Die Stimmung auf den landwirtschaftlichen Betrieben ist derzeitig sehr schlecht. Das hat drei Gründe: die katastrophale Lage auf vielen Agrarmärkten, die gesellschaftlichen Anfeindungen und der politische Druck. Alles das lastet auf den Landwirtsfamilien.
Einkommensschwankungen kennen wir in der Landwirtschaft seit eh und je. Schlechtes Wetter dezimiert die Ernte, und Kartoffel- oder Schweinepreise bewegen sich seit jeher in einem ständigen Auf und Ab. Alles das ist bekannt. Dann gibt es schwierige Jahre, deren Folgen in der Regel weggesteckt und verkraftet werden. Und es kann durchaus auch gut laufen, wie die Wirtschaftsjahre 2011/12 bis 2013/14 beweisen.
Was allerdings derzeit auf den Agrarmärkten passiert, ist an Dramatik kaum zu überbieten. Die Landwirtschaft in Deutschland, von den Alpen bis zur Nordsee, steht mit dem Rücken an der Wand. Auch unsere Betriebe in Niedersachsen, dem Agrarland Nummer 1, bekommen die ganze Härte volatiler internationaler Agrarmärkte zu spüren.
Die Erzeugerpreise sind quer über alle Bereiche drastisch gesunken, die Reserven in vielen Betrieben gänzlich aufgebraucht. Diese extreme Situation dauert bereits länger als eineinhalb Jahre. Die Ergebnisse des letzten Wirtschaftsjahres 2014/2015 brachen im Vergleich zum – allerdings guten – Vorjahr um etwa die Hälfte ein.
Der finanzielle Druck ist immens. Im Gesamtvergleich ist ein Eigenkapitalverlust von mehr als 10.000 Euro je Betrieb zu beklagen. Rote Zahlen auf vielen Betriebskonten sind bittere Realität. Die derzeitigen Verhältnisse sind für viele Betriebe existenzgefährdend!
Wirtschaftlicher Druck in der Landwirtschaft
Die heutige Landwirtschaft ist ein kapitalintensiver Wirtschaftsbereich. Kennzeichen unserer zum Teil hoch spezialisierten Unternehmen sind ein steigender Fremdkapitalanteil, zusätzliche Mitarbeiter und immer mehr Pachtflächen zu deutlich höheren Pachtpreisen.
Für die Betriebe, insbesondere die wachsenden Unternehmen, ist es überlebenswichtig, ihre Liquidität mittelfristig zu sichern. Und das wird immer schwieriger angesichts der Kapriolen auf den Weltmärkten, aber auch in der Politik, wenn man zum Beispiel an das Russland-Embargo denkt.
Im vergangenen Wirtschaftsjahr fielen die Preise für alle landwirtschaftlichen Produkte zum Teil dramatisch um bis zu 30 Prozent unter das Vorjahresniveau. Milch-, Rindfleisch-, Schweinefleisch-, Zucker-, Kartoffel-, Getreide- und Rapspreise kannten im zurückliegenden Wirtschaftsjahr nur eine Richtung: abwärts!
Und das hatte drastische Folgen: In 75 Prozent der Betriebe wurde das in der Landwirtschaft gebundene Kapital nicht angemessen verzinst und die Betriebsleiterfamilien nicht adäquat entlohnt. Nahezu jeder zweite Betrieb hat nicht einmal die 30.000-Euro-Grenze überschritten. Und davon sind dann noch neben den Privatentnahmen auch Investitionen, Steuern und die Altersvorsorge zu bezahlen. Was bleibt da noch zum Leben?
Druck aus Gesellschaft und Politik
Es wird niemanden wundern, wenn angesichts dieser Zahlen die Stimmung auf vielen landwirtschaftlichen Betrieben miserabel ist. Es gibt aber noch eine weitere Ursache, die für Missstimmung sorgt: der gesellschaftliche und politische Druck, der auf unseren landwirtschaftlichen Unternehmen lastet.
Besonders im Fokus steht die Tierhaltung, die – man muss es so sagen – Akzeptanzprobleme hat. Viele, die sich zu Wort melden und Ziele, Wünsche, ja Forderungen formulieren, wissen nur selten, wie es auf einem Hof zugeht. Und sie prägen das öffentliche Meinungsbild.
Wenn sie aber einmal genauer hinschauen würden, könnten sie feststellen, dass es den Tieren heute sehr viel besser geht als vor 30, 40 oder 50 Jahren. Ich möchte nicht wissen, was heute los wäre, wenn wir unsere Tiere noch so halten würden wie zu Großmutters Zeiten. Ich prophezeie einen Sturm der Entrüstung, angeführt von den Medien.
