Fantasien und Bilder vom Untergang der Welt verursachten zu allen Zeiten und in nahezu allen Kulturkreisen große Ängste und übten gleichzeitig eine gewisse Faszination auf Menschen aus. Häufig werden sie mit dem Begriff der Apokalypse assoziiert. Präzise ist dieses im biblischen Sinne nicht. In der christlichen Theologie ist mit dem Wort „Apokalypse“ zunächst eine literarische Gattung gemeint. In der apokalyptischen Literatur werden spezifische Endzeit- und Zukunftserwartungen zusammengefasst. Ausgangspunkt entsprechenden Denkens ist das Leiden der Menschen an der eigenen Lebenssituation und die Wahrnehmung einer tiefen Ohnmacht. Der Mensch erlebt die Welt als böse und voller Unheil und schreibt dieses der Abwesenheit Gottes zu. Dabei handelt es sich allerdings um kein endgültiges Geschehen, sondern um eine Art Durchgangsstadium auf dem Weg zur Erlösung durch Gott. Im Diesseits gibt es kein Heil mehr. Dieses wird im Jenseits erwartet. Die Hoffnung auf eine zukünftige bessere Welt steht im Zentrum. Apokalyptische Vorstellungen im biblischen Sinne können entsprechend als positive Geschichtsdeutung gelesen werden.
Als Christen wissen wir mit Paulus, dass die Gestalt dieser Welt vergehen wird. Andererseits vertrauen wir darauf, dass Gott seine Liebe zu dieser Welt dadurch offenbarte, dass er seinen Sohn in unsere Welt sandte. „Christlicher Glaube ist Weltbejahung, die durch Weltverneinung hindurchgeht.“[1] Diese Weltbejahung macht einen wesentlichen Unterschied zu apokalyptischen Vorstellungen aus. Hoffnung richtet sich nicht allein auf eine neue Welt jenseits des Untergangs. Christlicher Glaube gibt diese Welt nicht auf, sondern hofft auch in der Katastrophe. Grund der Hoffnung ist das Kommen Jesu in diese Welt. Der Glaube hat sich zu bewähren „im Protest und im praktischen Einsatz gegen alles Katastrophische, das die Welt apokalyptisch werden lässt“. [2] Christlicher Glaube vertraut darauf, dass Gott in dieser Welt da ist. Das macht Mut und Hoffnung in allem Leid und trotz allen Leidens. In diesem Sinne vertrauen Christen darauf, dass diese Welt eine Zukunft hat und dass sie für ihre Gestaltung mitverantwortlich sind.
Für Schülerinnen und Schüler in der Sekundarstufe I stellt sich die Zukunftsfrage in besonderer Weise. Die Loslösung von den Eltern verlangt eigene Schritte in eine ungewisse Zukunft. Die Weichen so zu stellen und die Zukunft so anzubahnen, dass das eigene Leben gelingt, ist eine der großen Herausforderungen des Jugendalters. Fragen wie z. B. „Wie wird meine Zukunft aussehen?“, „Wie kann ich sie gestalten?“ oder „Gibt es in dieser Welt eine Zukunft für mich?“ sind bedeutsam. Und sie stellen sich massiver als noch vor zwanzig Jahren. Medial werden täglich unzählige Nachrichten über die Verletzbarkeit der Welt, über globale Krisen, Kriegsszenarien, Seuchen und Terror als Vorschein einer Apokalypse auf die Monitore in die Jugendzimmer übertragen. Parallel wird eine scheinbar paradiesische Welt gezeigt. In dieser Welt suggerieren eine mächtige Werbeindustrie und mehr oder weniger begabte Entertainerinnen und Entertainer Jugendlichen, dass allein Schönheit und selbst gemachter Erfolg die Voraussetzung für eine gelingende und befriedigende Zukunft sind. Entsprechend hoch sind die Ansprüche und der Druck, das eigene Leben zum Erfolgsmodell zu machen.
Die Last der Zukunft ist erheblich. In Zeiten der Säkularisierung trägt die tröstende Botschaft der Rechtfertigungslehre ebenso wenig wie die Hoffnung einer apokalyptisch gedachten Verfügungsgewalt Gottes über das Ende der Welt und die damit verbundene Hoffnung auf eine gerechtere Zukunft. An die Stelle Gottes tritt der Mensch, der sowohl für das Ende der Welt als auch für eine zukünftige Rettung der Menschheit die Verantwortung zu übernehmen hat. Versagt der auf sich gestellte Mensch, gibt es keine Zukunft.
Was hier für die Welt gesagt wird, gilt ebenso für den Einzelnen. Eine glückliche Zukunft wird als machbar dargestellt. Sie wird allerdings an die Möglichkeit des Individuums gebunden, sich gut zu inszenieren. Erfolg und Glanz warten scheinbar insbesondere auf diejenigen, denen es gelingt, sich selbst immer wieder neu, originell und unverwechselbar zu erfinden. Versagt der auf sich gestellte Mensch, scheint alle Zukunft grau. In der Spannung zwischen dem katastrophischen massenhaften Leiden in der Welt und den Verheißungen einer Erfolgs- und Wellnesswelt gilt es für Jugendliche, sich zu verorten. Gegen alles Ungenügen und gegen alles Sinn- und Trostlose gilt es, für die eigene Zukunft eine tragfähige Perspektive zu finden.
