Was passiert eigentlich beim Abendmahl?
Eine evangelisch-lutherische Antwort
Das ist mein Leib.“ An diesen Worten hing für Martin Luther alles. Wenn Jesus das beim Abendmahl so gesagt hat, dann hat er das auch so gemeint. Für Luther stand damit unumstößlich fest: Im Abendmahl nehmen wir Christi Leib und Blut zu uns.
Aber wie kann der Leib Christi im Brot sein, wenn dieser Leib Christi in den Himmel aufgefahren ist? Deshalb behauptete Luthers Gegner Ulrich Zwingli: Der Leib Christ ist gar nicht beim Abendmahl in der Oblate gegenwärtig, denn er sitzt im Himmel zur Rechten Gottes. Jesu Satz „Das ist mein Leib“ müsse also bildlich verstanden werden in dem Sinne von: Diese Oblate deutet auf meinen Leib hin.
Luther war strikt dagegen. Er hielt am buchstäblichen Sinn der Worte Jesu fest: In der Oblate ist der Leib Christi tatsächlich gegenwärtig, und zugleich ist Christi Leib auch im Himmel. Natürlich widersprach Luthers Ansicht jeder rationalen Logik. Aber gerade darin liegt ihre überraschende Aktualität, denn auch die Quantenphysik behauptet ja gegen jede „rationale Logik“, dass im subatomaren Bereich unserer Wirklichkeit keine eindeutigen Ortsangaben mehr möglich sind. Nicht umsonst trägt die „Heisenbergsche Unschärferelation“ den Begriff Unschärfe im Titel, der nicht so recht zu einer exakten und präzisen Naturwissenschaft passen will.
Luther entwickelte als Erklärungsmodell für die Gegenwart Jesu im Abendmahl die Lehre von der communicatio idiomatum; das heißt wörtlich übersetzt „die Mitteilung der Eigenschaften“. Was verbirgt sich hinter dieser Lehre?
Luther nimmt die neutestamentliche Botschaft ganz ernst: Gott wird Mensch. Dieses Ereignis feiern wir an Weihnachten. Gott wird Mensch, das heißt, das Wesen Gottes und das Wesen des Menschen kommen in dem Menschen Jesus von Nazareth zusammen. Die Person Jesu bildet die Einheit, in der die göttliche und die menschliche Natur verbunden sind. Luther ging davon aus, dass diese Einheit der Person Christi so umfassend ist, dass die göttliche Natur ihre Eigenschaften wie zum Beispiel die Allgegenwart auch der menschlichen Natur mitteilt. Die menschliche Natur Christi bekommt also Anteil an diesen göttlichen Eigenschaften. Das hat zum Beispiel zur Folge, dass der Leib Christi überall gegenwärtig sein kann. Konkret: Sein Leib ist sowohl bei Gott im Himmel als auch im Brot beim Abendmahl, und zwar gleichzeitig.
Umgekehrt bekommt auch die göttliche Natur Christi Anteil an den menschlichen Eigenschaften Christi, wie zum Beispiel der Sterblichkeit. Nur deshalb ist es möglich, dass in Jesus Christus Gott in seiner göttlichen Natur am Kreuz stirbt.
Luthers Verständnis dieser Mitteilung der Eigenschaften der beiden Naturen wird anschaulich, wenn man ein Stück Eisen beobachtet, das ins Feuer gelegt wird. Das Eisen nimmt die Eigenschaften des Feuers an, denn es wird heiß und rotglühend. Dennoch bleibt es Eisen. Umgekehrt gilt dasselbe: Die Feuersglut bekommt Form und Gestalt, denn sie verbindet sich mit dem Eisen. Dennoch bleibt es Feuer.
Ich persönlich halte Luthers Antwort für hoch aktuell und zukunftsfähig, und zwar aus zweierlei Gründen: Zum einen bietet sie auf die Frage: „Wo ist eigentlich der Himmel?“ eine Antwort, die auch im 21. Jahrhundert überzeugt. Und zum anderen ermöglicht Luthers Antwort ein Wirklichkeitsverständnis, das sich auf gleicher Augenhöhe mit den naturwissenschaftlichen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts befindet, zum Beispiel in der Frage nach dem Verhältnis von Geist und Materie.
Matthias Hülsmann
Aufgaben:
- Erklären Sie auf der Grundlage des Textes Luthers Lehre von der communicatio idiomatum („Mitteilung der Eigenschaften“). Nutzen Sie zur Veranschaulichung die Form der Grafisierung.
- Entfalten Sie die These des Verfassers, Luthers Antwort sei „hoch aktuell und zukunftsfähig“.
- Vergleichen Sie die hier dargestellte Bedeutung und den Vollzug des Abendmahls mit dem katholischen Verständnis.
- Entwickeln Sie Perspektiven einer gemeinsamen Abendmahlsfeier katholischer, evangelisch-lutherischer und evangelisch-reformierter Christen.