Die Zukunftsvorstellungen von Kindern und Jugendlichen zu kennen, ist sowohl für den Bereich der Jugendforschung als auch für Personen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, ein wichtiger Aspekt. In der Studie „Jugend.Leben 2012“ wurden Kinder und Jugendliche in Nordrhein-Westfalen im Alter zwischen zehn und 18 Jahren repräsentativ zu unterschiedlichen Bereichen ihres Lebens befragt. Auch Fragen nach ihrer Einschätzung zu konkreten gesellschaftlichen Problemen sowie die eigenen persönlichen Zukunftsaussichten wurden beantwortet. Umfassende Ergebnisse zu der Studie sind in der Publikation von Maschke u. a. (2013) „Appsolutely smart“ nachzulesen.
Im Folgenden wird bezugnehmend auf die Befunde von Maschke u. a. (2013) und auf Grundlage der Daten der Studie „Jugend.Leben 2012“ die Sichtweise der Kinder und Jugendlichen auf die Zukunft beschrieben. Anschließend werden die vorgestellten Erkenntnisse in die aktuell bestehenden theoretischen Erklärungen eingebettet. Zuletzt erfolgen ein Resümee und eine Interpretation der Ergebnisse.
1. Befunde aus „Appsolutely Smart“
Knapp die Hälfte (49 Prozent) der Zehn- bis 18-Jährigen sehen der Zukunft ihres eigenen Lebens „eher gemischt (mal so – mal so)“ und ein weiterer großer Teil (47 Prozent) blickt ihrer Zukunft „eher zuversichtlich“ entgegen. Nur ein geringer Teil von knapp fünf Prozent denkt, dass ihre Zukunft „eher düster“ sein wird. Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen sind vernachlässigend gering (vgl. Maschke u. a. 2013, 203f.).
Die Einschätzung der eigenen Zukunft unterscheidet sich nach dem Alter der Befragten. Viele Kinder zwischen zehn und zwölf Jahren blicken ihrer Zukunft „eher gemischt“ entgegen (siehe Abbildung 1). Vor allem die 16- bis 18-Jährigen sehen die eigene Zukunft optimistisch.
Anders sind die Antworten, wenn danach gefragt wird, „wie das Leben in unserer Gesellschaft weitergehen wird“ (vgl. Abbildung 2). Die Befragten konnten zwischen den Antworten „eher zuversichtlich“ und „eher düster“ wählen. Insgesamt sind 36 Prozent der Kinder und Jugendlichen der Meinung, die Zukunft des gesellschaftlichen Lebens sieht „eher düster“ aus. Wird nach Alter differenziert, zeigt sich allerdings, dass die Älteren (16 bis 18 Jahre) die gesellschaftliche Zukunft mit 56 Prozent signifikant häufiger als „eher düster“ einschätzen. Die 13- bis 15-Jährigen blicken mit 38 und die Zehn- bis Zwölfjährigen mit 19 Prozent deutlich seltener „eher düster“ in die gesellschaftliche Zukunft (vgl. Maschke u. a. 2013, 205f.).
In „Jugend.Leben 2012“ wurde zudem nach konkreten gesellschaftlichen Problemen gefragt, auf die im Folgenden eingegangen wird.
2. Konkrete gesellschaftliche Probleme
Bezogen auf eher apokalyptische Anzeichen bzw. gesellschaftlich/menschlich bedrohliche Ereignisse wurden für diesen Beitrag folgende Aussagen nach Altersgruppen betrachtet: „Technik und Chemie werden die Umwelt zerstören“, „Es wird gelingen, die Umweltprobleme zu lösen“, „Gewalttätige Konflikte werden das Leben zunehmend verunsichern“ und „Die Menschen werden friedlicher und gewaltfreier zusammenleben“. Die Zehn- bis 18-Jährigen konnten ihre Einschätzung dahingehend abgeben, ob das Ereignis bestimmt oder wahrscheinlich eintritt bzw. ob das Ereignis bestimmt nicht oder wahrscheinlich nicht eintritt. Die folgenden Analysen finden sich für die Zehn- bis Zwölfjährigen in Maschke u. a. (2013, 207) wieder. Dort wurden jedoch die Altersklassen 13 bis 15 sowie 16 bis 18 Jahre gemeinsam betrachtet. In dem vorliegenden Beitrag werden sie getrennt dargestellt.
