Jenseits des Steinbruchs – Religion mit Kindern in der Grundschule

von Martina Steinkühler

 

Wie soll ich jetzt eigentlich Religion unterrichten?“
Diese berechtigte Frage einer Studierenden am Ende (!) eines
Proseminars Religionspädagogik hat mich nicht losgelassen –
bis ich am Ende ein neues Unterrichtsmaterial entwickelt hatte.1

 

Aktuelle Herausforderungen jenseits der großen Konzepte

Wir haben uns im Seminar die aktuelle Situation an Grundschulen angeschaut: marginalisierter RU, RU im Klassenverband, RU mit allen, die keine Alternative haben. Wir haben davon gesprochen,

  • dass keine (einheitliche) religiöse Sozialisation vorausgesetzt werden kann, davon, dass wir mit anders religiösen, vor allem aber mit nicht religiös erzogenen Kindern rechnen.
  • dass Kinder mit eigenen Vorstellungen und Anschauungen in den RU kommen, die ernst zu nehmen, wertzuschätzen sind, mit denen wir arbeiten können und sollen.
  • dass es nicht darum geht, Glauben zu vermitteln, dass es aber wiederum zu wenig ist, über Religion nur von außen zu reden. Wir haben gesagt, es gilt, eine religiöse Sicht auf die Welt zu erproben.
  • dass Inhalte, Riten, Symbole des christlichen Glaubens (evangelischer Prägung) nach wie vor Thema des RU sind – aber längst nicht ihr einziges.
  • dass die Fragen und Zugänge der Kinder dem RU seine Gestalt geben und dass wir einen weiten Religionsbegriff brauchen, der das ganze Leben in seinen elementaren Vollzügen, existenziellen Krisen und Transzendenzerfahrungen umfasst.

„Wie soll ich jetzt Religion unterrichten?“ Im skizzierten Kontext verstehe ich das nicht als Frage nach Methoden und Bausteinen – davon gibt es viele und gute. Ich verstehe das als Frage nach einem roten Faden, und zwar sowohl für die Unterrichtenden als auch für die Kinder.

 

Eckpfeiler eines Faches „Religion mit Kindern“

Ich versuche, den Kindern Folgendes anzubieten:

  • Subjekt sein, sich selbst immer besser kennenlernen – Stärken und Schwächen, Fragen und Ideen, Kreatives und Nachdenkliches, Hoffnungen, Sehnsüchte und Ängste.
  • Wir sein: aufeinander hören, einander achten, miteinander kommunizieren und kooperieren. Sich einfühlen – Empathie.
  • Religion kennenlernen und ausprobieren: eine Lebenshaltung, die mit Gott rechnet, und zwar:
  • … mit einem guten, zugewandten Gott, der das Leben liebt und nicht den Tod; dies ist im christlichen Religionsunterricht der Gott der biblischen Überlieferungen, der Gott Abrahams und Saras, Jakobs, Moses und Mirjams, König Davids und der Propheten. Und Jesu.
  • Zum Ausprobieren gehört Konkretion: Wir erforschen den evangelischen Kirchenraum, evangelische Riten, evangelische Feste.
  • Für all das gibt es eine religiöse Sprache, die wir Schritt für Schritt lernen.
  • Zum Eigenen kommt das Fremde bzw. das benachbarte Andere: Wir fragen nach anderen Beispielen für Religion – nach den katholischen Geschwistern, den Geschwistern aus Abrahams Samen, den anderen, die wir fragen können. Auch danach, wie es ist, ohne Glauben zu leben, im Hier und Jetzt und auf sich allein gestellt.
  • Das Fragen und das Theologisieren haben hier ebenso ihren Platz …
  • wie das Lernen und Gestalten mit allen Sinnen.

