Schüler erleben die mitwirkenden Religionslehrer als in der Kirche Agierende.
Dem Vorbereitungsteam gehörten neben dem Autor noch Herr Pastor Valerius ständig an, dazu verschiedene Lehrerinnen und Lehrer des Johanneums, manchmal auch Eltern und Schüler. Es sei darauf hingewiesen, dass alle Teammitglieder Ideen für diese Bußtagsgottesdienste beigesteuert haben. Die Thematik und der Gottesdienstablauf wurden jeweils vom Vorbereitungsteam festgelegt. Die biblischen Texte wurden unter den Fragestellungen ausgewählt und bearbeitet, inwieweit unser Denken , Leben und Handeln durch sie in Frage gestellt und wir zum Überdenken unserer Maßstäbe angeregt werden.
Die Vorbereitung der im Gottesdienst verwendeten Texte wurde von Schülerinnen und Schülern in geeigneten Klassen der Klassenstufen 8-11 geleistet. Diese Arbeitsweise verteilt die Aufgabe der Vorbereitung auf viele und liefert einen zusätzlichen Motivations- und Werbeeffekt. Schulklassen lassen sich vor allem zur Mitarbeit bewegen, wenn die Behandlung des Gottesdienstthemas im Unterricht geschieht und keine zusätzliche Arbeit oder Termine für außerunterrichtliche Treffen anfallen. Die Behandlung des Themas geschieht also zunächst mit allen Schülern im Klassenunterricht, danach lassen sich für spezielle Aufgaben z.B. Formulierung von Meditationstexten oder Fürbitten einzelne Gruppen bilden. In den meisten Fällen finden sich dann auch einzelne Schülerinnen (kaum Schüler !), die sich bereit erklären , die Texte im Gottesdienst vorzutragen. Eine zusätzliche Motivation kann dann erreicht werden, wenn eine gewisse "Traditionsbildung" im Laufe der Jahre geglückt ist. Schüler der Klassen 9-11, die schon in den vergangenen Jahren Besucher von Bußgottesdiensten waren, kann man darauf ansprechen, dass die Reihe nun an ihnen ist, von Besuchern zu aktiven Gestaltern eines Gottesdienstes zu werden. (Traditionsbildung führt übrigens auch dazu, dass man später im Unterricht wieder auf Themen und Materialien eines Gottesdienstes zurückgreifen kann).
Als Bereicherung erwiesen sich Spielszenen und pantomimische Darbietungen von Schülern der Theater- AG des Johanneums. Das gleiche gilt für die musikalische Gestaltung . Eine kleine Schülergesangsgruppe oder der Schülerchor, sowie eine kleine Schülerband wirkten belebend. Allerdings konnte man aus organisatorischen Gründen oder aus Gründen der Verfügbarkeit nicht immer auf solche Hilfe zurückgreifen. Daneben besteht m.E. das grundsätzliche Problem, gute singbare, d.h. den Geschmack der Jugendlichen treffende Lieder zu finden. Es gibt hier einen großen Nachholbedarf trotz der Tatsache, dass 1994 ein neues Evangelisches Gesangbuch herauskam. (Der Autor ist für jeden guten Tipp dankbar). Eine flotte Begleitung der Lieder lässt sich nach unseren Erfahrungen am besten durch eine kleine Besetzung mit Gitarre, Piano (und eventuell Bass und leichte Perkussionsbegleitung) erreichen. Größere Bandbesetzungen führen nicht selten zu einem höheren Lautstärkepegel, was in manchen Kirchenräumen in akustischen Klanglawinen endet.
Für die Werbung zu einem Gottesdienst sind eine ansprechende Einladung und ein auffälliges Plakat, auf dem ein griffiges Motto erkennbar ist, unbedingt erforderlich. Am Johanneum haben wir zur Gestaltung der Plakate die Kunstlehrer gewinnen können, wobei besonders Herr Wyrwas zu nennen ist, der die Plakate von 1997 –2000 geschaffen hat. (Denkbar wäre natürlich auch hier die Mitgestaltung von Schülern z.B. in einem Plakatwettbewerb.) Die Einladung wurde in Din A 5 – Format an alle Schüler des Johanneums verteilt, in der Regel durch die Religionslehrer selbst, damit sie die Schüler auch persönlich auf die Thematik und den Termin hinweisen können. Die Einladung enthält neben dem verkleinerten Plakat einen Text, der die Thematik in Stichworten und Fragen anreißt und so ein bisschen neugierig macht. Sie enthält auch Hinweise auf die vorbereitenden und mitwirkenden Schulklassen, auf die Band, die Theatergruppe und die Lehrkräfte sowie auf die Regelungen der Beurlaubung für die Dauer des Gottesdienstes.