An dieser Stelle ist der Religionsunterricht gefordert. Trotz aller Gefühle individueller Unvollkommenheit, trotz allen Leidens in dieser Welt gilt die Zusage der Liebe Gottes (Joh 3,16), der als Jesus von Nazareth in diese Welt gekommen ist. „Der adventus Gottes ermöglicht die Erfahrung einer neuen Zukunft inmitten aller Zukunftslosigkeit.“[3] Der Glaube an Jesus Christus entlässt den Menschen nicht aus seiner Verantwortung für diese Welt. Die Welt ist dem Menschen nicht nur Gabe, sondern gleichzeitig immer auch Aufgabe.
Der Unterricht
Die erstellten Unterrichtsmaterialien haben zum Ziel, die nachstehenden prozessbezogenen Kompetenzen der niedersächsischen Kerncurricula anzubahnen:
- Situationen erkennen und beschreiben, in denen existenzielle Fragen des Lebens bedeutsam werden,
- bereit sein, die Perspektive des anderen einzunehmen und in Bezug zum eigenen Standpunkt zu setzen. [4]
Verbunden damit sind folgende Unterrichtsintentionen:
- Die Schülerinnen und Schüler äußern ihre Zukunftsvorstellungen, denken über die Grundsätze für das eigene Leben nach und vergleichen diese untereinander sowie mit vorgegebenen Lebensgrundsätzen.
- Die Schülerinnen und Schüler erkennen anhand eines Beispiels, dass die eigene Zukunft nicht komplett planbar und von unvorhersehbaren Ereignissen abhängig ist.
- Die Schülerinnen und Schüler erkennen, dass die individuellen Einstellungen und Erfahrungen Folgen für die Gestaltung der eigenen und der Zukunft anderer Menschen haben.
- Die Schülerinnen und Schüler arbeiten Aspekte heraus, die sich für die Gestaltung der eigenen Zukunft als tragfähig erweisen können.
Einstieg
Einleitend wird das Foto (M 1) als stummer Impuls gezeigt. Die Äußerungen der Schülerinnen und Schüler werden nicht kommentiert. In einem zweiten Schritt werden die Schülerinnen und Schüler aufgefordert, eine eigene Antwort auf die Frage „Wie stellt ihr euch eure Zukunft vor?“ zu formulieren und anonym auf kleine Zettel (DIN-A-6) zu schreiben. Die Zettel werden eingesammelt und von der Lehrkraft vorgelesen. Die Schülerinnen und Schüler nehmen Stellung zum Gehörten und äußern ihre Eindrücke. Die Methode ermöglicht einen offenen Einstieg und gibt erste Auskünfte über die Zukunftsvorstellungen der Schülerinnen und Schüler. Die Vorstellung, die ausgefüllten Zettel in zehn Jahren bei einem Klassentreffen noch einmal vorzulesen und mit der Wirklichkeit zu vergleichen, ist ein erster Denk- und Gesprächsimpuls.
Baustein A
Leben ist nicht vollkommen planbar. Kleine oder große Ereignisse erfordern immer wieder Veränderungen des eigenen Weges. Ob Menschen bereit sind, die Zukunft dieser Welt mit zu gestalten, ob sie ihrem christlichen Glauben dabei etwas zutrauen, ob sie bei der Gestaltung der Zukunft eher selbstbezogen sind oder ob sie sich hilflos in ihr Schicksal fügen, verdeutlicht sich in Aussagen über das eigene Leben. Entsprechende Lebensgrundsätze stehen im Zentrum der folgenden Phase.
Die Schülerinnen und Schüler erhalten zur Erarbeitung die Aussagen mit den Lebensgrundsätzen verschiedener Menschen (M 2). In dieser Phase haben die Schülerinnen und Schüler in Einzelarbeit zwanzig Minuten Zeit, um die Aussagen zu erschließen, über ihren eigenen Lebensgrundsatz nachzudenken und diesen aufzuschreiben. Anschließend kommen die Schülerinnen und Schüler in Dreiergruppen zusammen, vergleichen die Aussagen der fiktiven Personen, stellen sich ihre eigenen Lebensgrundsätze vor und beantworten die Fragen des Arbeitsblattes. Schließlich werden die Gruppenergebnisse im Plenum vorgestellt und zusammengefasst. Hierbei sollte u.a. herausgearbeitet werden, dass Lebensgrundsätze Konsequenzen für die Gestaltung des eigenen Lebens haben.
