Woher kommt, was wir zum Leben brauchen? - Bausteine für eine Unterrichtssequenz in einer 6./7. Klasse einer Förderschule - Schwerpunkt Lernen

von Ulla Norra

 

Im Rahmen der Diskussion um die geplante Inklusion fragen wir uns als Unterrichtende in der Förderschule: Inwiefern unterscheidet sich der Unterricht in der Förderschule von dem der Hauptschule? Gibt es überhaupt Unterschiede oder sind Aspekte eines guten, schülerorientierten Unterrichts nicht in jedem Unterricht zu beachten? Benötigen getestete Förderschulkinder eine besondere Ansprache, bedarf es spezifischer Motivationsphasen und eines anderen Methoden- und Materialangebotes?

Die meisten Schüler

  • haben wenig Erfahrung mit christlichen Inhalten und Ritualen,
  • stehen religiösen Vorstellungen eher uninteressiert bis ablehnend gegenüber,
  • brauchen stark strukturierten Unterricht mit vielen Wiederholungen,
  • benötigen viel Einzelzuwendung in Form von Hilfen, Rückmeldungen und Verstärkung,
  • brauchen ein reduziertes Angebot, das ihnen Sicherheit gibt,
  • werden durch ein breites Angebot mit selbstständigen Erarbeitungsmöglichkeiten verunsichert,
  • lernen am effektivsten, wenn alle Sinne angesprochen werden und ihre Lebensumwelt berücksichtigt wird,
  • haben eine besondere Lernausgangslage,
  • erleben in ihren Familien wenig sprachliche Förderung,
  • verfügen über einen geringen Wortschatz und eine reduzierte Ausdrucksmöglichkeit,
  • haben in ihren Familien wenig Neugier an den Erscheinungen des täglichen Lebens und ihren Zusammenhängen als Voraussetzung für entdeckendes Lernen erlebt,
  • brauchen viel Zeit, um neue Sachverhalte zu erfassen und sich dazu zu äußern,
  • brauchen eine kleine Lerngruppe, die für sie überschaubar ist, die ihnen Sicherheit gibt, in der sie ihre Stärken erfahren und bei Schwächen Unterstützung erfahren können.

Bei der Vorbereitung einer jeden Unterrichtseinheit spielen diese Überlegungen eine wesentliche Rolle. Auch in kleinen Lerngruppen von sechs bis acht Kindern zeigt sich Vielfalt, der durch Differenzierung unterstützt werden kann und muss. Die oben aufgeführten Kennzeichen zeigen sich allerdings fast ausnahmslos bei allen Schülerinnen und Schülern. Der unten aufgeführte Aspekt der Sicherheit durch eine kleine Lerngruppe stellt sich aus unserer Perspektive als wesentlich dar und wirft dadurch gleichzeitig die Frage auf, ob die einzuführende Inklusion und gemeinsame Beschulung allen Kindern mit einer attestierten Lernbehinderung gerecht werden wird.

Der besonderen Bedürftigkeit unserer Schülerinnen und Schüler werden wir vermutlich nicht im Wesentlichen durch die Art des didaktisch-methodischen Zugangs zu den Themen des Unterrichts gerecht. Wir begegnen ihr eher durch die Entschleunigung des Unterrichts, durch Beziehungsarbeit, durch eine klare innere und äußere Strukturierung und durch die Möglichkeit, jederzeit sehr individuell zeitnah auf das Verhalten von Schülerinnen und Schülern zu reagieren.

In dem hier gewählten Zugang zum Themenbereich Schöpfung wird deshalb eher nicht deutlich werden können, welche spezifischen Umgangsweisen und Arbeitsmöglichkeiten wir unseren Schülerinnen und Schülern anbieten. Wir versuchen aber, im Folgenden eine Zugangsweise herauszuarbeiten, die die Lernausgangslage unserer Schülerinnen und Schüler berücksichtigt und von einem Aspekt ausgeht, der diese existenziell unmittelbar betrifft:

Es ist davon auszugehen, dass die überwiegende Zahl unserer Schülerinnen und Schüler eher sehr geringe Erfahrungen mit religiöser Praxis hat und weder kirchlich noch religiös sozialisiert ist. Deshalb wählen wir als Einstieg in die Thematik weder einen Aspekt aus einer der Schöpfungserzählungen noch die Frage nach der Entstehung der Welt. Wir gehen vom Aspekt der Bedürftigkeit aus und bringen von daher die Frage nach Gott ins Spiel. Dabei spielt die aktuelle Lebenssituation der Schülerinnen und Schüler und ihre je eigene Befindlichkeit eine wichtige Rolle.