In Abbildung 3 wurden sowohl die negativ formulierten Fragen (z. B. dass die Umwelt zerstört wird) als auch die positiv formulierten Fragen (z. B. dass die Umweltprobleme gelöst werden) veranschaulicht. Dabei wurden die Antworten „das tritt bestimmt ein“ und „das tritt wahrscheinlich ein“ zusammengezählt und prozentual dargestellt. Ein geringer Prozentsatz bei den positiv formulierten Aspekten – „Es wird gelingen, die Umweltprobleme zu lösen“ und „Die Menschen werden friedlicher und gewaltfreier zusammenleben“ – ist entsprechend so zu interpretieren, dass diese Punkte pessimistisch gesehen werden.
Bei der Frage nach ihrer Einschätzung zur Umweltzerstörung durch Chemie und Technik teilt sich bei den Zehn- bis Zwölfjährigen die Meinung. Genau die Hälfte sieht diesem Problem optimistisch entgegen die andere eher pessimistisch. Ab Beginn der Jugendphase (mit ca. 13 Jahren) werden die Ansichten auch hier pessimistischer. Weit über die Hälfte der 13- bis 15-Jährigen und zwei Drittel der 16- bis 18-Jährigen gehen davon aus, dass Technik und Chemie die Umwelt bestimmt oder wahrscheinlich zerstören werden. Die Altersgruppen unterscheiden sich statistisch signifikant voneinander. Mit zunehmendem Alter wird häufiger davon ausgegangen, dass Technik und Chemie die Umwelt zerstören werden (vgl. Abbildung 3).
Auch hinsichtlich der Lösung von Umweltproblemen sind die Zehn- bis Zwölfjährigen optimistischer. Diese optimistische Einschätzung nimmt ebenfalls (im Trendvergleich) mit zunehmendem Alter ab und wandelt sich in eine pessimistische Bewertung. Vor allem die Jugendlichen zwischen 16 und 18 Jahren unterscheiden sich in diesem Punkt um rund 13 Prozent noch einmal deutlich von den 13- bis 15-Jährigen. So sind auch hier die älteren Jugendlichen deutlich (und statistisch bedeutsam) pessimistischer als die Jüngeren (vgl. Abbildung 3).
Dass gewalttätige Konflikte das Leben zunehmend verunsichern werden, denkt über alle Altersgruppen hinweg mindestens die Hälfte der Zehn- bis 18-Jährigen. Aber es zeigt sich ein signifikanter und prozentual recht großer Unterschied zwischen den Zehn- bis Zwölfjährigen und 13- bis 18-Jährigen. Der Unterschied zwischen den 13- bis 15-Jährigen und den 16- bis 18-Jährigen ist vergleichsweise gering (vgl. Abbildung 3).
Die pessimistischste Aussicht auf die gesellschaftliche Zukunft der Jugendlichen gilt der Aussage, dass die Menschen friedlicher und gewaltfreier zusammenleben werden. Das glauben Jugendliche zwischen 13 und 15 Jahren zu nicht ganz einem Drittel und rund 20 Prozent der zwischen 16- und 18-Jährigen. Bei den Befragten zwischen zehn und zwölf Jahren zeichnet sich auch hier eine eher gespaltene Meinung ab (die Hälfte denkt, dass dies geschehen wird, die andere nicht) und sie unterscheiden sich deutlich von den Jugendlichen. Auch diese Altersunterschiede sind statistisch signifikant (vgl. Abbildung 3).
3. Krieg und Frieden – Wünsche, Ängste und Sorgen Zehn- bis 18-Jähriger
Im Rahmen von „Jugend.Leben 2012“ wurden Kinder und Jugendliche mit dem Impuls „Wie stelle ich mir meine persönliche Zukunft und meinen weiteren Lebensweg vor? Meine Wünsche, Hoffnungen, meine Sorgen und Ängste“ gebeten, einen kleinen Aufsatz zu schreiben. Diesen Personen wurden die zuvor aufgeführten Fragen allerdings nicht vorgelegt, um u. a. ihre Aufmerksamkeit nicht auf bestimmte Aspekte zu fokussieren (zum Design der Studie siehe Maschke u. a. 2013, 272).
Insgesamt gesehen gehen die Befragten in ihren Aufsätzen auf viele unterschiedliche Aspekte ein. Ihr Fokus liegt – entsprechend dem Impuls – auf dem eigenen Schul- und Berufsabschluss, einem guten Job, Heiraten, Familie, Gesundheit, aber auch beispielsweise auf Konflikten und Krieg. Exemplarisch sollen hier einige Aussagen aus den verschiedenen Altersklassen genannt werden, um einen Einblick zu skizzieren, mit welchen Wünschen, Ängsten und Sorgen sich die Kinder und Jugendlichen unter anderem beschäftigen.
