Jesus Christus im Dialog

von Vivien Neugebauer und Kathrin Klausing

 

Zwei (fiktive) Studierende, Laura und Enes, bereiten per E-Mail ein Referat zum Thema „Jesus in den Religionen Christentum und Islam“ für das Seminar „Interreligiöser Dialog“ vor. So könnte ein Austausch der unterschiedlichen Vorstellungen aussehen:


Betreff: Jesus im Koran
Hallo Laura, ich habe mit der Vorbereitung für das Referat begonnen. Nun habe ich einen ersten Überblick: Im Koran wird Jesus (Muslime erwähnen hinter seinem Namen die Formel „Der Friede sei auf ihm“, wie nach der Erwähnung von Prophetennamen üblich) vor allem unter folgenden Themen erwähnt: seine Schöpfung, seine wundersame Geburt und seine Botschaft an die Kinder Israels. Außerdem erfolgt eine korrigierende Darstellung der Kreuzigungserzählung und eine klare Absage an Vorstellungen über eine Wesenseinheit von Gott und Jesus sowie eine Vater-Sohn Beziehung zwischen beiden. Der letzte Punkt ist wohl auch der, der für viele Muslime am schwersten nachzuvollziehen ist: Wie eine Wesenseinheit von Gott und Mensch möglich ist und wie man sich vorstellen kann, dass Jesus Gottes Sohn ist.
Viele Grüße, Enes


Betreff: Gottes Sohn oder Gott?
Hey Enes, bei meinen Recherchen zum Christentum habe ich festgestellt, wie wichtig es ist, zu bedenken, dass jedes Sprechen von Gott metaphorisch zu verstehen ist. Indem Jesus durch den Heiligen Geist gezeugt und von der Jungfrau Maria geboren wurde, geht er als Sohn aus dem Vater hervor. Das Christentum hat – wie auch das Judentum und der Islam – einen Gott. Zu Gott als Vater gehören Jesus Christus als Sohn und der Heilige Geist. Dadurch sind sie aber nicht drei Götter, sondern sie sind ein Wesen, das sich den Menschen in zwei Formen zuwendet: Gott wirkte in der Geschichte durch Jesus Christus und wirkt universal durch den Heiligen Geist. So spricht man von der Dreifaltigkeit Gottes. Nach diesem Verständnis ist auch Jesus Christus als Sohn ewiger und wahrer Gott. Das bedeutet auch, dass Gott durch Jesus Mensch geworden ist und sich in ihm auf Erden den Menschen selbst mitgeteilt hat.
Viele Grüße, Laura


Betreff: Re: Gottes Sohn oder Gott?
Hi, das ist im Koran anders: Trotz seiner wundersamen Schöpfung im Körper seiner Mutter wird Jesus nicht als Sohn Gottes angesehen. Es wird vielmehr daran erinnert, dass auch Adam (Friede sei mit ihm) ebenfalls ohne Vater und sogar ohne Mutter durch direkte Schöpfung ins Leben kam. „Gewiss, das Gleichnis ‚Isas ist bei Allah wie das Gleichnis Adams. Er erschuf ihn aus Erde. Hierauf sagte Er zu ihm: „Sei!“ und da war er.“ (Koran 3:59)

Außerdem wird Jesus (Isa) im Koran und den Hadithen (Sammlung der Aussagen des Propheten Muhammad) immer mit seinem Beinamen Sohn der Maria (Ibnu Maryam) erwähnt. Viele Korankommentatoren deuten diese für die damalige Zeit ungewöhnliche Abstammungsbezeichnung auf zweierlei Art: Da die Abstammung in der Regel auf die väterliche Linie zurückgeführt wird, soll hier zum Ausdruck kommen, dass Jesus eben keinen Vater hatte und dass er zwar der Sohn einer Mutter war, aber implizit eben nicht der Sohn Gottes. Außerdem wird mit dem Beinamen (kein anderer Prophet wird im Koran mit seiner Abstammungsbezeichnung erwähnt) die ehrwürdige Verbindung Jesu mit einer sehr besonderen Frau betont, nämlich Maria.
Enes


Betreff: Re: Re: Gottes Sohn oder Gott?