Die Landwirtschaft hat eine atemberaubende Entwicklung hinter sich, auf die wir eigentlich alle, die ganze Gesellschaft, stolz sein müssten. Überall wird Fortschritt beklatscht und wie selbstverständlich genutzt. Wer fährt denn heute noch – abgesehen von einigen Oldtimerfreaks – VW Käfer? Wer hat denn noch zuhause den alten Röhrenfernseher von SABA mit 50-Hertz-Technik und Schwarzweißbild? Oder denken Sie an die segensreichen Entwicklungen in der Medizin.
Nur in der Landwirtschaft bleibt der Beifall für den Fortschritt aus: Natürlich werden die Errungenschaften genutzt, denn nach wie vor geht das meiste Fleisch über Supermärkte und Discounter zu den Kunden. Das ist ein klares Votum für dieses Fleisch, für diese Produktion. Später dann, wenn das Schnitzel genüsslich verspeist wurde, wird laut und empört über die Produktion und die Produzenten geschimpft. Das grenzt an Schizophrenie!
Ich bin der tiefen Überzeugung: Alle Landwirte richten ihr Sinnen und Trachten in den Ställen darauf, dass es Rind, Schwein und Huhn gut geht. Nur dann geht es auch den Bauernfamilien gut – und sie arbeiten erfolgreich. Genauso richtig ist: Die Landwirte halten die Tiere, um damit ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Und dabei müssen sie sich tagtäglich einem knallharten Markt stellen, dessen Folgen wir im abgelaufenen Wirtschaftsjahr unerbittlich zu spüren bekommen haben.
Ich fordere deshalb alle Kritiker nachdrücklich auf, bei dem Blick auf die Höfe nicht nur den Fokus auf die Tiere zu richten. Werfen Sie doch bitte auch einmal einen Blick auf die Bauernfamilien, die dahinter stehen.
Aktuell ist es so: Ferkelerzeuger und Milchviehhalter sind derzeit kaum noch in der Lage, die Kosten für Futter, Tierarzt oder Energie zu zahlen. Bei jedem Liter Milch, bei jedem verkauften Schwein zahlt der Bauer zu. Zurzeit bezahlt er Eintritt, wenn er morgens in den Stall geht.
Nach ökonomischen Grundsätzen müsste in einer solchen Situation die Produktion sofort eingestellt werden. Es ist aber hinlänglich bekannt, dass man Tiere nicht so einfach ausstellen kann. Kühe und Schweine sind keine Maschinen, die Landwirte müssen weitermachen! Viele haben deshalb ernsthafte Liquiditätsprobleme oder stehen kurz davor.
Und wie reagieren die Familienbetriebe darauf? Sie betreiben Lohnverzicht und setzen Abschreibungen aus, kurzum: Sie arbeiten zum Nulltarif und zehren von der Substanz. Das ist die moderne Form der Selbstausbeute! Und sie findet statt in einer Zeit, in der geregelte Arbeitszeiten, sichere Einkommen und Urlaub für den Rest der Gesellschaft selbstverständlich sind.
Die viel zitierte „Teilhabe an dem gesellschaftlichen Fortschritt“ ist für viele Landwirtsfamilien nach wie vor nur ein Wunschtraum. Mit fatalen Folgen, denn in diesem Spagat zwischen wirtschaftlichem Druck und gesellschaftlicher und politischer Schelte verlieren immer mehr Betriebsleiter die Hoffnung auf bessere Zeiten. Sie denken ans Aufhören.
Der seelische Druck ist enorm, und das hat Folgen. Untersuchungen zeigen, dass immer mehr Bauern an psychischen Erkrankungen leiden. Bei etwa jedem sechsten Landwirt waren 2013 Burnout und Depression die Ursache für Erwerbsminderungen. Fachleute gehen von einem Anstieg in den vergangenen Jahren von 30 bis 40 Prozent aus.
Und wie reagiert die junge Generation, der Berufsnachwuchs? Kann man es ihm verdenken, wenn er sich lieber in anderen Wirtschaftsbereichen und Berufsfeldern umsieht, um dort einen sicheren und komfortablen Hafen zu finden? Diese Entwicklung ist gefährlich! Sie mündet in einem Blutverlust, den kein Berufsstand lange aushält.
