Predigt zu 2. Petrus 1,16-18
Predigttext am letzten Sonntag nach Epiphanias
Wir haben uns keineswegs auf geschickt erfundene Märchen gestützt, als wir euch ankündigten, dass Jesus Christus, unser Herr, wiederkommen wird, ausgestattet mit Macht. Vielmehr haben wir ihn mit eigenen Augen in der hohen Würde gesehen, in der er künftig offenbar werden soll. Denn er empfing von Gott, seinem Vater, Ehre und Herrlichkeit – damals, als Gott, der die höchste Macht hat, das Wort an ihn ergehen ließ: „Dies ist mein Sohn, ihm gilt meine Liebe, ihn habe ich erwählt.“ Als wir mit ihm auf dem heiligen Berg waren, haben wir diese Stimme vom Himmel gehört.
2. Petrus 1,16-18; Gute Nachricht
Liebe Gemeinde!
„Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil:“ Am Ende eines Prozesses vor Gericht leiten diese Worte einen Schuld- oder einen Freispruch ein. Schuld- oder Freisprüche sind Worte. Mehr nicht. Ein Urteil, das ein Richter oder eine Richterin spricht, besteht zunächst nur aus Worten. Worte aber, die für den Angeklagten von höchster Bedeutung sind: Wird eine Angeklagte durch das Urteil des Richters frei gesprochen, kann sie in ihren Alltag zurückkehren und gilt weiterhin als unbescholtene Bürgerin. Ist ein Angeklagter dagegen für schuldig erkannt worden, wird ihm eine Strafe auferlegt, muss er vielleicht ins Gefängnis und gilt fortan als vorbestraft.
Das Urteil eines Richters ist also ein Ereignis, bei dem durch Sprache, durch Worte eine ganz neue Situation für den Angeklagten entsteht.
Ein Gerichtsurteil ist ein Sprachereignis: ein Ereignis, das durch die Sprache den Menschen in seiner ganzen Existenz trifft. Durch einen Schuldspruch kann sich die Existenz eines Menschen nachhaltig verändern.
Bei unserem christlichen Glauben ist es ganz ähnlich: Wenn Gott durch sein Wort einen oder eine von uns erreicht, wenn Gott uns tief im Inneren trifft, dann wird die ganze Existenz des Menschen berührt. Dann kann aus einem Ungläubigen ein Gläubiger werden. Dann kann aus einem zweifelnden ein glaubensgewisser Mensch werden.
Das Umgekehrte gilt aber auch: Wer niemals von den Glaubensgeschichten der Bibel gehört hat; wer niemals Vater oder Mutter von Gott und Jesus Christus hat reden hören; und wem auch sonst niemals ein Mensch begegnet ist, der von seinem Glauben erzählen konnte - wen also niemals die Geschichten des Glaubens berührt haben, der wird auch nicht glauben können. Denn: Hören und Glauben gehören zusammen. Nur durch das Hören des Wortes kann ein Mensch glauben. Ja, der Glaube entsteht, lebt, blüht in der Beziehung zum Wort: zu den Worten der Bibel, zu den Worten, die Gott unvermittelt spricht und zu den Worten derer, die vom Glauben erzählen. Der Glaube hat eine Beziehung zum Wort. Er entsteht dadurch, dass Gottes Wort (auf welche Weise auch immer) einen Menschen erreicht, ihn trifft, ihn bewegt. Dass ein Mensch glauben kann, hat seinen inneren Grund immer darin, dass ihn Gottes Wort (auf welche Weise auch immer) erreicht hat. Glaube ist nur denkbar als die Folge einer Begegnung mit Gottes Wort. Gottes Wort aber ist nichts anderes als ein Sprachereignis. Ein Ereignis, bei dem durch Sprache, durch das Wort, der Mensch in seiner ganzen Existenz berührt wird.
Anders gesagt: Durch sein Wort schafft Gott in den Menschen, die er anredet, etwas Neues. Das Wort verändert die Situation des Menschen. War er eben noch ungläubig, suchend und fragend, so kann er sich nun nicht mehr anders denken und fühlen und wahrnehmen als in einer Beziehung zu Gott.