Die Schülerinnen und Schüler sollen verstehen lernen, dass religiöse Menschen die Versorgung mit lebensnotwendigen Dingen als Gottes Fürsorge deuten können. Förderschüler präsentieren sich oft als nicht reflektierend zu ihrer eigenen Lebenssituation und ihren Bedürfnissen. Dem soll durch das Nachdenken über die Grundbedürfnisse und die Versprachlichung entsprechender Überlegungen entgegengewirkt werden.

Wir wollen die Thematik so einführen, dass die Schülerinnen und Schüler nicht in Konflikt zu naturwissenschaftlichen Erklärungen zur Entstehung der Erde kommen (oft haben sie in anderen Unterrichtsfächern davon gehört). Wir wollen sie darin unterstützen, dass sie durchaus naturwissenschaftliche Erklärungen als richtig begreifen, aber erkennen, dass es darüber hinaus andere Perspektiven und Fragestellungen gibt, die in der Vorstellung der Schöpfung zum Ausdruck kommen. Sie sollen darüber nachdenken, dass es Bedingungen gibt, die eine Entwicklung beeinflussen, die aber nicht in der Hand und Verfügbarkeit des Menschen liegen, sondern in der Deutung eines religiösen Menschen in Gottes Hand liegen bzw. aus Gottes Hand kommen.

Die Schülerinnen und Schüler sollen in dieser Einheit darin unterstützt werden, sich selbst als wertvoll und wunderbar wahrzunehmen, indem sie ihre Sinne ausprobieren und von ihren Mitschülerinnen und -schülern positive Eigenschaften gespiegelt bekommen. Sie sollen die Vorstellung kennen lernen, sich als Geschöpfe Gottes wahrzunehmen und Vertrauen in ihre eigene Entwicklung zu haben. Da Förderschülerinnen und -schüler sich sowohl in der Schule als auch im Elternhaus überwiegend als Verlierer erleben, ist dies ein Hauptanliegen – nicht nur im Religionsunterricht.

Es wird eine Vorgehensweise gewählt, die durch ständige Wiederholung und Anschauung (Lückentext, Memory, Fotos) darin unterstützt, komplizierte Sachverhalte langsam zu begreifen und zu verinnerlichen. Phasenweise wird den Schülerinnen und Schülern auch der Umgang mit Texten zugemutet, die aber so ausgewählt und übersichtlich strukturiert sind, dass schnell Erfolge beim Lesen zu erzielen sind. Diese Phase muss durch den intensiven Kontakt mit der Unterrichtenden begleitet werden.

Außerdem soll der Aspekt der Verantwortung eine wichtige Rolle spielen: Wer Verantwortung für die Schöpfung übernimmt, kann sich selbst als wichtig und wertvoll wahrnehmen und kann außerdem eine Beziehung zum Erschaffenen herstellen oder vertiefen, Empathiefähigkeit entwickeln und sich als Teil der Umwelt und der darin lebenden Gemeinschaft begreifen. Deshalb sollen die Schülerinnen und Schüler Verantwortung übernehmen lernen und für ihren eigenen Lebensalltag Strategien entwickeln zur Erhaltung der Schöpfung. Dabei soll auch die Frage nach Möglichkeiten, durch eigenes Verhalten und Handeln einen förderlichen Umgang mit Umwelt und Natur zu entwickeln, gemeinsam erarbeitet werden.

Im Folgenden werden die Unterrichtsschritte der Sequenz aufgeführt. Die kleine Lerngruppe ermöglicht eine intensive Zusammenarbeit und Begleitung, so dass eine Differenzierung durch die situationsgerechte Zuwendung der Lehrerin verwirklicht werden kann. Das Augenmerk liegt deshalb nicht auf der Frage nach Möglichkeiten der Binnendifferenzierung, sondern auf der Frage nach der inhaltlichen Linie, auf die sich Schülerinnen und Schüler einlassen können, weil sie sich in ihrer existenziellen Situation angesprochen fühlen.

