Ob Rap von „Puff Daddy“ („Best friend“), „DMX“ („Angel“) oder ob Punk von den „Toten Hosen“ („Unsterblich“) – Religion in der Musik ist in! Religiöse Elemente finden sich in allen stilistischen Richtungen der Vergangenheit und Gegenwart. Dies ist eine theologische Herausforderung und eine religionspädagogische Chance. Für den Religionsunterricht wurde populäre Musik als Medium seither zu wenig kritisch-konstruktiv genutzt. Allein zur Jahrtausendwende kamen einige HipHop-Stücke auf den säkularen Markt: „Aquagen“ („Ihr seid so leise!“) und „DJ Taylor & Flow“ („Gott tanzte“) bearbeiten schöpfungstheologische Themen kurz und knackig.[1] Ohne Scheu und Schuld wird die neue Leiblichkeit betont und während der Rave-Party das Geschaffensein tanzend gefeiert. Gott machte den Menschen und er sah, dass er gut war; der DJ aber macht heute den Rhythmus und alle sehen, dass er gut ist. Feel your body!
1. Religionspädagogische Implikationen bei der Verwendung von Popmusik im Religionsunterricht
Jugendorientierte Popmusik und sinnfindungsorientierte Religiosität stehen korrelativ zueinander. Populäre Musik als Unterrichtsmedium wird zunehmend diskutiert[2] und unterrichtspraktisch [3] bearbeitet. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass parallel zu diesen jugendspezifischen Entwicklungen in der Gesellschaft die Ästhetik in der Bildung (wieder) Einzug hält. Die Religionspädagogik bleibt davon nicht unberührt. [4] Denn Sinnfindung kann nicht ohne die Sinne geschehen. Deshalb soll hier ein Beitrag zur Erschließung religiöser, sinnstiftender Elemente geleistet werden, der die christlichen Elementaria (z. B. Gebet, Glaubensbekenntnis) im Unterricht herausarbeiten will. Das in dieser Arbeit dargestellte Modell, welches Kognition und Emotion gleichermaßen anspricht und verbindet, bietet sich sowohl für den Religionsunterricht, die kirchliche Jugendarbeit als auch für den Konfirmandenunterricht an. Obwohl ich das ganzheitliche Modell der unterrichtlichen Bearbeitung eines aktuellen Stücks der populären Musikszene konkretisiere, bleibt es für andere popmusikalische Beispiele offen.
Der erste Schritt der Unterrichtsvorbereitung besteht darin, die Schülerinnen und Schüler selbstständig auf Spurensuche zu schicken: „Bringt bitte ein aktuelles Musikstück mit, in dem das Thema Religion vorkommt!“ Ästhetische Erziehung beginnt bei der Wahrnehmung. Die Jugendlichen nehmen durch die Erfüllung dieser „Sherlock-Holmes“-Aufgabe „ihre“ Musik neu wahr. Für Schülerinnen und Schüler ist die Bearbeitung der eigenen Lebenswelt spannender als biblische Aussagen vergangener Zeiten theologisch aufzuarbeiten. Ich gehe von der These aus, dass eine korrelationsdidaktische Verschränkung von aktueller Situation und biblischer Tradition durch die populäre Musik im Unterricht möglich ist. Dies vor allem dann, wenn der Paradigmawechsel von Vermittlung zur Aneignung [5] stattfindet und der Rezipient sich selbst als Subjekt seiner religiösen Bildung erfährt. Die Lehrerin bzw. der Lehrer hat somit im Religionsunterricht die Aufgabe, Angebote sinnstiftenden Lebens anzubieten. Dies bedeutet auch, dass bei der Arbeit mit Jugendlichen eher Fragen als Antworten auftauchen (sollten).
2. „Das Vater unser“ von E Nomine
Was ist nun für Jugendliche Anfang des Jahres 2000 ein aktueller Song, der religiöse Elemente aufweist? Auffallend für mich war, dass in allen Klassen der 8. und 9. Klassenstufe auf diese Frage ein Titel genannt wurde: „Vater unser“ (3:30) von der Gruppe „E Nomine“. Er befindet sich auf dem bis jetzt einzigen CD-Album der deutschen Techno-Band: E Nomine, Das Testament, © What’s Up? / Polydor Zeitgeist, 1999, 543382-2. Das Stück sprang in den Verkaufscharts von Null auf Rang 14 und rangiert derzeit auf Platz 10 der Hitlisten. Es wurde deshalb für verschiedene Hit-Sampler (z.B. Future Trance, © Polymedia Marketing Group GmbH, 1999, 541129-2) ausgekoppelt. „Vater unser“ wurde über 450.000 Mal in Deutschland, Österreich und der Schweiz verkauft. In Deutschland erklomm es Platz 4 der Media-Control-Single-Charts und sogar Platz 1 in Österreich. Neben dem Gold-Status in Deutschland und Österreich erreichte es eine Echo-Nominierung für die erfolgreichste nationale Dance-Single.