Ein elfjähriges Mädchen hat in ihrem Aufsatz u. a. geschrieben: „Ich stelle mir die Zukunft vor, dass es mehr Frieden in der Welt gibt.“
Auch eine Zwölfjährige beschreibt (etwas detaillierter), was sie sich für ihre Zukunft wünscht: „Ich wünsche mir erstmal in der Zukunft Frieden auf der ganzen Welt. Auch dass die Menschen nicht nur an sich selber denken, sondern hilfsbereiter, freundlicher, sozialer werden. Keine Hintergedanken – einfach mal die Menschen in Ruhe lassen und nicht versuchen ihnen das Leben schwer zu machen. Ich möchte auch keine gesundheitlichen Probleme haben/bekommen und mit meiner eigenen Familie gut leben können in einer schöneren Welt.“
Während die beiden Antworten von Kindern eher auf dem Wunsch oder Glaube an eine bessere, friedliche Welt beruhen, sieht dies bei den Antworten der Jugendlichen anders aus. Ein Junge, 15 Jahre, hat in seinem Aufsatz seine Sorgen kundgetan: „Ich mache mir Sorgen über das Leben der Menschen in Zukunft und die daraus resultierenden Konflikte; ich hoffe dass die Länder, deren Volk revolutioniert, Einsicht zeigen und keinen Krieg mit den Weststaaten anfangen.“
Auch ein 18-Jähriger sorgt sich: „… Unruhen Nahost sowie Entwicklung China, Korea, neue Krisenherde, vor allem vor einem Dritten Weltkrieg und die Vernichtung der Menschheit durch sich selbst. Ich weiß, hört sich apokalyptisch, übertrieben und unrealistisch an, aber ich sehe und deute hier nur die Gegenwart, ich bin Realist!“
4. Der Übergang in die Jugendphase und Entwicklungsaufgaben
Die unterschiedlichen Antworten der Jugendlichen und Kindern bei den standardisierten Fragen sowie die Thematisierung bei den Aufsätzen lassen sich mit sogenannten Entwicklungsaufgaben im Jugendalter erklären. Das Konzept der Entwicklungsaufgaben wurde erstmals in den 1950er Jahren von Havighurst veröffentlicht und insbesondere ab den 1970er Jahren kontinuierlich überarbeitet (vgl. Quenzel/Hurrelmann 2011, Moser 2010). In diesem theoretischen Ansatz geht es um gesellschaftliche Erwartungen, die in verschiedenen Altersphasen an Individuen herangetragen werden, und die individuell bewältigt werden müssen. Hurrelmann und Quenzel (2012, 28) unterscheiden, bezugnehmend auf Havighurst (1953), vier Entwicklungsaufgaben von Jugendlichen: Der Jugendliche erarbeitet sich, zukünftig die Rolle …
- eines (qualifizierten, fähigen, gebildeten, etc.) Berufstätigen einnehmen zu können. (‚Qualifizieren‘)
- eines Familiengründers (sprich: selbst Elternteil zu sein) einnehmen zu können. (‚Binden‘)
- eines Konsumenten (Nutzung von Wirtschafts-, Freizeit- und Medienangeboten, etc.) einnehmen zu können. (‚Konsumieren‘)
- eines (politisch partizipierenden, etc.) Bürgers einnehmen zu können. Hierzu wird das Werte- und Normensystem ausgeprägt und zunehmend in Übereinstimmung mit gesellschaftlichen Konventionen gebracht. (‚Partizipieren‘)
Die Beunruhigungen und Sorgen der Jugendlichen hinsichtlich gesellschaftlicher und globaler Ereignisse, wie sie in den hier präsentierten Daten deutlich werden, stellen die Heranwachsenden vor das Problem, wie sie bestimmte Ereignisse deuten und bewerten sollen und wie sie sich – auch aktiv – zu diesen verhalten sollen. Die zuvor beschriebene Entwicklungsaufgabe ‚Partizipation‘ scheint dem weitestgehend zu entsprechen, dass die Jugendphase von der Herausforderung geprägt ist, sich bestimmte Werte und Normen durch Aushandlungsprozesse anzueignen und sich (politische) Partizipationsmöglichkeiten zunehmend zu erschließen. Dadurch, dass Probleme, Konflikte und Kriege, wie sie beispielsweise u. a. durch die Medien an die Jugendlichen herangetragen werden, „in ihrem Ausmaß und ihrer Verbreitung als schwer einschätzbar und in ihrer Erscheinungsform als nicht beeinflussbar wahrgenommen werden“ (Hurrelmann/Quenzel 2012, 214), können sie den Jugendlichen als Anstoß für persönliche und soziale Auseinandersetzungen mit Normen und Werten („Was halte ich davon?“) sowie mit Überlegungen zu Partizipationsmöglichkeiten („Was kann ich dagegen/dafür tun?“) dienen.