 

Unterrichtsschritte der Sequenz

1. Was braucht ein Mensch zum Leben?

  • Die Schülerinnen und Schüler schreiben in der Kleingruppe zehn lebensnotwendige Teile auf Karten.
  • Nachdem die Kleingruppen ihre Karten präsentiert haben, werden die Aspekte herausgearbeitet, die unbedingt notwendig zum Leben sind. Die für die Schülerinnen und Schüler hilfreiche Frage ist dabei: „Würde ich ernsthaft krank, wenn ich … nicht hätte?“ Im Unterricht nannten sie zum Beispiel folgende Aspekte: Grundnahrungsmittel, Wasser, Kleidung, Unterkunft, Licht, Zuneigung, Schlaf. Diese bleiben auf Karten an der Tafel hängen.
  • Nach dieser Erarbeitung folgt eine schriftliche Definition des Begriffs „lebensnotwendig“. Die Schülerinnen und Schüler formulieren jeweils sieben Sätze: „Um nicht ernsthaft krank zu werden, brauche ich …“
  • Jede/r gestaltet zwei Memorykarten mit Symbolen für die lebensnotwendigen Dinge. Das Memory kann später gespielt werden.
  • Es folgt eine Partnerarbeit, in der weiter der Frage nach dem Lebensnotwendigen nachgegangen werden kann: „Sucht eine lebensnotwendige Sache aus und überlegt, was passiert, wenn sie lange Zeit fehlt.“
  • Die Überlegungen werden vorgestellt. Eine Weiterarbeit kann durch ein Arbeitsblatt erfolgen, das in Einzelarbeit bedacht wird: „Wenn ich nicht esse, dann …“

 

2. Wo kommt das her, was wir zum Leben brauchen? War es schon immer da?

  • Mit Hilfe dieser Fragen soll ein Bewusstsein dafür geweckt werden, dass lebensnotwendige Teile nicht selbstverständlich vorhanden sind, sondern sich entwickeln müssen oder produziert werden.
  • Dabei soll auch darüber nachgedacht werden, dass Bedingungen, die die Menschen nicht in der Hand haben, erfüllt sein müssen.
  • Bilder (aus dem Internet), die über die Herkunft Auskunft geben, werden den Symbolkarten für lebensnotwendige Dinge zugeordnet, z. B.: Trinken – Meer/Wasseraufbereitung, Brot – Getreidefeld, Wärme – Elektrizität, Gas, Wasser, …)
  • Weitere Memorykarten werden gestaltet, so dass in Kleingruppen das Spiel gespielt werden kann.

 

3. Wie ist die Erde entstanden?

  • Überlegungen zur Entstehung und Entwicklung der Erde werden gesammelt und eingebracht (Bezug zu Geographie und Geschichte nehmen). Das GEO-Heft Nr. 1 (2004) bietet dazu unter GEO.de Informationen und eindrucksvolle Bilder.
  • Aufgrund der Fragen: „Wo kommst du her? Gab es den Menschen schon immer?“ wird die Frage nach der naturwissenschaftlichen Entwicklung der Erde und ihrer Bewohner wieder aufgenommen und weitergeführt. Ein Lesetext in 3 Abschnitten mit Fragen (M 1) wird jeweils in einer Dreiergruppe gelesen und soll zusammenfassend vorgestellt werden. Dabei arbeiten die Jugendlichen kooperativ:
  • Der erste liest seinen Abschnitt laut vor.
  • Der zweite stellt dazu eine Frage.
  • Der dritte beantwortet diese.
  • Der erste sagt einen zusammenfassenden Satz.
  • Nach demselben Verfahren werden die weiteren zwei Abschnitte reihum abwechselnd bearbeitet.
  • Zur Festigung soll gemeinsam ein Lückentext (M2) ausgefüllt werden. Vor der Bearbeitung wird der Lesetext abgegeben. Er kann im Anschluss zur Kontrolle wieder genutzt werden.
  • Frage: „Was war da, bevor es die Erde gab?“ soll dazu anregen, über eigene Vorstellungen vom Ursprung nachzudenken.

