Erntedankfest im Schlachthof feiern? - Pro: Den Ort der Produktion aufzusuchen, kann gerade zu Erntedank sehr erhellend sein

Von Oliver Friedrich
 

 

Die Kirchengemeinde Ingeln-Oesselse liegt am Stadtrand von Laatzen bei Hannover. In der Nähe des 4.000-Einwohner-Ortes liegt ein Schlachthof. 11.000 Schweine werden dort in der Woche geschlachtet und zerlegt. Der Pastor der St. Nicolai-Kirchengemeinde hatte vor einigen Jahren die Idee, das Erntedankfest im Schlachthof zu feiern, sofern der Betreiber dies ermöglichen würde. Im Kirchenvorstand wurde über diesen Vorschlag heftig diskutiert, der letztlich nicht umgesetzt wurde.
 

Zugegeben: Ein Schlachthof ist ein Ort des Todes. Täglich kann man sehen, wie Lastwagen dort lebendige Schweine anliefern und Kühlfahrzeuge die zerlegten Tiere zur Weiterverarbeitung forttransportieren. Fleisch ist in Deutschland eines der wichtigsten Lebensmittel: Pro Kopf aßen die Deutschen im Jahr 2014 etwa 60 Kilogramm Fleisch. Der Verbrauch lag sogar noch um ein Drittel höher: Rechnet man Futter, industrielle Verwertung, Verluste (einschl. Knochen) etc. dazu, lag der Fleischverbrauch 2014 bei gut 88 Kilogramm pro Jahr und Einwohner1.


Die meisten Menschen essen Fleisch, wollen aber nichts davon wissen, wie dieses Fleisch produziert und verarbeitet wird. Das Steak auf dem Teller erfreut den Gaumen, die fließbandmäßige Tötung und Verarbeitung von Tieren dagegen wird verdrängt.

Das Erntedankfest aus der Kirche in den Schlachthof zu verlegen, ist eine Möglichkeit, dieser Verdrängung zu begegnen und einen Ort aufzusuchen, der eher mit Tod als mit Dank in Verbindung gebracht wird.

Nun kann man sich über die Art und Weise, wie Tiere zur Nahrungsmittelproduktion aufgezogen und gehalten werden, trefflich streiten. Unbestritten aber ist: Tiere werden geboren, gefüttert, aufgezogen und gemästet bevor sie geschlachtet werden können und auf den Tellern landen. Sie unterliegen damit dem Kreislauf der Natur in gleicher Weise wie das Futter, mit dem sie gemästet werden. Der Mensch greift zwar in diese natürlichen Kreisläufe ein und optimiert sie sowohl in wirtschaftlicher als auch tier-physiologischer Hinsicht, außer Kraft setzen kann er den Kreislauf der Natur aber nicht. Wenn es kein Futter für die Tiere gibt, gibt es auch kein Fleisch auf den Tellern. Die Zusammenhänge von Wachstum und Gedeihen sind in der Fleischproduktion komplexer als beim Radieschen, das ich im Balkonkasten ziehe, trotzdem aber bleiben die Zusammenhänge bestehen. Aufzucht und Schlachtung von Tieren haben in unserer Zeit nichts Romantisches mehr. Die Landwirtschaft ist industrialisiert und die Landwirte stehen unter enormen wirtschaftlichen Zwängen. Das gilt aber nicht nur für die Fleischproduktion: Auch der Apfel, der im Alten Land geerntet wird, ist letztlich ein Industrieapfel. Für die Milch, die von hochgezüchteten Kühen stammt; für den Weizen, der mit Pestiziden behandelt wird und für die Kartoffel, die mit großem Aufwand in ihrem Ertrag optimiert wird, gilt dasselbe - sie sind Produkte einer industrialisierten Landwirtschaft. Trotzdem würde niemand auf die Idee kommen, auf Kartoffeln, Getreide, Äpfel und Zuckerrüben auf den Erntedankaltären zu verzichten oder etwa die Parole auszugeben, dass auf den Altären nur Bioware etwas zu suchen habe. Für Tiere, die das Fleisch liefern, das die meisten Verbraucher möglichst günstig einkaufen und verzehren wollen, kann man deshalb ebenso dankbar sein wie für die Zuckerrübe auf dem Acker. Erntedankfest im Schlachthof zu feiern, könnte dann auch zum Inhalt haben, einen ehrlichen Blick darauf zu richten, wie landwirtschaftliche Erzeugnisse heute produziert werden. Darüber hinaus würde das Fest selbst aus seiner romantischen Verklärtheit einer kleinbäuerlichen Idylle befreit.

Wer übrigens regelmäßig vor dem Essen betet und mit den einfachen Worten „Komm, Herr Jesu, sei unser Gast und segne, was du uns bescheret hast“ Gottes Segen für die Mahlzeit erbittet, tut dies auch über der Hühnerbrust und dem Rindersteak aus industrieller Produktion. Den Ort dieser Produktion aufzusuchen, kann gerade zu Erntedank sehr erhellend sein.

Anmerkungen:

  1. Vgl. Bundesverband der deutschen Fleischwarenindustrie, www.bvdf.de/in_zahlen/tab_05/, Aufruf am 7. März 2016, 10.00 Uhr.