Durch die voluminösen Stimmen der Sprecher entsteht ein magischer Schauer, der nicht nur beängstigt, sondern auch Neugier erweckt. Durch biblische und lateinische Sprache, sonore Stimmtimbre, synthetische Musikklänge und -rhythmen lehrt uns E Nomine Beten und Glauben. Die Wirkung ist okkult-faszinierend, so dass der Gruppe E Nomine sogar blasphemische Intentionen [6] unterstellt werden.
Auf der CD von „E Nomine“ befindet sich eine Fülle von anregenden Songs für den Konfirmanden- und Religionsunterricht als auch für die kirchliche Jugendarbeit:
- Am Anfang war ... Die Schöpfung
- Vater unser
- E Nomine (Pontius Pilatus)
- Die 10 Gebote
- Das Abendmahl
- Die Sintflut
- Himmel & Hölle
- Der Fürst der Finsternis
- Bibelworte des Allmächtigen
- Die Posaunen von Jericho
- Ave Maria
- Psalm 23
- Hallelujah
„E Nomine“ bleibt jedoch nicht bei der mysteriösen Zahl 13 stehen, sondern ergänzt den Song „Gott tanzte“ von „DJ Taylor & Flow“. Passend zum Kirchenjahr – das Album ist im November 1999 erschienen – ist eine zweite CD „Die Weihnachtsgeschichte“ produziert worden und in dem Debüt-Album enthalten: In eindrücklicher Weise wird der Lukas-Text rezitiert und musikalisch untermalt. Die einzelnen Stücke der Gruppe werden wie bei einer Wagner-Oper miteinander verbunden. Zwischen den Teilen entsteht somit keine Pause. Trotzdem können alle Songs einzeln ausgewählt werden. Die zweite CD besteht nur aus einem Track.
Das Gemeinsame aller Stücke von „E Nomine“ (zu deutsch: „In der Kraft des Namens“) sind die biblischen Zitate. Die deutschen Synchron-Sprecher berühmter Schauspieler (Robert De Niro, Al Pacino, Jack Nicholson und John Travolta) rezitieren ausgewählte Bibelworte, die durch lateinische Chorgesänge im gregorianischen Stil unterbrochen werden. Der Techno-Rhythmus bringt „Rezitativ“ und „Choral“ in einen inhaltlichen Zusammenhang. Er verbindet musikalisch Altes mit Neuem, Vergangenheit mit Zukunft und Bibel mit Lebenswelt. Somit wurde diese Fusion-Musik auf hohem konzeptionellen Niveau computerunterstützt produziert. Die Produzenten Sir Fritz und Chris Tentum halten sich originalgetreu an biblische Worte.
3. Musikalische und theologische Aspekte zum Song
Zu Beginn des moderaten Techno-Stücks [7] „Vater unser“ erklingt die hypnotisierende Stimme von Christian Brückner. Es handelt sich dabei um die Synchronstimme von Robert De Niro. Der amerikanische Schauspieler gab durch den Film „Sleepers“, in dem er einen Priester spielt, den Produzenten die Idee zu der Vertonung des zentralen Gebets der Christen. [8] Die Wirkung des Anfangs ist ambivalent: Neben der schaurigen Stimmung, die die erklingende Stimme durch ihr Rezitieren hervorruft, fühlt sich der Zuhörer durch den Bekanntheitsgrad der Synchronstimme von Robert De Niro jedoch auch wohl. Bekanntes und Fremdes erzeugen zusammen Spannung im Religionsunterricht
Die Musik basiert auf synthetischen Klängen. Die verschiedenen dreitönigen Melodiephrasen entstammen dem Material der Pentatonik. Rhythmisch betont die erste motivische Hälfte die Schwerpunkte, die zweite Hälfte benützt synkopische Verschiebungen. Dadurch wirkt der gesamte Rhythmus wie bei einem Rave während der Love-Parade. Der Zuhörer wird dahingehend stimuliert, dass er sich tanzend nach vorne bewegen möchte. Der gregorianische Gesang beginnt immer auf dem zweiten Taktschlag, wodurch diesem Background-Chor ein stilfremdes Element anhaftet. Alle melodischen und rezitierenden Abschnitte sind 4-, 8- oder 16taktig angelegt.