 

4. Aller Anfang war bei Gott.

  • Durch Interviews von Menschen, die sich als Christen verstehen, wird der Glaube an Gott als Schöpfer eingespielt. Je nach Verfügbarkeit werden zwei bis drei Interviews von der/dem Unterrichtenden vorbereitet oder eine Person wird in den Unterricht eingeladen. Mögliche Aussagen: „Gott hat die Entwicklung der Erde ermöglicht …“ „Er hat als Krönung den Menschen zu seinem Ebenbild geschaffen …“ „Gott war zufrieden mit der Erde. Sie war schön …“
  • Zur Vertiefung formulieren und gestalten die Schülerinnen und Schüler selbstständig ein Schmuckblatt, auf dem zum Ausdruck kommt, was ein Christ glauben könnte: „Aller Anfang war bei Gott …“
  • Die erste Strophe des Liedes „Großer Gott, wir loben Dich“ (EKG 331) wird gemeinsam gelesen, besprochen und ggf. gesungen. (Singen ist stark abhängig von der Gruppenzusammensetzung und davon, ob die Gruppe Singen gewöhnt ist.)

 

5. Du bist eine Ebenbild Gottes und wertvoll.

  • Im nächsten Schritt werden die Schülerinnen und Schüler direkt angesprochen. Durch das Lied „Vergiss es nie, dass du lebst war keine eigene Idee“ (M 3), das gesungen oder auch nur gesprochen werden kann, erfahren die Schülerinnen und Schüler indirekt Zuspruch. Die Zeile „Du bist du, das ist der Clou“ wird im Anschluss an ein Gespräch an die Tafel geheftet und dient als Überleitung zur Frage nach den eigenen Besonderheiten.
  • Nach Möglichkeit werden Schattenrisse der Köpfe der Schülerinnen und Schüler angefertigt.
  • Jede/r erhält die Aufgabe, sich (ggf. im Spiegel) zu betrachten und Besonderheiten wahrzunehmen. In einem Gespräch können diese benannt werden.
  • In einen Stuhlkreis wird ein „heißer Stuhl“ gestellt, auf dem jede/r Schüler/in abwechselnd sitzt und von den Mitschülerinnen und Mitschülern gesagt bekommt, was an ihm/ihr besonders ist. Im Vorfeld wird deutlich auf die Spielregel hingewiesen, dass nur positive Aussagen gemacht werden sollen. Der/die Unterrichtende gibt Hilfestellungen.

 

6. Gott hat dem Menschen die Verantwortung für die Erde und ihre Bewohner übergeben.

  • Der Schöpfungsbefehl „Seid fruchtbar und mehret euch …“ (Gen 1, 28) wird gemeinsam gelesen und bedacht.
  • Die Frage der Bewahrung der Schöpfung wird an Beispielen aus der eigenen Lebenswelt konkretisiert: „Wie kannst du die Verantwortung in deiner eigenen Lebenswelt wahrnehmen?“
  • Gemeinsam werden praktische Beispiele gesucht und in Stichworten an die Tafel geschrieben.
  • Die Schülerinnen und Schüler benennen praktikable Verhaltensweisen für sich selbst und formulieren diese schriftlich.
  • Am Ende der Einheit wird das Lied „Gott gab uns Atem, damit wir leben“ (EKG 432) gemeinsam gesungen.

M 1: Lesetext

Unsere Erde

1.
Unsere Erde ist ein Planet.
Er umkreist mit acht weiteren Planeten die Sonne.
In diesem Sonnensystem ist die Erde der einzige Planet, auf dem Leben möglich ist.
Nur auf der Erde gibt es Licht, Wärme, Wasser und Luft, die Leben ermöglichen.
Pflanzen brauchen diese vier Dinge zum Wachsen.
Sie produzieren Sauerstoff, den Tiere und Menschen zum Atmen brauchen.
Pflanzen sind Nahrung für Menschen und Tiere.

2.
Vor fünf Milliarden Jahren explodierte ein Stern und schleuderte Staub und Gas in den Weltraum.
Eine glühende Wolke entstand, die langsam abkühlte.
Es regnete ungefähr 100.000 Jahre lang.
Das Wasser sammelte sich auf dem entstandenen Planeten in dessen Vertiefungen.

3.
Landschaften, Berge und Täler, Wüsten und blühende Landschaften
entstanden im Laufe von vielen Jahren.
Vor zweieinhalb Milliarden Jahren entstanden erste Lebewesen im Wasser.
Es waren winzige Bakterien.
Nach und nach entwickelten sich andere Lebewesen.
Heute haben wir über 400.000 Pflanzenarten und über eine Million Tierarten.
Als letztes entwickelte sich der Mensch.

Text erschienen im Loccumer Pelikan 2/2012

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