Als Ergänzung zu den Hinweisen von Michael Künne (s. Anmerkung 1) hat sich die folgende Checkliste zur Gottesdienstvorbereitung als hilfreich erwiesen:
Gottesdienstplaner (Checkliste)
Termin | Was ist zu erledigen ? |
Ende des Schuljahres (vor den Sommerferien) | Ein Vorbereitungsteam bildet sich und legt auf seinem 1.Treffen |
Im neuen Schuljahr: Mitte September (ca. 10 Wochen vor dem | 2. Treffen des Vorbereitungsteams: Aufgabenverteilung
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Auf der 1. Gesamtkonferenz | Bekanntgabe der Planung eines Schülergottesdienstes am Bußtag |
Mitte Sept. bis Mitte Oktober (Herbstferien beachten !) ca. 6 - 9 Wochen vor d. Termin | Arbeit in den mitwirkenden Schulklassen: Einführung in die Thematik und Gruppenarbeit mit Erarbeitung von Texten Üben mit Theatergruppe |
Mitte bis Ende Oktober Ca. 4 – 6 Wochen vor dem | 3. Treffen des Vorbereitungsteams:
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Anfang November | 4. Treffen des Vorbereitungsteams: - Überprüfung der Texte, des Gottesdienstablaufs, der Lieder usw. |
Ca. 8.-10. November (ca. 10- 14 Tage vor dem |
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8. – 10. November | 5. Treffen des Vorbereitungsteams (falls erforderlich) |
Ab 12. November (ca. 10 Tage vor dem Termin) |
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Letzte Woche vor dem Termin |
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Nach dem Gottesdienst |
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Beispiele für Ideen und Materialien
1. Bußtagsgottesdienst 1996 "Denk – mal !"
Als biblischer Text diente die Geschichte "Jesus und die Ehebrecherin" (Joh 8, 1-11). Die Grundfrage lautete, inwiefern in dieser Geschichte das für den Bußtag gewählte übergreifende Motiv "besinnen – innehalten – nachdenken" zum Ausdruck kommt. Es findet sich in der besonnenen Haltung Jesu (vgl. auch das Plakat mit der Skulptur "Der Denker" von A. Rodin, gestaltet von M. Sinning) , der die eskalierende Situation durch sein eigenes "Innehalten" und durch seine tiefgehende Bemerkung ("wer von euch ohne Schuld ist...") entschärft und damit auch dem Vergeltungsdenken der Menge ein Innehalten verordnet. Das Innehalten und das Zur- Besinnung- Kommen greift außerdem auf alle Beteiligten über, wahrscheinlich auch auf die zur Steinigung bestimmte Frau, so dass das Nachdenken zu einem grundlegenden Überdenken des eigenen Lebens werden könnte.
Bei der Besprechung der Erzählung im Unterricht muss man Hintergrundinformationen über Ehe, Familienstruktur, Rollenverteilung, Ehescheidung und Bestrafung bei Ehebruch zur Zeit Jesu liefern.
Die Schüler (Kl. 8) erhielten Arbeitsaufträge für 4 Gruppen :
Gruppe 1: Erzählt die Geschichte Joh 8, 1-11 aus der Sicht eines an der bevorstehenden Steinigung beteiligten Mannes ! Wie könnte es dazu gekommen sein, dass dieser Mann sich an der Steinigung beteiligen wollte? Was könnte er über die Frau gedacht haben ? Was könnte er über Jesus gedacht haben?
Gruppe 2: Erzählt die Geschichte der von der Steinigung bedrohten Frau ! Was könnte sich vorher zugetragen haben ? Wie war die Lage der Frau ?
Gruppe 3: Beschreibt, welche Gedanken eine weitere Person haben könnte, die alles miterlebt hat und sich nach der nicht vollzogenen Steinigung auf dem Weg nach Hause befindet! Welche Ereignisse, Umstände und Handlungen in ihrem Leben könnten dieser Person in den Sinn kommen, wenn sie über den Satz Jesu "wer von euch ohne Schuld ist...." nachzudenken beginnt? Könnte ein Umdenken ausgelöst worden sein?