 

Praktische Beispiele

All das – ich habe das Gesicht meiner Studentin vor mir – klingt immer noch abstrakt; darum seien hier einige praktische Beispiele gegeben:

 

Jahresuhr, Frag-Mal und Schatzkiste

Zu Beginn des RU gilt es, sinnlich erfahrbar zu machen, was für ein Fach „Reli“ ist. In einer eigenen Einheit führe ich die neue Lerngruppe Schritt für Schritt an Themen und Wege von Reli heran:

  1. Willkommen im Reli-Raum: Die Kinder betreten einen neuen Erfahrungs-Raum – symbolisch begangen durch bewusstes Eintreten, z.B. über eine Fußmatte: Einander wahrnehmen, Möglichkeit zur Stille. Betasten und erkunden der vier Elemente Erde, Feuer, Wasser, Luft. Essen und Trinken. Das alles ist Religion.
  2. Sich zurechtfinden im Reli-Raum: Einführung einer Jahresuhr (Jahreszeiten und Kirchenjahr). Sie wird im Laufe des Jahres daran erinnern, dass wir im Hier und Jetzt verankert sind, zugleich in positiver Religion. Ihre Feste und Gebräuche strukturieren unsere Zeit.
  3. Leben im Reli-Raum: Die Kinder entdecken den „Schatz“: Auf Bildkarten finden sich Motive des Lebens: Emotionen, Beziehungen, Feste, Wachsen … Mit all dem lässt sich Reli verbinden.
  4. Wir sind nicht allein im Reli-Raum: Einführung des Fragens mithilfe eines Unterrichtsbegleiters – z.B. in Form des personifizierten Fragezeichens „Frag-Mal“. Mit ihm üben die Kinder den Umgang mit Fragen – dabei auch das Fragen nach Gott.

 

Bibel-Erzählstunden und Bibel-Blätter

Zu jeder Einheit gehört eine „Bibelerzählstunde“: Im ruhigen Erzählrahmen werden elementare Begegnungen mit biblischen Geschichten angebahnt – dazu gibt es Erzählvorschläge, die auf die Lernsituation zugeschnitten sind und die Kinder mit in das Geschehen hineinnehmen. Die Geschichten werden prozesshaft präsentiert, die Kinder werden Zeugen und Mitbeteiligte einer Suche nach Gott. Das fördert die Auseinandersetzung und nachhaltige Erschließung.
Die Methode macht Ernst mit der Erkenntnis, dass Bibelgeschichten mitwachsen müssen. Wir „unterrichten“ sie nicht ein für alle Mal, sondern wir holen sie immer wieder vor, erschließen uns Teile – und später weitere.

Nach jeder Bibel-Erzähl-Stunde erhalten die Kinder ein vorgestaltetes Blatt, das an die Geschichte und ihre Erarbeitung erinnert. Die Kinder nehmen es mit nach Hause und erzählen die Geschichte ihren Angehörigen. Das fördert Nachhaltigkeit und Erzähl-Kompetenz.

 

Immanente Wiederholungen (Sprachlehre)

Sowohl der Auswahl und sukzessiven Erschließung der Bibelgeschichten als auch der Einführung und Einübung religiöser Sprache und Symbolik liegt eine sorgfältig abgestimmte religionspädagogische Dramaturgie zugrunde. Die Einheiten bauen aufeinander auf. Rückgriffe auf Erarbeitetes gewährleisten immanente Wiederholung und dienen dem Aufbau eines wachsenden Gesamtverständnisses.

Das Prinzip des Spiraligen verbindet nicht nur die Einheiten eines Schuljahres, sondern auch die vier Grundschuljahre untereinander. Jedes Schuljahr durchläuft – ausgerichtet am Kirchenjahr und den Jahreszeiten – einen ähnlichen Themenkanon, der jedoch, der wachsenden Erfahrung angepasst, jeweils ein Mehr an Deutung und Reflexion herausfordert.

Ein Material, das didaktisch-methodisch so straff durchstrukturiert ist, besteht nicht mehr aus völlig unabhängigen Bausteinen. Und doch sind sie genügend in sich geschlossen, um auch nach dem Steinbruchprinzip Verwendung zu finden. Es ist nur so: Sie können eigentlich mehr.

Wie soll ich nun Religion unterrichten? – Mit den Kindern und für die Kinder. So dass sie Schritt für Schritt eine spezifische Qualität des Lebens für sich entdecken.

 

Anmerkungen

  1. Erschien zur didacta: Martina Steinkühler, Religion mit Kindern. Materialien für die Grundschule 1 (die Bände 2 bis 4 sind in Vorbereitung), Göttingen 2013.

Text erschienen im Loccumer Pelikan 2/2013

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