Der Sprecher rezitiert in diesem exemplarisch ausgewählten Song folgenden Text, der im Booklet der CD abgedruckt ist, manchmal nüchtern wie ein Nachrichtensprecher, manchmal auch emotional betroffen:
M2
1. Vater unser, der Du bist im Himmel |
Vermutlich ist die in der katholischen Liturgie am Anfang des Gottesdienstes gebräuchliche lateinische Formel „In nomine patris et filii et spiritus sancti“ hier nur falsch zitiert bzw. geschrieben worden.[9] Ebenso ist eine Assoziation mit der christlichen Taufformel denkbar. Das dreimalige Rezitieren dieser Formel unterstreicht die trinitarische Bedeutung der Taufe.
Viel bedeutungsvoller für den Prozess im Unterricht ist das Aufspüren der Auslassungen bei der ersten (Z. 1 – 7) und dritten Version des Vater Unsers (Z. 24 – 30): Die Bitte um das tägliche Brot und der Rest ab der Bitte um Vermeidung der Versuchung entfällt bei beiden Versionen. Ein Vergleich mit der lutherischen Übersetzung zeigt, dass es sich bei der mittleren Version weitestgehend um die „Originalfassung“ nach Matthäus 6, 9 – 13 handelt, und zwar in früherer lutherischer Sprache.
Nach dem empathischen Schrei „Herr höre meine Stimme!“ folgt am Ende das leicht veränderte Zitat aus Psalm 121, 5b. Dies hat eine inhaltliche Bedeutung. Besitzt das Symbol „Schatten“ bei Jugendlichen – wie bei Erwachsenen – eher eine negative Konnotation, so zeigt der Psalm die positive Seite des Schattens in der Wüste auf. Im Psalmgebet vergewissert sich der Beter der Fürsorge und der Bewahrung seines Gottes. Der Schatten ist hier ein Schutz vor der Hitze der Sonne. Im Kontext des Herrengebetes bekommt der Psalm 121 die heuristische Funktion der Zusage der Erfüllung der Vaterunser-Bitten. Die Bitten werden erhört und durch das Amen am Schluss nochmals bestätigt. Diese Interpretation berücksichtigt den lateinischen Text des Background-Chorals: Sempiternus Testare, „Der Immer-Währende soll es bezeugen“. Die genannten Bitten werden von Gott wahr- und ernstgenommen, sie werden in der „Kraft seines Namens“ genannt und durch den Ewigen bezeugend erfüllt. „So sei es“ – Amen.
Diese fundamentale Aussage hat auf Jugendliche stimulierenden Einfluss. Sie erkennen eine Eindeutigkeit und energietragende Einwirkung durch die gesprochenen Worte, Bitten und Zusagen. Zugleich verknüpft das „Vater unser“ von E Nomine Fremdes (Lateinische Worte/mittelalterliche Gesänge) und Bekanntes (deutsche Stimme von Robert De Niro/ Techno-Stil). Das Vaterunser selbst ist den Schülerinnen und Schülern meist noch geläufig. Gebete sind Ausdrucksformen eines impliziten Gottesbildes. Hier ist die Art der Darbietung wesentlicher als der Textinhalt selbst. Gott erscheint in dem „Vater unser“ von E Nomine als der „Karmel-Gott“ (vgl. 1. Kön 18) – mächtig wirksam und unbedingt ekstatisch anrufbar. Der Gott der Liebe, der Stille und des Säuselns, des sanften Windhauchs – wie er bei Elia (1. Kön 19, 12 ff.) ebenfalls erscheint – ist bei E Nomine nicht erfahrbar.