Auskömmliche Preise und politische Akzeptanz als Ziel
Es kann nicht im Interesse von Gesellschaft, Politik und Markt sein, einen ganzen Berufsstand zu gefährden! Und ich bin sicher, das will auch keiner. Damit sich das ändert, und die Landwirtschaft und der ländliche Raum eine gute Zukunft haben, müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein: auskömmliche Preise und die gesellschaftliche und politische Akzeptanz.
Diese Akzeptanz ist ein wichtiger, ein unerlässlicher Standort- und Erfolgsfaktor für unsere Landwirte. Die haben das auch erkannt und tun viel dafür. Ganz aktuell ist die vom Deutschen Bauernverband gestartete Offensive zur Öffentlichkeitsarbeit. Sie begleitet und erklärt das, was seit jeher im Stall und auf dem Acker passiert: nämlich eine stete Optimierung der Produktion im Sinne von Umwelt und Natur, im Sinne von Mensch und Tier.
Auch die Landwirtschaftskammer Niedersachsen ist in diesem Sinne aktiv. Wir sind mit unserem Fachverstand und unserer Unabhängigkeit der ideale Vermittler zwischen Landwirtschaft und Gesellschaft. Wir können substantiell helfen, beide wieder näher zusammenzubringen.
Dazu ein Beispiel aus der Tierhaltung: Wo immer das Thema Tierwohl bearbeitet wird, sind unsere Fachleute dabei – auf Landes- und auf Bundesebene. Neueste Erkenntnisse können wir dann über Ausbildung und Schulungen in unserem neuen Landwirtschaftlichen Bildungszentrum in Echem direkt in die Praxis übertragen. Hier ist auch die interessierte Öffentlichkeit eingeladen, sich ein Bild von moderner Tierhaltung – konventionell und alternativ – zu machen.
Oder ein Beispiel aus dem Pflanzenbau: Unsere Berater helfen den Landwirten, immer umweltbewusster zu düngen. Basis dafür sind die Ergebnisse unseres Versuchswesens. Auf über 60.000 Parzellen, verteilt über ganz Niedersachsen, erarbeiten wir neutrale, fundierte und individuelle Hinweise für die Ackerbauern.
Am Ende allen Forscherdrangs müssen wir aber darauf achten, dass die Ergebnisse einer wissenschaftlichen Betrachtung standhalten. Emotionen helfen bei diesen sensiblen und komplexen Themen nicht weiter. Ebenso klar ist, dass den Landwirten Zeit gegeben werden muss, die neuen Erkenntnisse auch in die Praxis umzusetzen. Sie dürfen auf dem Weg zu noch mehr Tierschutz, noch mehr Umweltschutz und noch mehr Naturschutz am Ende nicht die Einzigen sein, die auf der Strecke bleiben.
Zurück zur gesamtgesellschaftlichen Diskussion um das Thema Landwirtschaft: Mein Eindruck ist, dass sich die Wahrnehmung in der Gesellschaft derzeit ändert. Das liegt auch mit an der Flüchtlingswelle, die wir derzeit erleben. Mit dieser Einschätzung bin ich nicht allein und möchte dazu Jan Grossarth, Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, zitieren. In der Ausgabe vom 10. Oktober 2015 schreibt er in seinem Beitrag, den er mit „Ökomoral und Flüchtlinge“ überschrieben hat: „Das bessere, gesündere Essen und vor allem Fragen der Tierhaltung sind Wohlstandsphänomene. Solche Debatten kommen auf, wenn die Leute satt sind.“ An anderer Stelle heißt es: „Die jetzt wahrgenommene Unsicherheit angesichts der geopolitischen Verwerfungen hat die Gewichte verschoben. Sorgen um die Sicherheit und politische Stabilität wiegen schwerer als solche um Pestizide und Ferkelschmerz.“
Meine Interpretation dazu: So langsam dämmert es vielen, dass die tägliche Versorgung mit Lebensmitteln wohl doch keine Selbstverständlichkeit ist. Da diskutiert es sich dann auf einmal ganz anders. Und das ist gut!
Damit meine ich nicht, dass die landwirtschaftlichen Themen Tier- und Umweltschutz vertagt sind. Ganz und gar nicht. Sie bleiben ganz oben auf der Tagesordnung! Aber vielleicht kann das Thema abseits der Emotionen und des medialen Rummels wieder etwas versachlicht werden.
Und wenn dann auch die Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse wieder besser sind, wird sich auch wieder die Stimmung auf den Höfen deutlich aufhellen.