Gruppe 4: (Vorbemerkung: Um die Fürbitten näher auf die Lebensprobleme der Schüler zu beziehen, wurden alle Schüler der Klasse durch den Lehrer zunächst aufgefordert, eigene Schwierigkeiten, Konflikte und verhärtete Situationen anonym auf einen Zettel zu schreiben. Damit die Schüler einander nicht an der Handschrift erkennen, schrieb der Lehrer die brauchbaren Beispiele in gedrucktem Text.)
Formuliert ein Fürbittengebet mit einzelnen Bitten , in denen die Beispiele eurer Mitschüler genannt werden ! Worum sollen wir Gott bitten? Was möge Gott den Beteiligten schenken, damit die Betroffenen sich besinnen und ihre Situation überdenken !
Als handlungsorientiertes Element im Gottesdienst könnte man folgendes arrangieren (Der Konjunktiv zeigt an, dass uns 1996 diese Idee erst nach dem Gottesdienst, also zu spät einfiel): Jeder Schüler erhält beim Eintritt in den sakralen Raum einen Stein. Dieser Stein könnte unsere steinharten Meinungen und Haltungen symbolisieren, die zur Bedrohung und Gewalt für andere Menschen werden können. Anstatt unsere eigene Härte für unveränderbar zu halten, könnte das "Denk- mal !" in Form der Worte Jesu "Wer von euch ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein" uns auffordern, unsere Verhärtungen als eigene Schuld zu erkennen und zu überdenken. In einem späteren Abschnitt des Gottesdienstes (z.B. nach der Predigt ) könnte man die Jugendlichen auffordern, "ihren Stein" zu nehmen und in die Mitte des Raumes bzw. vorn in der Nähe des Altars auf einen Haufen zu legen. So entsteht aus dem "Denk- mal !" ein Denkmal des Verzichts auf unsere eigenen Verhärtungen.
Materialien
Jesus und die Ehebrecherin (Joh 8)
Vorbemerkung
Vor fast 2000 Jahren ereignete sich die folgende Geschichte mit einer Frau, die man beim Ehebruch ertappt hatte. Wir hören die Geschichte so, als würde sie ein Mann erzählen, der als Augenzeuge dabei war. Anschließend erzählt die betroffene Frau selbst, was sich in ihrem Leben zugetragen haben könnte. Zum Schluss folgen die nachdenklichen Worte eines weiteren Mannes, der die dramatische Szene erlebt hat und sich auf dem Weg nach Hause befindet.
1. Mann
Natürlich habe ich als frommer Mann nicht lange überlegt, ob ich bei der Bestrafung dieser verheirateten Frau mitmachen soll, nachdem sie bei einem schändlichen Ehebruch erwischt worden war. Wie ein Lauffeuer ging die Nachricht durch die Straßen unseres Ortes. Die Ältesten brauchten nicht lange zu beraten, was mit der Frau zu geschehen hatte. Gott selbst hat uns in den Geboten vorgeschrieben, dass wir die Ehe nicht brechen sollen und , wenn es doch geschieht, nach der Thora die Strafe der Steinigung droht. Das ist Gottes heiliger Wille. Alle müssen helfen, dieses Vergehen zu bestrafen. Wenn ich nicht mitgemacht hätte, hätte ich mich außerhalb der Gemeinschaft gestellt. Und die anderen hätten auf mich herabgesehen. Wie konnte denn diese Frau auch nur darauf kommen, ihren Ehemann zu hintergehen? Ich kenne ihn. Er ist ein unbescholtener Mann. Ich verstehe diese Frau nicht. Sie musste doch wissen, welches Risiko sie einging und welche Folgen das haben konnte. Eigentlich interessiert es mich jetzt gar nicht mehr, was diese Frau dazu getrieben hat und warum sie es getan hat. Fest stand auf jeden Fall: sie hatte das Gesetz gebrochen.
Also packten wir die Frau und führten sie durch die Straßen hinaus zu dem Platz, wo wir die Steinigungen vollziehen. Die Frau war völlig wehrlos und geschockt; sie schien keine innere Widerstandskraft mehr zu haben.