Baustein B
In der folgenden Phase wird ein Junge (Kyo) vorgestellt, der das Unglück von Fukushima überlebt hat. Einleitend wird den Schülerinnen und Schülern die Dramatik des Ereignisses vor Augen geführt. Entsprechende Filmsequenzen können bei Youtube (www.youtube.com) eingesehen werden. Im Anschluss steht die Anbahnung einer Identifikation der Schülerinnen und Schüler mit Kyo im Mittelpunkt. Dazu wird das Foto (M 3) gezeigt. Die Schülerinnen und Schüler äußern sich zu dem Foto und stellen Vermutungen über die Situation von Kyo an. Die Lehrkraft weist darauf hin, dass das Unglück plötzlich und unvorhersehbar über die betroffenen Menschen hereinbrach und Kyo bis zu dem Tag des Unglücks ein ganz normales Leben gelebt hat. Gemeinsam stellen die Schülerinnen und Schüler in der Lerngruppe Vermutungen darüber an, wie das Leben von Kyo ausgesehen haben könnte und schreiben im Anschluss in Dreiergruppen einen möglichen Tagesablauf von Kyo am 10. März (Tag vor dem Unglück) auf (M 4). Die Ergebnisse werden im Plenum vorgestellt und dienen als Vorgeschichte der nächsten Phase.
Baustein C
In der folgenden Phase werden die Geschichte von Kyo und die Lebensentwürfe der in der Vertiefungsphase I eingeführten Personen zusammengeführt. Dazu wird ein vergrößertes Bild von „Kyo“ (M 5) in die Mitte der Tafel geheftet. Einleitend nimmt die/der Unterrichtende Bezug zu den von den Schülerinnen und Schülern vorgetragenen Tagesabläufen von Kyo und setzt die Geschichte des Jungen mit der Erzählung „Der Tag des Unglücks“ (M 6) fort.
Im Anschluss an die Erzählung erhalten die Schülerinnen und Schüler in einer ersten Phase genügend Raum, um sich zur Schilderung Kyos äußern zu können und ggf. ihre Betroffenheit zu verbalisieren. Im Anschluss werden die auf DIN-A4 Seiten geschriebenen Namen der Personen des Arbeitsblattes M 2 um das Foto von Kyo gruppiert. Die Schülerinnen und Schüler teilen sich in Dreiergruppen auf und werden aufgefordert, sich vorzustellen, Kyo würde einen dieser Menschen treffen und sie würden sich über ihre Zukunft unterhalten. Wie würde ein Dialog aussehen? Was käme darin zur Sprache? In einer Austauschrunde bringen die Schülerinnen und Schüler eigene Ideen hierzu ein. Die Lehrkraft könnte weitere mögliche Fragen für die Dialoge einbringen: „Welche Wünsche habe ich im Blick auf die Zukunft?“, „Was macht mir Angst?“, „Was macht mir Hoffnung?“, „Was kann ich im Blick auf die Zukunft beeinflussen?“, „Worauf kann ich vertrauen?“ oder „Was hilft mir, meine Zukunft zu gestalten?“
Im Anschluss werden die Dialoge in der Lerngruppe vorgestellt. Während der Auswertung sollte deutlich werden, dass die Einstellungen von Kyo und seinen Dialogpartnern sich unterscheiden. Mögliche Gründe hierfür sind im Unterrichtsgespräch zu erheben. Ebenso sollte deutlich werden, dass die eigenen Einstellungen und Erfahrungen Folgen für die Gestaltung der eigenen und der Zukunft von anderen haben.
Ergebnissicherung
Das Ergebnis des Unterrichtsgesprächs wird im Bild einer sogenannten „Zukunftswaage“ (M 7) zusammengefasst. Im Zentrum dieser Phase steht die Frage, welche in den Dialogen genannten Aspekte sich für die Gestaltung von Zukunft als tragfähig erweisen. Hier geht es um individuelle Fähigkeiten, ggf. um den eigenen Glauben und um die Erkenntnis des Angewiesenseins auf den Nächsten. Entsprechende Äußerungen der Schülerinnen und Schüler werden in der einen Waagschale gesammelt. In der anderen Waagschale werden Aspekte zusammengetragen, die Ängste verursachen.
Als Ergebnis ist herauszuarbeiten, dass die Befüllung der eigenen „Zukunftswaage“ wesentlich zur Gestaltung und zum Gelingen der eigenen Zukunft beiträgt. Dadurch, dass der Mensch sein Leben bejaht und den Willen zur Gestaltung seines Lebens und der Welt zeigt, wird aus abstrakten Zukunftsvorstellungen eigenes, individuelles Leben. Theologisch gesprochen: Gottes Verantwortung für sein Volk in dieser Welt legt dem Menschen Verantwortung für das eigene Leben und das Leben anderer auf.
Anmerkungen
- Ulrich H. J. Körtner: Zukunft als radikal Neues. In: Zeitzeichen 11/2012, 35.
- ebd.
- ebd.
- Vgl. z. B.: Niedersächsisches Kultusministerium: Kerncurriculum für die Schuljahrgänge 5-10. Oberschule. Evangelische Religion. Hannover 2013.