4. Unterrichtssequenzen mit dem Medium populäre Musik
Auditiver Erstzugang
Am Anfang steht das Hören der Musik. Titel, Text und Interpret/Band sind hierbei noch nicht wichtig. Entscheidend ist beim Erstzugang die subjektive Wirkung. Die Erstellung eines persönlichen Stimmungsbarometers (Semantisches Differential) ist hierbei für die Jugendlichen hilfreich. Hierzu ist die von Thomas Bickelhaupt, Uwe Böhm und Gerd Buschmann erarbeitete Adjektivliste (M 1) geeignet.[10] Durch Ankreuzen entsteht bei jedem Schüler und jeder Schülerin ein eigenes Profil der auditiven Wahrnehmung. Zugleich findet ein fortwährender Reflexionsprozess über die eigene Rezeption statt. Anhand der Adjektivliste kann sodann ein Stimmungsbarometer für die Lerngruppe herausgearbeitet werden. Entweder stellt der Lehrende aufgrund der ausgefüllten Profile eine Gruppentendenz zusammen oder bietet sich ein Unterrichtsgespräch an, in dem die einzelnen Adjektive bzgl. ihrer dichotomischen Verteilung verglichen werden. Zum Erstzugang gehören auch kreative Wahrnehmungsdarstellungen. Beispielsweise entstehen aufschlussreiche (symbolische) Zeichnungen zur Musik. Dies ist bei E Nomine auch in höheren Klassen möglich. Die Jugendlichen sollten ihre Bilder selber beschreiben und erklären. Eine Ausstellung im Raum, bei der die Schülerinnen und Schüler die Musik nochmals hören und die gemalten Produkte betrachten, vertieft den auditiven Zugang zum Medium.
Forschende Textbetrachtung
Der Text von „Vater unser“ und die lateinischen Beigaben (M 2) von E Nomine fordern einige Aufmerksamkeiten bzgl. der Sprache und ihrer Bedeutung heraus: Welche Textquellen wurden verwendet? Welche Gebetsteile fehlen im Vergleich mit der biblischen Version? Was heißen die lateinischen Sätze übersetzt? Woher kommt der Schlusstext (Z.35 f.)? Was bedeutet „Schatten“ (M 3)? Welchem Schauspieler „gehört“ diese Stimme? usw. Der linguistischen und hermeneutischen Betrachtung geht eine Spurensuche voraus. Als quellen dienen die Bibel, Lexika, Wörterbücher (Latein-Deutsch) und eine Konkordanz.In höheren Klassen sind Kommentare zu den Psalmen und zu Matthäus ebenfalls denkbar. Entdeckendes Lernen ist die Basis für diese Unterrichtssequenz. Dem Wort Vater in dem Gebet Jesu entspricht das aramäische Verständnis von „Abba“. Mit den Schülerinnen und Schülern sollte man im biblischen Kontext dieser Tradition nachspüren. Die persönliche, kindliche Anrede „Abba“ findet sich im Lobpreis Jesu (Mk 11, 25 f.) wieder. Zu nennen ist ebenfalls das Gethsemane-Gebet (Mk 14, 36).[11] Die Situation in Gethsemane steht in enger Verbindung mit der Bitte um Bewahrung vor Versuchung auf Seiten der Jünger (Mk 14,38).[12] Jesus offenbart in seinen Gebeten seine Gottesbeziehung. Sie ist gekennzeichnet durch Zuwendung zu den Schwachen und durch Nähe zu den Fremden, durch Vertrauen und Vergebung.
Visualisierende Hermeneutik
Viele Songs der populären Musikkultur werden durch Videoclips erst bekannt. Die Musik geht dem Clip voraus und deutet den Song im Sinne des Interpreten bzw. der Musikgruppe. Doch auch wenn der Videoclip von E Nomines „Vater unser“ nicht vorhanden ist, können die Bilder aus dem Booklet als vertiefendes Medium Verwendung finden.
Die Fotos im Booklet zeigen Aufnahmen von Naturphänomenen, von gotischen Kirchenräume und von einem Kreuz tragenden Engel. Es sind collageartige Bildbearbeitungen. Sie muten vor allem durch die Wuchtigkeit und betonte Sinnlichkeit eher katholisch an. Die drei aus dem Booklet verwendbaren Bilder (M 4) können auf Farbfolie der Lerngruppe präsentiert werden. Im Kontext des „Vater unsers“ eignen sich die Kirchenaufnahmen am ehesten. Denn gerade den Kirchenraum interpretieren Jugendliche positiv als auratischen Ort.[13] Kirchengebäude durchbrechen den Alltag und wirken somit ruhe- und geborgenheitsstiftend. Besonders gotische Kirchen haben eine befreiende Wirkung auf Menschen: Der „gotische Knick“ im Fensterbogen provoziert sowohl ein Aufwärtsstreben bzw. ein selbstbewusstes Aufrechtstehen vor göttlichem Gegenüber als auch ein Stehen bleiben am Knickpunkt bzw. ein Verweilen in eigenen Denkvorgängen. Somit erhält die Sehnsucht nach dem Heiligen im gotischen Ambiente eine aufklärende Dimension.