Da sahen wir diesen Jesus, diesen Rabbi, der mit seinen Jüngern immer umherzieht und manchmal wunderliche Dinge von Gott erzählt. Wir haben schon öfter mit ihm diskutiert. Er war nicht gerade bei allen sehr beliebt. Wir fragten ihn einfach, was er diesmal dazu sagen würde: "Heh, Jesus, Was sollen wir mit dieser Ehebrecherin machen, die wir auf frischer Tat ertappt haben?" Zuerst schien es, als habe Jesus unsere Frage nicht gehört. Er bückte sich und malte mit dem Finger im Sand herum. Wollte er etwa unserer Frage ausweichen und sich um die Antwort herumdrücken? Also fragten wir ihn noch einmal: "Gib schon Auskunft , Jesus!" . Er aber schien tief versunken zu sein und nachzudenken. Er war ganz ruhig, so dass die Spannung stieg. In der Menge wurde es allmählich stiller. Endlich richtete sich dieser Jesus auf und sagte ganz ruhig nur einen einzigen Satz: "Wer von euch ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein auf sie". Da wurde es plötzlich mucksmäuschenstill in der Runde. . Die Leute guckten entweder etwas ratlos umher oder senkten den Blick zur Erde. Keiner wagte mehr, etwas zu sagen. Jesus sagte auch nichts mehr, sondern schrieb wieder irgend etwas in den Sand. Nach ein paar Minuten drehte sich einer der Männer um und ging langsamen Schrittes weg. Ein zweiter und gleich darauf noch ein dritter Mann bewegten sich langsam und etwas unsicher davon. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Zuerst dachte ich, nur ein paar Feiglinge machten sich aus dem Staube, aber es wurden immer mehr. Plötzlich stand ich als Letzter da. Das war mir ziemlich peinlich. Deshalb drehte auch ich mich um und ging ein paar Schritte. Da hörte ich noch, wie Jesus die Frau fragte: "Na, wo sind sie alle geblieben? Hat keiner dich verurteilt?" Die Frau antwortete mit leiser Stimme: "Nein, sie sind alle weg." Jesus antwortete: "Auch ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr!"
2. Die Frau
Ich kann es noch gar nicht fassen, was eigentlich geschehen ist. Alles kommt mir wie im Traum vor. Ich dachte wirklich, das sei mein Ende. Diese Männer waren wirklich zur Steinigung entschlossen. Mein Leben hing nur noch an einem seidenen Faden. Nun ist es mir, als sei mir das Leben neu geschenkt worden.
Wenn alle doch nur gewusst hätten, wie es mir vorher mit meinem Mann ergangen ist. Vielleicht hätten sie dann anders über mich geurteilt. Ich wurde schon mit 17 Jahren verheiratet. Meine Eltern haben das alles mit den Eltern meines späteren Mannes arrangiert. Ich wurde kaum gefragt. Vielleicht hätte ich meinen Mann ja auch geliebt, denn in den ersten Jahren war alles gar nicht so schlecht. Aber nach einiger Zeit merkte ich, dass er sich merkwürdig benahm. Ich durfte mich nicht so oft mit den anderen Frauen im Ort treffen. Mein Mann meinte, ich sei zu geschwätzig. Er selbst hat sich kaum um die Kinder und das Haus gekümmert. Wir hatten oft Streit miteinander. Manche Demütigung musste ich ertragen und einmal rutschte ihm sogar die Hand aus. Mein Mann konnte ziemlich hart sein.
Aber ich sehnte mich eigentlich nach Liebe und Zärtlichkeit. Ich war ziemlich verzweifelt. Da traf ich einen anderen Mann, der freundlich und zuvorkommend war. Ich dachte, ich müsste einmal ausbrechen und diesen geheimen Trumpf in der Hand haben.
Im Nachhinein frage ich mich, ob das alles wirklich nötig war, was ich getan habe. Vielleicht habe ich doch nicht genügend nachgedacht und mich zum Ehebruch mitreißen lassen. Ich hätte vielleicht noch eine andere Lösung gefunden. Aber ich konnte keine Kraft dazu aufbringen. Sollte ich jetzt vielleicht ernsthaft mit meinem Mann reden? Ob er es jetzt überhaupt noch will, ist natürlich fraglich. Aber vielleicht gerade jetzt! Ich muss ihn zur Rede stellen. Vielleicht kommt er auch zur Besinnung. Ich kann ja auch nicht einfach weglaufen, denn was geschieht mit den Kindern? Hoffentlich finde ich eine Lösung.
