Es gibt die Hölle. Das weiß das Kind, das regelmäßig in den Keller muss und dort von der übermächtigen Hand des Vaters verprügelt wird. Das weiß die Jugendliche, die das verweinte Gesicht ihrer Klassenkame-radin, der sie das Smartphone gestohlen hat, nicht aus dem Kopf kriegt. Dumpf, stechend, brennend, un-entrinnbar. Äußerste Pein. Sei es durch Schlimmes, das andere uns zufügen. Sei es durch eigene Schuld. „Es ist die Hölle“, sagen wir dazu.
Unser Leben ist eben nicht nur als Chilly-Willy-Welle zu surfen. Andere können uns das Leben zur Hölle machen. Und wir können unser Leben verfehlen, durch eigene Schuld.
Wenn man die christliche Lehre von der Hölle – als eine Konsequenz des Endgerichts am jüngsten Tag [1]– bedenkt, dann nicht ohne solche diesseitigen Höllenerfahrungen. Sonst ist es wohlfeil, sie als lächerliches Märchen abzutun. Denn die Hölle steht für die Hoffnung der Opfer, dass Gott, indem er Unrecht bestraft, Gerechtigkeit durchsetzt. Sie steht für den Ernst, dass wir für unser Tun und Lassen Rechenschaft ablegen müssen: Nicht jede Entscheidung ist die zwischen Ketchup oder Mayo; auf manche kommt es wirklich an.
Wird aber die Lehre von der Hölle von dieser Hoffnung der Opfer losgelöst, hat sie heillose Folgen: Christus als Weltenrichter wird zu einem rachsüchtigen Buchhalter. Das kann einerseits bedeuten, dass Mächtige, die sich als von Gott eingesetzt darstellen, sich als verlängerter Arm dieses strafenden Christus inszenieren: Sie schüren Angst vor der Hölle und legitimieren damit ihre Macht. Andererseits kann es bei denen, die sich dieser Angst ergeben, zu einer Haltung führen, die Friedrich Nietzsche „Ressentiment“ [2] nennt: Ich beuge mich Drohungen und versuche mir einzureden, dass ich die Art, wie ich lebe, selbst will. Die eigene Unzufriedenheit bricht besonders dann hervor, wenn ich sehe, wie andere sich nicht an die durch angedrohte Strafe eingehämmerten Normen halten. Einen besonders fragwürdigen Ausdruck findet diese Haltung in dem Gedanken, dass denen im Himmel ihre Seligkeit dadurch „noch erfreulicher ist“, dass sie „die Strafe der Gottlosen vollkommen schauen“. [3]
Gegen diese sich verselbständigenden Hölle-Spekulationen und neben die biblischen Aussagen zum End-gericht tritt das biblische Zeugnis von Gottes universalem Heilswillen: Gott hat kein Gefallen am Bestrafen, sondern an unserem Heil. Jesu Gleichnisse vom Verlorenen unterstreichen die überschwängliche „Freude im Himmel über einen Sünder, der Buße tut“ (Lukas 15,7). Martin Luthers reformatorische Erkenntnis bestand darin, dass Gottes Gerechtigkeit nicht die ist, die Gott fordert, sondern die, die Gott schenkt. Er schenkt sie, wenn wir unser Unvermögen zugeben und uns seiner Gnade anvertrauen, im Glauben daran, dass Jesus Christus unsere Sünden auf sich genommen hat. Nach Römer 5,6 „ist durch die Gerechtigkeit des Einen für alle Menschen die Rechtfertigung gekommen, die zum Leben führt“.
Die Realität der Macht der Hölle einerseits und die Gewissheit des Heils andererseits fasst ein lutherisches Osterlied so in Worte: „Die Höll‘ und ihre Rotten / die krümmen mir kein Haar, / der Sünden kann ich spotten, / bleib allzeit ohn‘ Gefahr. / Der Tod mit seiner Macht / wird nichts bei mir geacht’: / er bleibt ein totes Bild, / und wär er noch so wild.“ [4]
Anmerkungen
- Das Endgericht mit doppeltem Ausgang lehren die Artikel II und XVII des Augsburger Bekenntnisses.
- Friedrich Nietzsche, Zur Genealogie der Moral, in: Giorgio Colli und Mazzino Montinari (Hg.), Kritische Studienausgabe, Bd 5, 2. Aufl. 1988, 270-274.
- Thomas von Aquin: Summa theologica III, Supplement, Frage 94. Zitiert nach: Die deutsche Thomas-Ausgabe: vollständige, ungekürzte deutsch-lateinische Ausgabe der Summa theologica / Thomas von Aquin. Übers. von Dominikanern und Benediktinern Deutschlands und Österreichs. Hrsg. vom Kath. Akademikerverband. Bd. 36: Die letzten Dinge: Supplement 87-99, 181. – Ich zitiere Thomas hier nicht als römisch-katholischen Theologen, sondern als Exponenten einer gemeinsamen abendländischen Theologie.
- Paul Gerhardt: Auf, auf, mein Herz, mit Freuden, Strophe 4 (Evangelisches Gesangbuch Nr. 112).