Verwendet man im Unterricht das Titelbild mit den Namen der Gruppe und des Albums, so sollte zunächst der Text abgedeckt werden. In einem zweiten Schritt ist eine Namensklärung („E Nomine“) sinnvoll. Der dritte Schritt der Bild- bzw. Fotobetrachtung kann in das Gespräch über den Begriff „Testament“ einmünden. Hierbei erschließt sich der biblische Hintergrund bei E Nomine. Die „Kirchenfotos“ initiieren bei den Schülerinnen und Schülern verschiedenartige Suchprozesse:
- Differenzierung von hell und dunkel, nah und fern, zentral und peripher
- Unterscheidung von Original und Trick
- Wahrnehmung von religiösen und christlichen Symbolen und ihren Funktionen [14]
- Entdeckung der Verbindung von Bild, Text und Musik
Der Videoclip (2:49) interpretiert den Song und bietet zusätzlich zu den Fotos eine inhaltliche Vertiefung an. Das Taufmotiv wird durch das Weihwasserbecken zu Beginn und durch das Handauflegen (hier: auf die Schulter) am Ende aufgegriffen. Der Videoclip enthält am Anfang durch die Szenen im Beichtstuhl ebenfalls ein römisch-katholisches Kolorit. Dies verstärkt sich durch die Darstellung von Orten, Haltungen und Gegenständen aus der mafiosen Welt in Italien.
Der Clip erzählt die Erfüllung eines Auftrags: Fünf Killer eines „Paten“ der Mafia sollen eine Person töten. In einer zweiten Ebene singt bzw. spricht ein Mönch. Die durch einen Sturm sich kämpfende Person symbolisiert trotz unkonventionellem Aussehen die Christus-Gestalt. Mit ausgestreckten Armen (in Form eines Kreuzes) kommt die Person dem Zuschauer und der Killer-Bande entgegen. An einer Stelle ist nur kurz ein blutiger Fleck in Magenhöhe eingeblendet. Diese Beobachtungen assoziieren die Gethsemane-Situation (Gebet und Verhaftung) und die Kreuzigung Jesu – hier modernisiert durch Maschinengewehre. Der Videoclip beginnt erst beim Rezitieren des zweiten vollständigen Vaterunser. Nach dem Zitat aus Psalm 121 schießen die Mörder auf die Person, die ihnen (und den Zuschauern) über eine Brücke ruhig entgegen kommt. „Christus wird nicht getroffen und nicht getötet. Psalm 121 hat sich erfüllt. Das Ende des Clips ist der Segen des Opfers über seinen Killer. In Abwandelung des Songtexts rezitiert der Mönch am Ende die Doxologie des Vaterunser. Die Schlusszene interpretieren die Jugendlichen als Vergebung. Somit findet die Wahrnehmung im Kontext der Aussage Jesu am Kreuz „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ [15] statt.
Methodisch hat sich nach dem ersten Betrachten des Videoclips die Form des „Schreib-Dialogs“ bewährt. Das bedeutet, dass alles, was an Beobachtungen und Eindrücken die Schülerinnen und Schüler im Unterricht aussprechen möchten, von ihnen an die Tafel geschrieben wird. Sie dürfen dabei auch auf andere Äußerungen an der Tafel Bezug nehmen. Dadurch entsteht ein spannender Dialog vor der Klasse. Natürlich darf der Lehrende ebenfalls Fragen, Eindrücke und Aussagen an die Tafel schreiben.
Ganzheitliche Gestaltung
Die abschließende Unterrichtssequenz versucht den Inhalt, die Intentionen und das Medium in gestaltender Form zu vertiefen. Kreativität und Fantasie sind die Säulen dieser didaktischen Phase. Beispielhaft nenne ich unterrichtsrelevante Möglichkeiten:
- Szenisches Spiel: Eigene theatralisch-pantomimische Darstellung zum „Vater unser“ von E Nomine ermöglicht eine textbezogene Interpretation. Die Jugendlichen zeigen im Spiel ihre kontextuale Rezeption auf dem Hintergrund der Lebenswelt. Ebenso sind auch tänzerische Elemente fruchtbringend, vor allem wenn sie choreografisch in der Gruppe umgesetzt werden.