Im Predigttext für heute bemüht sich der Verfasser des 2. Petrusbriefes um die Autorität seiner Worte, denn er weiß: Glaube ist die Folge eines Sprachereignisses! Und deshalb ist es ihm besonders wichtig, darauf hinzuweisen, dass er nicht irgendwelchen nebulösen Märchen hinterher läuft, sondern dass das, was er verkündigt, begründet liegt in eigenen Erlebnissen, die er mit Jesus gemacht hat. „Ja, ich war dabei“, lässt uns der Verfasser des Schreibens wissen, „als Gott zu Jesus sagte: Du bist mein geliebter Sohn!“. Am Anfang des 2. Petrusbriefes klingt das so:
– Lesung: 2. Petrus 1,16-18 –
Der Glaube kommt aus dem Wort, denn der Glaube ist die Folge eines Sprachereignisses. Wer aber könnte überzeugender von Gott, von Jesus Christus sprechen, als einer, der damals ganz nah dran war. Wer miterlebt hat, dass Gott zu Jesus sagte: „Du bist mein geliebter Sohn“ - der ist über alle Zweifel der Glaubwürdigkeit erhaben und kann zu Recht sagen: Es geht hier nicht um geschickt erfundene Märchen, sondern es geht um Gottes Wort. Es geht darum, dass den Verfasser des Briefes Gottes Wort erreicht hat, dass es ihn zu einem Gläubigen gemacht hat und dass er damit alle Autorität hat, selbst die Herrlichkeit und die Macht und das Kommen Jesu Christi zu verkündigen. Am Anfang seines Briefes geht es dem Verfasser also darum deutlich zu machen: „Meine Worte sind von höchster Stelle autorisiert, und ihr, die Leser meines Briefes, könnt euch darauf verlassen. Und deshalb macht ihr nichts falsch, wenn ihr euch durch das, was ich euch sage, zum Glauben bewegen lasst. Wer durch meine Worte, durch meine menschliche Rede zum Glauben kommt, der liegt richtig.“
Szenen- und Ortswechsel: Kirchengemeinde St. Petri in Buxtehude, mein Amtszimmer. Ich sitze am Tisch gegenüber von Vater und Mutter des kleinen Leonard. Taufgespräch. Leonard soll in ein paar Tagen getauft werden. Wir haben über den Taufspruch für den kleinen Jungen gesprochen und darüber, was es heißt, bei Gott behütet und geborgen zu sein. Den Eltern ist die Taufe wichtig, sagen sie. Schließlich seien sie selbst ja auch getauft worden.
Zunächst scheint alles klar. Dann sage ich zu den Eltern: „Wissen Sie, mit der Taufe setzen wir als Kirche einen Anfang. Ich werde ihren Sohn segnen und ihn durch die Taufe zu einem Kind Gottes machen. Aber das ist nur der Anfang. Was daraus wird, liegt in Ihrer Verantwortung und in der Verantwortung der Paten!“
Die Eltern stutzen und schauen mich fragend an. Ich merke, dass sie nicht genau verstehen, was ich meine. Also füge ich hinzu: „Die Taufe ist ein Anfang. Ihr Kind wird sich später an diesen Tag nicht erinnern können. Deshalb ist es wichtig, dass Sie Ihrem Sohn von Ihrem Glauben erzählen. Kaufen Sie sich eine Kinderbibel und lesen Sie Leonard daraus vor. Oder nehmen Sie sich jeden Abend ein paar Minuten Zeit für ein kleines Abendgebet. Und wenn Ihr Sohn größer ist, dann melden Sie ihn in einem kirchlichen Kindergarten an oder gehen Sie mit ihm in den Kindergottesdienst.“
Die Mutter schaut mich skeptisch an, dann sagt sie: „Ja, ich habe sogar noch eine Kinderbibel von mir.“ „Schön,“ sage ich, „dann lesen Sie Ihrem Sohn daraus vor. Jeden Tag ein kleines Stück, und Sie werden merken, wie auch Ihnen das eine und das andere wieder begegnet und Sie die Geschichten wieder erkennen.“
Die Mutter lächelt – überzeugt ist sie noch nicht. Ich versuche es noch einmal anders: „Wissen Sie, mit dem Glauben ist es wie mit dem Schwimmen. Wenn Sie Ihr Kind nicht zum Schwimmen bringen und ihm zeigen, wie das geht, wird es auch nicht lernen zu schwimmen.“
„Ja,“ sagt die Mutter, „wenn ich Leonard nicht vom Glauben erzähle, wird er auch nicht an Gott glauben können!“
Ich merke: Jetzt hat sie mich verstanden.
Glaube ist nur möglich in der Folge eines Sprachereignisses. Das Hören von Glaubensgeschichten geht dem Glauben voraus. Nur, wenn das Kind mit den biblischen Worten in Berührung kommt, wird sich sein Glaube entfalten können, wird das Kind zu einem glaubenden Menschen werden.
„Und wenn Leonard mich später etwas fragt und ich nicht genau Bescheid was …“, wirft die Mutter zum Schluss ein.
„Dann,“ sage ich, „dann antworten Sie so, wie es aus Ihrem Herzen kommt.“
Vater und Mutter verabschieden sich und versprechen noch in der Tür, auf jeden Fall eine neue Kinderbibel für Leonard zu kaufen und darin die Taufurkunde einzukleben.
Sprachereignisse treffen den Menschen in seiner ganzen Existenz und schaffen in ihm etwas Neues: Das Urteil eines Richters macht aus einem Angeklagten einen Verurteilten oder einen freien Menschen. Wenn Gott die Menschen durch sein Wort anredet und das Wort den Kopf und das Herz des Menschen erreicht, dann wird aus einem Fragenden ein Glaubender. Und wenn ein Kind erlebt, dass Vater und Mutter beten und in einer Beziehung zu Gott leben, dann wird wahrscheinlich auch dem Kind der Glaube wichtig werden.
Und zum Schluss:
Wenn jemand zu dir sagt: „Ich liebe dich“ – dann ist auch das ein Sprachereignis, das dein Leben umkrempeln und dich zu einem neuen Menschen machen kann. Amen.