Dass sich in der Jugendphase hinsichtlich der Zukunftsvorstellungen die Akzente tatsächlich verschieben, dafür finden sich in den präsentierten Daten entsprechend Hinweise. Interessant ist, dass Kinder gesellschaftlichen Problemen eher optimistisch gegenüberstehen (siehe Abbildung 2), während die Jugendlichen diesbezüglich pessimistischer sind. Bzgl. der Sicht auf das eigene Leben verhält es sich genau umgekehrt – die Älteren sind hier optimistischer (siehe Abbildung 1). Maschke u. a. (2013, 206f.) interpretieren diesen Befund dahingehend, dass Kinder einerseits zwar wissen, dass sie für ihr eigenes Leben verantwortlich sind oder sein werden, dass ihnen aber diesbezüglich noch adäquate Bewältigungsstrategien fehlen. Andererseits scheinen aber aus ihrer kindlichen Perspektive gesellschaftliche Probleme nicht in ihr persönliches künftiges Handlungsfeld als Erwachsene zu gehören. In der Jugendphase erarbeiten sich die Heranwachsenden nun nicht bloß adäquate Bewältigungsstrategien für ihr eigenes Leben (was sie diesbezüglich zumindest positiver stimmt), sondern sie erarbeiten sich zunehmend ein bürgerliches Bewusstsein, dass sie selbst einst die gesellschaftliche Verantwortung mit tragen werden. Gegebenenfalls fehlt ihnen aber die Vorstellung bzw. die Strategie, wie es möglich sein soll, einst als Bürger selbst Einfluss auf gesellschaftspolitische Prozesse und damit auf die Zukunft von Gesellschaft nehmen zu können (was sie diesbezüglich negativer stimmt).
5. Resümee und Interpretation
Abschließend ergibt sich für die hier vorgestellte Datenlage der Befund, dass der positive Glaube an Lösungen von Problemen und Frieden sowohl die Zehn- bis Zwölfjährigen als auch die 13- bis 15-Jährigen häufiger als wahrscheinlicheres Szenario ansehen, als dies bei den älteren Jugendlichen (16 bis 18 Jahre) der Fall ist. Größere Gefahren sehen vor allem die älteren Jugendlichen. Aber auch bei den 13- bis 15-Jährigen findet sich Krieg und Umweltzerstörung zunehmend als durchaus mögliche Zukunftsvorstellung. Auch die Zitate machen deutlich, dass Kinder und Jugendliche sich über die Zukunft auf globaler Ebene sorgen und dies mitteilen. Während die Ängste und Sorgen bei den Jüngeren eher als Wunsch beschrieben werden, dass es Frieden und eine „schönere Welt“ gibt, werden sie bei den Älteren anhand von konkreten Vorkommnissen und deutlicher als Besorgnis geäußert.
Vor dem Hintergrund der Entwicklungsaufgaben können die Ergebnisse dahingehend interpretiert werden, dass Jugendliche zwischen 13 und 15 in einer Art Mittelposition stehen. Sie nehmen im Rahmen ihrer „Partizipation“ zunehmend potenzielle Gefahren – medial oder durch Gespräche mit älteren Jugendlichen und Erwachsenen vermittelt – wahr. Sie benennen die Konfliktgebiete, verfolgen die Nachrichten und setzen sich mit den Inhalten auseinander. Dennoch haben viele aus dieser Altersgruppe (13 bis 15 Jahre) – wie die Befragten zwischen zehn und zwölf Jahren – den positiven Glauben daran, dass Probleme gelöst werden und das Zusammenleben friedlich sein wird.
Literatur
- Maschke, Sabine/Stecher, Ludwig/Coelen, Thomas/Ecarius, Jutta/Gusinde, Frank: Appsolutely smart! Ergebnisse der Studie Jugend.Leben, Bielefeld 2013
- Moser, Sonja: Beteiligt sein. Partizipation aus der Sicht von Jugendlichen, Wiesbaden 2010
- Hurrelmann, Klaus/Quenzel, Gudrun: Lebensphase Jugend. Eine Einführung in die sozialwissenschaftliche Jugendforschung, 11. vollständig überarbeitete Auflage Weinheim und Basel 2012
- Quenzel, Gudrun/Hurrelmann, Klaus: Entwicklungsaufgaben und Schulerfolg: Stehen geschlechtsspezifische Bewältigungsmuster hinter dem Bildungserfolg von Frauen?, in: Hadjar, Andreas (Hg.): Geschlechtsspezifische Bildungsungleichheiten, Wiesbaden 2011
- Havighurst, Robert James: Human Development And Education, New York 1953