- Bildnerische Darstellung: Ob als Collage oder als Fotowettbewerb zum Thema „Vater unser“ bedarf es einer inhaltlichen Verarbeitung. Als weitere Möglichkeit können Jugendliche eine Zeichnung oder ein Gemälde entwerfen oder durch Graffiti die Thematik aufarbeiten.
- Poetische Transformation: Die „Vater unser“ Fassung von Matthäus kann als Grundlage dienen, ein eigenes Gebet zu formulieren. Dabei kann es sich um eine Neufassung, um eine motivische Weiterarbeit oder um eine sprachliche Umsetzung in heutiges Verstehen und Denken handeln.[16] Die Schülerinnen und Schüler wählen meistens einen lebensweltlichen Bezug.
- Differenzierte Weiterarbeit: In arbeitsteiliger Gruppenarbeit wählen die Schülerinnen und Schüler Formen der Weiterarbeit mit dem Medium und den Inhalten aus. Wenn es räumlich möglich ist, können einzelne Gruppen auch außerhalb des Unterrichtsraums ihre Gruppenprodukte herstellen. Die Palette der Arbeiten in Gruppen gibt M 5 wieder. Mit der Aufgabe E ist das zweite Foto von M 4 gemeint. M 6 dokumentiert Produkte aus einer 8. Klassenstufe. Während der Song von E Nomine erklingt, wird das Ergebnis ohne Kommentar präsentiert.
- Liturgische Einbindung: Um dem Vorwurf der Blasphemie nicht nur kognitiv entgegen zu treten, ist das „Vater unser“ ein emotional wirkender Baustein im Schulgottesdienst z. B. zum Thema „Angst und Zuversicht“ oder „Wie dürfen wir mit Gott reden?“. Das Musikstück kann als Einstieg oder während der Predigt verortet werden. Es dient als Ausgangspunkt bei der Gottesfrage und ermöglicht einen Zugang zum Thema „Gebet“.
Die letzten beiden Gestaltungsformen können die anderen in sich integrieren. Projektartig bereiten einzelne Lerngruppen in unterschiedlicher Form Elemente für den Gottesdienst vor – und zwar in Auseinandersetzung mit dem „Vater unser“ von E Nomine. Ein Schulgottesdienst stünde somit am Ende der Unterrichtssequenzen. Die Intention „E Nomine lehrt uns beten“ hätte dadurch eine positive und lebensfördernde Dimension: Der popmusikalisch orientierte Gottesdienst nimmt die Lebenswelt heutiger Jugendlicher wahr und auf. Zugleich konfrontiert der biblische Text in besonderer räumlicher Atmosphäre einer Kirche die Heranwachsenden mit der Gebetstradition. Das Gottesbild verändert sich während des Gottesdienstes durch den Wechsel vom machtvoll anrufenden Gebet zu einem Über-Gott zum stillen Gespräch mit dem sich schon zugewandten Abba-Gott. Das Gebet zu Gott bedingt unser Vertrauen zu und unsere Haltung vor Gott – und aufgrund unserer Erfahrungen bedingt umgekehrt die Gotteszuversicht unser Reden und Handeln.
Materialvorlagen M 1
Das Gehörte wirkt auf mich ... 1. ruhig __ __ erregt 2. langsam __ __ schnell 3. statisch __ __ dynamisch 4. müde __ __ lebhaft 5. stockend __ __ fließend 6. passiv __ __ aktiv 7. heiter __ __ gedrückt 8. warm __ __ kalt 9. weich __ __ hart 10. hell __ __ dunkel 11. angenehm __ __ unangenehm 12. ansprechend __ __ abstoßend13. schön __ __ hässlich 14. menschlich __ __ unmenschlich 15. hoffnungsvoll __ __ hoffnungslos 16. leicht __ __ schwer 17. froh __ __ traurig 18. religiös __ __ unreligiös 19. farbig __ __ grau 20. fein __ __ grob 21. zusammenhängend __ __ chaotisch 22. klar __ __ verschwommen 23. lebensbejahend __ __ lebensverneinend 24. friedlich __ __ aggressiv 25. inhaltsvoll __ __ inhaltsleer 26. gut __ __ schlecht
© 1999 Bickelhaupt/Böhm/Buschmann |
1 Ein Wallfahrtslied.
Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen.