Hallo Enes, Dagegen wird Jesus im Christentum ganz von Gott her definiert, auch wenn Maria trotzdem und vor allem in der römisch-katholischen Kirche verehrt wird.

Im Neuen Testament werden Jesus mehrere Hoheitstitel zugesprochen, die ihn und seine besondere Beziehung zu Gott herausstellen. Jesus wird als Sohn Gottes (Röm 1, 3f.) bezeichnet, wie es im Alten Testament einer besonderen Person zustand, die durch Gott eine Aufgabe aufgetragen bekommen hatte. Im Neuen Testament verweist der Titel auf die Aufgabe Jesu als Heilsbringer. Er drückt zudem das enge personale Verhältnis zwischen Gott und Jesus aus. Sein Beiname Christus (Mk 8, 29), griechisch für „der Gesalbte“, geht auf den aramäischen Titel Messias zurück. Damit knüpften die frühen Christen an die Vorstellung des messianischen Heilsbringers an, welcher dem jüdischen Volk im Alten Testament verheißen wurde. Dieser würde ein Nachkomme Davids sein. So wurde Jesus auch als Sohn Davids (Mk 10, 46-52) angesprochen, um auszudrücken, dass sich mit ihm nun die Verheißung erfüllt hatte. Ob Jesus sich selbst als der Messias verstand, ist aber offen. Er hat sich nicht selbst so bezeichnet, doch die frühen Christen schlossen es aus seinem Verhalten und seiner Botschaft. Darüber hinaus war Jesus auch der „Kyrios“ (Röm 10,9), was Griechisch für „Herr“ ist. Unter den Juden war der Titel „Herr“ Gott vorbehalten. Indem die Christen von Jesus als „Herr“ sprachen, wurde er somit Gott gleichgestellt.


Betreff: Re: Re: Re: Gottes Sohn oder Gott?
Das ist interessant, denn auch im Koran wird Jesus als Messias (al-Masih) bezeichnet (Koran 3:45). Dieser Beiname wird sehr unterschiedlich verstanden: einmal als Hinweis auf die Salbung als Segen (also: der Gesegnete); zum anderen auf Jesu Fähigkeit, durch Streichen (mash, Ableitung von derselben Wortwurzel wie al-Masih) mit seinen Händen Menschen von ihren Krankheiten zu heilen.

Im Koran bezeichnet Jesus sich selbst als liebevollen Sohn seiner Mutter und Diener Gottes. Als Diener Gottes hat Jesus wie in der Bibel auch im Koran eine Aufgabe von Gott erhalten. Aber die Aufgabe unterscheidet sich: Er ist der Überbringer einer Botschaft Gottes an das Volk Israel.


Betreff: Der neue Bund durch Jesus Christus
Für Christen bringt Jesus Christus die Botschaft nicht nur, sondern Er ist sie. Christen glauben daran, dass Er das geoffenbarte Wort Gottes ist. Durch Sein Wirken, Seine Kreuzigung und Seine Auferstehung schließt Gott einen neuen Bund mit den Menschen. Während des letzten Mahls mit seinen Jüngern deutet Jesus seinen Tod selbst als Hingabe, durch die der Bund zwischen Gott und seinem Volk erneuert und vertieft wird (1 Kor 11,23-25). Der erste Bund zwischen Gott und dem Volk Israel ist damit nicht aufgehoben, aber mit dem Kommen Jesu Christi wird dieser Bund auf die gesamte Menschheit übertragen, so dass durch ihn eine neue Heilsordnung in Kraft tritt. Deshalb werden die Osterereignisse Jesu von Christen als Wende für die gesamte Menschheit verstanden. Damit konnte auch die neue Welt, das Gottesreich, bereits inmitten der alten Welt anbrechen. Deshalb feiern wir Ostern.