3. Ein anderer Mann
Also, was war das bloß für eine merkwürdige Situation!? Was für eine denkwürdige Frage von diesem Jesus! Ich hätte plötzlich keinen Stein mehr werfen können, deswegen bin ich weggegangen. Was sollte ich dazu sagen? Bin ich denn etwa nicht ohne Schuld? Ich habe doch gar nichts verbrochen! Natürlich macht man hin und wieder eine Sache, die man nicht gern den anderen erzählt, weil sonst ein schlechtes Licht auf einen fällt. Was war zum Beispiel letzte Woche, als ich den anderen Händler übers Ohr gehauen habe? Ich habe ihn ohne eigene Not einen zu hohen Preis für schlechte Waren bezahlen lassen. Das war eigentlich nicht fair, aber ich hatte ihn in der Hand; er konnte nichts dagegen unternehmen. Das war zwar nicht direkt ein Verbrechen, aber es war nicht o.k., das gebe ich zu. Und wenn ich mir es recht überlege, habe ich das schon häufiger so gemacht. Vielleicht habe ich doch keine so weiße Weste, wie ich immer geglaubt habe. Aber bei mir zu Hause ist doch alles in Ordnung, oder nicht? Bin ich wirklich freundlich genug zu meiner Frau und zu meinen Kindern? Ich war in letzter Zeit zu viel mit geschäftlichen Problemen befasst. Man kann sich ja schließlich nicht um alles kümmern. Trotzdem kommt mir jetzt die Frage in den Sinn, ob meine Frau mit unserem Familienleben eigentlich zufrieden ist. Vielleicht zeigt sie mir ihren Ärger nicht so offen? Ich muss unbedingt mit meiner Frau darüber sprechen. Hoffentlich ist es noch nicht zu spät!
Fürbittengebet
Schülerinnen und Schüler haben anonym ihre Konflikte und Sorgen, die sie derzeitig haben, benannt. Wir haben einige Beispiele herausgegriffen, die wir stellvertretend für alle anderen in diese Fürbitte einschließen wollen.
I.
Herr , unser Gott, wir bitten dich für zwei Brüder, die miteinander in Streit liegen. Einer glaubt, dass die Eltern den anderen Bruder bevorzugen, und er fühlt sich zurückgesetzt und benachteiligt. Wir bitten dich auch für zwei Schwestern, von denen die eine ständig Streit sucht und die andere beschimpft und kritisiert. Gib ihnen Geduld und Nachsicht! Nimm ihnen die Gefühle der Rache und schenke ihnen das Gefühl deiner Liebe, die keinen Menschen zurücksetzt oder benachteiligt! (Kyrie Nr. 178.9 oder 178.12)
II.
Herr, unser Gott, wir bitten dich für zwei Freunde, die wegen Meinungsverschiedenheiten tagelang nicht miteinander reden konnten und sich aus dem Weg gingen. Gib ihnen den Mut, ihre Angst und ihren Stolz zu überwinden und sich wieder näher zu kommen! Wir bitten dich auch für ein Mädchen, das glaubt, sie sei bei allen unbeliebt und alle würden nur schlecht über sie denken und ihr etwas übel nehmen. . Sie möchte sehr gern von allen akzeptiert sein. Gib allen den Mut, sich einmal gründlich miteinander auszusprechen und dadurch reifer zu werden! (Kyrie)
III.
'Herr, unser Gott, wir bitten dich für Jugendliche, die nicht mehr mit ihren Eltern sprechen können, weil die Konflikte um verschiedene Streitfragen als zu verletzend empfunden werden. Wir bitten dich für Familien, wo es in der Verwandtschaft Rivalitäten gibt, wo man sich böse Dinge unterstellt und den Kontakt meidet. Gib ihnen die Kraft zu einem neuen Anfang! Lass die seelischen Wunden heilen und gib allen Worte der Freundlichkeit, die die Starrheit auf beiden Seiten überwinden helfen! (Kyrie)
IV.
Herr, unser Gott, wir bitten dich für die Schülerinnen und Schüler, die unter ausländerfeindlichen Beschimpfungen und Verleumdungen zu leiden haben, die von Leuten übel angesprochen werden, die sie gar nicht kennen. Gib den Betroffenen den langen Atem deiner Liebe! Richte sie auf, damit sie wissen, dass du alle Menschen liebst! Schenke den anderen mehr Besonnenheit und den Geist des Umdenkens und der Toleranz! (Kyrie)