Woher kommt mir Hilfe
2 Meine Hilfe kommt vom Hirten,
der Himmel und Erde gemacht
3 Er wird deinen Fuß nicht gleiten lassen,
und der dich behütet, schläft nicht. 4 Siehe, der Hüter Israels
schläft und schlummert nicht. 5 Der Herr behütet dich;
der Herr ist dein Schatten über
deiner rechten Hand, 6 dass dich des Tages die Sonne nicht steche
noch der Mond des Nachts. 7 Der Herr behüte dich vor allem Übel,
er behüte deine Seele. 8 Der Herr behüte deinen Ausgang und Eingang
von nun an bis in Ewigkeit!
M 4
M 5
Gruppenarbeit zum „Vater unser“ von E Nomine
A. Malt ein Bild zur Musik! Es darf gegenständlich, aber auch abstrakt sein. | B. Gestaltet eine Story zur Musik! Alles, was ihr an Requisiten im Raum findet, dürft ihr verwenden. |
C. Zeichnet eure Eindrücke auf Folie! Alles ist erlaubt. | D. Dichtet den Text um! Sucht nach eigenen und vor allem freien Formulierungen. |
E. Bearbeitet die Folie! Fantasien sind gefragt. | F. Tanzt zu dem Musiktitel! Alles ist möglich. |
Ihr sollt zu viert in einer Gruppe die Aufgabe lösen. Als Anregung und Unterstützung hört ihr noch dreimal den Song von E Nomine. Nach 20 Minuten soll euer Produkt fertig sein.
Anmerkungen
- Beide Stücke sind z.B. auf der CD „Bravo-Hits 27“, ©Polymedia Marketing Group GmbH, 1999, 545324-2 enthalten.
- Vgl. u. a. die zahlreichen Beiträge in der Zeitschrift „Medien praktisch“ (z. B. Hurth, E.; in 3/1997, 57 - 62 und 2/1999, 48 - 53; Feist, U.; in: 2/1998, 58 - 60 und 1/1999, 57 – 59; Buschmann, G., 4/1998, 45 - 47 und 4/1999, 59 - 64; Mertin, A., 4/1999, 26 - 29, 59 - 61) und vor allem die Sammelrezension von Gerd Buschmann, in: Theologische Literaturzeitung 2/1999, 224 – 228
- Vgl. z. B. Bickelhaupt, Th./Böhm, U./Buschmann G.: Wann kommt die Flut? Religionspädagogische Bearbeitung des apokalyptischen Songs „Die Flut“ im Religionsunterricht (9./10. Schuljahr); in: forum religion 1/2000, 21 - 28; Böhm; U./Buschmann, G.: Ein Gleichnis in der Rockmusik – Bruce Springsteen „My Father’s House“ und Lk 15,11 - 32. Ein rezeptionsästhetischer Versuch; in: Zeitschrift für Neues Testament 3/1999, 53 - 62; Böhm, U./Buschmann, G./Digel, S./Sorbara, C.: „Gangsta’s Paradise“ oder: die Zukunft bewältigen. Religionspädagogische Sequenzen mit unterschiedlichen popmusikalischen Paradiesvorstellungen; in: entwurf. Religionspädagogische Mitteilungen 1/1999, 62 - 67; Buschmann, G/Küßner, K.: Das Exodus-Motiv in zwei Beispielen der Pop-Musik. Fächerübergreifender Unterricht Religion/Englisch, in: Religionspädagogik an berufsbildenden Schulen 3/1998, 78 - 82; Buschmann, G/Liech, B: Gott menschlich – Die Sehnsucht nach der Menschwerdung Gottes in zwei Titeln der Popmusik, in: Praktische Theologie 4/1998, 305 - 312; Deutscher Katecheten-Vereine.V. (Hg.), Materialbrief PuR („Popularmusik und Religion“), erscheint seit 1997; Fuchs, J.: „God is a concert“. Religiöse Botschaften in den Texten der Rock- und Popmusik. Eine Unterrichtshilfe für die Sekundarstufe I (ab Kl. 7) und die Konfirmandenarbeit, in: Schönberger Hefte 1/1994, 12 - 40; Scharr, H.: Apokalyptik: Thema von Rocksongs, in: Entwurf. Religionspädagogische Mitteilungen 2/1997, 96 - 99; Thömmes, A.: Rocksongs für den Religionsunterricht, in: Religionsunterricht an höhere Schulen 37/1994, 18 – 29.