Betreff: Der neue Bund durch Muhammad
Innerhalb der koranischen Erzählung war Jesus ein Gesandter an das Volk Israel. Er war also ein Prophet. Erst mit der Sendung des Propheten Muhammad (der Friede und Segen seien über ihm), die nach Jesu Wirken erfolgte, richtet sich Gott an die gesamte Menschheit. Nach dem islamischen Verständnis der Prophetie erwählt Gott unter den Menschen einen, der auch durch seine Menschlichkeit als Mensch erkennbar ist und lässt durch ihn Seine Offenbarung verkünden und durch sein menschliches Vorbild eine vollkommene, aber immer noch erstrebbare Verwirklichung dieser Botschaft in der Welt Realität werden. In diesem Sinne sind Muslime die Nachfolger aller Propheten, auch die von Jesus.


Betreff: Kreuzigungstod
Ich möchte noch einmal zum Osterfest zurückkommen, denn der Tod Jesu am Kreuz ist das zentrale Ereignis im christlichen Glauben. Nur dadurch wurden wir Menschen von allen Sünden der Welt und somit auch von der Erbsünde erlöst. Gerade in der Kreuzigung zeigt sich uns Gottes Größe, da er sich selbst dem Leiden der menschlichen Existenz ausgesetzt hat. Es bedeutet, dass Gott für die Menschen selbst Mensch geworden ist und gelitten hat, um die Menschen dort zu erreichen, wo sie sich befunden haben. Es geht darum, dass sich Gottes Macht und Herrlichkeit nicht jenseits des Menschen offenbaren, sondern gerade in dieser Menschlichkeit, die sich in dem Leid und dem Tod Jesu zeigen. Erst dadurch wurde ein Neuanfang im Verhältnis zwischen Gott und den Menschen möglich. Mit der Erlösung haben die Menschen die Zusage, dass sie in Gottes verzeihender Liebe bedingungslos angenommen sind.


Betreff: Re: Kreuzigungstod
Das ist im Islam anders. Es ist dem Ursprung des Korans ein Anliegen zu betonen, dass Jesus nicht gekreuzigt wurde und stattdessen von Gott erhöht wurde (Koran 4:157). Gott ließ nicht zu, dass Jesus getötet wurde, sondern ließ den Menschen die Kreuzigung nur so erscheinen und erhöht Jesus zu Ihm. Dazu passt laut manchen Korankommentatoren auch, dass das Wort „Jesus“ spätaramäisch ist und übersetzt „der Errettete“ heißt.


Betreff: Botschaft Jesu für Muslime

Ich habe noch etwas rausgefunden. Jesu Botschaft im Koran ist die Botschaft des Glaubens und der Zuversicht. Außerdem ist er eine Mahnung für die Muslime, sich von einer materialistischen, auf das Diesseits konzentrierten hin zu einer spirituellen, jenseitsbezogenen Lebensweise zu besinnen.


Betreff: Botschaft Jesu für Christen
Aus christlicher Sicht umfasst die Botschaft Jesu Christi mehr. So beschreiben viele Erzählungen im Neuen Testament das Leben im Jetzt. Daran schließt auch Jesu Gebot der Nächsten- und Feindesliebe an, dem die Menschen innerhalb der Welt folgen sollen. Durch ihren Glauben sind die Christen verpflichtet, sich am Vorbild Jesu Christi und nach der Weisung des Gotteswortes auszurichten, um so an seiner Botschaft mitzuwirken und gegen das Leid in der Welt vorzugehen. Deshalb hat Jesus nicht nur das Verhältnis zwischen Gott und den Menschen, sondern auch das Verhältnis der Menschen untereinander verändert. Insgesamt ist somit das Wirken Jesu auf das Diesseits und das Jenseits ausgerichtet.

Der interreligiöse Dialog via E-Mail setzte sich dann tatsächlich fort und mündete in einem spannenden Referat.