- Vgl. Grözinger, A.: PraktischeTheologie als Kunst der Wahrnehmung, Gütersloh 1995.
- Vgl. hierzu Becker, U./Scheilke, Chr. Th. (Hg.): Aneignung und Vermittlung. Beiträge zu einer Theorie und Praxis einer religionspädagogischen Hermeneutik, Münster 1995; Goßmann K./Mette, N.: Lebensweltliche Erfahrung und religiöse Deutung. Ein religions-pädagogisch-hermeneutischer Zugang; in: Adam, G./Goßmann, K. (Hg.): Religion in der Lebensgeschichte, Gütersloh 1993, 163 – 175.
- Vgl. z.B. die Rezension von K. H. Weber zu Mertin, A.: Videoclips im Religionsunterricht. Eine praktische Anleitung zur Arbeit mit Musikvideos, Göttingen, 1999; in: forum religion 1/2000, 41.
- Dieser Techno-Stil, der melodische Phrasen enthält, rhythmisch durchsichtiger gestaltet ist und ein langsameres Metrum besitzt als der Rave-Techno, heißt „Treance“.
- Vgl. die Infos der Plattenfirma in http://www.plydor.de/dance/acts/art-tmp/enomine-testament.htm vom 14.02.00.
- Im Videoclip wird dieser lateinische Satz korrekt wiedergegeben. Deshalb ist in M 2 die lateinische Formel verbessert.
- Abgedruckt z. B. in: Bickelhaupt, Th./Böhm, U./Buschmann, G.: Wann kommt die Flut? Religionspädagogische Bearbeitung des apokalyptischen Songs „Die Flut“ im Religionsunterricht (9./10. Schuljahr); in: forum religion 1/2000, 27.
- Vgl. Wiefel, W.: Das Evangelium nach Matthäus. Theologischer Handkommentar zum Neuen Testament, hrsg. v. E. Fachir, Leipzig, 1998, 133.
- Vgl. a. a. O., 136.
- Vgl. Barz, H.: Postmoderne Religion, „Jugend und Religion“ Band 2, Im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in der Bundesrepublik Deutschland (aej), Opladen 1992, 58f.
- Nach Umberto Eco treten die Schülerinnen und Schüler mit ihren Lehrerinnen und Lehrern bei der Bildbetrachtung in einen „symbolischen Modus“ (Vgl. Eco, U.: Semiotik und Philosophie der Sprache, München 1985, 212 - 230), der dem Kunstwerk eine rezeptionsästhetische Öffnung verleiht. Michael Meyer-Blanck greift diesen semiotischen Ansatz für die Religionspädagogik, insbesondere für die Symboldidaktik auf: „Nicht die Bedeutungstiefe von religiösen Symbolen, sondern die offene Kommunikation christlicher Zeichen dürfte der angemessene Inhalt religionsdidaktischer Bemühungen sein.“ (Meyer-Blanck, M.: Vom Symbol zum Zeichen. Symboldidaktik und Semiotik, Hannover 1995, 72). Diese Grundlage führt Meyer-Blanck aus, indem bei ihm das Prinzip „Die Kommunikation gibt zu denken“ anstelle dem Ansatz „Das Symbol gibt zu denken“ (Paul Ricoeur) zum Tragen kommt. (Vgl. z. B. Meyer-Blanck, M.: Vom Symbol zum Zeichen, Plädoyer für eine semiotische Revision der Symboldidaktik; in: Dressler, B./ders. (Hg.): Religion zeigen. Religionspädagogik und Semiotik, Münster 1998, 26). Der Verlauf dieser Unterrichtseinheit versucht, beide Ansätze (Kommunikation der Rezepienten und Wirkmächtigkeit christlicher Symbole) partiell aufzunehmen.
- Der allerneuste Song von E Nomine heißt „Denn sie wissen nicht was sie tun“.
- Diese Idee stamm von Klaus Depta. Vgl. Depta, K.: Vater unser. Keine alte Leier; in Religion betrifft uns 5/1997, 21. In diesem Heft sind noch weitere populäre Musiktitel und Unterrichtsmaterialien zum „Vater unser“ enthalten.